Archiv: Beethoven 5

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Angela Hewitt, Klavier
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Angela Hewitt sorgt derzeit mit der Aufführung des kompletten Klavierwerks von Johann Sebastian Bach als «Bach Odyssey» weltweit für Aufsehen. Nun endlich stellt sich die kanadische Ausnahmepianistin auch dem Abonnementpublikum der Tonkünstler vor: mit Bach, womit sonst! Zwei Cembalokonzerte leitet die renommierte Barock-Expertin selbst, vom Instrument aus – natürlich in bestem Einvernehmen mit Chefdirigent Yutaka Sado, der ihren Auftritt mit Musik der Wiener Klassik umrahmt: Joseph Haydns 86. Symphonie, eine seiner «Pariser Symphonien», und mit Ludwig van Beethovens «Fünfter» ein Publikumsliebling par excellence.

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Joseph Haydn

Symphonie D-Dur Hob. I:86

Sätze

  • Adagio - Allegro spiritoso

  • Capriccio: Largo

  • Menuet: Allegretto

  • Finale: Allegro con spirito

Dauer

26 Min.

Joseph Haydn erhielt um das Jahr 1785 vom Pariser Konzertveranstalter Concert de la Loge Olympique den Auftrag, einige Symphonien für das hauseigene Orchester zu schreiben. Nun war Haydn, der zeitlebens mit den geringen Möglichkeiten auf Esterhaza haderte, ein Ensemble von etwa 15 bis 25 Mann gewöhnt. Das Pariser Orchester verfügte damals über stolze 65 spielende Mitglieder, und so waren ihm ganz neue Perspektiven der Instrumentierung eröffnet – er konnte im Normalfall kaum auf gleich zwei Trompeten und Pauken hoffen. Obendrein gestattete sich Haydn aufgrund seiner hohen Popularität beim Pariser Publikum (bereits vor den Pariser Symphonien außerordentlich) einige kompositorische Kunstkniffe und direkte musikalische Zitate französischer Provenienz. Seine Beliebtheit ist auch einer zeitgenössischen Kritik aus dem Jahr 1788 zu entnehmen: «In allen Konzerten wurden Symphonien von Herrn Haydn gespielt. Mit jedem Tag wird man mit ihnen vertrauter und es wächst die Bewunderung für die Werke  dieses außerordentlichen Genies. Er versteht sich so gut darauf, in jedem seiner Werke jedem einzelnen Thema die reichsten und vielfältigsten Entwicklun­gen abzugewinnen.»

Obwohl die Symphonie Nr. 86, fünfte der sechs Pariser-Symphonien, nicht mit einem eigenen Beinamen belegt wurde (wie drei der anderen, «die Henne», «der Bär» oder «die Königin»), zählt allein das Hauptthema des ersten Satzes bereits zu den größten Schöpfungen der Musikgeschichte. Nach einer ausführlichen langsamen Einleitung ertönt es, dieses an sich simple, doch gerade darin so geniale Kopfmotiv des Allegro spiritoso.

Einen Bogen zur Adagio-Einleitung des ersten Satzes schlägt Haydn im kuriosen zweiten Satz seiner Symphonie, dessen Thema klar damit verwandt ist. Dieses symphonische Capriccio strotzt nur so vor Originalität und regsamer, kleingliedriger Themenvariierung – das getragene, trotzige Hauptthema ändert seine Gestalt ständig. Besonders die harmonischen Wendungen und zarten Instrumentierungskniffe verleihen dem Satz seine besondere Note.

Wie oft bei Haydn verbirgt sich die wahre Schönheit des Menuetts im Trio: Hier tänzelt ein lieblicher Ländler in französischer Manier einher, der seinesgleichen allein wegen der exquisiten Instrumentierung (Holzbläser) nur bei Haydn selbst finden kann.

Und wo sonst als bei Haydn hält der Ideenreichtum über vier Sätze ungebrochen an, bleibt noch Material für ein solch insistierendes, spritziges Finale übrig? Dass dieses einmalige Thema nach vielfältiger, origineller Verarbeitung dann sogar von der Pauke mitgespielt wird, später das Thema über einem prächtigen Bordun erklingt, mag allein für den außerordentlichen Haydn’schen Einfallsreichtum stehen – und sein sicheres Gefühl für Effekt: Nur bei dem ältesten der drei berühmten Wiener Klassiker wird man so oft durch unvorhergesehene Wendungen und Täuschungen überrascht.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Johann Sebastian Bach

Konzert für Cembalo und Streichorchester f-Moll BWV 1056

Am 20. März 1729 schrieb Bach einen Empfehlungsbrief für seinen ehemaligen Schüler Gottlob Christoph Wecker, um diesem eine Anstellung an der Dreifaltigkeitskirche in Schweidnitz zu verschaffen. Eher beiläufig informierte er Wecker von einer wichtigen Veränderung in Leipzig: «P.S das neueste ist, daß der liebe Gott auch nunmehro vor den ehrlichen H. Schotten gesorget u. Ihme das Gothaische Cantorat bescheret hat; derowegen Er kommende Woche valediciren, da ich sein Collegium zu übernehmen willens.» Als Georg Balthasar Schott im Frühjahr 1729 sein Amt als Organist an der Neukirche aufgab, um Kantor in Gotha zu werden, ging die Leitung des Collegiums nicht, wie es der Tradition entsprochen hätte, an seinen Nachfolger Carl Gotthelf Gerlach, sondern an den Thomaskantor. Obwohl die bürgerlich-studentische Musiziervereinigung, die nach ihrem Gründer das «Telemannische», nach ihrem seit 1720 amtierenden Leiter auch das «Schottische» Collegium musicum genannt wurde, keine städtische Institution war, wurde Bachs Ernennung zum Leiter dieses Ensembles als wichtige Veränderung im Leipziger Musikleben betrachtet.

Bach scheint dieses Amt angestrebt zu haben und erhielt vielleicht die Zustimmung Gerlachs als Gegenleistung dafür, dass er ihn für das Amt des Organisten an die Neukirche empfohlen hatte. Der Vorgang genoss auch die ausdrückliche Billigung durch Gottfried Lange, der 1729 turnusmäßig das Amt des regierenden Bürgermeisters innehatte. Zu Bachs Ausrichtung der Kirchenmusik an St. Thomas und St. Nikolai kam nun das rege weltliche Konzertleben des Collegiums, das einen großen Teil des Bedürfnisses nach musikalischer Unterhaltung des Leipziger Publikums befriedigte. Die Mitglieder des Collegiums waren Studenten, zu denen sich noch Leipziger Berufsmusiker gesellten. Das Collegium spielte bei bestimmten Anlässen für die kurfürstliche Familie, wobei diese Konzerte an gewissen Festtagen eigens angeordnet wurden. Die sogenannten «ordinairen Concerte» fanden hingegen zu festen Terminen statt: jede Woche ein Konzert im Zimmermannschen Kaffeehaus (Sommers im Gastgarten am Grimmaischen Steinweg) und zwei pro Woche während der drei jährlichen Messen. Bis 1737 leitete Bach das Collegium allein, dann gab er dieses Amt an Carl Gotthelf Gerlach ab, dem er noch bis 1741 bei besonderen Anlässen zur Seite stand.

Die Aufführungen des Collegium musicum veranlassten Bach, zur Gattung des Instrumentalkonzerts zurückzukehren, der er sich seit 1721 nicht mehr gewidmet hatte. Mit den 15 Konzerten für ein bis vier Cembali, die ab 1730 entstanden, schuf Bach eine neue Spezies der Konzert-Gattung. Bis auf das Konzert für zwei Cembali BWV 1061 sind diese Werke Transkriptionen von - teilweise verlorenen - Konzerten mit solistischen Melodie-instrumenten aus der Weimarer und Köthener Zeit. Auch die sechs Cembalo-Konzerte BWV 1052 bis 1057, die Bach 1738 in einer Partitur notierte (Staatsbibliothek Berlin, Mus. ms. Bach P 234), beruhen alle auf älteren Instrumentalkonzerten.

Das Konzert in f-Moll BWV 1056 wurde mit großer Wahrscheinlichkeit erst bei der Bearbeitung im Jahr 1738 aus drei Sätzen zusammengestellt, die ursprünglich nicht zusammengehörten. Der Mittelsatz, ein Largo in As-Dur, erscheint schon als Adagio-Sinfonia in F-Dur in der Kantate «Ich steh mit einem Fuß im Grabe» BWV 156. Beide Fassungen gehen auf eine Vorlage zurück, die ein langsamer Satz eines verschollenen Oboenkonzerts in d-Moll gewesen sein könnte. Dessen Außensätze könnten für die beiden Sinfonien der Kantate «Geist und Seele wird verwirret» BWV 35 verwendet worden sein. Mehrere typisch violinistische Figurationen im ersten Satz von BWV 1056 lassen darauf schließen, dass dieser einem verlorenen Violinkonzert in g-Moll entnommen wurde. Dass der dritte Satz zu demselben Violinkonzert gehörte, ist nicht bewiesen, denn dort finden sich keine Violinfiguren, und die bläsergerechte Phrasierung verweist auf ein Oboenkonzert in g-Moll als Ausgangsmaterial.

Die formalen Strukturen von Bachs Konzerten - der leicht erfassbare Wechsel von Ritornell und Episode in den schnellen, das blühend-melodische Arioso in den langsamen Sätzen - basiert natürlich auf den Modellen, die von italienischen Komponisten geprägt wurden. Der Einfluss Vivaldis auf Bach wird allerdings seit jeher überschätzt. Während Bach die Konzerte Vivaldis erst spät rezipierte, hatten jene Albinonis einen viel größeren Einfluss auf den Kapellmeister und Thomaskantor. Bach eine Perfektionierung und Vollendung italienischer Ideale zuzuschreiben, wäre jedoch ein musikästhetisches Fehlurteil. Als der Wiener Musikforscher und Musikaliensammler Aloys Fuchs im Jahr 1850 die Wiederentdeckung der «Brandenburgischen Konzerte» als «Beweis der Überlegenheit der deutschen Musik» bezeichnete, war das ein Zeichen chauvinistischer Kurzsichtigkeit. Natürlich mag Bach seine italienischen Vorbilder künstlerisch übertroffen haben, aber Bachs «deutsche Tiefe» ist noch kein absolutes Qualitätsmerkmal. Vergleicht man die langsamen Sätze des Violinkonzerts BWV 1042 und des «Italienischen Konzerts» BWV 971 mit dem Mittelsatz des Oboenkonzerts von Alessandro Marcello, wird klar, dass das italienische Ideal mit Bachs exquisiter Satztechnik gar nicht in Konkurrenz steht und Bachs Bedeutsamkeit der unmittelbaren Wirkung seiner Musik oft im Wege steht.

Noch in den 1920er-Jahren war es selbstverständlich, Bachs Klaviermusik nur auf dem Konzertflügel zu spielen. Die Aufführung des gesamten «Wohltemperierten Klaviers» durch Claudio Arrau während seines Aufenthalts in Wien im Jahr 1922 wurde als Sensation empfunden. Der zunehmende Erfolg von Cembalo-Virtuosinnen wie Wanda Landowska und Eta Harich-Schneider führte jedoch zu einem Paradigmenwechsel, und viele Pianisten strichen Bachs Werke ganz aus ihren Programmen. Diese Entwicklung wurde auch durch den Vormarsch der historischen Aufführungspraxis verstärkt, die dem Cembalo den Vorzug gab. Schon in den 1970er-Jahren setzte eine Gegenbewegung ein, und die Verwendung eines Konzertflügels für Bachs Konzerte ist mittlerweile zu einer Alltäglichkeit geworden. Das dynamisch variable Pianoforte ist ein Produkt des empfindsamen Zeitalters, der Epoche von Goethe und Mozart. Der sanfte Ton des Klaviers mischt sich anders mit dem Klang des Orchesters, die Möglichkeit, nach Belieben die Lautstärke zu verändern, hat aber - besonders bei Bach - auch ihre Tücken. Der hochfrequente Ton des Cembalos ist immer kurz, exakt und vor allem in seiner Lautstärke vorhersehbar. Er verkörpert das Klangideal der Barockzeit.

Aus der Sicht der Moderne strebt das Barocke vorwiegend nach Ornament und Bizarrerie, aber diese scheinbare Verunklärung, die sich besonders in der bildenden Kunst jener Epoche zeigt, war nicht das Hauptziel des barocken Kunstwollens. Das Ideal des barocken Zeitalters (um ein Denkmodell Egon Friedells zu zitieren) war «eine genau gehende Uhr». Die Barockzeit war eine Ära des technischen Fortschritts und großer mathematischer Errungenschaften. Ihre Kunst strebte ergo nach jener Klarheit, die Bachs Musik in besonderem Maße auszeichnet. Der Hang zu Zierrat und Schnörkel, der in der barocken Kunst auf den ersten Blick so dominant erscheint, diente nur einer bewusst herbeigeführten Selbstberauschung, die helfen sollte, die langsam heraufdämmernden Zweifel des Menschen an der göttlichen Ordnung der Welt zu besänftigen.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Michael Lorenz

Johann Sebastian Bach

Konzert für Cembalo und Streichorchester d-Moll BWV 1052

Sätze

  • Allegro

  • Adagio

  • Allegro

Dauer

23 Min.

Am 20. März 1729 schrieb Bach einen Empfehlungsbrief für seinen ehemaligen Schüler Gottlob Christoph Wecker, um diesem eine Anstellung an der Dreifaltigkeitskirche in Schweidnitz zu verschaffen. Eher beiläufig informierte er Wecker von einer wichtigen Veränderung in Leipzig: «P.S das neueste ist, daß der liebe Gott auch nunmehro vor den ehrlichen H. Schotten gesorget u. Ihme das Gothaische Cantorat bescheret hat; derowegen Er kommende Woche valediciren, da ich sein Collegium zu übernehmen willens.» Als Georg Balthasar Schott im Frühjahr 1729 sein Amt als Organist an der Neukirche aufgab, um Kantor in Gotha zu werden, ging die Leitung des Collegiums nicht, wie es der Tradition entsprochen hätte, an seinen Nachfolger Carl Gotthelf Gerlach, sondern an den Thomaskantor. Obwohl die bürgerlich-studentische Musiziervereinigung, die nach ihrem Gründer das «Telemannische», nach ihrem seit 1720 amtierenden Leiter auch das «Schottische» Collegium musicum genannt wurde, keine städtische Institution war, wurde Bachs Ernennung zum Leiter dieses Ensembles als wichtige Veränderung im Leipziger Musikleben betrachtet.

Bach scheint dieses Amt angestrebt zu haben und erhielt vielleicht die Zustimmung Gerlachs als Gegenleistung dafür, dass er ihn für das Amt des Organisten an die Neukirche empfohlen hatte. Der Vorgang genoss auch die ausdrückliche Billigung durch Gottfried Lange, der 1729 turnusmäßig das Amt des regierenden Bürgermeisters innehatte. Zu Bachs Ausrichtung der Kirchenmusik an St. Thomas und St. Nikolai kam nun das rege weltliche Konzertleben des Collegiums, das einen großen Teil des Bedürfnisses nach musikalischer Unterhaltung des Leipziger Publikums befriedigte. Die Mitglieder des Collegiums waren Studenten, zu denen sich noch Leipziger Berufsmusiker gesellten. Das Collegium spielte bei bestimmten Anlässen für die kurfürstliche Familie, wobei diese Konzerte an gewissen Festtagen eigens angeordnet wurden. Die sogenannten «ordinairen Concerte» fanden hingegen zu festen Terminen statt: jede Woche ein Konzert im Zimmermannschen Kaffeehaus (Sommers im Gastgarten am Grimmaischen Steinweg) und zwei pro Woche während der drei jährlichen Messen. Bis 1737 leitete Bach das Collegium allein, dann gab er dieses Amt an Carl Gotthelf Gerlach ab, dem er noch bis 1741 bei besonderen Anlässen zur Seite stand.

Die Aufführungen des Collegium musicum veranlassten Bach, zur Gattung des Instrumentalkonzerts zurückzukehren, der er sich seit 1721 nicht mehr gewidmet hatte. Mit den 15 Konzerten für ein bis vier Cembali, die ab 1730 entstanden, schuf Bach eine neue Spezies der Konzert-Gattung. Bis auf das Konzert für zwei Cembali BWV 1061 sind diese Werke Transkriptionen von - teilweise verlorenen - Konzerten mit solistischen Melodie-instrumenten aus der Weimarer und Köthener Zeit. Auch die sechs Cembalo-Konzerte BWV 1052 bis 1057, die Bach 1738 in einer Partitur notierte (Staatsbibliothek Berlin, Mus. ms. Bach P 234), beruhen alle auf älteren Instrumentalkonzerten.

Das Konzert in d-Moll BWV 1052 ist das erste Konzert, das Bach für ein größer disponiertes Cembalo mit dem Tonumfang G1 bis d3 schrieb. Es basiert auf einem verschollenen Violinkonzert in d-Moll, das spätestens mit 1716 zu datieren ist. Eine frühe Fassung erscheint schon als Sinfonia mit obligater Orgel in der Kantate «Wir müssen durch viel Trübsal» BWV 146, wo die Melodie des langsamen Satzes zum Eingangschor wurde, sowie in der Kantate «Ich habe meine Zuversicht» BWV 188, in welcher der dritte Satz als Sinfonia verwendet wurde. Bei der Transponierung der originalen, in hohe Lagen reichenden Soloviolinstimme in den Tonumfang des Cembalos ging Bach so geschickt vor, dass ein vollkommen klaviergerechter Satz entstand, der allerdings hohe technische Anforderungen stellt, weil die linke Hand in den solistischen Episoden vom Continuo getrennt ist und eine selbständige Stimme spielt.

Die formalen Strukturen von Bachs Konzerten - der leicht erfassbare Wechsel von Ritornell und Episode in den schnellen, das blühend-melodische Arioso in den langsamen Sätzen - basiert natürlich auf den Modellen, die von italienischen Komponisten geprägt wurden. Der Einfluss Vivaldis auf Bach wird allerdings seit jeher überschätzt. Während Bach die Konzerte Vivaldis erst spät rezipierte, hatten jene Albinonis einen viel größeren Einfluss auf den Kapellmeister und Thomaskantor. Bach eine Perfektionierung und Vollendung italienischer Ideale zuzuschreiben, wäre jedoch ein musikästhetisches Fehlurteil. Als der Wiener Musikforscher und Musikaliensammler Aloys Fuchs im Jahr 1850 die Wiederentdeckung der «Brandenburgischen Konzerte» als «Beweis der Überlegenheit der deutschen Musik» bezeichnete, war das ein Zeichen chauvinistischer Kurzsichtigkeit. Natürlich mag Bach seine italienischen Vorbilder künstlerisch übertroffen haben, aber Bachs «deutsche Tiefe» ist noch kein absolutes Qualitätsmerkmal. Vergleicht man die langsamen Sätze des Violinkonzerts BWV 1042 und des «Italienischen Konzerts» BWV 971 mit dem Mittelsatz des Oboenkonzerts von Alessandro Marcello, wird klar, dass das italienische Ideal mit Bachs exquisiter Satztechnik gar nicht in Konkurrenz steht und Bachs Bedeutsamkeit der unmittelbaren Wirkung seiner Musik oft im Wege steht.

Noch in den 1920er-Jahren war es selbstverständlich, Bachs Klaviermusik nur auf dem Konzertflügel zu spielen. Die Aufführung des gesamten «Wohltemperierten Klaviers» durch Claudio Arrau während seines Aufenthalts in Wien im Jahr 1922 wurde als Sensation empfunden. Der zunehmende Erfolg von Cembalo-Virtuosinnen wie Wanda Landowska und Eta Harich-Schneider führte jedoch zu einem Paradigmenwechsel, und viele Pianisten strichen Bachs Werke ganz aus ihren Programmen. Diese Entwicklung wurde auch durch den Vormarsch der historischen Aufführungspraxis verstärkt, die dem Cembalo den Vorzug gab. Schon in den 1970er-Jahren setzte eine Gegenbewegung ein, und die Verwendung eines Konzertflügels für Bachs Konzerte ist mittlerweile zu einer Alltäglichkeit geworden. Das dynamisch variable Pianoforte ist ein Produkt des empfindsamen Zeitalters, der Epoche von Goethe und Mozart. Der sanfte Ton des Klaviers mischt sich anders mit dem Klang des Orchesters, die Möglichkeit, nach Belieben die Lautstärke zu verändern, hat aber - besonders bei Bach - auch ihre Tücken. Der hochfrequente Ton des Cembalos ist immer kurz, exakt und vor allem in seiner Lautstärke vorhersehbar. Er verkörpert das Klangideal der Barockzeit.

Aus der Sicht der Moderne strebt das Barocke vorwiegend nach Ornament und Bizarrerie, aber diese scheinbare Verunklärung, die sich besonders in der bildenden Kunst jener Epoche zeigt, war nicht das Hauptziel des barocken Kunstwollens. Das Ideal des barocken Zeitalters (um ein Denkmodell Egon Friedells zu zitieren) war «eine genau gehende Uhr». Die Barockzeit war eine Ära des technischen Fortschritts und großer mathematischer Errungenschaften. Ihre Kunst strebte ergo nach jener Klarheit, die Bachs Musik in besonderem Maße auszeichnet. Der Hang zu Zierrat und Schnörkel, der in der barocken Kunst auf den ersten Blick so dominant erscheint, diente nur einer bewusst herbeigeführten Selbstberauschung, die helfen sollte, die langsam heraufdämmernden Zweifel des Menschen an der göttlichen Ordnung der Welt zu besänftigen.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Michael Lorenz

Ludwig van Beethoven

Symphonie Nr. 5 c-Moll op. 67

Sätze

  • Allegro con brio

  • Andante con moto

  • Allegro

Dauer

36 Min.

Entstehung

1803/04-08

Ludwig van Beethoven schuf mit den drei aufeinanderfolgenden Achtelnoten und der anschließenden halben Note um eine große Terz tiefer das wohl markanteste Motiv der klassischen Musik. «So pocht das Schicksal an die Pforte.» Diese Worte zum Motiv wurden Beethoven von seinem Vertrauten Anton Schindler in den Mund gelegt. Deshalb bekam die Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67 den hochtrabenden Beinamen «Schicksalssymphonie». Bohrend, hartnäckig, unerbittlich zieht sich dieses «Klopf-Motiv» in verschiedenen Ausprägungen durch die Symphonie. Deutlich ist jedem Takt des Werkes das Ringen um die Exis­tenz anzuhören, das Ankämpfen gegen Leid, Schmerz, Schrecken und Unterdrückung. Geradlinig, unverhüllt, ja geradezu plakativ wie sonst nie formulierte hier Beethoven musikalisch seine Botschaft.

Die Symphonie c-moll, deren erste Skizzen bis ins Jahr 1803, als Beethoven noch an der «Eroica» arbeitete, zurückreichen und die in den Jahren 1806 bis 1808 teilweise parallel zur «Pastorale» ausgearbeitet wurde, bildet das Zentrum in einer Schaffensperiode Beethovens, in der er mit den Ideen der französischen Revolution beschäftigt war und den gewachsenen Befreiungskampf des Bürgertums gegen ständestaatliche Ungleichgewichte künstlerisch mitfocht. (Dabei geriet bekanntlich der ursprünglich bewunderte Feldherr Napoleon, nachdem er sich zum Kaiser ausgerufen hatte, in die Zornesmühle des Komponisten, der die Widmung der «Eroica» an den Franzosen widerrief.) Beethoven begeisterte sich über die Wirren der Kriege und Wechselhaftigkeit der täglichen Politik hinaus für ein humanistisches Weltbild und für die Verwirklichung brüderlicher Ideale.

Es ist also eine musikalisch-ideologische Absicht Beethovens gewesen, dass er in die 5. Symphonie – wie in andere Werke auch – offizielle Musikstücke der Französischen Revolution als Zitate aufnahm: Der Siegeshymne von Lacombe entspricht das Hauptthema im Finale der Symphonie, seine Fortführung ähnelt der so genannten «Hymne dithyrambique» von Rouget de l’Isle, in der die «Liberté» besungen wird. Melodisch sind des Weiteren Vorbilder bei dem in Paris wirkenden Italiener Luigi Cherubini und bei dem mit Revolutionsmusiken befassten Franzosen François Gossec auszumachen.

Mit einer Fermate (einem musikalischen Haltezeichen) ist der vierte Ton des «Klopf-Motivs» im ersten Satz (Allegro con brio) versehen. Damit bekommt das Motiv seine eigene Ordnung, wird über den gewohnten Lauf der Dinge hinausgehoben. Um die außerordentliche Bedeutung dieses Vorgangs zu unterstreichen, hat Beethoven den lang anhaltenden Ton beim zweiten Einsatz des Eröffnungsmotivs noch um eine halbe Note verlängert. Normale Zeitabläufe werden dadurch außer Kraft gesetzt. Wenn das Schicksal anklopft, ist «die Zeit gekommen» und dadurch verändern sich die Dinge einschneidend.In einer anderen Passage des ersten Satzes scheint Beethoven die Zeit anzuhalten und eine Melodie überhaupt aus dem existentiellen Ringen heraustreten lassen zu wollen: Das Oboen-Rezitativ am Beginn der Reprise im Adagio-Tempo wird von zwei Fermaten eingerahmt. Beethoven blendet dieses Oboensolo aus dem Geschehen aus. Hier erhebt über die Allgemeinheit hinweg ein einzelnes Individuum, als direkt Betroffener, von Leiden erfüllt seine Stimme. Als Hörer wird man zum Mitbetroffenen.

Dem unerbittlichen c-moll-Kopfsatz folgt ein nach C-Dur aufgehelltes Andante con moto, in dem sich ein zuversichtlich einherschreitendes Thema zwischendurch einem Triumphzug anschließt, sich dann aber wieder der Beschäftigung mit inneren Werten zuwendet. Die Apotheose des Finales klingt in den Forte-Passagen des Orchesters bereits prophetisch an.

Bevor aber der Schlussjubel ungehemmt ausbrechen kann, führt die Musik im Scherzo (Allegro) noch einmal in bedrohliche, düstere, unheimliche Sphären, in denen auch das «Klopf-Motiv» widerhallt. Im Trioteil ergreifen die Bässe und Violoncelli mit einem energischen Thema die Initiative, aber der Durchbruch zum Licht gelingt erst nach einer totalen Zurücknahme der Dynamik, aus der sich eine grandiose Steigerung entwickelt. Ein letztes Mal mahnt sogar in diesem jubelnden Finale (Presto) das «Klopf-Motiv», doch schließlich reiht sich auch das Schicksal in den nicht enden wollenden Triumphzug ein.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz