Archiv: Bernstein: Fancy Free

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Davorin Mori, Klavier
  • Hugh Wolff, Dirigent

Programm

Drei junge Matrosen der US-Marine bekommen 24 Stunden Landurlaub in New York und wollen mit den schönsten Mädchen der Stadt flirten: 1944 in der alten Metropolitan Opera in einer Choreographie von Jerome Robbins uraufgeführt, errang Leonard Bernsteins Ballett «Fancy Free» einen solchen Erfolg, dass es prompt zum Musical «On the Town» ausgebaut wurde, das wenige Jahre später mit Gene Kelly und Frank Sinatra in den Hauptrollen auch das Kinopublikum begeisterte. Die quicklebendige Frische von Bernsteins ursprünglicher Ballettmusik bildet das Zentrum dieses Programms unter der Leitung des vielseitigen amerikanischen Dirigenten Hugh Wolff, der nach der Pause Beethovens vierte Symphonie dirigiert, ein Werk von unbeschwert fröhlichem, humorvollem Charakter, der sich in jedem Satz aufs Neue Bahn bricht. Ernst hingegen der Auftakt: Der australische Komponist Brett Dean hat dem 1967 verunglückten Kosmonauten Vladimir Komarov im Auftrag der Berliner Philharmoniker ein eindringliches musikalisches Denkmal gesetzt.

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Brett Dean

«Komarov's Fall» für Orchester

Dauer

7 Min.

Entstehung

2006

Brett Dean ist der Composer in Residence des Grafenegg Festivals 2013. Aus Australien stammend, begann er seine musikalische Ausbildung mit einem Violastudium in Brisbane, von wo er in den 1980er Jahren nach Berlin übersiedelte. Ab 1985 war er 15 Jahre lang Mitglied der Berliner Philharmoniker, bevor er 2000 wieder nach Australien ging, um sich verstärkt seiner Arbeit als Komponist zuzuwenden. Als Orchestermusiker und Solist war er immer davon fasziniert, wie zeitgenössische Komponisten ihre neuen Werke einstudierten. In Brett Dean wuchs der Wunsch, selbst Musik zu schreiben. Erste Erfahrungen sammelte er als Arrangeur und bei Improvisationsprojekten. Ab 1988 entstanden seine ersten Werke. Heute zählt Brett Dean zu den erfolgreichsten Komponisten seiner Generation. Seine Musik ist häufig von literarischen und visuellen Impulsen inspiriert, in seinem Schaffen finden sich auch Verweise auf politische und zeitgeschichtliche Ereignisse, mit denen er sich kritisch auseinandersetzt. Als Auftragswerk des Grafenegg Festivals entstand das Trompetenkonzert «Dramatis personae», das am 31. August uraufgeführt wird.

«Komarov’s Fall» war ein Auftragswerk der Berliner Philharmoniker im Rahmen ihres «ad astra»-Projekts; einem Konzert, bei dem mehrere neue Werke zeitgenössischer Komponisten auf dem Programm standen. Das Werk ist dem Andenken an den sowjetischen Kosmonauten Wladimir Michailowitsch Komarov gewidmet, der starb, als er 1967 mit seiner Sojus-Kapsel wieder in die Erdatmosphäre eintrat. Er war der erste Mensch, der im Weltraum ums Leben kam und war gleichzeitig ein prominentes Opfer der politischen Machenschaften, die sich in den 1960er Jahren einen Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltall lieferten. Nach Komarovs Tod kam ans Licht, dass das Sojus-I-Projekt von Anfang an mit Problemen behaftet und das Raumfahrzeug für bemannte Flüge nicht wirklich bereit gewesen war. Doch die Einwände der Ingenieure hatte man auf politischen Druck hin übergangen: Der großartige Weltraumflug musste zum Jahrestag von Lenins Geburtstag stattfinden.

Als Brett Dean die Arbeit an diesem Auftragswerk begann, wurde zunächst die unheimliche, einsame Schönheit der Aufnahmen von Messsignalen aus dem Weltraum zur klanglichen Inspiration für sein Werk. Doch erst die zufällige Entdeckung einer Archivaufnahme von Komarovs letzten, verzweifelten Diskussionen von seinem Raumschiff aus mit dem Kontrollzentrum verlieh dem Werk seine eindringliche Dramatik, vor allem in den durchgängig hörbaren zerrissenen Sechzehntelrhythmen, die erstmals in den Holzblöcken auf den ersten Partiturseiten auftreten. Hartnäckigen Gerüchten zufolge starb Komarov, während er über die Fehlplanung der Ingenieure und Flugkontrolleure fluchte. Davor hatte man Komarovs Frau Valentina eingeladen, vom Kontrollzentrum aus zu ihrem Mann zu sprechen – in einem kurzen lyrischen Abschnitt in der Mitte des Stücks lebt die Vorstellung von ihrem Abschied auf, mitten in Komarovs fataler Situation. Das Werk wurde am 16. März 2006 von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle uraufgeführt.

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Alexander Moore

Leonard Bernstein

«Fancy Free» Ballett

Sätze

  • Enter three Sailors

  • Scene at the Bar

  • Enter two Girls

  • Pas de Deux

  • Competition Scene

  • Variation 1: Galop, Variation 2: Waltz, Variation 3: Danzon

  • Finale

Dauer

27 Min.

Entstehung

1944

Komponist, Dirigent, Pianist – in diesen drei Rollen liebte das Publikum in aller Welt seinen Leonard «Lenny» Bernstein; ganz besonders auch hierzulande, wo man ihm immer eng zugetan war. 1918 in Massachusetts geboren, gelang ihm der Durchbruch zunächst 1943 als Einspringer für Bruno Walter in den Konzerten der New Yorker Philharmoniker, worauf Engagements in aller Welt folgten, darunter auch regelmäßig bei den Wiener Philharmonikern, an der Wiener Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen. Zu seinen zentralen Errungenschaften gehört die Wiederentdeckung des OEuvres von Gustav Mahler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für Europa, wo diese Musik im Einflussbereich des Nationalsozialismus mit dem absurden Verdikt «entartet» versehen und verboten war. Schon ab 1944 setzte sich Bernstein auch als Komponist mit Bühnenwerken wie «On the Town», «Candide» und schließlich seiner Musicaladaptierung des «Romeo und Julia»-Stoffes, der «West Side Story» durch. Daneben entstanden u. a. drei Symphonien und zahlreiche weitere Orchesterwerke, die fix im internationalen Repertoire verankert sind.

Zu den ungewöhnlich frühen Erfolgen des erst 26-Jährigen zählt sein Ballett «Fancy Free» (zu Deutsch sinngemäß etwa «Ungebunden» oder «Ohne Verpflichtungen»), das sich bis heute großer Beliebtheit gleichermaßen auf den Bühnen wie im Konzertsaal erfreut. Die sieben Sätze sind als eigenständige symphonische Stücke anzusehen, die sich ideal zum Vertanzen unter dem Bogen einer organisch ineinander überfließenden Choreografie eignen und eine Huldigung an den «Big Apple» New York darstellen, was im vorletzten Jahr des Weltkriegs durchaus auch mit einem patriotischen Ansatz zu interpretieren ist, der aber keineswegs im Sinn von Hurra-Musik bewertet werden kann. Vielmehr ist Bernsteins New York eine pulsierende Stadt, ein Ort des Lebens, aber auch der Einsamkeit, ein Platz der Stille – und durchzogen vom Erbe des Jazz.

Sieben Personen bestimmen das Geschehen in «Fancy Free», drei Matrosen, drei Mädchen und ein Barmann. In der Gegenwart angesiedelt, handelt es von drei Matrosen auf eintägigem Landurlaub in New York. Die abendliche Schwüle hängt über den Straßen. Den Männern ist es naturgemäß an Vergnügen gelegen, und so versuchen sie, bei zwei Mädchen tanzend Eindruck zu schinden. Da sie zahlenmäßig einer zu viel für die beiden Frauen sind, geraten sie in Streit miteinander. Die Mädchen wenden sich ab, ein drittes tritt auf, und der Wettstreit setzt erneut ein. Weitgehend selbsterklärend reihen sich die sieben Einzelsätze aneinander: Dem schwungvollen Eröffnungstanz Enter three Sailors (Auftritt der drei Matrosen) folgt eine verhaltenere, keineswegs ausgelassen dem üppigen Whisky-Genuss frönende Scene at the Bar (Szene an der Bar); zurückhaltend, aber gleichzeitig etwas lasziv erfolgt Enter two Girls (Auftritt der zwei Mädchen), gefolgt von einem zarten Pas de deux zu der berühmtesten Melodie des Stücks, «Lonely Town». In der Competition Scene (Wettkampf) kommt es zu einem Streit darum, welche der Burschen den Abend mit den beiden Mädchen verbringen dürfen. Es folgt die kompositorisch kunstvoll ausgestaltete Abfolge von drei Variationen: Variation I: Galop – Variation II: Waltz – Variation III: Danzon. Schließlich betritt das dritte Mädchen die Szene, und erneut beginnt das Buhlen um dessen Gunst. Finale. Gelegentlich wird bei Aufführungen von «Fancy Free» ein in der heutigen Konzertfassung nicht enthaltener, «Big Stuff» genannter Blues an den Anfang und Schluss gestellt, den Leonard Bernstein selbst oft als Pianist und Sänger darbot. Er verweist auf die spezielle Szenerie einer Bar in einer entlegenen New Yorker Straße und ist auf einer 2017 erschienenen CD des Tonkünstler-Orchesters nachhörbar.

Die Begeisterung des Publikums über das Ballett war so überwältigend, dass Bernstein es noch im selben Jahr gemeinsam mit dem Choreografen Jerome Robbins zum Musical «On the Town» erweiterte. Dieses wurde in der Folge auch zu einem
populären Film mit Gene Kelly, Frank Sinatra und Vera-Ellen, während die ursprüngliche «Fancy Free»-Musik sich weiterhin als Ballett und Konzertsuite im Repertoire behauptete.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Dr. Christian Heindl

Ludwig van Beethoven

Symphonie Nr. 4 B-Dur op. 60

Sätze

  • Adagio - Allegro vivace

  • Adagio

  • Allegro molto e vivace - Trio. Un poco meno allegro

  • Allegro ma non troppo

Dauer

37 Min.

Entstehung

1806

Ludwig van Beethoven schrieb seine vierte Sym­pho­nie zwischen zwei weiteren Werken der gleichen Gattung – Nr.3 «Eroica» und Nr. 5 – die im Konzertleben unserer Zeit wesentlich größeres Ansehen genießen als die heute aufgeführte in B-Dur. Sofern es eine Symphonie aus der Feder Beethovens gibt, die ein Schatten­dasein führt, ist es diese vierte. Dabei war das zu Lebzeiten des Komponisten ganz anders: bei der öffentlichen Uraufführung am 15. November 1807 in Wien – die private Uraufführung hatte bereits im März 1807 in der Woh­nung des Fürsten Lobkowitz stattgefunden – wurde das Werk mit beinahe ungeteilter Begeisterung aufgenommen und im Gegensatz zur Vorgängersymphonie («Eroica»), die in ihrer thematischen Über­fülle auf viele verstörend gewirkt hatte, sehr positiv bewertet. Auch Vertreter späterer Komponisten­ge­ne­ra­tio­nen hatten einen besonderen Bezug zur vierten Symphonie. Robert Schumann typisierte sie als eine «griechisch schlanke Maid» zwischen den herausfordernden Gebirgen der «Eroica» und der Symphonie Nr. 5 und insgesamt als die «klassischste» aller Beethoven-Symphonien.

Romantische Züge zeigt zweifellos der erste Satz (Adagio – Allegro vivace) mit seiner langsamen Einleitung, die nicht nur zag­hafte Andeutungen macht wie sie Beethoven noch in der ersten Symphonie gewagt hatte, sondern aus dem Vollen schöpft. Der Grundton B wird zwar vorgestellt, doch unmittelbar darauf durch fehlende harmonische Unterstützung in Frage gestellt. Dass Beethoven seine musikalischen Behaup­tungen gern schon im folgenden Takt in Frage stellte, war ein Stilmittel, das er schon zuvor eingesetzt hatte. Doch nie tat er es so profund und experi­men­­tierfreudig wie am Beginn dieser Symphonie. Zielloses Um­herirren durch Tonarten, die in keinerlei Bezug zur Grundtonart stehen, und das in einer Einleitung zu einer Symphonie ­– diese auskomponierte Unwägbarkeit gibt Einblick in den Entwik­klungs­stand, auf dem sich Beethoven zu dieser Zeit bereits befand. Das Orchester tastet nach einem Weg, der Halt gibt und führt uns schlussendlich nach F-Dur, der direkt verwandten Do­mi­nant­tonart zu B-Dur. Begeistert wird diese neue musikalische Heimat begrüßt und erkundet – in diesem Sinne kann auch das harmonisch einfache und rhythmisch neutrale Thema verstanden werden: eine freudige Bejahung der errungenen Boden­ständigkeit in der heimatlichen Tonart. Dass diese Einfachheit der Behandlung in den späteren Sätzen zugute kommt, lässt sich erahnen, wenn man Beethovens Vorliebe für lustvolles Spielen mit Tonmaterial kennt.Der zweite Satz (Adagio) wird von zwei Elementen dominiert: einerseits ein tiefes und punktiertes Quartenthema, das unmittelbar zu Beginn vorgestellt wird und eine über allem schwebende Kantilene, die scheinbar endlose Kreise zieht. Von Anfang an geben sich die beiden Elemente Raum, lassen einander den Vortritt und teilen sich die Bühne sozusagen gerecht auf. Ein Grundprinzip von Beethovens Stil – die Gleichzeitigkeit musikalischer Geschehnisse darzustellen – wird hier deutlich hör­bar: das pochende Quartenthema wird in Achteln empfunden, die Kantilene erklingt dagegen in den halb so schnell zu zählenden Vierteln. Die beiden «Charaktere» sind also nicht nur durch Tonhöhe und Dynamik von einander getrennt – auch die Zeit, in der wir die Protagonisten des Adagio wahrnehmen, ist eine jeweils andere. Eine Vereinigung der beiden Elemente findet nie wirklich statt, rhythmisches Grundmotiv und sanglicher Höhenflug bleiben stets in ihren Gebieten. Dabei harmonieren sie doch so trefflich miteinander, indem sie einander passgenau Raum lassen und ihre Unterschiedlichkeit niemals als Konflikt zei­gen, sondern als reizvollen Kommentar zueinander ausspielen.Der dritte Satz (Allegro vivace) zeigt in seiner eigenwilligen und markigen Rhythmik bereits ganz deutlich die Züge späterer Scherzo-Sätze Beethovens. Die ersten Figuren übertölpeln den Hörer geradezu und stellen auch die Geübtesten vor ein Rät­sel, wo im Takt man sich gerade befindet. Thematisch knüpft der Satz wieder an das frische und unbefangene Hauptmotiv des ersten Satzes an. Beethoven nützt hier geschickt die Einsetz­barkeit seines neutral gehaltenen Urgedankens um in rhythmischen We­ch­selspielen zwischen den Instrumentengruppen und For­tissimo-Kontraktionen im unisono alle Register seiner Kunst zu ziehen. Dass die Vierte in keiner Weise aus der Reihe der neun Symphonien herausfällt, wird deutlich hörbar, wenn das Orches­ter stellenweise kühn davonprescht und so Stimmungsbilder aus beispielsweise der «Pastorale» und der siebten Symphonie vorwegnimmt. Auch in diesem Satz präsentiert der Komponist wie schon zuvor eine Dichotomie: der Scherzo-Satz, wenn hier auch durch die Bezeichnung «Allegro vivace» etwas weniger verbindlich charaktierisiert, steht in einem Dreiertakt. Die Melodik ist jedoch ganz klar aus der geradtaktigen Welt des ersten Satzes entnommen und lässt hier reizvolle Lücken entstehen, die das musikalische Geschehen immer wieder zum Stocken bringen. Umso beeindruckender wirken die Ausbrüche zügelloser Ge­schwin­­dig­keit und lebensbejahenden Glücks, mit denen Beethoven seiner Stimmung Ausdruck verleiht.Der Schlusssatz der Symphonie (Allegro ma non troppo) leitet mit unauffälligen, flinken Streicherbewegungen ein, die schnellst­möglich zu kräftigen Akzenten führen, von denen sich die eiligen Bewegungen energetisch aufgeladen wieder abstoßen. Die melodische Keimzelle des Finales bildet eine kleine kreisende Streicherbewegung, kaum mehr als eine Floskel, die – gleich einem Perpetuum mobile – das Geschehen antreibt und einzelne Orchesterinstrumente zu spielerischen Kommen­taren, Imitationen und sogar melodischen Eigenwilligkeiten verleitet. Dabei ergeben sich klanglich reizvolle Kontraste, wenn beispielsweise das Fagott die Drehbewegung übernimmt und kurz darauf die Flöte einen melodischen Versuch wagt. Bestimmend bleibt dabei jedoch immer das hohe Tempo, die Drehfreudigkeit der kleinen thematischen Spindel, die den musikalischen Faden immer fort zu spinnen scheint. Beethoven hebt hier die Ne­ben­einanderstellung der früheren Gegensatzpaare auf: das Finale kommt aus einem Guss und lässt keinen Raum mehr für verschiedene Zugänge. Eine breite Bahn, auf der flinke Figuren unter­schiedlicher Größe und Beschaffenheit paradieren, ist Schau­platz dieses leichtfüßigen Finales zu einer Symphonie, die ihren beiden umgebenden und berühmteren «Schwestern» in nichts nachsteht und in vielfacher Weise zeigt, dass es an Beethovens Musik vieles zu entdecken gibt.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Alexander Moore