Maurice Ravel

Boléro

Sätze

  • Tempo die Boléro, moderato assai

Dauer

16 Min.

Entstehung

1929

Maurice Ravel formulierte es einmal ganz lakonisch so: «Ich habe nur ein Meisterwerk geschaffen, das ist der ‹Boléro›, leider enthält er keine Musik.» – Was sich wie beinharte, überzogene Selbstkritik ausnimmt, ist freilich bloß die nüchterne Analyse eines vom Komponisten einmal ausdrücklich so bezeichneten «Experiments»: Es existiert wohl keine zweite Viertelstunde in der abendländischen Musikgeschichte, in der die gegensätzlichen Prinzipien von Abwechslung und Wiederholung so exzessiv und gleichsam «nackt» gegeneinander ausgespielt würden wie hier. In seiner «Monotonie und Monomanie, seiner Starrheit, unerbittlichen Mechanik und einzigartigen Gleichförmigkeit» (Attila Csampai) scheint das Werk trotz gewaltigen Orchesterapparats die Idee der Mehrstimmigkeit gar grundsätzlich zu leugnen. Denn Ravel reduziert hier das Phänomen Musik in radikaler Unerbittlichkeit auf die Anwendung eines einzigen Verfahrens: jenes der Variation. Und zwar gerade nicht in der üblichen Form der Abwandlung einer melodischen Bewegung mittels Erweiterung oder Reduktion, sondern einzig über Modifikationen von deren Klangfarbe.

Nach einer knappen Einleitung, die den allgegenwärtigen Boléro-Rhythmus der kleinen Trommel über einer denkbar simplen, gezupften C-Dur-Bassformel inauguriert, werden zwei Themen A und B in der starren Abfolge AABB beständig wiederholt: anmutig und rein tönt das erste (A), eine schwerelos wirkende Arabeske (zunächst Flöte, dann B-Klarinette); unfein, fast anstößig dagegen das zweite (B) mit seinen widerspenstigen Synkopen in vom Blues geprägter Chromatik (Fagott, gefolgt von der frechen Es-Klarinette). Unmerklich werden Trommel-Rhythmus und Bass kontinuierlich durch weitere Instrumente verstärkt, während Oboe d’amore, dann im Verein Flöte und gestopfte Trompete jeweils das A-Thema wiederholen, gefolgt von Tenor- sowie Sopranino-Saxophon mit ihren Varianten des B-Themas.

Dass sich Ravel aber weder mit den wechselnden Farbwerten bloßer solistischer Reihung noch mit reiner Addition der instrumentalen Kräfte zufrieden gibt, zeigt schon der nächste Einsatz. In einer wahrlich ausgefuchsten Kombination treten da Piccoloflöten, Horn und Celesta mit dem A-Thema hervor, spielen aber gleichzeitig in verschiedenen Tonarten: Zum C-Dur der Celesta kommen Horn und 2. Piccolo in G-Dur, während sich das erste in E-Dur darüber legt – eine glitzernd-irisierende Kolorierung, die einer Orgelmixtur gleicht.

Eine Tabelle aller Instrumentierungsfinessen würde wohl der strikt rationalen Planung des Werkes am ehesten gerecht werden – doch dadurch wäre man abgelenkt von der magisch-rituellen Wirkung, die der Boléro in erster Linie entfacht: Denn selbst wer das AABB-Schema eine Weile aufmerksam mitzuverfolgen versucht, verliert sich irgendwann unweigerlich in dem unerhörten Sog der Musik, die in einem riesigen Crescendo anschwillt. Eine gewaltige Steigerung baut sich auf, bis schließlich das unverdoppelte Melodiepaar AB folgt, worauf die Orchester-Maschinerie nach 328 Takten schließlich außer Kontrolle gerät und «abhebt»: eine ekstatische E-Dur-Explosion lässt das bisher herrschende C-Dur zerbersten. Nur mit einem gewaltsamen Modulations-Manöver kann das überhitzte Triebwerk wieder in sein C-Dur-Gleis zurückgezwungen werden – heulende Posaunen­glissandi und ein kollektiver Aufschrei prägen die knappen Schluss­takte.

Für die Tänzerin Bronislava Nijinska als Ballettmusik entstanden und am 11. November 1928 in der Pariser Oper uraufgeführt, hat sich der Boléro in der Folge zu einem der beliebtesten Stücke der klassischen Musik überhaupt, aber auch zu einer der härtesten Konzert-Herausforderungen für Orchester und Dirigenten entwickelt: Stupende instrumentale Virtuosität und ein kühler Kopf beim strikten Durchhalten des relativ langsamen Tempos sind unabdingbar. Dazu formulierte Ravel selbst anlässlich denkbar unterschiedlicher Aufführungen unter Arturo Toscanini und Wilhelm Furtwängler das Paradoxon: «Wenn man den Boléro schnell spielt, so scheint er lang; wenn man ihn aber langsam spielt, so erscheint er kurz.»

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

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