Gustav Mahler

Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert

Sätze

  • Blicke mir nicht in die Lieder

  • Liebst du um Schönheit

  • Um Mitternacht

  • Ich atmet' einen linden Duft

  • Ich bin der Welt abhanden gekommen

Dauer

19 Min.

Gustav Mahler war ein fanatischer Leser. Von klein auf. Aus seiner Kindheit in der mährischen Stadt Iglau ist folgende Geschichte überliefert: Mahler, der Bub, war mit einem Mal verschwunden. Alle suchten ihn, bis er schließlich vom gegenüberliegenden Haus auf dem Dach seines Elternhauses gesehen wurde, wo er saß und las. Er hatte er sich dorthin zurückgezogen, um nicht gestört zu werden.

Die Familie Mahler – der Vater war Schnapsbrenner – gehörte einer niedereren Gesellschaftsschicht an, doch in der jüdischen Bevölkerung zählte es auch in diesen Kreisen dazu, dass man sich weiterbildete und über einen Grundstock von Literatur im Haushalt verfügte. So fand Gustav Mahler zu Hause die deutschen Klassiker und Bände von Heinrich Heine vor, aber auch das «Neue Deutsche Märchenbuch», in dem sich die Geschichte vom «Klagenden Lied» befindet, das dann für den noch nicht einmal 20jährigen Musiker Mahler zur Grundlage seiner ersten großen Komposition  wurde.

Sein Leben lang war Mahler umgeben von Büchern: von den griechischen Tragikern bis zu Cervantes, Shakespeare und Goethe, von den Romantikern, insbesondere Hölderlin, E. T. A. Hoffmann und Jean Paul. Die Ambivalenz aus Trauer und Humor, aus tragischer Zuspitzung und tröstlicher Zuwendung, aus Parodie und Pathos bei Jean Paul wurde auch zu einem Wesenszug von Mahlers Symphonien und Liedern. Auch bei dem Russen Dostojewski war es zweifellos das Miteinander von eigentlich Gegensätzlichem, das Mahler faszinierte: Einerseits das Pessimistische, Misanthropische und Ungläubige, andererseits die Transzendenz, der Glaube an die Auferstehung, die Suche nach Erlösung vom Leid des Menschen. In der philosophischen Lektüre bevorzugte Mahler Kant, der Naturfreund las mit Freuden Brehms Tierleben und konnte sich für den Heimatdichter Peter Rosegger begeistern. Dichtung und Philosophie prägten die künstlerische Sichtweise des Komponisten und seine musikalischen Konzeptionen und Ideen. Allerdings: Wenn Mahler das Wort in die Musik einbezog, mied er – mit Ausnahme der Schlussszene aus «Faust» in der Achten Symphonie – die große Literatur. Ging es um das Lied, dann löste er sich von Robert Schumanns Forderung, ausschließlich hochwertige Lyrik zur Vertonung heranzuziehen, weil sonst die Musik durch bloß mittelmäßige Gedichte in ihrer Qualität leiden würde. Bei Mahler führte die Kenntnis hochwertiger Literatur zum genauen Gegenteil. Er bezeichnete es drastisch als Barbarei, wenn Musiker schöne Gedichte in Musik setzen wollten. Das wäre damit zu vergleichen, wenn eine meisterhaft gemeißelte Marmorstatue nachträglich von einem Maler mit Farbe übertüncht würde.

Mahler wählte dafür eine Fülle von Gedichten aus «Des Knaben Wunderhorn» zur Komposition aus. Sie erschienen ihm in ihrer Ungeschliffenheit und ihrem direkten Volkston wie Felsblöcke, aus denen jeder noch das Seine formen dürfe. Er fand in der «Wunderhorn»-Poesie nicht so sehr Kunst, sondern Natur und Leben. Nach den vielen «Wunderhorn»-Liedern konnte  Mahler, wie er selber erklärte, «nur mehr Rückert vertonen», denn das sei «Lyrik aus erster Hand», alles andere aber sei «Lyrik aus zweiter Hand». Über Texte von Friedrich Rückert, dem fränkischen Poeten, komponierte Mahler die «Kindertotenlieder» sowie fünf weitere Gedichte, die im heutigen Konzert zu hören sein werden. Vier der Lieder hat Mahler in Klavier- und Orchesterfassung – meist drängte es ihn zur klanglich großen und differenzierten Ausgestaltung – komponiert, das Lied «Liebst du um Schönheit» hat nach Mahlers Tod der Dirigent Max Puttmann instrumentiert.

Die Klänge des Liedes «Ich atmet’ einen Lindenduft» geben einem mit ihren sanft aufsteigenden und sich wieder auflösenden Melodie- und Klangwellen das Gefühl, als ob man Musik riechen könnte, so sehr wird hier der Duft zu Klang. Impressionismus für Nase und Ohren.

«Liebst Du um Schönheit» ist ein einfaches, rührendes  Liebeslied, das Mahler in der ersten Zeit der Ehe für seine Frau Alma schrieb, an die er auch bei der Komposition des berühmten Adagiettos der Fünften Symphonie dachte. Hört man Mahlers Musik in «Blicke mir nicht in die Lieder», so hat man das Gefühl, als hätte er auch das Gedicht geschaffen, eine solch wunderbare Einheit bilden Wort und Ton.

«Um Mitternacht» führt vorerst in ganz dunkle Regionen. Allein schon durch die Orchesterbesetzung schafft Mahler in diesem Lied ein herbes Klangbild: ausschließlich Bläser, Pauken, Harfe und Klavier, aber keine Streicher. Lange verbleibt Mahler in unheimlicher Stimmung. Kein Licht, nur der schmerzhafte Herzschlag in der Finsternis. Doch dann die Hinwendung zur überirdischen Macht: Sie bringt die Erlösung aus der Nacht. Dafür lässt Mahler mit einem Mal den Glanz der Blechbläser aufleuchten und schafft eine überwältigende Steigerung mit einem prachtvollen Choral, der Kraft und Zuversicht schenkt. Hier gehen musikalische und philosophische Intentionen eine beeindruckende Synthese ein.

Wie eine Liedversion vom entrückten Adagietto der Fünften Symphonie erscheint die Komposition «Ich bin der Welt abhanden gekommen». Das Ineinanderschweben der Melodik und Harmonik, das    kantable Hervortreten des Englischhorns, die erfüllte Ruhe – all das  verursacht die Rückert’sche Grundstimmung von Weltentrückung. Kein negativer, dramatischer Abschied von der Welt, keineswegs der Tod, sondern ein Zurückziehen auf sich selbst: «Ich leb allein in meinem Himmel,  in meinem Lieben, in meinem Lied», heißt es in den letzten Verszeilen.

© Rainer Lepuschitz | Tonkünstler

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