Béla Bartók

Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. posth.

Sätze

  • Andante sostenuto

  • Allegro giocoso

Dauer

21 Min.

Ein Konzert, das aus Liebe geschrieben wird und dann «verschwindet»? Ein merkwürdiges Schicksal, doch in der Musikgeschichte passiert auch Ungewöhnliches und Skurriles, und die Geschichte von Béla Bartóks frühem Violinkonzert gehört zweifellos dazu.

Im Frühjahr 1907 lernt Béla Bartók, ein junger, erfolgversprechender und dem Neuen zugewandter Komponist, die Geigerin Stefi Geyer kennen. Sie ist 19 Jahre alt und eine gute Musikerin – man findet sich, und es entwickelt sich eine Liebesbeziehung. Zeugnis davon gibt der Briefwechsel aus dieser Zeit; Bartók ist in Ungarn auf Reisen und sammelt Material für seine volksmusikalischen Studien. Die Harmonie scheint ungetrübt, bis auf einen Punkt: Bartók ist Atheist, sie eine fromme Katholikin.

Im Sommer 1907 beginnt Bartók mit der Komposition eines Violinkonzertes, das Stefi zugedacht ist und ihre Liebe besiegeln soll. «Das ist dein Leitmotiv», schreibt er ihr im September; gemeint ist der Beginn des ersten Satzes, eine Kette von aufsteigenden Terzen. Intensiv lässt er sie an seinen Ideen zu den zwei Sätzen des Konzerts teilhaben, an denen er eben arbeitet – auch ein dritter ist geplant, wird aber nicht entstehen. Im Februar 1908 erhält er einen Brief, mit dem Stefi Geyer die Beziehung beendet. Der Bruch trifft ihn tief; einer Bagatelle für Klavier, die er eben schreibt, gibt er die Bezeichnung «Lento funebre» und den Untertitel «Elle est morte». Die zwei vollendeten Sätze des Konzerts bleiben im Besitz der jungen Geigerin, die dieses «Vermächtnis einer Liebe» zwar wohl verwahrt, aber niemals aufführt. Bartók verwendet die Musik des ersten Satzes in seiner Komposition «Porträt», die 1911 in Budapest aufgeführt wird, aber das Violinkonzert bleibt in seinem Schaffen anonym; in den Werkverzeichnissen, die zu seinen Lebzeiten erscheinen, wird es nicht erwähnt.

Erst nach Stefi Geyers Tod im Dezember 1956 erhält die Musikwelt Kunde von einem bislang unbekannten Werk Béla Bartóks. Die Uraufführung in der Originalgestalt findet am 30. Mai 1958 in Basel statt; Solist ist Hansheinz Schneeberger, Dirigent Paul Sacher.

In den zwei Sätzen des Konzerts tritt Bartóks Vorliebe für kontrastierende Paare zutage; die beiden musikalischen Porträts beziehen sich auf die geliebte Frau, streichen aber jeweils eine andere Seite ihres Wesens heraus. Der «himmlischen» Erscheinung Stefis ist der erste, Andante sostenuto überschriebene Satz zugedacht: Er wird aus dem «Leitmotiv» der aufsteigenden Terzen entwickelt und verkörpert strömende Leidenschaft; in Bartóks Manuskript wird immer wieder «großes Gefühl» verlangt, recht uncharakteristisch für Bartók-Partituren. Der zweite Satz, ein Allegro giocoso, hingegen soll die «liebenswürdige, witzige, amüsante» Seite der Geliebten zeichnen. Er beginnt mit kadenzartigen Figuren der Violine, die charakteristisch für den bewegt-kapriziösen Charakter des Satzes sind. Trotz zahlreicher «moderner» Elemente wird deutlich, dass wir uns hier noch in der Frühphase des Komponisten befinden – es ist ein Werk der «großen Gefühle» im Gewand der Spätromantik, ein Werk im Gefolge der Vorbilder Franz Liszt und Richard Strauss.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Thomas Leibnitz

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