César Franck

Symphonie d-Moll

Sätze

  • Lento - Allegro non troppo

  • Allegretto

  • Allegro non troppo

Dauer

37 Min.

Entstehung

1886-88

César Franck zählt zu den originellsten und ungewöhnlichsten Komponisten des 19. Jahrhunderts – und sein Schaffen hat es vielleicht gerade dadurch bis heute schwerer als jenes mancher seiner Kollegen, seiner Bedeutung entsprechend wahrgenommen zu werden. Denn in Francks relativ spät entstandenen großen Werken hat der aus dem belgischen Lüttich stammende Komponist und Organist jeweils zu ganz individuellen, spezifischen Lösungen gefunden, die harmonisch und formal sich von allen Vorbildern absetzen und gleichzeitig keine direkten Nachfolger hervorrufen konnten. Die daraus resultierende Sonderstellung seiner Musik fasziniert aber mittlerweile immer mehr Hörer – und ganz zu Recht.

Der Sohn einer Aachener Mutter und eines aus einem belgischen Grenzdorf stammenden Vaters, der als 13-Jähriger mit seiner Familie nach Paris ging, machte früh als Wunderkind auf sich aufmerksam. Obwohl er am Conservatoire bis zu dessen Tod nur etwa ein Jahr bei Antonín Reicha studieren konnte, hat ihn der Unterricht bei ihm geprägt: «Reicha, der wohl aufgeschlossenste Theorielehrer seiner Zeit, betrachtete den Kontrapunkt nicht als quasi mathematisches Exempel, sondern vielmehr als veritables Kunstwerk und als Steigerung des musikalischen Ausdrucks, der die Verwendung alter Kirchen-Tonarten ebenso vorsah, wie das chromatisch-subjektive Begehren der Neuzeit. Diese Synthese zwischen Form und Ausdruck, zwischen musikalischer ‹Grammatik› und Inhalt wurde zum Credo des kompositorischen Werkes César Francks», schreibt der Musikwissenschaftler Bernhard Rzehulka, um in der Folge anzumerken: «César Franck schien endlos Zeit zu haben.» Denn: Der junge Mann erregte 1840 mit seinem Opus 1, einer Sammlung von drei Klaviertrios, in Paris großen Applaus, etwa von keinem Geringeren als Franz Liszt, doch wurde bald klar, dass er keinesfalls das Talent zu einem Fließbandkomponisten besaß, der ein einmal erfolgreiches Modell mehrfach anwenden würde. Vielmehr widmete er sich nach einem Oratorium «Ruth» (1845) zunächst mit kleineren Gelegenheitswerken ganz der kirchenmusikalischen Praxis, nicht zuletzt als Titularorganist an der Basilika Sainte-Clotilde – eine Stelle, die er von 1858 bis zu seinem Tod innehaben sollte. Erst die Six Pièces d’orgues (1860-64) ragen fast monolithisch als großartige Wegmarke seiner Entwicklung auf, die sich dann für etwa ein weiteres Jahrzehnt im Stillen vollziehen sollte,  bis er schließlich als Professor ans Conservatoire berufen wurde. Dort avancierte er zum Lehrer einer ganzen Generation französischer Komponisten, darunter Vincent d’Indy, Ernest Chausson oder Henri Duparc, und auch Claude Debussy war eine Zeitlang sein Improvisationsschüler. Ab Mitte der 1870er Jahre trat Franck dann wieder vermehrt als Komponist hervor – mit wie schon erwähnt jeweils ganz eigenwillig ersonnenen Werken: Er war der einzige französische Komponist seiner Zeit, für den die musikalische Form nicht ein vorgegebenes, bloß mit Inhalt zu füllendes Gefäß bedeutete, sondern von diesem abhängig war und gemeinsam mit diesem und in Wechselwirkung jeweils aufs Neue entwickelt werden musste.

Die dreisätzige Symphonie d-moll, entstanden in den Jahren 1886 bis 1888, ist dafür ein großartiges Beispiel. «Was ist das für eine d-moll-Symphonie», empörte sich nach der heftig umstrittenen Uraufführung am 17. Februar 1889 in der Societé de Conservatoire Francks konservativer Kollege Ambroise Thomas, «bei der das erste Thema im neunten Takt nach des, im zehnten nach ces, im einundzwanzigsten nach fis, im fünfundzwanzigsten nach c, im neununddreißigsten nach Es, im neunundvierzigsten nach F moduliert?» Und d’Indy fügt in seiner Franck-Biografie noch die umstrittene Anekdote hinzu, Thomas habe sich zudem über die Instrumentation des zweiten Satzes mit den Worten mokiert, man solle eine einzige Symphonie von Haydn oder Beethoven nennen, die ein Englischhorn verwende – möglicherweise ein boshafter Scherz d’Indys auf Thomas’ Kosten (Haydn verwendet in seiner Symphonie Es-Dur Hob. I:22 mit dem Beinamen «Der Philosoph» unerhörter Weise tatsächlich zwei Englischhörner). Thomas’ Reaktion macht sofort klar, wie der souveräne Umgang des Organisten Franck mit der Chromatik und seine Kenntnis von Wagners avancierter «Tristan»-Harmonik die Traditionalisten ebenso alarmierten wie ungewöhnliche Details der Instrumentierung (und das fast 60 Jahre nach Berlioz’ epochemachender «Symphonie fantastique») sowie die Konzeption der Themen, die auf komplexe Weise über alle Satzgrenzen hin ineinandergreift und den inneren Zusammenhalt des Werks verstärkt.

Der umfangreiche erste Satz, Franck hat selbst darauf hingewiesen und sein vermeintlich zielloses harmonisches Schweifen erklärt, steht eigentlich in zwei Tonarten, nämlich d-moll und f-moll – und er vollzieht sich gleichzeitig auch, so lässt sich hinzufügen, auf davon unabhängige Weise in zwei Tempi: Lento und Allegro non troppo. Denn das, was zunächst als langsame Einleitung erscheint, taucht wenig später ein zweites Mal auf, kehrt am Beginn der Reprise dramatisch gesteigert wieder und behält schließlich sogar das letzte Wort. In d-moll wird im initialen Lento von den tiefen Streichern ein elementares Grundmotiv aus drei Tönen vorgestellt und sogleich sequenzierend wiederholt: der Anfang einer Entwicklung, die über geheimnisvoll-beunruhigende Streichertremoli in chromatischem Anstieg und immer gewichtiger werdende Bläserbeteiligung sich ins Allegro non troppo entlädt, wo das selbe Motiv, zum Hauptthema umgeformt, in forschem Unisono der Streicher losstürmt und von harschen Akkordschlägen von Bläsern und Pauken beantwortet wird. Doch kaum beginnt sich ein lyrisches Seitenthema im Holz anzukündigen, gebietet das volle Orchester dem Einhalt. Und nun setzt die Musik von neuem an, mit einer Wiederholung des bisher Erklungenen, nun aber in der zweiten Grundtonart f-moll. Erst danach kann sich der Satz voll entfalten, wobei ein hymnisches drittes, diatonisches Thema in F-Dur mit seinen charakteristischen Synkopen wie die Verheißung einer Befreiung aus der sonst vorherrschenden, chromatisch-expressiven Düsternis wirkt. Von ihm nimmt die kunstvolle, alle Themen verarbeitende Durchführung ihren Ausgang, die nach nur spärlichen Aufhellungen zunächst in eine Reprise mündet, die, wie schon erwähnt, mit einem vollends strengen, durch Engführung des Dreitonmotivs intensivierten Lento beginnt und schließlich über Haupt- und Seitenthema zum dritten, nun konsequenterweise in D-Dur stehenden hymnischen Thema führt. Am Ende aber steht ein neuerliches Lento, nun überraschend in g-moll, in dem das Hauptmotiv nach wenigen Takten in ein überraschend als Schlussakkord stehen bleibendes D-Dur förmlich explodiert: ein harmonisch halb offenes Ende, das auf sinnfällige Weise nochmals den eigentlichen Inhalt des Satzes verkörpert, der ja zugleich das Einleiten an sich thematisiert und dabei doch auch Hauptsatz ist. (Ein Dreivierteljahrhundert später wird etwa Witold Lutosławski ähnliche Überlegungen seinen Formplänen zugrunde legen.)

Das folgende Allegretto verschränkt sodann auf originelle Weise den Typus des langsamen Satzes mit jenem des Scherzos. Ein von Streichern und Harfe gezupftes Klangfeld wird zum Hintergrund eines Englischhornthemas, dem sich in den Bratschen bald eine expressive Gegenstimme beigesellt, worauf Horn und Klarinette antworten. Zwei Trios schieben sich dazwischen, ein lyrisches, begonnen von den Streichern, in dem das hymnische Thema des Kopfsatzes deutlich anklingt, und ein quecksilbriges, in geheimnisvollen Tremolo-Triolen und Sechzehnteln huschendes, die sich erst nach einer Reminiszenz an das erste Trio ausbreiten können. Doch dann beginnt dieses scherzose Wuchern überhand zu nehmen und läuft auch während der Wiederkehr des ersten Teils ungehindert weiter: langsamer Satz und Scherzo erscheinen so gleichsam übereinander gelegt. Prasselnde Streicheroktaven, dramatische Akkordschläge – und ein von ungetrübt diatonischer D-Dur-Helligkeit geprägte Melodie in Violoncelli und Fagotten stellt sich als Hauptthema des Finales (Allegro non troppo) vor, zu dem nach erster festlicher Steigerung ein choralartiges Thema im Blech tritt. Bald macht sich eine gewichtige Reminiszenz an den zweiten Satz breit, die später sogar noch gesteigert wiederkehren wird. Doch vorerst scheint die ganze Energie nach einem glänzenden Auftritt des Choralthemas zu verebben. «Wie versprengte Splitter auf einem Ruinenfeld liegen die thematischen Elemente verstreut», schreibt Rzehulka dazu, «die erst durch den Rückgriff auf die Themen der vorangegangenen Sätze wieder gebündelt werden. Es ist, als würde sich die Musik wieder an sich selbst erinnern und damit ihren eigenen dynamischen Fluß wiederfinden.» Nicht bloß zitiert, sondern in den Verlauf eingebunden erscheinen dabei schließlich auch noch das hymnische Thema des Stirnsatzes und gleich anschließend, von mystischen, harfenumrauschten Posaunenakkorden eingerahmt, auch dessen dreitöniges Hauptmotiv. Sie alle müssen nochmals erklingen, um die Bedeutung der letzten strahlenden Steigerung klarzumachen: Regiert von Trompeten und Posaunen in Engführung, stellt das ganze Orchester das Hauptthema des Finales triumphierend heraus.

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

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