Johannes Brahms

Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68

Sätze

  • Un poco sostenuto - Allegro - Meno Allegro

  • Andante sostenuto

  • Un poco Allegretto e grazioso

  • Adagio - Più Andante - Allegro non troppo, ma con brio - Più Allegro

Dauer

42 Min.

Entstehung

1876

Johannes Brahms galt zu Lebzeiten als «Erbe» und «legitimer Nachfolger» Beethovens. Das Bonmot des Dirigenten Hans von Bülow, Brahms’ Erste Symphonie sei die «Zehnte» von Beethoven, hat diesen Ruf untermauert. Die Einschätzung, Brahms habe die klassischen Ideale hoch gehalten und die von der Wiener Klassik ausgeprägten Gattungen der Symphonie und des Streichquartetts sowie die Sonaten- und Variationsform in Beethovens Sinn erfüllt, hat sich bis heute erhalten. Daran konnte und kann auch die Erkenntnis Arnold Schönbergs nicht rütteln, dass Brahms die traditionellen Fundamente mit neuen Verarbeitungsmethoden in der so genannten entwickelnden Variation und in harmonischen Belangen modernisiert und zum Teil aufgebrochen hat. Der Romantiker Brahms: ein Klassiker mit Zukunft.

Eines lässt sich mit Gewissheit sagen: Der angehende Komponist Brahms empfand Beethovens kompositorische Hinterlassenschaft geradezu als übermächtig. Zu dem Dirigenten Hermann Levi meinte Brahms: «Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.» Tatsächlich umging Brahms lange Zeit die Symphonie, er wich ihr aus, obwohl es ihn zu ihr drängte. Die Monumentalität des Ersten Klavierkonzertes ist darauf zurückzuführen, dass Brahms mit dem musikalischen Material ursprünglich symphonische Pläne hatte. Auch als der junge Komponist für das von ihm geleitete Orchester in Detmold komponierte, verbarg er seine symphonischen Ambitionen hinter einer anderen Gattung, in diesem Fall der Serenade. Die erste Serenade D-Dur kommt eigentlich als veritable und imposante Symphonie daher und wird erst durch eine Erhöhung der Satzanzahl und starke kammermusikalische wie tänzerische Impulse in der Art einer Suite aufgelockert. Thematische Beethoven-Bezüge sind aber auch in diesem Werk unüberhörbar.

An Beethoven erinnerte dann auch die Hörer der Uraufführung der Ersten Symphonie c-moll op. 68 von Brahms das Hauptthema des Finalsatzes, das im Aufbau seiner melodischen Sequenzen dem «Freude»-Thema der Neunten Symphonie ähnelte (besonders darauf nahm wohl auch Hans von Bülow mit seiner überspitzten Bemerkung Bezug). Wie bei Beethovens Fünfter Symphonie wiederum ist auch bei Brahms der Finalsatz als Höhepunkt und Lösung der symphonischen Konflikte angelegt. Nach einer düsteren c-moll-Einleitung zum letzten Satz hellt ein feierliches Hörnerthema die Stimmung nach C-Dur auf. Ein Choral leitet über in das hymnische, weit geschwungene Hauptthema, das so stark an Beethovens Neunte gemahnt. Die Themen werden von Brahms in spannenden Entwicklungen auf einen strahlenden Durchbruch in der Koda hingeführt – einen Durchbruch ins Licht, genauso wie in Beethovens Fünfter Symphonie. Die symphonische Kurve verläuft bei Beethoven wie bei Brahms von der düsteren und schicksalsschwangeren Einleitung der Symphonie zur Apotheose, von c-moll nach C-Dur.

Den Hauptteil des ersten Satzes in c-moll hat Brahms bereits im Jahr 1862 komponiert, dann geriet aber dieses Symphonie-Unternehmen vorerst noch einmal ins Stocken. An seinen Freund, den Geiger Joseph Joachim, schrieb Brahms: «Hinter Symphonie von J. B. magst Du einstweilen ein ? setzen.» Es dauerte weitere zwölf Jahre, bis Brahms die Arbeit an der Symphonie wieder aufnahm, dann aber mit großen Schritten aus dem Schatten des Riesen Beethoven hervortrat. Er knüpfte dort an, wo Beethoven als Symphoniker geendet hatte. So schuf Brahms mit der Einleitung der Symphonie einen Keim, in dem bereits das gesamte thematische Material der Symphonie enthalten ist. Aus den zwei gegenläufigen chromatischen Figuren in den Streichern und den Bläsern entwickelte Brahms die Hauptthemen des ersten bis dritten Satzes und die Einleitung zum Finale. Dabei spielen auch die harmonischen Felder der Motive eine wichtige Rolle und werden Gegenstand einer Entwicklung. Mit solchen Kompositionstechniken emanzipierte sich Brahms von Beethoven.

Nach dem erbitterten symphonischen Ringen voller Synkopen, zerklüfteter Dreiklangsbrechungen und abrupter Wechsel zwischen Piano und Forte im ersten Satz wird der zweite Satz zum ruhenden Gegenpol: Im innig anhebenden Andante übernimmt die Oboe mehrmals die melodische Führung. Nach einigen fließenden Steigerungen endet der Satz in einer wunderschönen Stimmung mit berührendem Violinsolo und sanft aufsteigenden Dreiklangszerlegungen.

Die anmutige Klarinettenmelodie des dritten Satzes ist raffiniert gebaut: Ihre zweite Periode ist exakt die Umkehrung der ersten Periode. In der mitreißenden Steigerung des Mittelteils kündigt Brahms schon den Durchbruch des Finales an. «Freude, Freude!» scheinen die Instrumente zu rufen, ehe sie zu ruhigen Variationen des ersten Satzteils zurückkehren.

Die Uraufführung der Symphonie fand im November 1876 in Karlsruhe statt. Der Erfolg des Werkes fiel ähnlich triumphal aus wie seine Koda.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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