Jean Sibelius

Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 43

Sätze

  • Allegretto

  • Tempo andante ma rubato

  • Vivacissimo - Lento e soave -

  • Finale. Allegro moderato

Dauer

45 Min.

Entstehung

1901/02

Jean Sibelius´ Ruf als finnischer Nationalkomponist beruht auf mehreren Annahmen, von denen sich nicht alle bestätigen lassen. Er war der erste finnische Komponist, dessen Musik internationale Beachtung fand, und dem es gelang, sich im Kanon mit seinen Zeitgenossen andernorts Gehör zu verschaffen. Soweit die Tatsachen. Was die angebliche «Begründung einer nationalen Schule» oder ähnlich anmutende Spekulationen anbelangt, so muss man diesen eine klare Absage erteilen.

Insbesondere im Zusammenspiel mit Edvard Grieg, dem gemeinsam mit Jean Sibelius gern die Botschafterfunktion der skandinavischen Musikkultur zugeschrieben wird, sollte man die unübersehbaren Unterschiede zwischen den beiden Komponisten würdigen. Sibelius ließ sich zwar in manchen seiner Werke gern vom finnischen Nationalepos «Kalevala» inspirieren, benannte Tondichtungen nach mythischen Gestalten und umgab sich gern mit künstlerischen Inhalten, die seiner unmittelbaren Umgebung entsprangen. Niemals aber war es seine Absicht, einen «finnischen Tonfall» zu erfinden oder gar Folklore in seine Musik einfließen zu lassen. Er verstand sich selbst als aus Finnland stammender «Player» im internationalen Musikgeschehen - ebenbürtig mit den Größen seiner Zeit und ohne patriotische Bekenntnisse, wenn es um das Wesen seiner Musik ging. Und auch wenn manche seiner Zeitgenossen es nur zu gern gehabt hätten, wenn sich in seiner Musik mehr «Programm », mehr «Revolution» hätten finden lassen, Sibelius ließ es sich nicht nehmen, seine Ideen selbst zu finden und zu entwickeln. Diese Qualität findet sich unter anderem in den sieben erhaltenen Symphonien von Jean Sibelius wieder.

Den Sommer und Frühherbst des Jahres 1901 verbrachte Jean Sibelius auf dem Land, wo er bei seiner Schwiegermutter zu Gast war und sich ganz dem Komponieren widmen konnte. Auf seiner Agenda standen zwei Kompositionen: ein Werk nach Motiven aus Dantes «Göttlicher Komödie», das nie realisiert wurde, und die zweite Symphonie. Ideen und Motive für seine neue Symphonie hatte Sibelius schon im Winter und Frühjahr des Jahres 1901 bei einem Aufenthalt im italienischen Rapallo gesammelt.

Der erste Satz, Allegretto, eröffnet mit einem freundlichen, bukolisch anmutenden Thema. Die sonnige Atmosphäre des Satzes ist Schauplatz einer locker aufgebauten Einleitung der Symphonie, in dem Sibelius sich weniger dem strengen Aufbau und der traditionellen Abfolge widmet, sondern spielerisch mit mehreren musikalischen Gedanken experimentiert. Besonders einprägsam sind das heiter schaukelnde Eröffnungsthema, das vor allem rhythmische Impulse gibt, und das etwas wehklagende zweite Thema mit der fallenden Quinte, das als Keimzelle für die weiteren Entwicklungen dient.

Der zweite Satz, Tempo andante ma rubato, zeigt schon deutlich die Abkehr von der hochromantischen Tradition. Das schier endlose Umherwandern von Pizzicato-Bässen im tonalen Niemandsland nimmt erst Gestalt an, als sich die Holzbläser mit einer choralartigen Melodie darüber heben. Die gesamte erste Hälfte des Satzes wird von streng wirkenden Tuttisätzen dominiert, aus denen sich schemenhaft das fallende Quintenthema abzeichnet. Nach einer kurzen Generalpause folgt eine momentane, süße Erinnerung an den ersten Satz, in die sich schon bald rotierende Streicherbewegungen hineinbohren. Auch wenn Sibelius kein «Programm» hinter diese Musik gelegt hatte, kann man es seinem Freund Robert Kajanus nicht ganz verübeln, der das Andante als «flammenden Protest gegen all die Ungerechtigkeit» beschrieb.

Im dritten Satz, Vivacissimo, stehen einander zwei denkbar gegensätzliche Partner gegenüber. Zunächst erklingt eine eilige und unruhig zitternde Triolenfigur. Ein paar abgehackte Themenfetzen werden von der Flöte und der Oboe vorgetragen, doch kaum etwas davon bleibt bestehen. Einen radikalen Stimmungswechsel bringt dann ein friedvoller Bläsersatz mit sich, der sich beruhigend im Bewusstsein niederlässt. Die nervöse Triolenfigur platzt hier wie ein Störenfried herein, und nun entspinnt sich ein musikalischer Wettstreit der beiden Kräfte. Unruhiges Tempo auf der einen Seite, elegische Kraft auf der anderen. Wie kaum anders zu erwarten, steht am Ende eine Synthese der beiden ehemaligen Kontrahenten: Die rotierende Triolenfigur wird - etwas verlangsamt - zur Triebfeder für neue melodische Bewegungen, die sich immer mehr aufbauschen und den Weg für das Finale freimachen, das attacca einsetzt.

Der vierte Satz, Allegro moderato, führt nacheinander die wesentlichen Merkmale der vorangegangenen Sätze auf und setzt darüber ein neues, punktiertes Thema, das die Grundlage für praktisch alle musikalischen Entwicklungen ist und eine Ableitung des Eröffnungsthemas aus dem ersten Satz darstellt. Jean Sibelius zieht hier alle Register seiner Kunst, insbesondere die geschickte Instrumentierung verleiht dem Satz immense Tiefe und Strahlkraft. Durch das durchgezogene punktierte Motiv des Themas, das sich einmal strahlend über alles erhebt, dann wieder eingetrübt über den entschleunigten Rollbewegungen der Triolen dahinschleicht, entsteht der Eindruck von Persistenz und einer fast unerbittlich magnetischen Kraft.

Das Finale der Symphonie reißt sich langsam, aber sicher von diesem Strudel los und wendet sich einer majestätisch-festlichen Stimmung zu. Die fallende Quint, die im Lauf der Symphonie in mehreren Erscheinungsbildern aufgetreten ist, wird nun absolut, strahlend hell und klar gespielt. Feierliche Blechbläsersätze über einem flächigen Tremolo der Streicher und wuchtigen Paukenschlägen dominieren die letzten Takte der Symphonie und hinterlassen das Gefühl von erhabener Größe.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Alexander Moore

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