Pjotr Iljitsch Tschaikowski

Symphonie Nr. 5 e-Moll op. 64

Sätze

  • Andante - Allegro con anima

  • Andante cantabile, con alcuna licenza

  • Valse. Allegro moderato

  • Finale. Andante maestoso - Allegro vivace

Dauer

55 Min.

Entstehung

1888

Pjotr iljitsch Tschaikowski unternahm 1888 seine erste große Konzertreise in die Musikzentren Europas – nach Leipzig, Hamburg, Berlin, Prag, Paris und London. Überall dort hatte er nicht nur mit ansehnlichem Erfolg seine Musik aufgeführt, sondern auch Kollegen wie Johannes Brahms, Gustav Mahler, Antonín Dvorák, Charles Gounod, Jules Massenet, Gabriel Fauré, Edvard Grieg oder Richard Strauss wieder getroffen oder überhaupt erst kennengelernt. Doch trotz der künstlerisch anregenden neuen Bekanntschaften fand sich Tschaikowski am Ende der Reise in unglücklicher Stimmung wieder, wie ein Tagebucheintrag vom 27. März 1888 im Wiener Hotel «Ungarische Krone» zeigt: «Nach Hause. Packen. Es steht eine Reise nach Russland bevor. Schreiben für wen? Weiterschreiben? Lohnt kaum. Wahrscheinlich schließe ich damit für immer mein Tagebuch ab. Das Alter klopft an, vielleicht ist auch der Tod nicht mehr fern. Lohnt sich denn dann alles noch?»

Wieder nach Hause zurückgekehrt nahm Tschaikowski als erstes einen Umzug vor: Er zog sich auf sein Landgut Frolowskoje nahe der russischen Stadt Klin zurück und gewann dort seinen Lebensmut und seine schöpferische Kraft wieder. Seine Jahrbücher führte er zwar erst ein knappes Jahr später wieder weiter, doch schon im Mai 1888 begann er mit der Arbeit an seiner fünften Symphonie; nur drei Monate später war sie vollendet. Nach elf Jahren also (1877 war die Vierte entstanden) bezwang er erneut die Form der Symphonie, wobei Tschaikowski in den Jahren davor durchaus Symphonisches geschrieben hatte, wie das Capriccio italien, die Ouvertüre 1812, die Streicherserenade oder die programmatische Manfred-Symphonie belegen. Freilich, ganz friktionsfrei gestaltete sich auch diese Arbeit nicht, wie ein Brief an seine Freundin Nadesha von Meck verrät: «Ich will jetzt tüchtig arbeiten, um mir selbst, aber auch den anderen zu beweisen, dass ich mich noch nicht ausgeschrieben habe. Oft überkommen mich Zweifel, und ich stelle mir die Frage: Ist es nicht an der Zeit, aufzuhören? Habe ich meine Phantasie nicht überanstrengt? Ist die Quelle vielleicht schon versiegt?» Gleichzeitig mit der Fünften entstand auch die Hamlet-Ouvertüre, beide Werke stellte Tschaikowski, selbst am Pult, am 17. November 1888 dem Publikum in St. Petersburg vor. Gewidmet ist die Symphonie dem Hamburger Musikkritiker und Musikschriftsteller Johann Theodor Friedrich Avé-Lallemant, den Tschaikowski auf der Konzertreise 1888 kennengelernt hatte. Übrigens schon während seiner Rückreise von dieser ersten Tournee zog es ihn erneut in die Ferne, wie er Nadesha von Meck brieflich gestand: «Ist es nicht merkwürdig, dass ich nach einer ermüdenden dreimonatigen Wanderung durch die Fremde schon wieder an neue Reisen denke? So aber ist der Mensch, kaum ist meine als höchstes Glück ersehnte Rückkehr nach Russland zur Tatsache geworden, da wünsche ich mir bereits eine neue Reise im kommenden Jahr!» Gleich Anfang 1889 schloss sich diese weitere ersehnte Reise an; dabei dirigierte Tschaikowski auch seine fünfte Symphonie, die in Hamburg der dortige Musikkritiker Josef Sittard als eine der «bedeutendsten musikalischen Erscheinungen der letzten Zeit» bezeichnete. Vom selbstkritischen Komponisten gibt es durchaus wenig schmeichelhafte Anmerkungen zu seiner eigenen Fünften, die überall sonst auf immer größere öffentliche Anerkennung stieß: «Nach jeder Aufführung empfinde ich immer stärker, dass dieses Werk mir misslungen ist. Die Symphonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch.» Wie so oft sind die Schöpfer ihrer Werke die strengsten Kritiker ihrer selbst und oft gar nicht dazu auserkoren, das eigene Werk richtig zu beurteilen. Klaus Manns schrieb zur Fünften in seiner Tschaikowski-Biographie: «… geschrieben, zum Trotz jener schlimmen Angst, die den Alternden lähmen wollte mit ihrem Flüstern: Du bist ausgesungen, vertrocknet, von dir kommt nichts mehr. Und siehe da: Die Symphonie wurde groß, und sie wurde gut. Sie hatte Schwermut und Glanz und dazwischen eine ganz entrückte Leichtigkeit und am Ende den stolzen und heftigen Überschwang dessen, der sich höchst tapfer wehrt.»

Am ohrenfälligsten an der fünften Symphonie ist der thematische Zusammenhang, ein Bogen, der sich mittels eines einprägsamen Leitmotivs über alle vier Sätze spannt. Während etwa der vierten Symphonie ein ausführliches Programm zugrunde liegt, sind zur fünften nur wenige Notizen aus Tschaikowskis Feder überliefert. Das Hauptthema, mit dem der erste Satz (Andante – Allegro con anima) der Symphonie anhebt, charakterisiert er folgendermaßen: «Introduktion. Völlige Ergebung in das Schicksal oder, was dasselbe ist, in den unergründlichen Ratschluss der Vorsehung.» Die Klarinette stellt das Thema vor, etwas später gesellt sich das Fagott hinzu; das Allegro, zu dem Tschaikowski die Wörter «Murren, Zweifel, Klagen, Vorwürfe» notiert hat, stimmen dann beide Instrumente gemeinsam an. Nicht zu leugnen ist die oft zitierte Verwandtschaft des Hauptthemas mit dem Mittelteil der Es-Dur-Polonaise op. 26/2 von Frédéric Chopin. Trotz der formalen Gabel durch das in allen Sätzen auftretende Hauptmotiv bleibt Tschaikowski formal innerhalb der üblichen symphonischen Parameter. Das D-Dur-Seitenthema hebt sich deutlich vom düsteren Hauptgedanken ab und in der Durchführung ist es schließlich das punktierte Motiv am Beginn des Hauptthemas, das den dramatischen Aufbau und Höhepunkt bestimmt. Die Coda schließlich verklingt nach nochmaligem energischen Ausbruch, langsam ausfasernd im dreifachen Piano.

Der zweite Satz (Andante cantabile) zählt gewiss zu den größten Errungenschaften des Melodikers Tschaikowski, als welchen ihn etwa Igor Strawinski außerordentlich schätzte. Diese «sehr seltene und kostbare Begabung» (Strawinski) bestimmt das herrliche Andante cantabile, zu dem der Komponist notierte: «Soll ich mich dem Glauben in die Arme werfen?» Diese Frage mag man nun aus den choralartigen Einleitungstakten heraushören, oder auch in dem vom Solo-Horn vorgetragenen Hauptthema erkennen, dem «Lichtstrahl» (Tschaikowski) der Symphonie. In der Mitte des Satzes schleicht sich, beinahe unmerklich, das Leitmotiv ein, bis es schließlich im dreifachen Forte zum Ausbruch kommt. Der Einbruch des Schicksals in kräftigen Blechklängen scheint von nur kurzem Bestand, nochmals baut sich das hymnische Thema auf, doch wieder schlägt das Schicksal drein: Dauerhaft soll sich die ungetrübte Harmonie (noch) nicht durchsetzen, und so findet der Satz ein vorsichtiges Ende, wieder im dreifachen Piano.

Die zarte, salonartige Valse lässt den Gedanken an das Leitmotiv und seine Bewandtnis beinahe vergessen. Ein wenig erregter nimmt sich das einkomponierte Trio mit all seinen flirrenden Sechzehntelfiguren aus. Erst gegen Ende meldet sich ganz zart das Schicksals-Motiv in Klarinette und Fagott zu Wort, bevor dieser zarte Satz plötzlich und unerwartet im Fortissimo endet.

Das inzwischen wohl bekannte Leitmotiv erklingt, jetzt umgedeutet nach E-Dur, in der Einleitung des Finales (Andante maestoso – Allegro vivace), welches nicht nur formal zwischen Sonatensatz und Rondo steht, sondern auch beispielhaft die Doppelgesichtigkeit der Symphonie charakterisiert. Frank Reinisch fasste diesen Umstand vielleicht am Besten in Worte: «Verrät der Kontrast zwischen dem kammermusikalischen düsteren Beginn der Symphonie und der triumphierenden Finalwirkung des Schicksalsthemas nicht die ungeheuren Spannungen, unter denen Tschaikowski litt und die ihn schließlich zur Komposition dieser ‹molto maestoso›-Apotheose zwangen? Auf der einen Seite steht die öffentliche Anerkennung allerorten, auf der anderen Seite bohrende Selbstzweifel, wie sie Tschaikowski übrigens bald darauf auch an seiner 5. Symphonie kurz nach den ersten Aufführungen geäußert hat, und die heimliche Skepsis gegenüber den Mitmenschen.» Die Final-Coda bringt schließlich das Leitmotiv, nach dramatischen Auseinandersetzungen in der Durchführung und der Reprise, in glänzendem E-Dur: erst noch breit aussingend, dann im Presto im Eilschritt, und zuletzt kraftvoll triumphierend, als nachdrückliche Bestätigung, das Schicksal doch bezwingen zu können – zumindest in der Musik.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden