Antonín Dvorák

Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88

Sätze

  • Allegro con brio

  • Adagio

  • Allegretto grazioso

  • Allegro ma non troppo

Dauer

36 Min.

Entstehung

1889

Antonín Dvorák verdankt seinen späten künstlerischen Durchbruch eigentlich Johannes Brahms. Dieser hatte dafür gesorgt, dass die «Slawischen Tänze» im Druck erschienen und damit einen entscheidenden Impuls für die internationale Anerkennung gaben. Aber nicht nur in den populären Tänzen vermochte Dvorák das Wesen seiner Heimat in musikalisch farbenfrohen Ausdrucksvarianten niederzulegen, auch sein symphonisches Œuvre sprudelt immer wieder geradezu über vor böhmischer Melodienüppigkeit. Eines der besten Beispiele dafür ist seine achte Symphonie, die er selbst als «ein von seinen anderen Symphonien verschiedenes Werk» sah, und das er «mit individuellen, in neuer Weise ausgearbeiteten Gedanken» zu erfüllen gedachte. Sein Biograph Otakar Šourek hatte diesen Einblick in die Geschichte der Symphonie von Dvorák noch selbst erfahren. Tatsächlich markiert die Symphonie auch einen Wendepunkt in seiner Kompositionsweise: Entgegen der ästhetischen Vorstellungen etwa eines Johannes Brahms begann er, Programmmusik zu schreiben – etwa seinen Klavierzyklus «Poetische Stimmungsbilder» oder die symphonischen Dichtungen «In der Natur», «Karneval» und «Othello». Überdies geht er in der Gesamtanlage des Werkes mit der symphonischen Form recht frei um. Die Entstehung der manchmal auch «Die Englische» genannten Symphonie (Herbst 1889) fällt in eine Zeit ungetrübter Schaffenskraft und vor allem auch gewachsener internationaler Anerkennung von Dvoráks Werk.

Erst am 10. August 1889 schrieb Dvorák an seinen Freund Alois Göbl: «Sie wollen wissen, was ich tue? Ich habe den Kopf voll, wenn der Mensch das nur gleich aufschreiben könnte! Aber was nützt es, ich muss langsam machen, soweit die Hand will und das Übrige wird der Herrgott geben … Es geht über die Erwartung leicht und die Melodien fliegen mir nur so zu …» Zur Zeit des Briefes vollendete er noch sein Klavierquartett op. 87 und schon am 26. August 1889 setzte er die Arbeit an den ersten Entwürfen zur neuen Symphonie fort, die in wenigen Wochen fertig skizziert vorlag. Es mag auch an seinem Landhäuschen in Vysoká liegen, dass er eine derart vielfältige, reichhaltige Symphonie so rasch zu Papier bringen konnte – diente ihm doch gerade die freie Natur zeitlebens als Inspirationsquelle. Die Ausarbeitung und Instrumentierung nahm er dann in Prag vor, am 8. November 1889 war die Symphonie fertig, jetzt erweitert um die Fanfaren zu Beginn des Finales, die in der Skizze noch nicht enthalten waren. Die Uraufführung dirigierte Dvorák selbst in einem Konzert der Umelecká Beseda im Prager Rudolfinum am 2. Februar 1890. Die Widmung der Symphonie ging an die Franz-Josefs-Akademie für Wissenschaft und Kunst in Prag, deren Mitglied Dvorák zwei Monate später wurde. Warum aber bezeichnete man das Werk lange als «Englische»?Musikalische Gründe gibt es dafür nicht, doch tatsächlich englische: Seit seinem ersten Besuch in London im Jahr 1884 war Dvorák immer wieder eingeladen worden, dort zu dirigieren, da ihn die Briten außerordentlich schätzten. Aus diesem Grund verlieh ihm die Universität von Cambridge im Juni 1891 die Ehrendoktorwürde, und er bot im Gegenzug seine achte Symphonie als «Exercise» an – widmete sie also ein weiteres Mal. Hinzu kam, dass sich Dvorák, an Selbstbewusstsein deutlich reicher als noch vor einigen Jahren, mit seinem Verleger Nikolaus Simrock (der eine Art Vorkaufsrecht an Dvoráks Werken hatte) immer mehr stritt und sich schließlich weigerte, ihm die Rechte für die Symphonie zu überlassen. Simrock wollte ihm, mit Hinweis auf die schlechten Aussichten bei großen Orchesterwerken, nur einen Mindestpreis zahlen. Dvorák wandte sich daraufhin an den englischen Verlag Novello, der mit Freuden die Symphonie annahm und sie im Jänner 1892 in Partitur, Stimmen und einer Fassung für Klavier zu vier Händen herausgab. Simrock wurde vor vollendete Tatsachen gestellt – und «Die Englische» war geboren. Somit wird man vergeblich im musikalischen Innenleben der Symphonie nach dem «typisch Englischen» suchen. Dvoráks Biograph Otakar Šourek meinte viel mehr: «Sie macht den Eindruck, als wäre sie unmittelbar der böhmischen Natur und dem tschechischen Volk entsprungen.» Und genau als das war sie auch gedacht, denn immerhin bedankte sich der Komponist persönlich in einer Privataudienz bei Kaiser Franz Joseph für die Aufnahme in die Akademie mit eben dieser Symphonie, als einer Komposition in der Tonsprache seiner Heimat.

Die Celli eröffnen, unterstützt von Klarinetten, dem ersten Fagott und Hörnern, mit einem schwärmerischen Thema den Kopfsatz der Symphonie. Weniger folgt Dvorák hier den Regeln der Sonatenhauptsatzform, viel mehr gönnt er dem Reichtum der Themen und Motive die Freiheit rhapsodischer Entfaltung und weiträumiger Steigerungen. Flugs erscheint ein zweites Thema, in e-moll, ruhiger als das von g-moll nach G-Dur aufgehellte und variierte Hauptthema. Plötzlich setzt eine Wiederholung des ersten Teiles ein, doch entpuppt sich der Rückgriff auf den Symphoniebeginn als Auftakt zu einem dramatisch erhitzten Durchführungsabschnitt. Eine klassische Reprise bleibt bewusst ausgespart zugunsten des unweigerlich rhythmisch zündenden Vorwärtsdrangs. Die beiden Mittelsätze erscheinen uns in erster Linie als eindringliche, immer wieder schwärmerisch aufrauschende Stimmungsmalerei: Das Adagio entwickelt sich vom herrlich dunkel gefärbten Balladenton des Beginns in einen tänzerischen Verlauf, woraus sich wiederum kantigere, schärfere Momente entspinnen. Allerlei Selbstzitate sind darin verwoben, das dritte der «Poetischen Stimmungsbilder» op. 85 oder das Choralthema der «Hussiten»-Ouvertüre. Nach einem Rückgriff auf die Anfangsstimmung kommt der Satz beinahe zum Stillstand, bevor daraus ein schmerzlich auffahrendes Hornthema zu einem Poco più animato mit schmetternden Trompeten führt – und von dort zurückfließt in den von abwärts gleitenden Figuren umspielten tänzerischen Duktus. An einen stilisierten, wehmütigen Walzer erinnert sodann der dritte Satz, Allegretto grazioso, dessen (nicht so bezeichnetes) Trio auf einem Thema aus Dvoráks eigener Oper «Tvrdé palice» («Die eigensinnigen Dummköpfe») basiert. Die schmissige Coda lässt die wehmütige Walzer-Stimmung plötzlich vergessen und scheint sie im Nachhinein als Trugbild zu entlarven. Gleichzeitig bereitet sie den Boden für das effektvolle Finale, dessen glänzende Instrumentierung den Kehraus-Charakter noch verstärkt. Das Hauptthema wird drei Mal variiert, bevor es in der vierten Variation ausbricht, Fortissimo und mit den berühmten Horntrillern versehen. In scharfem Kontrast schließt ein marschartiges zweites Thema an, aus dem sich sodann, freilich zögerlicher, etwas abgeklärter als zu Beginn, erneut das Hauptthema entspinnt. Es wird zunehmend ruhiger, verdämmert beinahe, bevor es doch noch ein letztes Mal stürmisch explodiert.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

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