Richard Strauss

«Tod und Verklärung» Tondichtung op. 24

Dauer

24 Min.

Entstehung

1888-1890

Richard Strauss war noch keine 25, als er sich musikalisch mit dem Sterben auseinandersetzte. Doch «Tod und Verklärung» entstand nicht, wie oft vermutet, als quasi autobiografischer Erlebnisbericht nach schwerer Krankheit, sondern als bildhafter Versuch, die letzten Momente im Dasein eines Menschen in Töne zu kleiden. Gewiss, um einen gewöhnlichen Menschen ging es Strauss dabei nicht:

Es sollte schon das Schicksal eines Künstlers sein, den er in dieser knapp nach «Don Juan» komponierten symphonischen Dichtung in den Mittelpunkt stellte. Strauss selbst erkrankte etwa eineinhalb Jahre nach der Uraufführung von «Tod und Verklärung» schwer; der dramatischeren Geschichte wegen lässt sich der bewusste Irrtum mit den Daten also leicht erklären. Andererseits aber wird in Kommentaren auch gern darauf verwiesen, dass «Tod und Verklärung» eine völlig nüchterne, kühl abbildende Schilderung sei und darüber hinaus keinerlei philosophischen Hintergrund besitze. Nun, das scheint, nicht zuletzt in Anbetracht der künstlerischen Überhöhung durch die Musik, ebenso zu kurz gegriffen. Dergleichen mag sich freilich aufgrund Strauss’ eigenen Umgangs mit seiner Musik in manchen Hirnen festgesetzt haben – war er doch zeitlebens (als Komponist und Interpret seiner Musik) stets auf ein klares, nüchternes Verhältnis zum eigenen Œuvre bedacht. Welcher Komponist sonst hat schon regelmäßig täglich acht Stunden am Schreibtisch verbracht, Inspiration hin, Musenkuss her, und dort akribisch an seinem Lebenswerk gebastelt? Heimito von Doderer antwortete einmal auf die Frage nach seinem Schaffen, dass ein Schriftsteller eigentlich sein Leben lang nur ein Buch schriebe. Bei Strauss mag man nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Verknüpfungen, die sich auch via Eigenzitaten durch sein Werk ziehen, ähnlich empfinden. Ein markantes Motiv aus «Tod und Verklärung» taucht etwa in den späten «Vier letzten Liedern» wieder auf, freilich maskiert und deutlich wehmütig. Zwischen diesem allerletzten, elegisch-abgeklärten Liederzyklus und den Jugendjahren zwischen Meiningen, München, Bayreuth und Berlin liegen knapp sechs Jahrzehnte, in denen Strauss den Weg vom Kammermusiker über den Symphoniker und unangefochtenen Meister der Instrumentierungskunst zum bedeutendsten Musikdramatiker des 20. Jahrhunderts zurückgelegt hat. Zwei Weltkriege und zuletzt die Zerstörung all der Kulturstätten, die so eng mit seinem Lebenswerk verbunden waren, hinterließen tiefgreifende Wunden in der Seele des nunmehr alten Mannes. Doch bleiben wir beim jungen Strauss, der sich 1894 an die Entstehung von «Tod und Verklärung» wie folgt erinnerte:

«Es war vor sechs Jahren, als mir der Gedanke auftauchte, die Todesstunde eines Menschen, der nach den höchsten Zielen gestrebt hatte, also wohl eines Künstlers, in einer Tondichtung darzustellen. Der Kranke liegt im Schlummer schwer und unregelmäßig atmend zu Bette; freundliche Träume zaubern ein Lächeln auf das Antlitz des schwer Leidenden; der Schlaf wird leichter; er erwacht; gräßliche Schmerzen beginnen ihn wieder zu foltern, das Fieber schüttelt seine Glieder; als der Anfall zu Ende geht und die Schmerzen nachlassen, gedenkt er seines vergangenen Lebens: seine Kindheit zieht an ihm vorüber, seine Jünglingszeit mit seinem Streben, seine Leidenschaften und dann, während schon wieder Schmerzen sich einstellen, erscheint ihm die Frucht seines Lebenspfades, die Idee, das Ideal, das er zu verwirklichen, künstlerisch darzustellen versucht hat, das er aber nicht vollenden konnte, weil es von einem Menschen nicht zu vollenden war. Die Todesstunde naht, die Seele verläßt den Körper, um im ewigen Weltraume das vollendet in herrlichster Gestalt zu finden, was es hienieden nicht erfüllen konnte.»

Soweit Strauss in einem Brief an den österreichischen Musikwissenschaftler Friedrich von Hausegger. Jahre später schrieb er an Wilhelm Bopp, seinerzeit Direktor der Kaiserlich-Königlichen Akademie für Musik und darstellende Kunst: «Tod und Verklärung ist reines Fantasieprodukt, kein Erlebnis liegt ihm zugrunde, krank wurde ich erst zwei Jahre danach. Ein Einfall wie ein anderer, wahrscheinlich letzten Endes das Bedürfnis, ein Stück zu schreiben, das in c-Moll anfängt und in C-Dur aufhört. Qui le sait?»

Nun, es bedarf keiner allzu ausufernden Fantasie, als geübter Hörer sehr wohl die oben beschriebene Szenerie nachzuvollziehen. Strauss’ Mentor und väterlicher Freund Alexander Ritter, Geiger, Komponist und Dirigent, schrieb im Eindruck von «Tod und Verklärung» ein programmatisches Gedicht nieder, das in der Partitur der Erstausgabe abgedruckt wurde. Der Beginn dieses Poems lautet folgendermaßen: «In der ärmlich kleinen Kammer, / matt vom Lichtstumpf nur erhellt, / liegt der Kranke auf dem Lager. – / Eben hat er mit dem Tod / wild verzweifelnd noch gerungen. / Nun sank er erschöpft in Schlaf, / und der Wanduhr leises Ticken / nur vernimmst Du im Gemach, / dessen grauenvolle Stille / Todesnähe ahnen läßt.» Nun, bereits den Zeitgenossen von Strauss erschien diese Dichtung wenig wertvoll, dennoch führte Ritter das in der Erstfassung knappe Gedicht später noch größer aus; in dieser zweiten Version ziert es bis heute Partiturdrucke.

Am 21. Juni 1890 dirigierte Strauss selbst die Uraufführung von «Tod und Verklärung» in Eisenach. Lange Zeit zählte die Tondichtung zu seinen beliebtesten Werken, heute teilt sie sich diesen Rang längst einträchtig mit «Don Juan», «Ein Heldenleben», «Till Eulenspiegels lustige Streiche» oder «Also sprach Zarathustra», um nur einige zu nennen. Anlässlich der Wiener Erstaufführung im Jahr 1893 bewies der gefürchtete konservative Musikkritiker Eduard Hanslick in einem großen Verriss allerdings auch einen gewissen Weitblick in Strauss’ Karriere: «Es fehlt dieser realistischen Anschaulichkeit … nur der letzte entscheidende Schritt: die matt erleuchtete Krankenstube mit dem Verscheidenden auf wirklicher Bühne; sein Todeskampf, seine Visionen, sein Sterben … Die Art seines Talents weist den Komponisten eigentlich auf den Weg des Musikdramas.» Hanslick, der zeitlebens gegen die sogenannten «Neudeutschen» wetterte, verwechselte das, zugegeben, erstaunlich akribisch ausgeführte Programm der symphonischen Dichtung (Franz Liszt etwa blieb hier, stets viel allgemeiner im Detail, immer literarischen Vorlagen verpflichtet) mit eine Oper ohne Worte.

Die motivische Entwicklung, der anfangs schwach pulsierende Rhythmus (vielleicht der immer wieder stockende Herzschlag des Moribunden), die auskomponierten Seufzer, die wechselnden Klangfarben, wenn Flöte und Oboe neue Themen vorstellen, oder die wild auffahrenden Schmerzensschreie, die gleichzeitig das Ende der langsamen, gleichsam verdämmernden Einleitung verkünden – all das ist formal in eine Art Sonatenhauptsatz gegliedert. Doch inhaltlich ist es das «Ideal», das als über zwei Oktaven ausgebreitetes Motiv nicht nur den musikalisch-thematischen Höhepunkt der Tondichtung darstellt, sondern zuletzt auch die Apotheose, die «Verklärung» bestimmt. Wie hat es Strauss in seiner knappen Erläuterung formuliert? Als das Ideal, «das er zu verwirklichen, künstlerisch darzustellen versucht hat, das er aber nicht vollenden konnte, weil es von einem Menschen nicht zu vollenden war.» Strauss hat (trotz seiner unrühmlichen Karriere als Präsident der Reichsmusikkammer während des «Dritten Reichs») in der Musik gewiss die höchsten Ziele erreicht, die ein Mensch mit langem, erfülltem Leben erreichen kann. Den Tod zu zähmen oder gar beschönigt darzustellen kam ihm schon als junger Mann nicht in den Sinn. Das Sterben selbst aber wurde gewiss weder vorher noch danach in ein üppigeres, reicheres Klanggewand gehüllt: Bei Strauss führt der Weg vom letzten Krankenlager direkt in das (Musik-)Paradies.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

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