Archiv: Schostakowitsch 7

Grafenegg Wolkenturm Wolkenturm

Interpreten

  • Yeol Eum Son, Klavier
  • Dmitrij Kitajenko, Dirigent

Programm

Geschichte, in Musik gegossen. Nachdem Rudolf Buchbinder am Wolkenturm Mozarts C-Dur-Konzert interpretiert hat, lässt Ausnahmepianistin Yeol Eum Son nun den melancholischen Vorgänger, das d-Moll-Konzert, hören. Eine Tonart, die Mozart auch für sein Requiem wählte. Mit diesem Konzert hat er die Unterhaltungskonventionen seiner Zeit hinter sich gelassen und die Freiheit seines Genies gefeiert. Die «Leningrader» ist Schostakowitschs bekannteste Symphonie: ein Stück Zeitgeschichte über die Belagerung der Stadt durch die Nationalsozialisten.

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Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester d-Moll KV 466

Sätze

  • Allegro

  • Romance

  • Allegro assai

Dauer

32 Min.

Entstehung

1785

Wolfgang Amadeus Mozart arrangierte als zehnjähriger Bub drei Klaviersonaten von Johann Christian Bach für Klavier und Orchester. Damit erprobte er die Verbindung des Tasteninstruments mit einem Begleitensemble. Das war eine Vorstufe. Als 17jähriger begann Mozart dann mit der Produktion von eigentlichen Klavierkonzerten, seiner erstaunlichsten Werkgruppe in der Instrumentalmusik: Sechs Konzerte schrieb er in der Salzburger Zeit, ab 1782 folgte in Wien die Fülle von 17 weiteren Konzerten, mit denen Mozart die Öffentlichkeit für sich einzunehmen trachtete und einen konzertanten Kosmos erschuf. Wohin Mozart mit seinen Klavierkonzerten gefunden hat, ist eindeutig: zu einer vollkommen neuen Form des Konzertierens in einem tragfähigen Konzept, das von Komponisten bis ins 20. Jahrhundert in seinen Grundzügen beibehalten werden konnte. Woher er mit seinem Konzertstil kam, ist hingegen rätselhaft. Mozart brachte sofort einen vollkommen ausgereiften Prototyp hervor, der sich von etwaigen Vorbildern (Johann Christian Bach oder dem Wiener Rokokomeister Georg Christoph Wagenseil) total absetzte.

Das Soloinstrument erhält ein riesiges Sortiment an bis dahin ungekannten Äußerungsformen von speziellen Trillern bis zu dramatischen und einfühlsamen Floskeln. Das Orchester ist nicht nur Begleiter, sondern gleichwertiger Dialogpartner, sei’s im farbenfrohen Miteinander oder in vielfältigen solistischen Aufgaben besonders der Holzbläser, die mit dem Klavier Frage- und Antwortsituationen durchlaufen. Schließlich prägte Mozart die konzertierende Sonatenform mit Expositionen sowohl des Orchesters als auch des Soloinstruments und mit Themendualismus. In keiner anderen Gattung äußerte sich Mozart zudem so privat. Er lebte in den Klavierkonzerten sein Verhältnis zur Umwelt aus, klärte Gefühlsangelegenheiten, erörterte geistige Fragen.

Die Wiener waren verrückt auf die so genannten «Akademien» mit dem jungen Musiker aus Salzburg, bei denen er sich vornehmlich mit Klavierkonzerten produzierte. Auch Mozarts Vater Leopold, der die Übersiedlung des Sohnes nach Wien eigentlich mit viel Argwohn zur Kenntnis nahm, konnte erfreut die Uraufführungen von mehreren Klavierkonzerten erleben, so auch am 11. Februar 1785 in der «Mehlgrube» vom Konzert d-moll KV 466. Aus einem Brief des Vaters wissen wir, dass Mozart das Konzert gerade noch rechtzeitig fertig stellte. Die Musik ist offenbar in einer heftigen Gefühlsaufwallung innerhalb weniger Tage hervorgebrochen. Erstmals komponierte Mozart ein Klavierkonzert in Moll und drang damit in eine nächtliche Welt vor, in der später Don Giovanni seine Abenteuer erlebte.

Die düstere Einleitung im ersten Satz verheißt nichts Gutes. Über rollenden Bässen und zuckenden Synkopen in den melodieführenden Instrumenten braut sich ein Unwetter zusammen. Auch das zweite Thema, von den Holzbläsern in F-Dur angestimmt, kann die Wolken nicht vertreiben. Dann setzt das Klavier mit einem eigenen, klagenden Thema ein, das während des ganzen Satzes nur ihm alleine vorbehalten bleibt. Mozart stellt deutlich fest: Das ist die individuelle persönliche Welt, während das Orchester die Außenwelt ist. In deren Bedrohlichkeit wird das Soloklavier immer wieder schicksalshaft verstrickt. Die musikalische Durchdringung bekommt hier eine existentielle Bedeutung. Düster-leise klingt der betroffen machende Satz aus.

Mit einem anmutigen, kindlich-unschuldigen Thema in B-Dur hebt das Klavier in der Romanze an, man ist an den Tonfall bestimmter Klaviersonaten Mozarts erinnert. Die Streicher entführen das Thema in kantable Bereiche. Doch dann bricht unvermittelt das Unwetter los, das sich im ersten Satz zusammengebraut hat: Stürmische Akkordzerlegungen entfachen einen dramatischen Mittelteil in g-moll. Innere und äußere Stürme prallen aufeinander. Tränen und Regen verwandeln sich in Sturzbäche. Doch nach letzten Tropfen in den Holzbläsern kehrt die idyllische Romanzenstimmung zurück.

Der auffahrende Gestus im Finale entfacht symphonische Reaktionen. Das vom Klavier eingeführte, trotzige Thema wird vom Orchester sofort kontrapunktisch verdichtet. Im Mit- und Gegeneinander werden Klavier und Orchester von Erschütterungen gebeutelt. Doch wie aus dem Nichts taucht dann plötzlich ein positives Zeichen auf: Die Holzbläser führen eine heitere, tänzerische Floskel in Dur ein. Die Musik steuert auf ein Happy end zu, die Trompeten trumpfen mit einem Signal im D-Dur-Dreiklang auf. Dem setzt allerdings das Klavier in seinem letzten Akkord mit den Tönen cis-d-e-g doch noch eine Dissonanz dagegen.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Dmitri Schostakowitsch

Symphonie Nr. 7 C-Dur op. 60 «Leningrader»

Sätze

  • Allegretto

  • Moderato (poco allegretto)

  • Adagio

  • Allegro non troppo

Dauer

80 Min.

Entstehung

1941

«Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt» (Schostakowitsch am 19. März 1942 in der Prawda)

Dmitri Schostakowitsch nimmt in der Musik des 20. Jahrhunderts eine Solitärstellung ein, nicht zuletzt durch seine von (kultur)politischen Repressalien gezeichnete Lebensgeschichte. Sein unsagbar großes Oeuvre dokumentiert eindrucksvoll wesentliche musikgeschichtliche Aspekte der Vor- und Nachkriegszeit. Die Entstehung seiner siebten Symphonie fällt in jene Zeit, in der Schostakowitsch besonders hoch in der Gunst der sowjetischen Führung stand - und das nicht ohne Grund; lieferte er den Machthabern doch genau das, was sie brauchten, um das Volk auf den «vaterländischen Krieg» einzuschwören, der im Sommer 1941 begonnen hatte.
Am Nachmittag des 22. Juni 1941 besiegte Rapid Wien im Berliner Olympiastation den Gelsenkirchner Verein Schalke 04 mit 4:3 und wurde damit deutscher Fußballmeister. Während in Berlin an die 100.000 Menschen feierten, lief einige Hundert Kilometer weiter östlich bereits seit einigen Stunden eine der größten Militäroperationen der Geschichte. In den Morgenstunden desselben Tages hatte die deutsche Wehrmacht auf breiter Front die Grenze zur Sowjetunion überschritten und war in sowjetisches Gebiet vorgedrungen. All das geschah trotz eines bestehenden Nicht-Angriffspakts zwischen den beiden Ländern und ohne Kriegserklärung. Hitler hatte diesen Feldzug von langer Hand geplant und war davon besessen, sich «Lebensraum im Osten» anzueignen - und genau den sollte die Wehrmacht erobern.
Die Heeresgruppe Nord kämpfte sich in den Sommermonaten 1941 rasch durch das Baltikum und stand Ende August vor Leningrad. Für eine Niederwerfung der Stadt war es bereits zu spät (der russische Winter stand vor der Tür) und man verschob das Projekt auf das Frühjahr 1942, und von dort an immer weiter nach hinten. Die Wehrmacht legte vorerst einen Verteidigungsring um Leningrad und begann Anfang September 1941 mit einem systematischen Bombardement der Stadt - am Ende der rund 900 Tage dauernden Belagerung waren über eine Millionen Zivilisten tot: im Granaten- und Bombenhagel umgekommen, erfroren, verhungert, an Krankheiten und Seuchen zugrunde gegangen. Zwischen Herbst 1941 und der endgültigen Befreiung der Stadt am 27. Jänner 1944 mussten die Leningrader unvorstellbares Leid erdulden, Angriffe von allen Seiten überstehen und - am allerwichtigsten - überleben. Helfen konnte den Leningradern zu Beginn der Belagerung noch kaum jemand. Die rote Armee war noch vom Überraschungsmoment des Angriffs geschwächt und nicht einmal in der Lage, den Vormarsch der deutschen Truppen aufzuhalten, geschweige denn eine belagerte Stadt zu befreien.
Die Bewohner Leningrads waren auf sich allein gestellt. Unter den Belagerten befand sich auch Dmitri Schostakowitsch, zu dieser Zeit einer der bekanntesten Komponisten des Landes. Er hatte zu dieser Zeit schon zahlreiche Erfolge gefeiert, war in Ungnade gefallen und dann wieder auf Händen getragen worden; Schostakowitsch lebte und komponierte zwischen Konvention und Revolution. Und nun erwartete man von ihm eine Musik, die den Geist der belagerten Leningrader einen sollte.
Die sowjetische Propaganda stellte von Anfang an sicher, dass die Entstehung der Symphonie Nr. 7 von Anfang an als integraler Beitrag zum Widerstand gegen Hitlers Truppen gesehen wurde. Die Leningrader Bevölkerung - ja, die ganze alliierte Welt - feuerte Schostakowitsch beim Schreiben an. Kaum ein Kunstwerk des 20. Jahrhunderts erhielt noch vor seiner Premiere so viel Aufmerksamkeit wie diese Symphonie. Am 14. September 1941 gab der Komponist ein Konzert in der Leningrader Philharmonie, das im Rundfunk übertragen wurde. Bei seiner Ansprache sagte: «Meine lieben Freunde! Ich spreche von Leningrad aus zu euch, während direkt vor den Toren der Stadt erbittert gegen den Feind gekämpft wird [...] Ich spreche von der Front. Gestern morgen habe ich die Partitur des zweiten Satzes meiner neuen, großen Symphonie abgeschlossen. Wenn es mir gelingt, dieses Werk gut zu Ende zu führen, wenn ich den dritten und vierten Satz abschließen kann, dann werden wir dieses Werk als "Siebente Symphonie" bezeichnen dürfen [...] Ich erzähle das, damit alle wissen: die Gefahr, in der Leningrad schwebt, hat dessen pulsierendes Leben nicht zum Schweigen gebracht.» Die Symphonie war bereits eine Legende, bevor sie fertig wurde. In den Wochen zuvor hatte er sich - eigenen Angaben zufolge - mehrfach vergeblich um die Aufnahme in den Kriegsdienst bemüht. Indes, man ließ ihn nicht. Die meisterhaft organisierte Propaganda hatte längst den praktischen Nutzen erkannt, den kulturelle Leistungen als Teil der Kriegsanstrengungen haben konnten. Schostakowitsch wurde bewusst vom Kriegstreiben ferngehalten. Als die deutsche Luftwaffe begann, Brandbomben auf die Stadt abzuwerfen, hatte das Leningrader Konservatorium wie andere Institutionen auch aus Dozenten und Studenten eine ,freiwillige Feuerwehr' organisiert, die während der Luftangriffe auf dem Dach ausharren musste. Ein Freund Schostakowitschs berichtete später: «Sie haben ihm einen Feuerwehrhelm aufgesetzt und ihm gesagt, er solle aufs Dach gehen und sich dort fotografieren lassen. Die ganze Welt kennt das Foto. Doch obwohl Schostakowitschs Teilnahme an der Verteidigung gegen Brandbomben nicht länger als zehn Minuten dauerte, kann ich bezeugen, dass sich niemand in der Gruppe beklagte, indem er seinen Dienst mit dem Schostakowitschs verglich. Jedem war klar: Er musste beschützt werden.»
Am 29. September schloss Schostakowitsch den dritten Satz ab. Anfang Oktober wurde auch er mit seiner Familie evakuiert; zuerst nach Moskau, von dort nach Kuibyschew, wo er am 27. Dezember die Partitur abschloss. Die Richtung und der Zweck des Werks war klar: «Ich widme meine siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt», wurde Schostakowitsch nach der Fertigstellung in der «Prawda» zitiert.
Die Symphonie Nr. 7 gehört zu den bekanntesten Beispielen von Kriegs-Klangmalerei in der gesamten Musikgeschichte. Funktional gesehen ist sie ein effektvolles Durchhaltestück, geschrieben zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Doch Schostakowitsch beabsichtigte natürlich weit mehr als die Schaffung eines Schlachtenschinkens im Kielwasser der Ouvertüre «1812» oder «Wellingtons Sieg». Im Gegenteil, eine Verherrlichung des Kriegs war nie seine Absicht. Die Geschichte hat gezeigt, was passiert, wenn Ideale pervertiert werden und in Terror ausarten. Die «Leningrader» Symphonie ist ein Mahnmal für alle, die wissen, was politische Willkür anzurichten vermag.
Der erste Satz (Allegretto) der Symphonie erfüllt - wie oft bei Schostakowitsch - mehrere Aufgaben. Einmal ist er ein perfekt ausbalancierter Kopfsatz, aufgebaut in der traditionellen Sonatenhauptsatzform mit zwei kontrastierenden Themen zu Beginn: eine tadellose Eröffnung einer Symphonie. Nach einer markigen Eröffnung mit ihrem bocksfüßigen Fanfaren-Verschnitt folgt eine lyrisch-kantable Passage, in der sich am Ende die Flöte und die Solovioline umschmeicheln. Die Musik scheint sich zu verflüchtigen ... Doch genau in die Stille hinein setzt Schostakowitsch einen flüsterleisen Trommelrhythmus, der anfänglich noch subtil - später dann immer eindringlicher - den Frieden stört. Wir hören die Vertonung der herannahenden Armee, überhaupt jeder organisierten Aggression. Die Trommel wird zur rasselnden Kette des Panzers, die schrummenden Bässe sind aufheulende Motoren in der Ferne. Über diesen mechanischen Klangteppich des «Invasions-Themas» legt Schostakowitsch eines seiner berühmtesten Themen, über das schon vielfach spekuliert wurde. Es vermittelt stupide Banalität und bewegt sich anfänglich im Hopserlauf durch die Instrumentengruppen. Durch die Dopplungen in gespreizten Intervall-Abständen erzeugt Schostakowitsch eine schauerliche Atmosphäre, die sich vor dem Hintergrund des martialischen Crescendo im Hintergrund bis zum hysterischen Blutrausch steigert, um schließlich abzustürzen. Die Kompositionstechnik ist denkbar einfach, wirksam und aus der Musikgeschichte durch Beispiele wie Ravels «Boléro», Tschaikowskis Marsch aus der sechsten Symphonie und dem langsamen Satz von Beethovens Siebter bekannt.
Die berühmte Episode aus dem Kopfsatz der Siebten ist die elffache Variation eines Themas, das verschiedenartig gedeutet wurde. Manche hören darin eine Verunglimpfung von «Deutschland über alles», andere wiederum meinen «Da geh' ich ins Maxim» zu hören und auch die «Lustige Witwe» von Franz Lehár (Hitlers Lieblingsoperette) wurde in dieses Thema hineingedeutet. Jeder Ansatz hat seine Berechtigung - ein besonders wichtiger Punkt ist aber das Selbstzitat aus seiner Oper «Lady Macbeth von Mzensk», das Schostakowitsch hier einfließen ließ: das Thema war sein Chiffre für erlittene Gewalt in jeder Form. Dass der Komponist hier auch die kulturpolitischen Schmähungen von sowjetischer Seite gegen ihn selbst kommentierte, liegt auf der Hand. Die Variationen sind die auskomponierte Dummheit, die sich selber feiert.
Den Epilog zur berühmt gewordenen «Invasion» inmitten des ersten Satzes, bildet ein Requiem: Schostakowitsch schrieb es für alle Opfer der Gewalt ungeteilt. In die einlullende Stimmung mit einem Monolog des Fagotts setzt in der Coda wieder das Trommelrasseln ein, das aber sofort wieder ausgelöscht wird. Was bleibt, ist eine unterschwellig bedrohliche Stimmung.
Die sowjetische Propaganda sah ausschließlich die herannahende Aggression in den sich immer wilder aufbauschenden Variationen. Schostakowitsch war klug genug, nicht zu widersprechen. Erst lange nach Stalins Tod sagte er: «Mit Gedanken an die Siebte beschäftigte ich mich schon vor dem Krieg. Sie war daher nicht das bloße Echo auf Hitlers Überfall. [...] Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Stalins Befehl Ermordeten. Ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten.» Es ging Schostakowitsch nicht um die Blockade der Stadt allein, sondern «um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat.»
Der zweite Satz (Moderato. Poco allegretto) stellt die im Scherzo übliche Reihenfolge um. Ein aufbrausendes Trio wird von lyrischen Außenteilen flankiert. Zur Uraufführung schrieb Schostakowitsch: «Der zweite Satz ist ein lyrisches Intermezzo, ein sehr zärtliches. Er hat kein Programm und weniger ,konkrete Fakten' als der erste Satz. Fort ist etwas Humor (ich kann es nicht ohne ihn!), Shakespeare wusste um den Wert des Humors in einer Tragödie - man kann die Hörer nicht die ganze Zeit in Spannung halten.»
Der dritte Satz (Adagio) lässt Anklänge an russische Folklore erkennen. Choralartige Passagen und Rezitative wechseln einander ab - vor dem geistigen Auge entsteht die Szenerie einer sakralen Handlung. Sangliche Kantilenen wechseln einander in lyrischer Eintracht ab. In weiter Ferne, der Bassstimme, grollt dann und wann das Gewaltmotiv - das musikalische Geschehen verdichtet sich wieder. Schostakowitsch lässt Akkordschichtungen der Blechbläser auf dramatische Einwürfe der Streicher prallen. Nachdem sich die Aufregung wieder gelegt hat, folgt wieder eine Choral-Passage, die im Pizzicato der Bässe verhallt. Die letzten Takte des ungewöhnlich großflächig angelegten Satzes besingen die geschundene russische Seele in einer eindringlichen Schmerzensmusik.
Ohne Pause setzt der Finalsatz (Allegro non troppo) ein, der die traurige Grundstimmung des vorigen Satzes schnell verlässt und sich binnen kürzester Zeit in aggressive Ekstase aufschwingt. Melodische Splitter und rhythmische Bruchstücke zerfetzen die im Grunde ebenmäßige Struktur, die dem Satz zugrunde liegt. Die mittlere Passage ist ein geisterhafter Totenmarsch, der sich teils in wuchtigen Akkordschichtungen, dann wieder in introspektiven Melodiebögen durch die Szene schleppt. Das musikalische Leichenbegängnis im Gestus der barocken Sarabande, beklagt Abertausende Tote und unsägliches Leid. Aus der Verzweiflung heraus kehrt sich die Stimmung nun in trotzige Verbissenheit. Begleitet von militärischen Klängen aus der Ferne komponiert Schostakowitsch ein Wiederaufrichten, einen Schrei nach Rache und Erlösung. Im brüllenden Tosen der letzten Takte erklingt einmal noch das erste Thema des Kopfsatzes - mit brüllendem Tosen endet die Symphonie.
Am 5. März 1942 erlebte das Werk seine Uraufführung in Kuibyschew, wohin man Schostakowitsch evakuiert hatte. Am 22. März spielte das Orchester des Bolschoi-Theaters, das schon die Uraufführung gespielt hatte, die Moskauer Premiere. Ein Kritiker erinnerte sich: «Vor Beginn des dritten Satzes trat unerwartet der für die Flugabwehr Verantwortliche neben den Dirigenten. Er hob die Hand und meldete in ruhigem Ton, um keine Panik hervorzurufen, das Einsetzen des Fliegeralarms. In jenen Tagen versuchten die nationalsozialistischen Bomber häufig bis nach Moskau vorzudringen. Trotz des Alarms verließt niemand seinen Platz. [...] Die Symphonie wurde zu Ende gespielt. Ihr mächtiges Finale, das den Sieg über den Feind ankündigt, schuf eine unvergessliche, mitreißende Atmosphäre. Die stürmische Ovation ging über in eine leidenschaftliche Manifestation patriotischer Gefühle und in Begeisterung über das Talent unseres großen Zeitgenossen.»
Im Ausland bemühte man sich um das Recht, die erste Aufführung außerhalb der Sowjetunion spielen zu dürfen. Leopold Stockowski, Eugene Ormandy, Serge Koussewitzky, Dimitri Mitropoulos - sie alle bemühten sich um dieses Privileg. Den Zuschlag erhielt schließlich Arturo Toscanini, der die Siebente am 19. Juli 1942 in New York mit dem NBC Symphony Orchestra erstmalig in der westlichen Welt aufführte. Alleine in der Saison 1942-43 wurde das Werk 62mal am nordamerikanischen Kontinent gegeben.
Besondere Bedeutung wurde natürlich der Erstaufführung in Leningrad selbst beigemessen, das nach wie vor eine belagerte Stadt war. Ein Militärflugzeug durchbrach die deutsche Flugabwehr und brachte die Partituren nebst anderen Versorgungsgütern im Juli 1942 nach Leningrad, wo man sich sofort an die Vorbereitungen für die Erstaufführung machte. Ausgezehrte Musiker erhielten Extrarationen, der Dirigent Karl Eliasberg bemühte sich, die Probendisziplin bei der Einstudierung der schwierigen Partitur aufrecht zu erhalten. Die Aufführung verfehlte ihre Wirkung nicht. In der Rundfunkübertragung, die am 9. August live aus Leningrad im ganzen Land ausgestrahlt wurde, hieß es: «Beim Finale stand der ganze Saal auf. Man konnte nicht sitzen bleiben und zuhören. Es war unmöglich.»
© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Alexander Moore