Felix Mendelssohn Bartholdy

Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64

Sätze

  • Allegro molto appassionato -

  • Andante -

  • Allegretto non troppo - Allegro molto vivace

Dauer

26 Min.

Entstehung

1838/44

Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert e-moll op. 64 ist das Ergebnis einer Freundschaft, die in Kindertagen begann: Mendelssohn und Ferdinand David, im Abstand von einem Jahr im selben Haus in Hamburg geboren, wuchsen gemeinsam auf. Mendelssohns Vater wurde der Vormund Davids, der seine Eltern früh verlor. In den Berliner Jahren Mendelssohns, in denen der junge Musiker im Salon der Eltern mit seinen frühreifen Kompositionen Mittelpunkt von Hauskonzerten war, wirkte auch David oft mit. Ein Jahrzehnt später, als Mendelssohn 1835 die Leitung der berühmten Leipziger Gewandhauskonzerte übernahm, holte er David als Konzertmeister zum da-mals wohl besten Klangkörper Europas, dem Gewandhausorchester. David behielt diese Stellung bis weit über Mendelssohns frühen Tod hinaus.

Im Sommer 1839 erhielt David einen Brief von seinem Freund Mendelssohn, in dem ihm dieser die «allergrößte Lust» auf die Komposition eines Violinkonzertes mitteilte: «… Ein paar gutgelaunte Tage, so bringe ich Dir etwas der Art mit. Aber leicht ist die Aufgabe freilich nicht; brillant willst Du’s haben, und wie fängt unsereins das an? Das ganze erste Solo soll aus dem hohen E bestehen.» Aus den «paar gutgelaunten Tagen» wurden schließlich mehrere Jahre, die Mendelssohn für die Ausarbeitung seines Violinkonzertes benötigte. Er hatte eine schwierige Situation zu überwinden: Mit Beethovens Konzert stand ein grandios ausgereiftes Werk dieser Gattung vor den Musikern der Romantik, und von Mozart existierten ebenfalls schon mehrere wie vom Himmel gefallene Violinkonzerte, die den Konzertrahmen ideal ausfüllten. Um den riesigen Vorbildern aus dem Weg zu gehen, orientierte sich Mendelssohn an der reichen Violinkonzertmusik Louis Spohrs. Richtung Beethoven verbeugte sich Mendelssohn nur einmal im ersten Satz am Beginn der Coda mit den für Beethovens Violinkonzert so signifikanten Paukenschlägen. In Hinblick auf die Spieltechnik und die Gestaltungsmöglichkeiten der Violine zog Mendelssohn natürlich auch seinen Freund Ferdinand David zu Rate. Allein die Tatsache, dass die im Brief für den Werkanfang angekündigten «hohen E» im Violinkonzert dann tatsächlich erst auf den Höhepunkten des Satzes im Durchführungsteil erstmals vorkommen, zeigt, dass David durchaus Einfluss auf die Komposition nahm. Mendelssohn legte schließlich ein vollendet geschliffenes Werk vor und überraschte die musikalische Welt mit einigen Neuerungen:

Das Hauptthema des ersten Satzes (Allegro molto appassionato) stellt nicht etwa das Orchester vor, sondern es wird sofort von der Solovioline angestimmt und auch vollständig ausgeführt, ehe es vom Tutti des Orchesters bestätigt wird. Die Kadenz platziert Mendelssohn im ersten Satz nicht etwa an der üblichen Stelle vor der Coda, vielmehr macht er sie zum integrativen Bestandteil der Durchführung. Und während die Solovioline noch die letzten Figurationen der Kadenz ausspielt, setzt das Orchester bereits mit der Reprise des Satzes ein.

Fließende Übergänge fallen auch im weiteren Verlauf des Werkes auf: Direkt aus dem ersten Satz und einem liegen bleibenden Ton des Fagotts heraus lässt Mendelssohn den zweiten Satz (Andante) anheben, ­während der Finalsatz mit einer Überleitung aus dem Material des Seitenthemas des langsamen Satzes beginnt, ehe erst nach 15 Takten tatsächlich das Rondo einsetzt. Und dort webt Mendelssohn in ­Wiederholungen des Rondothemas eine neue Nebenmelodie ein, die einen ziemlich nachhaltigen Eindruck hinterlässt.

Auch im Ausdruck ging Mendelssohn eigene Wege. Seiner ­lyrischen Natur lief ein kämpferisches konzertantes Treiben wohl zuwider, und so legte er schon das Hauptthema des ersten Satzes als eine strömende Kantilene an, die auf den gesamten Charakter des Werkes abfärbt. Alle Steigerungen und Tuttipassagen behalten immer eine gewisse Leichtfüßigkeit und sind duftig instrumentiert, selbst die marschartigen Anklänge im Finalrondo. Zum bewegenden emotionalen und auch dynamischen Höhepunkt gerät somit nicht zufällig der Mittelteil des langsamen Satzes mit einer mollgefärbten Melodik, die sich dramatisch entwickelt und von schmerzhafter ­Harmonik erfüllt ist. Umgeben ist dieses Herzstück von einem der schönen Mendelssohnschen Lieder ohne Worte, das in den Eckteilen des Mittelsatzes «gesungen» wird.

Im ersten Satz folgt auf den melodienseligen Einleitungsteil ein von drehender Bewegung ausgelöster Überleitungsgedanke, ehe die Holzbläser ein berührendes, von leiser Wehmut durchzogenes Seitenthema einführen, das von der Solovioline melodiös ausgekostet wird. In der Durchführung treibt Mendelssohn das Hauptthema in höchste Höhen, dann erfolgt der überraschende Eintritt der Kadenz.

Das Rondo des Finales (Allegro molto vivace) eröffnen, nach der noch im langsamen Satz verhafteten Einleitung, die Bläser und Pauken mit einer Marschfigur, bevor aus den Figurationen der Solovioline das quicklebendige Rondothema hervorhüpft. Wer hier Gestalten aus dem Sommernachtstraum mithüpfen hört, liegt nicht so falsch, denn zweifellos knüpft Mendelssohn mit diesem Rondo an den Charakter seiner Bühnenmusik zu Shakespeares Komödie an. Die zwischendurch einfließende Nebenmelodie ruft noch einmal die schwärmerischen Passagen der ersten beiden Sätze in Erinnerung. Das zweite Thema des Finalsatzes hingegen löst mit seiner rhythmisch markanten Gestalt etwas von dem anfangs angedeuteten Marsch ein und bekommt dann auch die maßgebliche Rolle in der Coda und im Werkausklang zugeteilt.

Ferdinand David spielte am 13. März 1845 die Uraufführung des Violinkonzertes im Leipziger Gewandhaus, Dirigent war Niels W.Gade.   

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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