Johannes Brahms

Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102

Sätze

  • Allegro

  • Andante

  • Vivace non troppo

Dauer

32 Min.

Entstehung

1887

Johannes Brahms wandte sich nach den beiden Klavierkonzerten und dem Violinkonzert noch einmal der Konzertform zu, diesmal für zwei Soloinstrumente, Violine und Violoncello. Aber eigentlich könnte man auch in diesem Fall von einem Solokonzert für ein Instrument sprechen, denn Brahms verschränkte und verschmolz die Stimmen der Violine und des Cellos über weite Strecken wie zu einem Instrument. Der Komponist selber sprach in diesem Zusammenhang sogar von einer «Riesengeige», die hier konzertiere. Die Verbindung der beiden Instrumente zu einer konzertierenden Einheit war also zweifellos seine erklärte Absicht – und nicht so sehr ein Konzertieren im Sinne des «Concertare» von einem «Wettstreit». Oft greifen die Figuren der beiden Soloinstrumente ineinander, die thematischen Anteile werden verschachtelt oder zu einer einzigen melodischen Linie verknüpft. Mehrfach spielen Violine und Violoncello in derselben Lage. Wenn die Instrumente solo spielen, dann stellt dies eine Betonung des jeweiligen Registers – tiefere und hohe Lage – dar.

Werke mit mehr als einem konzertierenden Soloinstrument gibt es im Verlauf der Musikgeschichte von der Barockzeit bis in die Romantik viele, die Form variierte zwischen einem Concerto etwa im Sinne der Brandenburgischen Konzerte Johann Sebastian Bachs mit mehreren aus dem Tutti hervortretenden Solostimmen, dann regelrechten Konzerten wie Bachs Konzert für zwei Violinen und Mozarts «Sinfonia concertante» für Violine und Viola, weiters eine Fülle von Mozart-Vorläufern der konzertanten Symphonie, die vor allem in der Mannheimer Zeit und bei den Pariser und Londoner Konzertveranstaltern Hochkonjunktur hatten, schließlich Beethovens singuläres Tripelkonzert.

Brahms knüpfte in seinem Doppelkonzert a-moll op. 102 am ehesten an Beethovens Form eines durchaus symphonischen Konzerts an. Ursprünglich skizzierte Brahms ohnehin die Ideen in Hinblick auf eine fünfte Symphonie, änderte aber dann den Plan in ein Doppelkonzert, um für zwei hervorragende Instrumentalisten aus seinem Freundeskreis ein Werk zu schaffen. Das Doppelkonzert wurde sein letztes Orchesterwerk überhaupt, so betrachtet wirkt es auf die nachgeborenen Generationen auch wie eine Bilanz, wie eine Summe der Brahmsschen Erfahrungen und Errungenschaften hinsichtlich orchestraler Musik. Insofern ist es vielleicht auch kein Zufall, dass aus einer drängenderen Episode des Seitenthemas im ersten Satz der Beginn der 4. Symphonie von Brahms herausschimmert und dass der Streicherchor im Mittelsatz wie ein verklärter Nachklang auf das berühmte Final-Hauptthema der 1. Symphonie wirkt.

Solchen symphonischen Parallelen steht das Zitat eines Konzertthemas gegenüber, das auch direkt zu einem Anlassgeber der Komposition des Doppelkonzerts führt. Im Holzbläsersatz des Seitenthemas im Kopfsatz ist der Beginn von Giovanni Battista Viottis Violinkonzert Nr. 22 a-moll eingraviert. Dieses Werk schätzte nicht nur Brahms, sondern zählte auch zu den bevorzugten Stücken des Geigers Joseph Joachim, mit dem Brahms eine beinahe lebenslange künstlerische Beziehung verband. Diese Beziehung wollte Brahms, nach einer Phase von Differenzen mit Joachim in privater Hinsicht, wieder ins Lot bringen und er komponierte während seines Sommeraufenthalts im schweizerischen Thun im Jahre 1887 das Doppelkonzert in Hinblick auf eine Aufführung durch Joseph Joachim, die dann auch sehr schnell zustande kam: Noch im selben Jahr, am 18. Oktober, hob es der wieder freundschaftlich gesonnene Joachim zusammen mit dem Cellisten Robert Hausmann und unter der Leitung des Komponisten in einem Gürzenich-Konzert in Köln aus der Taufe. Für Robert Hausmann erfüllte Brahms gewissermaßen einen Auftrag – der Cellist, Mitglied des Joachim-Quartetts, hatte sich nach der Aufführung von Brahms’ Zweiter Cellosonate op. 99 ein Cellokonzert von dem Komponisten gewünscht und bekam nun den Wunsch mit der originellen Variante des Doppelkonzertes erfüllt.

Der Spätstil von Brahms ist bezüglich der Motivgestaltung und -verarbeitung äußerst konzentriert. So lässt sich das komplette thematische Geschehen des Doppelkonzerts auf die beiden Intervalle der Quart und der Quint zurückführen. Am Beginn des ersten Satzes bringt das Orchester symphonisch-wuchtig ein Motto: Zwei punktierte Dreitonfolgen, abwärts gewandt, die erste im Tonraum der Quart, die zweite mit der Quint als abschließendem Intervall. Dem Gesangsthema des zweiten Satzes schickt Brahms dessen Anfangsintervalle, zwei aufsteigende Quarten, voraus; die beiden Haltenoten dieses Eingangsmotivs bilden wiederum den Abstand der Quint. Schließlich kreist auch das Rondothema des Finales, das mit einer Quint aufwärts beginnt, um dieses Intervall und um die Quart, die den zweiten Thementeil bestimmt.

Das Motto im Kopfsatz hat etwas Statuarisches, es ist bereits in den ersten beiden Takten Wesentliches gesagt, aus dem heraus sich der gesamte geistige und musikalische Gehalt des Werkes entwickeln kann. Zunächst bringt das Orchester noch vier aufsteigende Triolenketten, womit auch auf ein wesentliches rhythmisches Merkmal des Werkes hingewiesen wird: den Kontrast von gerader und ungerader Metrik, der sich vor allem in den Soloparts in den für Brahms so bezeichnenden Parallelführungen von Achtel- und Triolennoten äußert. Dann passiert gleich etwas Überraschendes: Statt der kompletten Themenexposition durch das Orchester setzt zunächst das Solo-Cello und daraus hervorgehend die Solo-Violine mit einer kadenzierenden Episode ein. In gemeinsamen Sechszehntel-Ketten führen sie wieder zum Motto hin, auf das nun die vollständige Vorstellung des Hauptsatzes durch das Orchester folgt, an den sich aber ganz unvermittelt und in selber kräftiger Dynamik das später dann lyrische Seitenthema anschließt. Dafür wandeln die Soloinstrumente einmal das heroische Motto in eine geradezu zärtliche Gestalt um. Das kämpferische Moment ist hier einer vollkommen friedlichen Intention gewichen. An diesen Stellen, aber auch mit einem fast schon resignativen, traurigen Auslaufen des Seitensatzes in den Solostimmen erreicht dieser insgesamt kraftvolle und entschiedene Kopfsatz Augenblicke tiefer Verinnerlichung.

Im Mittelsatz werden die kantablen Qualitäten der Streichinstrumente, sowohl der solistischen wie der orchestralen, voll ausgeschöpft. Das serenadenhafte Thema wächst zu einem satten Klangstrom an, der aus der Welt der Streichquintette und Streichsextette Brahms’ zu fließen scheint. Als klanglichen Gegensatz dazu komponierte Brahms im Zentrum des Satzes zwei Episoden für Holzbläser (auch schon das doppelte Quartenmotiv am Beginn des Satzes ordnete er den Holzbläsern und Hörnern zu).

Das Finale hebt mit einer tänzerischen Weise im Violoncello an, die aber durch chromatische Zwischentöne immer wieder um sich selbst zu kreisen beginnt und dadurch ein bisschen einer kollektiven Tanzbewegung im Wege steht. Man könnte von einer «spröden Schönheit» dieser Themengestalt sprechen, der dafür zwei eingängigere Themen gegenübertreten: So will uns Brahms mit einer volksliedhaften Weise in Terzenparallelen seine Gunst erweisen, dann lässt er die Klarinette eine schwärmerische Melodie ins Spiel bringen. Der Großteil des Satzes ist einer solistischen und kammermusikalischen Entfaltung gewidmet, das ganze Orchester tritt nur gelegentlich und an formalen Schnittstellen in Erscheinung. Gewürzt ist der Satz von einem zigeunerhaften Unterton, der ja bei Brahms nicht selten ist und in diesem Fall aus den zeitgleich mit dem Doppelkonzert komponierten «Zigeunerliedern» op. 103 in die Konzertmusik gefunden haben könnte.

© Rainer Lepuschitz | NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H.

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