George Gershwin

«Rhapsody in Blue» für Klavier und Orchester

Dauer

16 Min.

Entstehung

1924/1942

Die Musikgeschichte kennt eine Reihe von Ereignissen, denen man nachträglich historischen Rang einräumte. Oft stellte sich erst mit gewissem zeitlichem Abstand heraus, dass dort etwas geschehen war, was in die Zukunft wirkte. Einer der seltenen Fälle einer angekündigten Revolution war die Uraufführung der «Rhapsody in Blue» von George Gershwin am 12. Februar 1924 in New York. Gershwin war damals 25 Jahre alt und bereits einer der bekanntesten Komponisten von Broadway-Musicals und Revuen. Auf die Bühne eines «klassischen» Konzertsaals aber drängte es ihn damals noch nicht.

Ganz anders Paul Whiteman, der jenes legendäre Konzert in der Aeolian Concert Hall, dem zweiten Haus in New York nach der Carnegie Hall, organisiert und geleitet hatte. Whiteman war einige Jahre älter als Gershwin und hatte seine Musikerkarriere als Geiger in Symphonieorchestern und Leiter einer Militärkapelle begonnen. Nach dem ersten Weltkrieg gründete er ein anfangs neunköpfiges Tanzorchester (nur mit hellhäutigen Musikern), das er bald vergrößerte und mit dem er schnell berühmt wurde. Er hatte einen Musikstil perfektioniert, der sich rhythmischer und klanglicher Mittel des Jazz bediente und unter der Bezeichnung «Symphonic Jazz» vermarktet wurde; damit wurde angedeutet, dass es sich um ausgearbeitete Kompositionen handelte, nicht mehr um Improvisation wie im eigentlichen Jazz, und dass er sich der Klangvielfalt des symphonischen Orchesters annäherte. Viele haben Whiteman Etikettenschwindel vorgeworfen, denn verglichen mit authentischem New-Orleans-Jazz ist seine Musik gezähmt und geglättet und andererseits auch weit von der Komplexität symphonischer Musik entfernt, also eigentlich weder «Jazz» noch «symphonisch». Die künstlerische Qualität seines Ensembles aber ist über jeden Zweifel erhaben.

Dann unternahm Whiteman einen weiteren Schritt: Er wollte eine Brücke zwischen der «popular music» Amerikas und dem Bereich der «Hochkultur» schlagen. Zu diesem Zweck mietete er die Aeolian Hall, um dort ein vielfältiges Konzertprogramm zu präsentieren, das Jazz, Arrangements von Songs und einem Marsch von Elgar und als Höhepunkt eine neue Komposition von Gershwin enthalten sollte. Als Gäste lud er prominente Musiker und Kritiker zu Proben ein, und in der Aufführung am 12. Februar 1924 waren u.a. Strawinski, Rachmaninow, Stokowski, Mengelberg, Heifetz und Fritz Kreisler anwesend.

Whiteman kannte Gershwin schon eine Weile, u. a. hatte er dessen Operneinakter «135th Street» dirigiert, und wusste daher, dass er der ideale Mann für sein Projekt war, nämlich einer, der verschiedene Spielarten der Unterhaltungsmusik souverän beherrschte, aber auch Bach-Fugen spielen konnte und Jazz liebte.

Gemäß der im amerikanischen Musikbetrieb üblichen Arbeitsteilung schrieb Gershwin nicht die Orchesterpartitur, sondern sozusagen eine Version für zwei Klaviere. Die Instrumentierung machte Ferde Grofé, der Arrangeur des Whiteman-Orchesters, der die besonderen Fähigkeiten der verschiedenen Musiker sehr gut kannte. Dabei hielt er ständig Kontakt mit Gershwin, der natürlich eigene Vorstellungen hatte, wie es klingen sollte. Ab 1925 instrumentierte Gershwin dann seine Werke meistens selbst. Nachdem sich die «Rhapsody in Blue» als großer Erfolg erwiesen hatte, wollten sie auch Symphonieorchester spielen; die entsprechende Bearbeitung machte ebenfalls Grofé. In dieser Fassung wird sie heute meistens gespielt.

Die «Rhapsody in Blue» ähnelt grob betrachtet einem einsätzigen Klavierkonzert. Solist und Orchester wechseln einander in der Führung ab, und die meisten musikalischen Gedanken sind nacheinander beiden Partnern anvertraut. Allerdings ist die Komposition nicht nach den «klassischen» Regeln aufgebaut, insbesondere wechseln die Tonarten ziemlich beliebig. Außerdem folgen die verschiedenen «Themen» so schnell aufeinander, dass kaum Platz für ihre «Verarbeitung» bleibt. Deshalb ist die Bezeichnung «Rhapsodie» angemessen. Erkennbar ist aber ein gleichsam natürlicher Formverlauf mit einer Eröffnung, die schon einige der wichtigsten Ideen vorstellt, aber noch etwas zögernd; gefolgt von einem abwechslungsreichen schnellen Hauptteil. Die zweite Hälfte bilden eine langsamere, gesangliche Episode und ein voran drängender kurzer Schlussteil, der überwiegend auf bereits bekannte Motive zurückgreift.

Bei der Instrumentierung ist in der Fassung für großes Orchester viel vom «Sound» des Whiteman-Ensembles erhalten geblieben, nicht nur wegen der Saxophone und des Schlagwerks, sondern weil die führenden Stimmen im Orchester Klarinette, Trompete und Posaune sind. Die Streicher dagegen treten außer in der langsamen Episode weitgehend zurück.

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Peter Sarkar

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