Johannes Brahms

Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98

Sätze

  • Allegro non troppo

  • Andante moderato

  • Allegro giocoso

  • Allegro energico e passionato - Più allegro

Dauer

45 Min.

Entstehung

1884/85

Johannes Brahms scheute sich lange Zeit davor, Symphonien zu komponieren. An den befreundeten Hermann Levi schrieb er in einem Brief: «Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.» Mit dem Riesen war Beethoven gemeint, dessen kompositorische und vor allem symphonische Hinterlassenschaft Brahms als übermächtig empfand. Er umging lange Zeit die Symphonie, wich ihr aus, obwohl es ihn zu ihr drängte. Die Monumentalität des 1. Klavierkonzertes ist darauf zurückzuführen, dass Brahms mit dem musikalischen Material ursprünglich symphonische Pläne hatte. Und als der junge Komponist für das Orchester in Detmold komponierte, verbarg er seine symphonischen Ambitionen hinter der Bezeichnung Serenade, auch wenn das Werk großteils als veritable Symphonie daherkommt.

Dort, wo er sich sicher fühlte, in der Komposition von Variationen, bahnte sich Brahms dann mit den für Orchester instrumentierten Haydn-Variationen den Weg zur Symphonie. Den schon sehr weit gediehenen Entwürfen zum Kopfsatz seiner ersten Symphonie c-moll folgten allerdings noch einmal eineinhalb Jahrzehnte Wartezeit, ehe es Brahms wagte, die Symphonie zu vollenden und 1876 der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das war der Durchbruch, dem nun in kurzen Abständen zahlreiche symphonische Werke folgten: In den folgenden elf Jahren drei weitere Symphonien (D-Dur, F-Dur,  e-moll), zwei Ouvertüren («Tragische» und «Akademische»), das Violinkonzert D-Dur, das 2. Klavierkonzert ­B-Dur und das Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-moll.

Die Symphonie Nr. 4 e-moll op. 98 komponierte Brahms während der Sommermonate 1884 und 1885 in Mürzzuschlag in der Steiermark, er selbst dirigierte die Uraufführung am 25. Oktober 1885 in Meiningen mit der berühmten Hofkapelle. Auf einer Tournee des Orchesters durch Deutschland und die Niederlande fand die Symphonie schnelle und große Verbreitung. Die berühmt gewordenen ersten vier Töne des Werks mit ihrer abfallenden großen Terz und aufsteigenden kleinen Sext sind eine Art Leitmotiv; Details daraus erlangen in verschiedenen Formen in der gesamten Symphonie Bedeutung, vor allem die fallende Terz, die in mehreren Folgen wieder auftritt, aber auch die Quint zwischen erstem und drittem Ton, die den Umfang der Hauptthemen aller drei folgenden Sätze festlegt. Im Aufbau der Symphonie fällt auf, dass die klassische Sonatenhauptsatzform in allen vier Sätzen durchschimmert, aber nirgends in der traditionellen Art erhalten ist.

Der Kopfsatz (Allegro non troppo) verbindet die Sonatensatz-Disposition (Hauptthema, Seitenthema und Schlussgruppe in einer Exposition, Durchführung, Reprise der Exposition und Coda) mit mehreren Variationsreihen, wobei das viertönige Hauptmotiv eine Vielzahl von Metamorphosen erlebt. Die herkömmliche Festsetzung von thematischem Material in der Exposition reicht Brahms nicht mehr aus, eigentlich beginnt das Variieren schon mit dem zweiten, veränderten Auftreten des Hauptmotivs. Dieses doppelgleisige Verfahren bewirkt den ungemein dichten, verschlungenen und verwobenen Charakter der Musik.

Der zweite Satz (Andante moderato) wird von einem ernsten, feierlichen The­ma in den Bläsern eingeleitet und bringt dann, wie in einem Sonatensatz, ein Seitenthema. In der Folge baut Brahms auf dem Terzintervall unruhigere Episoden auf, ehe nunmehr die Streicher in einem lan­gen, choralhaften Abschnitt das ernste Bläserthema in eine tröstliche Stimmung umwandeln. In diesem Satz fällt durch gele­gentliche Färbungen in der phrygischen Kirchentonart schon ein sakraler An­klang auf, der dann im Finale seine Bestätigung findet.

Als dritten Satz (Allegro giocoso) komponierte Brahms eine Art Burleske. Die grundlegende C-Dur-Fröhlichkeit des Satzes wird durch rhythmische Akzente und dynamische Kontraste mitunter ins Übertriebene gesteigert. In der klanglichen Gestaltung wird das Instrumentarium gegenüber den sonstigen Sätzen um Piccoloflöte, Kontrafagott, eine dritte Pauke und Triangel erweitert. Brahms verbindet Elemente der Sonatenhauptsatzform mit dem Rondo. Seitensatzgruppen erfüllen die Funktion der Couplets, während das Hauptthema in verschiedenen Abstufungen vom strahlenden Jubel bis zu graziler Bewegung aufscheint.

Im Finalsatz (Allegro energico e passionato) baut Brahms auf einem Thema aus der Bach-Kantate «Nach Dir, Herr, verlanget mich» (BWV 150) eine grandiose Passacaglia auf, die mit ihrem Charakter des unentwegt Fortschreitenden offenbar die Unendlichkeit des Todes gegenüber der Vergänglichkeit des Lebens darstellt. Blechblasinstrumente, die zuvor nicht zum Einsatz kamen, exponieren die sakralmusikalischen Themen: Posaunen, die schon seit dem 17. Jahrhundert und später etwa auch in der Salzburger Kirchenmusikpraxis der Mozart-Zeit ein besonderes Klangsymbol religiöser Musik waren. Das Passacaglia-Thema erlebt 30 Variationen, Brahms kehrt also auch in seinem letzten Symphoniesatz zu der von ihm so geschätzten Form der Variation zurück. Die Bläser führen – wie im zweiten Satz – das Thema ein. Die Form eines Sonatensatzes erzielt Brahms hier über den Umweg von differenzierter Gestaltung des einzigen Themas in den klanglichen, dynamischen, harmonischen und rhythmischen Bereichen. Der Satz erlangt in der Flötenvariation und der folgenden Variation von Oboe, Klarinette und Celli eine innige und tieftraurige Phase, aus der die Bläsergruppe mit der Wiederkehr der entschiedenen Gestalt des Satzbeginns herausführen. Bis zu den markanten Schlussvariationen und zum letzten Akkord behält Brahms aber eine dunkle Stimmung bei.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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