Archiv: Bernstein & Friends

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Sharon Kam, Klarinette
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

George Gershwin und Aaron Copland: zwei der bedeutendsten Vaterfiguren in der amerikanischen Musik des 20. Jahrhunderts. Mit ihrer neugierigen Offenheit für populäre Klänge, etwa die Vielfalt des Jazz, waren sie wichtige Vorbilder auch für Leonard Bernstein. Als Gershwin 1937 starb, spielte der niedergeschmetterte 19-jährige Bernstein in einem Ferienlager zum Gedenken spontan ein Gershwin-Prelude, und als er wenige Monate später den schon arrivierten, 37-jährigen Copland kennenlernte, begann damit eine lebenslange Künstlerfreundschaft. Coplands traumhaftes Klarinettenkonzert mit der brillanten Sharon Kam bildet das Herzstück dieses «amerikanischen» Programms unter Yutaka Sado – mit Auszügen aus Gershwins Opernmeilenstein «Porgy and Bess» und seinem heiteren Ausflug in die Seine-Metropole als «American in Paris». Das Finale aber bilden die Symphonischen Tänze aus jenem singulären Werk, mit dem sich Bernstein zugleich in die Geschichte des Broadway, des Films und der modernen Oper eingeschrieben hat: der «West Side Story».

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George Gershwin

Symphonic Picture aus der Oper «Porgy and Bess» (Bearbeitung: Robert Russell Bennett)

Dauer

24 Min.

Entstehung

1933-35/1942

George Gershwin hatte eigentlich den Namen Jakob und war ein Sohn eines russischen Einwandererehepaares. Der Vater trug noch den Familiennamen Gershovitz, als er Ende des 19. Jahrhunderts, aus St. Petersburg kommend, in New York amerikanischen Boden betrat. Einer der Vorfahren Gershwins war Rabbiner. Jakob, der von allen George gerufen wurde, flitzte als Kind mit Rollschuhen durch die Straßen von New York. Es waren die fahrbaren Untersätze, die ihn zur Musik trugen. Bei einem Ausflug in die 125th Street in Harlem entdeckte der sechsjährige Bub einen Musikautomaten, der nach Einwurf einer Münze beliebte Musikstücke wiedergab. Das erste, was George Gershwin zu hören bekam, war die populäre «Melodie in F» des russischen Komponisten und Pianisten Anton Rubinstein. Die russische Kantilene weckte die musikalische Empfindung des New Yorker Knaben mit russischen Vorfahren. Er begann wie selbstverständlich auf dem von der Mutter angeschafften Klavier zu spielen, erhielt eine klassische Ausbildung am Klavier durch einen Musiker namens Charles Hambitzer, hörte berühmten Pianisten wie Leopold Godowsky in Konzerten zu, entwickelte aber gleichzeitig eine Leidenschaft für kurze, eingängige Melodien wie jene von Rubinstein und begann als 15-Jähriger, Songs nach dem Vorbild von Irving Berlin und Jerome Kern zu schreiben.

In die musikalische Lehre ging George Gershwin an keinem Konservatorium, sondern in der legendären Tin Pan Alley zwischen Broad-way und 5th Avenue in Manhattan. Er heuerte bei einem der vielen dort ansässigen Musikverlage als so genannter Song Plugger an. Ein harter Job – der Song Plugger musste die neuesten Schlager auf dem Klavier Interessenten (Sängern, Instrumentalisten, Kapellmeistern) vortragen, damit diese die Noten kauften und die Rechte zum Vortrag erwarben. George Gershwin war gewissermaßen eine lebendige Music Box, der Melodien von Berlin, Kern, Sousa und Hammerstein aus dem Handgelenk schüttelte und dabei das Gespür für den wirkungsvollen Aufbau und Verlauf einer Melodie bekam. Der junge Mann knüpfte Kontakte mit Komponisten und mit aufstrebenden darstellenden Künstlern wie dem Geschwisterpaar Fred und Adele Astaire.

Ein Song machte den jungen Gershwin über Nacht in ganz Amerika und auch in Großbritannien berühmt: «Swanee», verbreitet vom bekanntesten Broadway-Showman, Al Jolson. Gershwin war damals 21 und bereits mit dem Musical «La La Lucille» auf dem Broadway gelandet. Rund 25 weitere Musicals ließ er in den nächsten 15 Jahren folgen, darunter «Lady, Be Good», «Show Girl», «Girl Crazy» oder «Strike Up The Band». In den Orchesterensembles wirkten herausragende Musiker wie der Klarinettist Benny Goodman, der Posaunist Glenn Miller und der Schlagzeuger Gene Krupa mit. Die Musicals gerieten in Vergessenheit, Songs daraus überlebten und wurden zum Teil zu Jazz-Standards.

Die Musikgeschichte aber wirbelte Gershwin gehörig auf, indem er seine kompositorische Begabung bald auch dem klassischen musikalischen Formenkanon angedeihen ließ. Im Februar 1924 kündigte der «King of Jazz», wie der Bandleader Paul Whiteman genannt wurde, für einen Abend unter dem Titel «Was ist amerikanische Musik?» in der Aeolian Hall in New York eine Komposition des 26-jährigen Gershwin für Jazzband und Piano an. Gershwin, ein begnadeter Rag-Pianist, der leidenschaftlich gerne bei Partys am Klavier improvisierte, spielte nun seine «Rhapsody in Blue» vor einem überaus prominenten Publikum, darunter die Komponisten Sergej Rachmaninow und Ernest Bloch, der Geiger Fritz Kreisler und die Dirigenten Willem Mengelberg, Leopold Stokowski und Walter Damrosch. Die Uraufführung der Rhapsodie, die der Arrangeur der Whiteman-Band, Ferde Grofé, für ein 23 Personen starkes Orchester instrumentierte, geriet zur Sensation. Amerika, dessen Konzertleben hauptsächlich von europäischen Interpreten und Werken geprägt war, feierte in Gershwin ein junges «amerikanisches Originalgenie».

Intuitiv bewegte sich Gershwin fürderhin mit sicherer Hand durch die Genres der Konzertmusik. Der «Rhapsody in Blue» ließ er innerhalb weniger Jahre Orchesterstücke wie «An American in Paris» und die «Cuban Overture» sowie weitere Werke für Klavier und Orchester, das Concerto in F, die «Second Rhapsody» und die «I got rhythm»-Variationen folgen. Sein Ruhm als Komponist verbreitete sich rasant. Auch in der alten Welt brachte man dem jungen Amerikaner Anerkennung entgegen, wie er bei Reisen durch Europa in Paris, London, aber auch in Berlin und Wien feststellen konnte. Es kam zu Begegnungen mit Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Kurt Weill, Alban Berg, Maurice Ravel, Igor Strawinski, Francis Poulenc, Darius Milhaud, Arthur Honegger und Sergej Prokofjew.

Gershwin sog begierig musikalische Eindrücke aus Europa auf. Er hörte Streichquartettmusik von Schönberg und Berg, erlebte in Wien Kreneks Oper «Jonny spielt auf» – und wollte Unterricht bei Ravel, Strawinski und Nadja Boulanger nehmen, da er das Gefühl hatte, noch keine «seriöse» musikalische Ausbildung erfahren zu haben. Ravels Reaktion, dass es ein «erstklassiger Gershwin» doch nicht nötig habe, ein «zweitklassiger Ravel» werden zu wollen, ist symptomatisch für den Respekt, mit dem man dem unverwechselbaren musikalischen Stil Gershwins begegnete.

Seine unerschöpfliche melodische Fantasie lebte Gershwin so wie in den Songs auch in den Orchester- und Konzertwerken aus. Elemente aus der amerikanischen Unterhaltungsmusik vermochte er mit Einflüssen spezifischer ethnischer Musikrichtungen zu verbinden. Immer adelte Gershwin das, was er in seine Musiksprache aufnahm, durch seine kompositorische Inspiration. So schrieb er mitreißende Jazz-Songs, hatte einen innigen Blues und verfasste hochwertige und gleichzeitig berührende Gospels und Spirituals. «Musik war das, was sein Gefühl erweckte, und Musik war das Gefühl, das er ausdrückte», schrieb niemand Anderer als Arnold Schönberg nach dem frühen Tod Gershwins im Jahre 1937 – es könne kein Zweifel darüber bestehen, dass Gershwin ein großer Komponist gewesen sei: «Was er vollbrachte, kam nicht nur der amerikanischen Musik zugute, sondern es war auch ein Beitrag zur Musik der ganzen Welt.»

Bereits in den Zwanzigerjahren hatte sich Gershwin für den Roman «Porgy» von Edwin DuBose Heyward interessiert, in dem das Leben der Schwarzen am Rande der Gesellschaft geschildert wird. Heyward siedelte in der herunter gekommenen Catfish Row der Stadt Charleston in South Carolina den Konflikt zwischen einer fleißigen Gruppe an, die versucht, vom Fischfang oder vom Straßenhandel zu leben, und diversen vom Weg Abgekommenen, die mit Gaunereien oder auch mit Brutalität ihr Überleben sichern. Die Dreiecksgeschichte zwischen der schönen Bess, dem skrupellosen Crown und dem behinderten Porgy, als Sinnbild von verzweifelter Suche nach dem Glück und einem noch verzweifelteren Kampf auf Leben und Tod, wurde von Heyward zwei Jahre nach Erscheinen des Romans bereits in einem Theaterstück weiter verarbeitet, weshalb Gershwin mit seinem schon damals entflammten Interesse an dem Romanstoff zur Vertonung einer Oper zurückstand. Zehn Jahre später aber war der Zeitpunkt gekommen, das Projekt der Oper in Angriff zu nehmen, wobei Heyward selbst die Erstellung des Librettos zu «Porgy and Bess» übernahm und Gershwins Bruder Ira, sein verlässlicher Dichterpartner in den Musicals, einige Songtexte beisteuerte.

Zur Komposition übersiedelte Gershwin von seiner mondänen Wohnung in New York in eine bescheidene Unterkunft auf einer kleinen Insel nahe Charleston, wo der Komponist mit der schwarzen Bevölkerungsgruppe der Gullahs in Berührung kam, deren Lebens-umstände und Lebensgewohnheiten Heyward zu seinem Roman angeregt hatten. Gershwin erlebte unter anderem Gebetszeremonien der Schwarzen in einem zum Kirchenraum umgewandelten Schuppen mit und ließ sich nicht nur vom Erlebnis der sozialen Verhältnisse der Gullahs, sondern auch von ihren musikalischen Gebräuchen inspirieren – etwa von der Gepflogenheit, das Gebet mit mehreren verschiedenen Melodien anzustimmen …

Gershwin fing die sozial angespannte Atmosphäre, wie sie von Heyward geschildert wird, auf nahe gehende musikalische Weise ein: Episoden, in denen Angst und Traurigkeit der Menschen der Catfish Row zum Ausdruck kommen, gehen über in brillante Stücke, aus denen die Kunst des Überlebens herausklingt, und werden kontras-tiert von Passagen, in denen die stürmische Gewalt der Natur und die seelische und körperliche Gewalttätigkeit der Menschen losbricht.

Die maßgebliche New Yorker Erstaufführung von «Porgy and Bess» im Oktober 1935 hinterließ bei den Kritikern den Eindruck, es handle sich bei dem Werk um eine halbherzige Mischung aus Musical und Oper. Als eine Art Werbung für die Oper, die mehr schlecht als recht am Broadway lief, ist eine fünfteilige Orchestersuite zu ver- stehen, die Gershwin anfertigte und die 1936 vom Philadelphia Orchestra aufgeführt wurde. Sie konnte nicht verhindern, dass «Porgy and Bess» am Broadway abgesetzt wurde.

1942, fünf Jahre nach Gershwins frühem Tod, schuf Robert Russell Bennett (1894 – 1981), der sich als Arrangeur und Orchestrator von vielen Broadway- und Hollywood-Komponisten einen Namen gemacht und auch mit seinem Freund Gershwin zusammengearbeitet hatte, eine durchgängige Suite unter dem Titel «Porgy and Bess: A Symphonic Picture». In ihr finden sich die Hits der Oper wie «It Ain’t Necessarily So», «I Loves You, Porgy», «I Got Plenty of Nuttin’» und natürlich «Summertime» zu einer spannenden Tondichtung verbunden. Bennett hielt sich in der Reihenfolge der bearbeiteten Songs und Chöre nicht an die Chronologie der Opernereignisse, sondern folgte eher musikalischen Kriterien, wie etwa passenden Tonartenfolgen und dynamischen Kontrasten. Gershwins Musik er-hält in Bennetts Fassung, in der die Orchesterbesetzung gegenüber der Oper deutlich vergrößert ist, eine enorme epische Intensität. Wirkungsvoll setzte Bennett Banjo, Trompete, Hörner, Saxophon oder Klarinetten als Soloinstrumente ein. «Summertime» wird zunächst chorisch von den Violinen und dann von der Oboe «gesungen». Bennetts Symphonic Picture entstand für das Pittsburgh Symphony Orchestra und dessen Dirigenten Fritz Reiner. Die bestellte Länge der Suite betrug exakt 24 bzw. 6 x 4 Minuten, damit die Musik auf drei der damals handelsüblichen Schellackplatten Platz hatte.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Aaron Copland

Konzert für Klarinette und Streichorchester mit Harfe und Klavier

Sätze

  • Slowly and expressively - Cadenza

  • Rather fast

Dauer

17 Min.

Entstehung

1948

Aaron Copland  wird in Europa bis heute nur am Rande wahrgenommen, in den USA gilt er hingegen als eine Zentralfigur der Musik des 20. Jahrhunderts und Schöpfer eines spezifisch amerikanischen Sounds. Copland, in Brooklyn als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer aus Litauen aufgewachsen, war schon als Kind vom spezifischen New Yorker Mix aus Synagogalmusik, Klezmer und den Ragtimes der Dance Bands fasziniert. Bei den Klavierstunden seiner Schwester saß er unter dem Instrument und konnte seine Eltern überzeugen, auch ihn, das jüngste von fünf Kindern, unterrichten zulassen. Später begann er, Harmonielehre bei Karl Goldmarks Neffen Rubin zu studieren, war aber enttäuscht, als dieser ihn fernhalten wollte von der amerikanischen Avantgarde, wie sie etwa ein Charles Ives verkörperte. So ging Copland 1920 nach Paris, von wo aus Igor Strawinski in der musikalischen Welt großes Aufsehen erregte. Nadia Boulanger bestärkte ihn als Kompositionslehrerin darin, seine amerikanischen Wurzeln, also Klezmer und Jazz, nicht zu verschmähen, sondern in seinen Stil zu integrieren. Copland nahm sich dabei nicht zuletzt Strawinskis freien Umgang mit russischer Volksmusik zum Vorbild. Und die Bekanntschaft mit dem großen Dirigenten Serge Kussewitzky, der gerade die Chefposition beim Boston Symphony Orchestra antreten sollte, verhalf Copland zu seinem ersten großen Auftrag in den USA, der Orgelsymphonie (1924). Rasch wurde er durch die Jazz-Anklänge in seinen Werken zum Enfant terrible und «musical anarchist» der großen bürgerlichen Konzertsäle, um bald darauf mit hartem, dissonanzreichem Expressionismus der Moderne Tribut zu zollen. (Der 18 Jahre jüngere Leonard Bernstein, menschlich und künstlerisch seit ihrer ersten Begegnung 1937 eng mit Copland verbunden, pflegte auf Parties mit großer Inbrunst Coplands «Piano Variations» zu spielen, ein hochkomplexes Werk, das stark von Arnold Schönberg beeinflusst ist – und vertrieb damit regelmäßig die Gäste.) In der Folge brachten Coplands linke politische Gesinnung und nicht zuletzt eine Mexiko-Reise im Jahr 1932 den Komponisten zu der Überzeugung, dass man auf die Volksmusik zugehen müsse, wenn man das Volk erreichen wolle: Das folkloristisch-symphonische Stück «El Salón México» wurde im Nu ein weltweiter Erfolg, und Copland begann, eine typisch amerikanische Tonsprache zu entwickeln, die durch ihre Integration von Cowboyliedern und -tänzen in einen transparent gehaltenen orchestralen Stil das unmittelbare Verständnis eines breiten Publikums ermöglichte. Die Ballette «Billy the Kid», «Rodeo» (1942) und insbesondere «Appalachian Spring» (1944) wurden durch ihre spezifisch amerikanischen Themen zu Coplands populärsten Werken, Seite ans Seite mit der berühmten «Fanfare for the Common Man» (1942), einem patriotischen Beitrag während des Zweiten Weltkriegs, oder Filmmusiken zu so bekannten Streifen wie etwa «The Heiress» (dt. «Die Erbin», mit Olivia de Haviland und Montgomery Clift), welche Copland 1950 einen «Oscar» eintrug. In der McCarthy-Ära der 1950er-Jahre wurde er freilich, genau wie Leonard Bernstein und viele andere amerikanische Linksintellektuelle, wegen echter oder angeblicher kommunistischer Kontakte und Homosexualität (der «Ausschuss für unamerikanische Umtriebe» des Repräsentantenhauses sah da keine großen Unterschiede) drangsaliert und verfolgt. Erst 1975 wurden die Ermittlungen offiziell eingestellt. Im Jahre 1947 bestellte der Jazz-Klarinettist Benny Goodman für ein Honorar von 2000 Dollar ein Klarinettenkonzert bei Copland und ließ ihm musikalisch völlig freie Hand. Dennoch hat Copland in dem Werk viele Jazz-Elemente verarbeitet, und zwar ganz bewusst ohne auf einschlägiges Instrumentarium zurückzugreifen: «Da die Orches­trierung sich auf Klarinette, Streicher, Harfe und Klavier beschränkt, hatte ich kein großes Schlagzeug zur Verfügung, um Jazz-Effekte zu erzielen. Also verwendete ich ‹slapping basses› [so genannte Bartók-Pizzicati, bei denen die Saite auf dem Griffbrett aufschlägt, Anm.] und geschlagene Harfenklänge, um diese zu simulieren. Das Klarinettenkonzert endet mit einer ziemlich umfangreichen Coda in C-Dur, die mit einem Klarinettenglissando endet – oder ‹smear› in der Jazz-Sprache.»

Das Konzert hat zwei Sätze, die durch eine exakt ausnotierte, große Solokadenz verbunden sind. Der erste ist langsam in dreiteiliger Liedform, wobei seine bittersüß-elegischen Kantilenen laut Eingeständnis des Komponisten durch Gefühle von Einsamkeit und sozialer Ächtung inspiriert sein mögen, die Copland wegen seiner Homosexualität erleben musste. Die Kadenz gibt daraufhin dem Solisten Gelegenheit, seine Virtuosität zu demonstrieren und stellt gleichzeitig das Material des zweiten Satzes vor, eines freien Rondo, das von lebhaften Jazzthemen beherrscht wird, wobei Copland das Ganze als «unbewusste Verschmelzung von Elementen nord- und südamerikanischer Popularmusik» deutete, in der er  eine in Rio de Janeiro gehörte melodische Phrase eines aktuellen Songs mit verarbeitet hat.

Dass Benny Goodman mit der Uraufführung länger gezögert hat, hängt jedenfalls mit den enormen technischen Ansprüchen des Werks zusammen; erst einige Erleichterungen des Soloparts ebneten der Rundfunkübertragung vom 6. November 1950 mit Goodman und dem NBC Symphony Orchestra unter Fritz Reiner den Weg. Heute zählt das Klarinettenkonzert von Aaron Copland längst zu den beliebtesten und meistgespielten seines Genres.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

George Gershwin

«An American in Paris»

Dauer

16 Min.

Entstehung

1928

Trotz der ständigen Bewegung seines Lebens war Gerswhin im Hier und Jetzt daheim. So meinte er: «My people are Americans and my time is today». Er lebte und komponierte für den Augenblick. Die Inspirationen für seinen unerschöpflichen Melodienreichtum lagen im Leben, im Alltag, in jeder Situation.

So hinterließen auch die fünf Europa-Reisen einen deutlichen Abdruck in seinen Partituren. Bei zwei von jenen Aufenthalten in Europa hielt sich Gershwin auch in Paris auf; und nicht nur die Musik von Maurice Ravel bedeutete ihm sehr viel. Zwei der schönsten Gershwin-Anekdoten haben mit Paris bzw. Gershwins vergeblicher Suche nach einem prominenten Lehrer zu tun: Maurice Ravel meinte: «Sie sind ein erstklassiger Gershwin, warum wollen Sie ein zweitklassiger Ravel werden?» Igor Strawinski fragte ihn nach seinem Einkommen, und konstatierte schließlich: «Dann sollte eher ich bei Ihnen studieren.

«An American in Paris» (Uraufführung 1928 in New York) beinhaltet somit auch ein wenig Autobiografisches. Das Treiben auf den Champs-Élysées, Autohupen, ein stiller Platz vor einer alten Kirche, ein Tanzcafé – Gershwins Tondichtung verarbeitet und verdichtet eine Reihe von Bildern, die ihm, dem damals noch nicht 30-jährigen, im Gedächtnis geblieben waren. Bis heute ist das Stück nicht nur ein Melodienreigen zwischen Jazz und Klassik, sondern hat geradezu identitätsstiftende Funktion erhalten: Die USA dürfen sich in dieser Viertelstunde Musik porträtiert, gespiegelt und liebevoll aufs Korn genommen fühlen.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Albert Hosp

Leonard Bernstein

Symphonische Tänze aus dem Musical «West Side Story»

Sätze

  • Prologue

  • «Somewhere»

  • Scherzo

  • Mambo

  • Cha-Cha

  • Meeting Scene

  • «Cool», Fugue

  • Rumble

  • Finale

Dauer

22 Min.

Entstehung

1960

Leonard Bernstein zählte nicht nur in den USA, sondern weltweit zu den beliebtesten Dirigenten seiner Zeit. Auch in Wien war Bernstein seit den 1960er Jahren regelmäßig zu Gast, um Konzerte und Opern zu dirigieren. Während die anderen beiden Komponisten des heutigen Abends, Samuel Barber und William Walton, vor allem als Komponisten Berühmtheit erlangten und sich ihre sonstigen Aktivitäten weniger im Bewusstsein hielten, ist Leonard Bernstein bis in die Gegenwart als eines der musikalischen Universalgenies des 20. Jahrhunderts anerkannt. Seine Kompositionen werden zwar heute nicht mehr in ihrer Gesamtheit gespielt, doch in größerer Menge, als man hierzulande denken würde. Sein Werdegang ist rasch erzählt: Leonard Bernstein studierte in Harvard Klavier und Komposition, wurde 1943 Assistenzdirigent von Artur Rodzinski in New York, sprang wenig später kurzfristig für den erkrankten Bruno Walter ein und gelangte so gewissermaßen über Nacht zu landesweiter Bekanntheit. Er war in der Folge mehr als zehn Jahre Chefdirigent des New York Philharmonic und leitete in dieser Funktion (und darüber hinaus) mehr als 50 so genannte Young People’s Concerts, Lehrsendungen für Kinder und Jugendliche (und Erwachsene), die in vergleichbarer Qualität nirgendwo sonst zu erleben waren. Vor allem nach Wien bestand zeitlebens eine enge Verbindung mit den Wiener Philharmonikern, die sich auch in vielen Platten- und Videoaufnahmen manifestierte. Beliebtheit über die klassischen Konzertsäle hinaus erlangte Bernstein durch das Musical – dessen Qualität und musikalischer Anspruch freilich in keiner Weise mit späteren, allzu simpel gestrickten, einfallslosen Machwerken gleichen Namens zu vergleichen ist. Nach «On the Town» (1944) folgte 1953 «Wonderful Town» und schließlich 1957 sein vielleicht größter Erfolg, «West Side Story».  Diese moderne Romeo-und-Julia-Geschichte, übertragen auf rivalisierende Banden in New York (in der Urfassung noch «East Side Story» genannt), zählt seit ihrer Uraufführung am 26. September 1957 am New Yorker Winter Garden Theater zu den Meilensteinen des Genres. Die Handlungsdichte und musikalische Vielfalt, die Bernstein gemeinsam mit Stephen Sondheim (Gesangstexte), Arthur Laurents (Buch) und Jerome Robbins (Choreographie) erarbeitet hat, ist bis heute unübertroffen. Das Stück spielt im Manhattan der 1950er Jahre. Tony (von den amerikanischen Jets) und Maria (von den puertoricanischen Sharks) verlieben sich ineinander. Darüber entspinnt sich eine Kette unglücklicher Rivalitäten und Zufälle, die schließlich zu Tonys Tod führt und darüber zur (momentanen) Versöhnung und zum Einsehen der verfeindeten Banden. In den ersten zwei Jahren wurde die «West Side Story» en suite gespielt und brachte es in New York auf 772 Aufführungen. Marcel Prawy brachte schließlich 1968 das Musical als deutschsprachige Erstaufführung nach Wien.

1960 zog Bernstein einige Nummern zu einer Orchestersuite zusammen, die in der Abfolge den Geschehnissen des Musicals folgen. Die Symphonischen Tänze wurden bei einer Gala zu Ehren von Leonard Bernstein vom New York Philharmonic unter Lukas Foss am 13. Februar 1961 erstmals aufgeführt und zählen heute zu den populärsten Orchesterstücken des Komponisten.

Die Suite wird mit dem Prologue (Allegro moderato) eröffnet, dem Tanz der Jets und Sharks. Damit wird die gefahrvolle Welt der konkurrierenden Banden vorgestellt, die sich auch musikalisch in einer unklaren Zwischenwelt aus Dur und Moll in greller Instrumentierung mit allerlei Schlagwerk und gehetzten, knappen rhythmischen Gesten ausdrückt. An zweiter Stelle folgt eines der populärsten Lieder aus der Feder Leonard Bernsteins, «Somewhere» (das im Musical erst im zweiten Akt kommt, Adagio), der Traum eines Mädchens von einer friedfertigen, einträchtigen Welt. Das Scherzo (Vivace e leggiero) steht im Musical vor dem Lied und nimmt genau diese erträumte Stimmung vorweg, indem es beide Welten musikalisch auf schlichte Weise miteinander verbindet. Aus Mambo (Meno presto) und Cha-Cha (Andantino con grazia), einer Szene in der Sporthalle, wo sich beide Gangs jeweils auf einer Seite versammeln, entwickelt sich schließlich die erste Begegnung von Tony und Maria (Meeting Scene, Meno mosso): ein zartes Aufeinanderzugehen in schlichten Orchesterfarben. Bernstein bereitet im Orchester auch schon Tonys späteres Lied «Maria» vor (nicht in der Suite enthalten), das mit seinem Auftauchen am Ende des Mambos angedeutet und im Cha-Cha und in der Meeting Scene deutlich zu erkennen ist. Die weitere Liebesgeschichte bleibt in den Symphonischen Tänzen ausgespart, zunächst kommen in der «Cool» Fugue (Allegretto) die verfeindeten Banden wieder zum Zug, die Bernstein in einer jazzigen Fuge (deren Hauptthema alle zwölf Noten der chromatischen Tonleiter enthält) zusammenfasst, die sich schließlich im Nichts verliert. Der Rumble (Molto Allegro), im Stück am Ende des ersten Aktes, umreißt in knapper, dramatisch hochgepeitschter Form die unselige Rauferei mit zwei Morden: Bernardo bringt Riff um, zehn Takte später tötet Tony schließlich Bernardo. Das Finale (Adagio) bezieht sich auf das Ende der Love-Story: Tony ist tödlich verwundet und stirbt in den Armen von Maria. Die Geschichte endet in einer Art Prozession über dumpfen Bassnoten, in einer letztlich trügerischen Einheit, deren Bestand gefährdet ist. Musikalisch drücken das die zarten C-Dur-Akkorde in hoher Lage aus; tief darunter erklingt ein Fis im Bass, als desolate, unruhige Basis einer unklaren Zukunft.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind