Archiv: Mahler 2

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Daniela Fally, Sopran
  • Elisabeth Kulman, Mezzosopran
  • Slowakischer Philharmonischer Chor
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Gustav Mahlers sogenannte «Auferstehungssymphonie» sprengte seinerzeit musikalische Konventionen. «Wenn das noch Musik ist, dann verstehe ich nichts mehr von Musik», urteilte Hans von Bülow, doch schon der konservative Johannes Brahms ernannte Mahler zum «König der Revolutionäre». Der Komponist hielt sein Werk für so bedeutend, dass er sich 1907 damit aus Wien verabschiedete. Die abendfüllende Symphonie mit dem längsten aller Finalsätze aus Mahlers Feder erklingt in exquisiter Besetzung mit Daniela Fally, Elisabeth Kulman und dem Slowakischen Philharmonischen Chor, dirigiert von Chefdirigent Yutaka Sado.

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Gustav Mahler

Symphonie Nr. 2 c-Moll für Sopran- und Alt-Solo, Chor und Orchester «Auferstehungssymphonie»

Sätze

  • Allegro maestoso. Mit durchaus ernstem und feierlichen Ausdruck

  • Andante moderato. Sehr gemächlich. Nie eilen

  • In ruhig fließender Bewegung

  • Urlicht. Sehr feierlich, aber schlicht. Nicht schleppen

  • Im Tempo des Scherzo, wild herausfahrend

Dauer

80 Min.

Gustav Mahler benötigte zur Komposition seiner 2. Symphonie nicht weniger als sechs Jahre, was sehr ungewöhnlich ist, denn er konnte eine ganze Symphonie in einem einzigen Sommer komponieren, wie er es später bewies, als er Hofoperndirektor war. Anfang 1888 begann er in Leipzig mit einem Stück, das er auch als eigenständige symphonische Dichtung verwendete: mit der «Todtenfeier». Sie wurde zum 1. Satz der Symphonie Nr. 2, in welchem «der Held der 1. Symphonie zu Grabe getragen wird». Es folgte eine mehrjährige Pause – «die lange Unterbrechung, die mir aufgezwungen wurde». Für sie gibt es mehrere Gründe: Im Oktober 1888 trat Mahler seinen verantwortungsvollen Posten als Direktor der Königlichen Oper in Budapest an. Im darauffolgenden Jahr hatte er den Tod seines Vaters, seiner Mutter und einer seiner Schwestern zu verkraften, worauf er zum Vormund über seine verbleibenden Geschwister bestellt wurde. Im November desselben Jahres zog die Uraufführung seiner ersten Symphonie in Budapest nur kritische Ablehnung nach sich, und er schlich durch die Stadt «wie ein Kranker oder Geächteter». Mit seinem Engagement an die Hamburger Oper sah sich Mahler im April 1891 einer neuen anspruchsvollen Aufgabe gegenüber, bei der er über hundert Opernvorstellungen pro Spielzeit vorbereiten und dirigieren musste. Erst 1893 konnte sich Mahler an seine eigentliche künstlerische Bestimmung als Komponist «erinnern»: er überarbeitete ältere Kompositionen («Das klagende Lied», erste Symphonie) und nahm die Komposition der Zweiten wieder auf.

Es gab noch einen weiteren Grund für die «aufgezwungene» Unterbrechung. Mahler hatte in Hamburg die «Todtenfeier» dem von ihm hochgeschätzten Dirigenten Hans von Bülow vorgespielt. Bülow, der seinerseits auf Mahler als Dirigenten große Stücke hielt, lehnte das Werk brüsk ab, wie Mahler dem befreundeten Komponisten Josef Bohuslav Foerster erzählte:

«Ich spielte. Es fiel mir ein, Bülow anzusehen, und da sehe ich, wie er sich mit beiden Händen die Ohren zuhält. Ich halte im Spiel inne. Der am Fenster stehende Bülow bemerkt es sofort und fordert mich auf, fortzufahren. Ich spiele. Nach einiger Zeit wende ich mich wieder um. Bülow sitzt mit zugestopften Ohren am Tisch, und die Szene wiederholt sich: ich höre auf, neuerliche Aufforderung. [...] Als ich zu Ende war, wartete ich schweigend das Urteil ab. Aber mein einziger Zuhörer verharrte an seinem Tisch lange schweigend und regungslos. Plötzlich deutet er eine energische Ablehnung an und sagte: ‹Wenn das noch Musik ist, dann verstehe ich überhaupt nichts von Musik.› Wir schieden dann in voller Freundschaft voneinander, ich freilich mit der Überzeugung, daß Bülow mich für einen fähigen Dirigenten, aber für einen völlig hoffnungslosen Komponisten hält.»

In der Folgezeit widmete sich Mahler der Komposition von Liedern auf Texte aus «Des Knaben Wunderhorn», was freilich für die Zweite Konsequenzen hatte. Denn zwei dieser Lieder flossen in die Symphonie ein: das «Urlicht» als ganzer Satz mit Gesang, und «Des Antonius von Padua Fischpredigt» zu einem instrumentalen Scherzo umgearbeitet. Dazu trat noch ein Andante, ein Ländler. Diese drei Binnensätze entstanden alle im Sommer 1893 im Komponierhäuschen in Steinbach am Attersee.

Die Lösung der schwierigen Aufgabe, einen geeigneten Schlusssatz zu finden, wurde paradoxerweise durch eben jenen Bülow ausgelöst, der durch seine schroffe Ablehnung zu Mahlers kreativer Hemmung beigetragen hatte. Er war am 12. Februar 1894 in Kairo verstorben. Daraufhin fand in der Hamburger Michaeliskirche am 29. März 1894 ein Gedenkgottesdienst statt, den Mahler besuchte, und bei dem ein Chor den Klopstock-Choral «Auferstehn» sang. Dies traf Mahler «wie ein Blitz»: Die Idee der «Auferstehung» war die ideale programmatische Lösung in Beziehung zum ersten Satz, der Begräbnismusik «Todtenfeier». Am Ende verwendete Mahler jedoch nur die ersten beiden Strophen von Klopstocks Hymnus und dichtete den größten Teil des Textes selbst.

Die Musik dazu entstand im Sommer 1894, wieder im Komponierhäuschen Steinbach. Am 29. Juni konnte Mahler die Fertigstellung bestätigen: «Melde hiemit die glückliche Ankunft eines gesunden, kräftigen letzten Satzes der II. Vater und Kind befinden sich den Umständen angemessen; letzteres ist noch nicht außer Gefahr. Es erhielt in der heiligen Taufe den Namen: «Lux lucet in tenebris» (Das Licht leuchtet in der Finsternis). Um stilles Beileid wird gebeten, Kranzspenden dankend abgelehnt. Andere Geschenke werden jedoch angenommen.» (Brief an seinen Freund Friedrich Löhr). Nach einer Zeit der Unsicherheit bezüglich der Reihenfolge der Binnensätze kam es zu einer fragmentarischen Uraufführung, bei der Mahler die ersten drei Sätze am 4. März 1895 in Berlin dirigierte. Bei der Uraufführung der gesamten Symphonie am 13. Dezember 1895, die ebenfalls in Berlin stattfand, mussten wegen schlechten Kartenverkaufes viele Freikarten an Musiker und an Studenten des Konservatoriums vergeben werden. Die Kritiken waren durchwegs negativ.

Mahler lehnte später alle programmatischen Erläuterungen ab und zog sie zurück («Die Sachen müssen für sich selbst sprechen», meinte er einmal zu Natalie Bauer-Lechner). Damit wollte er jedoch keineswegs in Abrede stellen, dass seine Musik neben der tönenden Form auch eine poetische Dimension hat. Er gab lediglich den Weg für persönliche Assoziationen frei. Für die Zweite hat er dreimal ein Programm niedergeschrieben. Das älteste stammt vom Jänner 1896 und steht in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner (S. 40). Das zweite findet sich in einem Brief Mahlers an Max Marschalk (Musikkritiker und Komponist in Berlin, Schwager von Gerhart Hauptmann) vom 26. März 1896. Das dritte wurde für den sächsischen König geschrieben, der einer Aufführung der Symphonie in Dresden am 20. Dezember 1901 beiwohnte. Aus diesem Programm ist im folgenden zitiert.

1. Satz. Allegro maestoso«Wir stehen am Sarge eines geliebten Menschen. Sein Leben, Kämpfen, Leiden und Wollen zieht noch einmal, zum letzten Male an unserem geistigen Auge vorüber. – Und nun in diesem ersten und im tiefsten erschütternden Augenblicke, wo wir alles Verwirrende und Herabziehende des Alltags wie eine Decke abstreifen greift eine furchtbar ernste Stimme an unser Herz, die wir im betäubenden Treiben des Tages stets überhören: Was nun? Was ist dieses Leben – und dieser Tod? Giebt es für uns eine Fortdauer? Ist dieß Alles nur ein wüster Traum oder hat dieses Leben und dieser Tod einen Sinn? – Und diese Frage müssen wir beantworten, wenn wir weiter leben sollen. –»

Formal gesehen ist der 1. Satz eine Sonatenform (Hauptthema: dramatischer Trauermarsch – lyrisches Seitenthema – rhythmische Schlussgruppe), wobei in der Durchführung auch neue Themen auftauchen, ein Verfahren, das spätestens seit Beethovens Klaviersonate op. 2 bekannt ist. Nach einer Reprise, in der die Themen der Exposition variiert wiederholt werden, beschließt eine Coda den Satz.

2. Satz. Andante moderato«Die nächsten 3 Sätze sind als Intermezzi gedacht. Ein seliger Augenblick aus dem Leben dieses theuren Todten, und eine wehmüthige Erinnerung an seine Jugend und verlorene Unschuld.»Die Grundbewegung dieses Satzes erin­nert an österreichische Ländler, wie wir sie etwa auch aus Schuberts Feder kennen. Der Ablauf ist eine Art Rondo mit «Trio»-artigen Zwischenteilen; das Ländler-Ritornell erscheint dabei in typisch Mahler’scher Manier jedesmal auf mannigfaltige Weise variiert. Mahler war lange unsicher, ob es statthaft sei, auf den gewaltigen 1. Satz diese liebliche Musik unmittelbar folgen zu lassen. Deshalb bestimmte er zunächst das Scherzo zum 2. und den Ländler zum 4. Satz; schließlich verwarf er diese Reihenfolge und verfügte eine Pause «von mindestens 5 Minuten» nach dem 1. Satz.

3. Satz. In ruhig fließender Bewegung«Der Geist des Unglaubens, der Verneinung hat sich seiner bemächtigt, er blickt in das Gewühl der Erscheinungen und verliert mit dem reinen Kindersinn den festen Halt, den allein die Liebe giebt, er zweifelt an sich und Gott. Die Welt und das Leben wird ihm zum wirren Spuck; der Ekel vor allem Sein und Werden packt ihn mit eiserner Faust und jagt ihn bis zum Aufschrei der Verzweiflung.»

Der Satz ist aus dem Wunderhornlied «Des Antonius von Padua Fischpredigt» abgeleitet und wird von einer rastlosen, ununterbrochenen Sechzehntelbewegung geprägt, die für das Gewimmel der Fische stehen mag (Mahler meinte einmal, es sei «aus dem Gedudel der böhmischen Musikanten» seiner Jugendzeit hervorgegangen).

Die Anlehnung an den Gedichttext mit seinen 9 Strophen und wiederkehrenden Refrain-Versen führte zu einem Rondo in c-moll mit einem Mittelteil in F-Dur. Am Schluss zitiert Mahler wörtlich das Ende von Robert Schumanns Lied «Hochzeit» aus der «Dichterliebe»; dabei bildet die absteigende Linie eine formale Brücke zu dem gewaltigen chromatischen Tiefenzug am Ende des 1. Satzes. Den Ausdruck des Scherzos charakterisierte Mahler so: «Wenn du aus der Ferne durch ein Fenster einem Tanze zusiehst, ohne daß du die Musik dazu hörst, so erscheinen die Drehung und Bewegung der Paare wirr und sinnlos, da die der Rhythmus als Schlüssel fehlt. So mußt du dir denken, daß einem, der sich und sein Glück verloren hat, die Welt wie im Hohlspiegel, verkehrt und wahnsinnig er­scheint. – Mit dem furchtbaren Aufschrei der so gemarterten Seele endet das Scherzo.»

4. Satz. «Urlicht» (Text aus «Des Knaben Wunderhorn»)«Die rührende Stimme des naiven Glaubens tönt an sein Ohr: ‹Ich bin von Gott, und will wieder zu Gott!› Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, wird leuchten mir bis in das ewig’ seelig’ Leben!»Es war keineswegs neu, Vokales in ein Instrumentalwerk einzubeziehen. Das Schlüsselstück dazu ist der 4. Satz der 9. Symphonie von Beethoven («Freude, schöner Götterfunken»), doch gibt es auch andere Beispiele, Schuberts Forellenquintett und Werke von Berlioz gehören zu ihnen. Mit dem «Urlicht» scheint Mahler aber der Erste gewesen zu sein, der ein ganzes Lied als eigenständigen Symphoniesatz verwendete. Mahler wünschte sich für die Interpretation eine charakteristische Stimme, wie er Natalie Bauer-Lechner erklärte:

«Dazu brauche ich [...] die Stimme und den schlichten Ausdruck eines Kindes, wie ich mir ja, vom Schlag des Glöckleins an die Seele im Himmel denke, wo sie im ‹Puppenstand› als Kind wieder anbeginnen muß.»

5. Satz. Im Tempo des Scherzos«Wir stehen wieder vor allen furchtbaren Fragen, und der Stimmung am Ende des 1. Satzes. – Es ertönt die Stimme des Rufers: das Ende alles Lebendigen ist gekommen, das jüngste Gericht kündigt sich an, und der ganze Schrecken des Tages aller Tage ist hereingebrochen. Die Erde bebt, die Gräber springen auf, die Todten erheben sich und schreiten in endlosem Zuge daher. Die Großen und die Kleinen dieser Erde, die Könige und die Bettler, die Gerechten und die Gottlosen – alle wollen dahin; der Ruf nach Erbarmen und Gnade tönt schrecklich da an unser Ohr. – Immer furchtbarer schreit es daher – alle Sinne vergehen uns, alles Bewußtsein schwindet uns beim Herrannahen des ewigen Gerichts. Der ‹grosse Apell› ertönt; die Trompeten aus der Apokalypse rufen; – mitten in der grauenvollen Stille glauben wir eine ferne, ferne Nachtigall zu vernehmen, wie einen letzten zitternden Nachhall des Erdenlebens! Leise erklingt ein Chor der Heiligen und Himmlischen: ‹Auferstehen, ja aufersteh’n wirst du!› Da erscheint die Herrlichkeit Gottes! Ein wundervolles, mildes Licht durchdringt uns bis an das Herz – Alles ist stille und selig! – Und siehe da: Es ist keine Gericht – Es ist kein Sünder, kein Gerechter – Kein Großer und kein Kleiner – Es ist nicht Strafe und nicht Lohn! Ein allmächtiges Liebesgefühl durchleuchtet uns mit seligem Wissen und Sein!»Der Satz beginnt also mit dem «Aufschrei der gemarterten Seele» aus dem Scherzo; es folgen Hornfanfaren (aus der Ferne), die Mahler ursprünglich die «Stimme des Rufers in der Wüste» nannte. Dann kommt ein Marsch, in welchem die gregorianische Melodie des «Dies irae» zitiert wird (wie schon bei Berlioz in dessen Symphonie fantastique).

Unterschiedliche Passagen mündet schließlich in einem Crescendo für Schlaginstrumente, das zu einem «Totenmarsch» führt, in dem das leidenschaftliche Geschehen im Orchester mit dem banalen Marsch einer Blechbläserkapelle aus der Ferne kombiniert wird (ein Verfahren, das Mahler schon in seiner jugendlichen Chorkantate Das klagende Lied angewendet hat). Auf einen hysterischen Höhepunkt folgt der «große Appell», bei dem verschiedene Blechbläsergruppen aus der Ferne zum Jüngsten Gericht rufen. Aus dem Orchester antworten nur noch die Vogelrufe von Flöte und Piccolo. Nun setzt der Chor ganz behutsam a cappella ein. Während er die erste Strophe von «Aufersteh’n» singt, erhebt sich der Sopran schwebend über diesem Klangteppich. Stetig steigert sich die Musik, bis Orgel und Glockengeläute zu einem gewaltigen, strahlenden Ende führen.

Dem schwierigen Anfang zu Trotz trat die zweite Symphonie bald einen Siegeszug an. Mahler dirigierte sie nicht weniger als dreizehnmal und nahm dabei in gewohnter Weise jedes Mal Änderungen vor, fast ausschließlich Verfeinerungen der Instrumentation und Verdeutlichungen der Spielanweisungen. Die Zweite war die erste Mahler-Symphonie, die der Komponist für eine Aufführung in Wien wählte (9. 4. 1899), sie erklang dort noch ein zweites Mal, bei seinem Abschiedskonzert am 24. November 1907, wenige Tage vor der ersten Überfahrt nach New York. Dort führte er sie ebenso auf (8. 12. 1908) wie in Paris (17. 4. 1910): sie war die einzige eigene Symphonie, die unter Mahlers Stabführung in der französischen Metropole erklang. Heute zählt sie trotz der umfangreichen und daher kostenintensiven Aufführungskräfte zu den beliebtesten Werken des Meisters. Es mag dabei ein Rolle spielen, dass in der Zweiten fraglos ein Bekenntnis Mahlers zu Glaube und Jenseits abgelegt wird, in engstem Bezug zur Problematik irdischen Lebens, doch ohne konfessionelle oder liturgische Bestimmung. Insofern fügt sich das Werk bestens in das Konzept «Hoffnung» der Adventzeit ein.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Reinhold Kubik