George Gershwin

Cuban Overture

Dauer

10 Min.

Entstehung

1932

George Gershwin hatte eigentlich den Namen Jakob und war ein Sohn eines russischen Einwandererehepaares. Der Vater trug noch den Familiennamen Gershovitz, als er Ende des 19. Jahrhunderts, aus St. Petersburg kommend, in New York amerikanischen Boden betrat. Einer der Vorfahren Gershwins war Rabbiner. Jakob, der von allen George gerufen wurde, flitzte als Kind mit Rollschuhen durch die Straßen von New York. Es waren die fahrbaren Untersätze, die ihn zur Musik trugen. Bei einem Ausflug in die 125th Street in Harlem entdeckte der sechsjährige Bub einen Musikautomaten, der nach Einwurf einer Münze beliebte Musikstücke wiedergab. Das erste, was George Gershwin zu hören bekam, war die populäre «Melodie in F» des russischen Komponisten und Pianisten Anton Rubinstein. Die russische Kantilene weckte die musikalische Empfindung des New Yorker Knaben mit russischen Vorfahren. Er begann wie selbstverständlich auf dem von der Mutter angeschafften Klavier zu spielen, erhielt eine klassische Ausbildung am Klavier durch einen Musiker namens Charles Hambitzer, hörte berühmten Pianisten wie Leopold Godowsky in Konzerten zu, entwickelte aber gleichzeitig eine Leidenschaft für kurze, eingängige Melodien wie jene von Rubinstein und begann als 15-Jähriger, Songs nach dem Vorbild von Irving Berlin und Jerome Kern zu schreiben.

In die musikalische Lehre ging George Gershwin an keinem Konservatorium, sondern in der legendären Tin Pan Alley zwischen Broad-way und 5th Avenue in Manhattan. Er heuerte bei einem der vielen dort ansässigen Musikverlage als so genannter Song Plugger an. Ein harter Job – der Song Plugger musste die neuesten Schlager auf dem Klavier Interessenten (Sängern, Instrumentalisten, Kapellmeistern) vortragen, damit diese die Noten kauften und die Rechte zum Vortrag erwarben. George Gershwin war gewissermaßen eine lebendige Music Box, der Melodien von Berlin, Kern, Sousa und Hammerstein aus dem Handgelenk schüttelte und dabei das Gespür für den wirkungsvollen Aufbau und Verlauf einer Melodie bekam. Der junge Mann knüpfte Kontakte mit Komponisten und mit aufstrebenden darstellenden Künstlern wie dem Geschwisterpaar Fred und Adele Astaire.

Ein Song machte den jungen Gershwin über Nacht in ganz Amerika und auch in Großbritannien berühmt: «Swanee», verbreitet vom bekanntesten Broadway-Showman, Al Jolson. Gershwin war damals 21 und bereits mit dem Musical «La La Lucille» auf dem Broadway gelandet. Rund 25 weitere Musicals ließ er in den nächsten 15 Jahren folgen, darunter «Lady, Be Good», «Show Girl», «Girl Crazy» oder «Strike Up The Band». In den Orchesterensembles wirkten herausragende Musiker wie der Klarinettist Benny Goodman, der Posaunist Glenn Miller und der Schlagzeuger Gene Krupa mit. Die Musicals gerieten in Vergessenheit, Songs daraus überlebten und wurden zum Teil zu Jazz-Standards.

Die Musikgeschichte aber wirbelte Gershwin gehörig auf, indem er seine kompositorische Begabung bald auch dem klassischen musikalischen Formenkanon angedeihen ließ. Im Februar 1924 kündigte der «King of Jazz», wie der Bandleader Paul Whiteman genannt wurde, für einen Abend unter dem Titel «Was ist amerikanische Musik?» in der Aeolian Hall in New York eine Komposition des 26-jährigen Gershwin für Jazzband und Piano an. Gershwin, ein begnadeter Rag-Pianist, der leidenschaftlich gerne bei Partys am Klavier improvisierte, spielte nun seine «Rhapsody in Blue» vor einem überaus prominenten Publikum, darunter die Komponisten Sergej Rachmaninow und Ernest Bloch, der Geiger Fritz Kreisler und die Dirigenten Willem Mengelberg, Leopold Stokowski und Walter Damrosch. Die Uraufführung der Rhapsodie, die der Arrangeur der Whiteman-Band, Ferde Grofé, für ein 23 Personen starkes Orchester instrumentierte, geriet zur Sensation. Amerika, dessen Konzertleben hauptsächlich von europäischen Interpreten und Werken geprägt war, feierte in Gershwin ein junges «amerikanisches Originalgenie».

Intuitiv bewegte sich Gershwin fürderhin mit sicherer Hand durch die Genres der Konzertmusik. Der «Rhapsody in Blue» ließ er innerhalb weniger Jahre Orchesterstücke wie «An American in Paris» und die «Cuban Overture» sowie weitere Werke für Klavier und Orchester, das Concerto in F, die «Second Rhapsody» und die «I got rhythm»-Variationen folgen. Sein Ruhm als Komponist verbreitete sich rasant. Auch in der alten Welt brachte man dem jungen Amerikaner Anerkennung entgegen, wie er bei Reisen durch Europa in Paris, London, aber auch in Berlin und Wien feststellen konnte. Es kam zu Begegnungen mit Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Kurt Weill, Alban Berg, Maurice Ravel, Igor Strawinski, Francis Poulenc, Darius Milhaud, Arthur Honegger und Sergej Prokofjew.

Gershwin sog begierig musikalische Eindrücke aus Europa auf. Er hörte Streichquartettmusik von Schönberg und Berg, erlebte in Wien Kreneks Oper «Jonny spielt auf» – und wollte Unterricht bei Ravel, Strawinski und Nadja Boulanger nehmen, da er das Gefühl hatte, noch keine «seriöse» musikalische Ausbildung erfahren zu haben. Ravels Reaktion, dass es ein «erstklassiger Gershwin» doch nicht nötig habe, ein «zweitklassiger Ravel» werden zu wollen, ist symptomatisch für den Respekt, mit dem man dem unverwechselbaren musikalischen Stil Gershwins begegnete.

Als Gershwin im Februar 1932 bei einem Urlaub in Kuba Volksmusik mit dem Einsatz typischer Perkussionsinstrumente hörte, wurde er zur Komposition eines Orchesterstückes angeregt. Er bezog Bongos, Maracas (Rasseln), Guiro (eine Art Ratsche) und Claves (zwei aufeinander geschlagene Holzstöcke) in das neue Werk ein, das auf dem Rhythmus der Rumba basiert und ursprünglich auch den Namen des Tanzes als Titel tragen sollte, dann aber in «Cuban Overture» umbenannt wurde. Laut einer Angabe Gershwins auf der Titelseite der Partitur sollen die Musiker mit den genannten Perkussionsinstrumenten vor dem Orchester Aufstellung nehmen – er wollte damit noch akustische Vorteile erzielt wissen, aber auch die Besonderheit der Instrumente optisch herausstellen.

Heftig bewegte Rahmenteile mit demselben thematischen, im ersten Abschnitt polyphon aufgefächerten und im dritten Abschnitt wirkungsvoll verdichteten musikalischen Material umgeben einen ruhigeren Mittelteil, in dem ein Kanon ausgebreitet wird. Polytonale Behandlung der Melodik und vertrackte rhythmische Passagen weisen die «Cuban Overture» als sehr fortschrittliche Komposition aus. Sie reißt aber unmittelbar mit und erweist sich wahrhaft als das, was Gershwin mit ihr verwirklichen wollte: das «Wesen des kubanischen Tanzes zu verkörpern». Die Uraufführung fand noch im Sommer 1932 bei einem Open-air-Konzert im Lewisohn-Stadion von New York vor fast 18.000 Zuhörern statt. Gershwin zog die Massen an. Ein Popstar.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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