Johann Sebastian Bach

Konzert für Cembalo und Streichorchester d-Moll BWV 1052

Sätze

  • Allegro

  • Adagio

  • Allegro

Dauer

23 Min.

Am 20. März 1729 schrieb Bach einen Empfehlungsbrief für seinen ehemaligen Schüler Gottlob Christoph Wecker, um diesem eine Anstellung an der Dreifaltigkeitskirche in Schweidnitz zu verschaffen. Eher beiläufig informierte er Wecker von einer wichtigen Veränderung in Leipzig: «P.S das neueste ist, daß der liebe Gott auch nunmehro vor den ehrlichen H. Schotten gesorget u. Ihme das Gothaische Cantorat bescheret hat; derowegen Er kommende Woche valediciren, da ich sein Collegium zu übernehmen willens.» Als Georg Balthasar Schott im Frühjahr 1729 sein Amt als Organist an der Neukirche aufgab, um Kantor in Gotha zu werden, ging die Leitung des Collegiums nicht, wie es der Tradition entsprochen hätte, an seinen Nachfolger Carl Gotthelf Gerlach, sondern an den Thomaskantor. Obwohl die bürgerlich-studentische Musiziervereinigung, die nach ihrem Gründer das «Telemannische», nach ihrem seit 1720 amtierenden Leiter auch das «Schottische» Collegium musicum genannt wurde, keine städtische Institution war, wurde Bachs Ernennung zum Leiter dieses Ensembles als wichtige Veränderung im Leipziger Musikleben betrachtet.

Bach scheint dieses Amt angestrebt zu haben und erhielt vielleicht die Zustimmung Gerlachs als Gegenleistung dafür, dass er ihn für das Amt des Organisten an die Neukirche empfohlen hatte. Der Vorgang genoss auch die ausdrückliche Billigung durch Gottfried Lange, der 1729 turnusmäßig das Amt des regierenden Bürgermeisters innehatte. Zu Bachs Ausrichtung der Kirchenmusik an St. Thomas und St. Nikolai kam nun das rege weltliche Konzertleben des Collegiums, das einen großen Teil des Bedürfnisses nach musikalischer Unterhaltung des Leipziger Publikums befriedigte. Die Mitglieder des Collegiums waren Studenten, zu denen sich noch Leipziger Berufsmusiker gesellten. Das Collegium spielte bei bestimmten Anlässen für die kurfürstliche Familie, wobei diese Konzerte an gewissen Festtagen eigens angeordnet wurden. Die sogenannten «ordinairen Concerte» fanden hingegen zu festen Terminen statt: jede Woche ein Konzert im Zimmermannschen Kaffeehaus (Sommers im Gastgarten am Grimmaischen Steinweg) und zwei pro Woche während der drei jährlichen Messen. Bis 1737 leitete Bach das Collegium allein, dann gab er dieses Amt an Carl Gotthelf Gerlach ab, dem er noch bis 1741 bei besonderen Anlässen zur Seite stand.

Die Aufführungen des Collegium musicum veranlassten Bach, zur Gattung des Instrumentalkonzerts zurückzukehren, der er sich seit 1721 nicht mehr gewidmet hatte. Mit den 15 Konzerten für ein bis vier Cembali, die ab 1730 entstanden, schuf Bach eine neue Spezies der Konzert-Gattung. Bis auf das Konzert für zwei Cembali BWV 1061 sind diese Werke Transkriptionen von - teilweise verlorenen - Konzerten mit solistischen Melodie-instrumenten aus der Weimarer und Köthener Zeit. Auch die sechs Cembalo-Konzerte BWV 1052 bis 1057, die Bach 1738 in einer Partitur notierte (Staatsbibliothek Berlin, Mus. ms. Bach P 234), beruhen alle auf älteren Instrumentalkonzerten.

Das Konzert in d-Moll BWV 1052 ist das erste Konzert, das Bach für ein größer disponiertes Cembalo mit dem Tonumfang G1 bis d3 schrieb. Es basiert auf einem verschollenen Violinkonzert in d-Moll, das spätestens mit 1716 zu datieren ist. Eine frühe Fassung erscheint schon als Sinfonia mit obligater Orgel in der Kantate «Wir müssen durch viel Trübsal» BWV 146, wo die Melodie des langsamen Satzes zum Eingangschor wurde, sowie in der Kantate «Ich habe meine Zuversicht» BWV 188, in welcher der dritte Satz als Sinfonia verwendet wurde. Bei der Transponierung der originalen, in hohe Lagen reichenden Soloviolinstimme in den Tonumfang des Cembalos ging Bach so geschickt vor, dass ein vollkommen klaviergerechter Satz entstand, der allerdings hohe technische Anforderungen stellt, weil die linke Hand in den solistischen Episoden vom Continuo getrennt ist und eine selbständige Stimme spielt.

Die formalen Strukturen von Bachs Konzerten - der leicht erfassbare Wechsel von Ritornell und Episode in den schnellen, das blühend-melodische Arioso in den langsamen Sätzen - basiert natürlich auf den Modellen, die von italienischen Komponisten geprägt wurden. Der Einfluss Vivaldis auf Bach wird allerdings seit jeher überschätzt. Während Bach die Konzerte Vivaldis erst spät rezipierte, hatten jene Albinonis einen viel größeren Einfluss auf den Kapellmeister und Thomaskantor. Bach eine Perfektionierung und Vollendung italienischer Ideale zuzuschreiben, wäre jedoch ein musikästhetisches Fehlurteil. Als der Wiener Musikforscher und Musikaliensammler Aloys Fuchs im Jahr 1850 die Wiederentdeckung der «Brandenburgischen Konzerte» als «Beweis der Überlegenheit der deutschen Musik» bezeichnete, war das ein Zeichen chauvinistischer Kurzsichtigkeit. Natürlich mag Bach seine italienischen Vorbilder künstlerisch übertroffen haben, aber Bachs «deutsche Tiefe» ist noch kein absolutes Qualitätsmerkmal. Vergleicht man die langsamen Sätze des Violinkonzerts BWV 1042 und des «Italienischen Konzerts» BWV 971 mit dem Mittelsatz des Oboenkonzerts von Alessandro Marcello, wird klar, dass das italienische Ideal mit Bachs exquisiter Satztechnik gar nicht in Konkurrenz steht und Bachs Bedeutsamkeit der unmittelbaren Wirkung seiner Musik oft im Wege steht.

Noch in den 1920er-Jahren war es selbstverständlich, Bachs Klaviermusik nur auf dem Konzertflügel zu spielen. Die Aufführung des gesamten «Wohltemperierten Klaviers» durch Claudio Arrau während seines Aufenthalts in Wien im Jahr 1922 wurde als Sensation empfunden. Der zunehmende Erfolg von Cembalo-Virtuosinnen wie Wanda Landowska und Eta Harich-Schneider führte jedoch zu einem Paradigmenwechsel, und viele Pianisten strichen Bachs Werke ganz aus ihren Programmen. Diese Entwicklung wurde auch durch den Vormarsch der historischen Aufführungspraxis verstärkt, die dem Cembalo den Vorzug gab. Schon in den 1970er-Jahren setzte eine Gegenbewegung ein, und die Verwendung eines Konzertflügels für Bachs Konzerte ist mittlerweile zu einer Alltäglichkeit geworden. Das dynamisch variable Pianoforte ist ein Produkt des empfindsamen Zeitalters, der Epoche von Goethe und Mozart. Der sanfte Ton des Klaviers mischt sich anders mit dem Klang des Orchesters, die Möglichkeit, nach Belieben die Lautstärke zu verändern, hat aber - besonders bei Bach - auch ihre Tücken. Der hochfrequente Ton des Cembalos ist immer kurz, exakt und vor allem in seiner Lautstärke vorhersehbar. Er verkörpert das Klangideal der Barockzeit.

Aus der Sicht der Moderne strebt das Barocke vorwiegend nach Ornament und Bizarrerie, aber diese scheinbare Verunklärung, die sich besonders in der bildenden Kunst jener Epoche zeigt, war nicht das Hauptziel des barocken Kunstwollens. Das Ideal des barocken Zeitalters (um ein Denkmodell Egon Friedells zu zitieren) war «eine genau gehende Uhr». Die Barockzeit war eine Ära des technischen Fortschritts und großer mathematischer Errungenschaften. Ihre Kunst strebte ergo nach jener Klarheit, die Bachs Musik in besonderem Maße auszeichnet. Der Hang zu Zierrat und Schnörkel, der in der barocken Kunst auf den ersten Blick so dominant erscheint, diente nur einer bewusst herbeigeführten Selbstberauschung, die helfen sollte, die langsam heraufdämmernden Zweifel des Menschen an der göttlichen Ordnung der Welt zu besänftigen.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Michael Lorenz

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