Camille Saint-Saëns

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 F-Dur op. 103 «Das Ägyptische»

Sätze

  • Allegro animato

  • Andante

  • Molto allegro

Dauer

28 Min.

Entstehung

1896

Camille Saint-Saëns war ein Multitalent. «Der Mann weiß alles, aber es mangelt ihm an Unerfahrenheit.» So pointiert urteilte einmal Hector Berlioz über seinen gut 30 Jahre jüngeren Kollegen Camille Saint-Saëns. Und tatsächlich gab es wenig, was der musikalische Wundermann mit dem unfehlbaren Gedächtnis nicht wusste: Mathematik, Archäologie, Astronomie, Geologie, Biologie, Botanik und Philosophie nannte er Zeit seines Lebens seine liebsten Steckenpferde. Dass diese wissenschaftlichen Interessen durchaus tief reichten, belegt sein reger Gedankenaustausch mit der Fachwelt. Doch selbstredend war es die Musik, der Saint-Saëns bereits im zarten Alter von drei Jahren verfallen schien: Im März 1839, als Kleinkind, komponierte er sein erstes Stück – einen Galopp für Klavier, und als Zehnjähriger gab er sein Debüt als Pianist in der Pariser Salle Pleyel. Doch da das Leben gerade frühere Wunderkinder selten schont, hatte auch er verschiedene Krisen zu bewältigen, deren größte ihn vielleicht 1886 ereilte, als er aufgrund eines von seinem Komponistenkollegen Vincent d’Indy geschürten Konflikts die von ihm selbst im Jahr 1871 mitbegründete Société Nationale de Musique im Protest verließ. Der Streitpunkt: Kein Geringerer als Richard Wagner. Die Société hatte es sich bei ihrer Gründung zur Aufgabe gemacht, die zeitgenössische französische Musik zu fördern und aufzuführen. Als die Wagner-Manie die französische Hauptstadt nachhaltig in ihrem Bann hielt, wollten seine Kollegen dem «deutschen Meister» ebenso huldigen und überhaupt auch ausländische Komponisten in ihren Konzerten aufführen. Diesem Vorhaben widersetzte sich Saint-Saëns – und trat kurzerhand aus der Société aus.

Seither wollte nichts so recht klappen, und den ohnehin zur Rastlosigkeit neigenden Komponisten zog es immer wieder in die Ferne, die nach dem Tod seiner Mutter im Dezember 1888 überhaupt seine Heimat wurde: Von 1890 bis 1904 sollte er ohne festen Wohnsitz bleiben und in ständigem Wechsel von einem Ort zum nächsten wandern. Dass er in dieser Zeit sehr wohl allenthalben musikalische Triumphe feierte, etwa mit der Pariser Premiere seiner Oper «Samson et Dalila» im November 1892, soll nicht über sein gespaltenes Verhältnis zum geliebten Heimatland hinwegtäuschen. Eine seiner unzähligen Reisen auf der Suche nach der ersehnten Anerkennung führte ihn im Jahr 1896 unter anderem nach Ägypten. In Kairo und Luxor beendete er schließlich die Komposition seines fünften (und letzten) Klavierkonzerts, das in einem ihm gewidmeten «Festival-Concert» anlässlich seines goldenen Bühnenjubiläums am 2. Juni 1896 von ihm selbst am Klavier uraufgeführt wurde. Die Presse jubelte, und man feierte den Sechzigjährigen, der 20 Jahre lang kein Klavierkonzert mehr komponiert hatte, wie lange nicht. Und direkt meint man, in diesem Konzert die sonnige, gelöste Stimmung zu erkennen, die er auf seiner Nordafrika-Reise in sich aufgenommen hatte. Dennoch errang das fünfte Klavierkonzert nie jene Popularität, die etwa das zweite vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besaß. Ein Grund dafür mag der äußerlich recht einfache, teils folkloristische Zug sein, der weiterer Verbreitung damals im Wege stand.

«Das Ägyptische» wurde das Konzert bald genannt – denn es gibt, abgesehen vom Entstehungsort, im Andante sogar nachweisbare «ägyptische» Hintergründe. Im ersten Satz (Allegro animato) stellt nach kurzer Orchestereinleitung das Klavier sogleich das Hauptthema in seiner Grundgestalt vor, eine lyrische, einfache Melodie, die in Folge variiert erscheint und in auf- und abschwellenden Passagen im Klavier mündet – ganz regelgerecht, erst in der Grundtonart F-Dur, dann nochmals in C-Dur. Eine kurze Überleitung, und schon leuchtet das d-moll-Seitenthema «un poco rubato» innig-melancholisch hervor. Diese beiden Themen bilden im Wesentlichen das Material des Satzes, wobei es die zu Beginn noch nicht so deutlichen, später aber schärfer werdenden Kontraste sind, die durch ständige Variation die Wirkung ausmachen. Freilich ist all das in die Form des klassischen Sonatenhauptsatzes gegossen, mit neuerlich abgewandelten Themen, die ganz dem Typus des romantischen Virtuosenkonzertes entsprechen. Eine ruhige Coda bringt nochmals das zweite Thema, jetzt in F-Dur, und der Satz schließt, nach zarten Klaviergirlanden, im Pianissimo.

Zum Andante, dessen orientalischen Anklängen das Konzert seinen Beinamen verdankt, meinte Saint-Saëns, es sei «eine Art Orientreise, die in der Episode in Fis-Dur sogar bis zum Fernen Osten vordringt. Die Passage in G-Dur ist ein nubisches Liebeslied, das ich von Schiffern auf dem Nil singen gehört habe, als ich auf einer Dahabieh den Strom hinuntersegelte.» Begleitet würde dieses Liebeslied vom «Cri de la sauterelle», dem «Zirpen der Grillen». Bevor allerdings die bewussten Passagen im Satz auftreten, läuft noch allerlei farbiges Passagenwerk ab, wobei die Grundtonart bewusst ständig umspielt wird und dadurch ein Effekt der Umtriebigkeit entsteht, der die nachfolgende G-Dur-Passage, das nubische Liebeslied, besonders hervorstreicht: Unter sanft wiegenden Figuren stellt das Klavier ganz schlicht das Thema vor, das in Folge weit ausgesponnen wird. Der «Ferne Osten» ist kaum zu überhören, wenn sich in die erwähnte Fis-Dur-Episode neben pentatonischen Figuren im Klavier das Tam-Tam dazu schlägt: Auch Saint-Saëns schien von der Weltausstellung 1889 nicht unbeeindruckt geblieben, die Claude Debussy nachhaltig in seinem Stil beeinflussen sollte.

Das Finale (Molto allegro) soll die «Freude einer Seereise» ausdrücken – laut Saint-Saëns «eine Freude, die nicht jeder teilt»: Stampfende Akkorde im Klavier eröffnen die virtuose Fahrt durch mehr oder weniger launische See, deren Verlauf durch weitere, rhythmisch energische Themen und Motive nicht zuletzt die Treffsicherheit des Solisten mit einigen kniffligen Aufgaben auf die Probe stellt. Das motorische Drängen wird nur in der G-Dur-Episode etwas beruhigt, wenn das Klavier zarte Akkorde im Diskant über dem ebenso leise flirrenden Orchester ausbreitet. Doch rasch braut sich auch diese leichte Brise zu heftigen Böen zusammen, bis sich schlussendlich die berstende Energie in einem letzten chromatischen Aufwärtslauf über die ganze Klaviatur entlädt und einige knallige Akkorde dem flinken Treiben ein Ende setzen.

Ein Virtuosenkonzert erster Güte, dessen technische Finessen sich in unglaublicher Selbstverständlichkeit aus dem musikalischen Fluss ergeben und in keinem Moment aufgesetzt sind – trotz anderslautender Kritik der Zeitgenossen Saint-Saëns’. Der Wert der Virtuosität, das schlackenlose Beherrschen aller technischen und musikalischen Kunstkniffe, war für Saint-Saëns eine Grundlage seines Schaffens und zeitlebens von allergrößter Wichtigkeit: «Es ist die Virtuosität an sich, die ich verteidigen will. Sie ist die Quelle des Malerischen in der Musik, sie verleiht dem Künstler die Flügel, mit denen er dem Prosaischen und Banalen entfliehen kann. Die bezwungene Tücke allein ist schon ein Werk der Schönheit.»

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

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