Jean Sibelius

Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47

Sätze

  • Allegro moderato

  • Adagio di molto

  • Allegro, ma non tanto

Dauer

33 Min.

Jean Sibelius’ Konzert für Violine und Orchester rückt die Violine eindeutig in den Mittelpunkt des Geschehens und überträgt dem Soloinstrument quasi die «Titelrolle». Von der Tra­dition der symphonisch angelegten Form weggehend, erzielt der Kom­ponist eine Synthese zwischen dem Symphonischen und dem Vir­tuo­sen. Das Hauptthema wird immer von der Violine vorgestellt, die Musik entwickelt sich nicht mehr aus einem Dialog zwischen Violine und Orchester, wie es beispielsweise in der Wiener Klas­sik üblich war, sondern mehr aus strukturellen Wech­seln zwischen dem Solopart und der Begleitung. Der Kom­po­nist teilt we­sen­tliche Bestandteile eines Instrumental­kon­zer­tes der Solo­vio­li­ne zu, so ist sie mitunter auch mit Auf­gaben be­traut, die traditionellerweise dem gesamten Orchester zufallen würden.

Der erste Satz (Allegro moderato) leitet mit einer für Sibelius typischen Streicherkulisse ein, die die Spielfläche in vorsichtigen Wipp­bewegungen «con sordino» mit der Farbe d-moll grundiert. Die Solovioline stellt sich mit einer melancholischen Kantilene vor und lässt augenblicklich erkennen, dass diese Musik aus ei­ner Gegend kommt, in der Tageslicht zum Kostbarsten gehört. Gleich­­zeitig kann man aber auch Sehnsucht und unterdrückte Ge­­fühle hinter den Noten erahnen, die im weiteren Verlauf im­mer hörbarer werden und Anflüge von rhapsodischem Tem­pe­ra­ment zeigen. Das melodische Geschehen entwickelt sich, die Violine vergrößert allmählich ihren Spielraum und ertastet die Weite des Raumes, der ihr im gesamten Werk reichlich zuteil wird. Lange Arpeggio-Bewegungen und Sprünge weiten den Ton­­­­umfang des Soloparts immer mehr aus und beschleunigen die Bewegung, die in der ersten Solokadenz mündet. Mit vornehm klingenden Sexten-Bewegungen leitet die Violine das zweite Thema des Satzes ein und führt das Geschehen erneut zu einem wild-romantischen Höhepunkt, das nach einem Auf­brau­sen in Wartestellung verharrt: Durch einen kühnen Sprung spannt die Violine nun eine Feder, die eine weitere Solokadenz in Gang setzt. Schon nach diesen wenigen Minuten kann die Violine genug Material aus dem bisher Erklungenen schöpfen, um sich nach einer Erinnerung an die wichtigsten Elemente der Weiterentwicklung zuzuwenden. Das Orchester «assistiert» hier der Violine bei neuen virtuosen Streifzügen und stellt danach ein ei­genes Seitenthema vor, das zum Schluss des Satzes wiederum von der Violine kommentiert und abgerundet wird. Die letzten Tak­te des ersten Satzes wecken Erinnerungen an die virtuosen Fi­nali in den Violinkonzerten von Felix Mendelssohn und Max Bruch.

Im zweiten Satz (Adagio di molto) stellt Sibelius ein weit ausgreifendes und trotzdem schlicht gehaltenes Thema vor, das eben­mäßig und ohne übertriebenes Pathos erklingt. Der eigent­li­che Reiz des langsamen Satzes liegt in seinen verborgenen Qualitäten und dem Tiefgang, der durch subtile Zurückhaltung er­zielt wird. Die Solovioline besticht durch gleichzeitig gespielte Rhythmen, gebrochene Oktavenreihen und feingliedrige Trio­len­­figuren – einmal mehr zeigt sich, dass echte Virtuosität niemals allein durch technische Perfektion oder gar Geschwindig­keit erreicht werden kann. Die Farben, die Sibelius einsetzt, ge­ben tiefen Einblick in seine profunde Kenntnis des Instru­men­tes und seiner Verbundenheit zu ihm. Von der bittersüßen In­nigkeit in den tiefen Lagen bis zum dreigestrichenen D, das die Violine gegen Ende des Satzes als Ausdruck innerster Gefühle erklimmt, reicht hier die Palette. Mit einer Reprise des Haupt­the­mas schließt sich der Adagio-Kreis wieder.

Als «Polonaise für einen Eisbären» bezeichnete ein britischer Musikwissenschaftler den dritten Satz (Allegro ma non tanto) des Violin­konzertes. Die freien Assoziationen zu diesem Finale reichen noch weiter, so fand ein Biograf von Sibelius, dass die Musik klinge «als hätte ihr Schöpfer den Großteil seines Lebens an den Ufern der Donau verbracht.» Und tatsächlich weicht jegliche Zurückhaltung, auskomponierte Lichtkargheit und zartherbes Flair einem tänzerischen und übermütig auf­trump­­fenden The­ma, das rhythmisch einprägsam heran­galop­piert. Die freie Asso­­zi­ation mit den Donau­gestaden scheint leicht nachvollziehbar: wir­beln­­des Wasser, aufbrausendes Tem­pe­ra­ment und erregtes Gemüt dominieren die Er­öf­fnung dieses Satzes. Das Seiten­the­ma, das vom Orchester vorgestellt wird, fügt sich präzise in den Charakter des Satzes ein. Die punk­tierten Streicher­be­we­gun­gen verwandeln sich bald in eine etwas gehemmte Un­ter­malung: Plöt­z­­lich legt die Violine die Mas­­ke des jugendlichen Esprits ab, be­schwört mit irrlichternden Flageolett-Figu­ren hexen­haf­te Fratzen he­rauf, die kaum greifbar he­rum­­schwir­ren. Die lan­ge Schlusssteigerung wird wiederum von ausufernder Virtuosität ge­prägt: das Solo­instrument greift auf die Eröf­fnung des Kon­zertes zu, erweitert den Tonraum und führt noch einmal ein Skelett des Hauptthemas vor – all das aber in der ausgelassenen und le­bens­bejahenden Kraft, die den Charakter des Finales ausmacht. Eine letzte Fanfare des Orchesters ist die Steigleiter, an der die Violine ihren großen Schlusslauf beginnt, um am Ende völlig selbständig himmelwärts zu schießen und das Werk «von oben» – so wollte Sibelius diesen Satz gespielt ha­ben – zu beschließen.

© Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Alexander Moore

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