Leonard Bernstein

Serenade für Solovioline, Harfe, Schlagwerk und Streichorchester

Sätze

  • Phaedrus - Pausanias

  • Aristophanes

  • Eryximachus

  • Agathon

  • Sokrates - Alkibiades

Dauer

30 Min.

Entstehung

1954

«Als nun so ihre ursprüngliche Gestalt in zwei Teile gespalten war, ward jede Hälfte von Sehnsucht zur Vereinigung mit der anderen getrieben: Sie schlangen die Arme umeinander und schmiegten sich zusammen, voll Begierde, zusammenzuwachsen.»Platon Aus: Symposion (Gastmahl), 380 v. Chr.

1954, im Jahr der Entstehung seiner Serenade für Solovioline, Harfe, Schlagwerk und Streichorchester, meinte Leonard Bernstein: «Ich bin ein Komponist ernster Musik, der versucht, Songs zu schreiben. Ich hatte eine Symphonie komponiert, bevor ich je einen Schlager schrieb.» Er war der legitime Nachfolger George Gershwins, wie dieser zog auch Bernstein nie eine Grenze zwischen der so genannten E- und U-Musik, vermischte in seinen Werken perfekt europäische und amerikanische Einflüsse. Heute würde man dies als «Crossover» bezeichnen.

Leonard Bernstein stammte aus einer russisch-jüdischen Familie, die sich in Massachusetts niedergelassen hatte. Er studierte Komposition und Klavier, 1943 gelang ihm der Durchbruch als Dirigent, als er als Einspringer für Bruno Walter einen sensationellen Erfolg feierte. Auch als Pianist hatte er große Erfolge – ein Universalmusiker.

Die Uraufführung der Serenade fand am 12. September 1954 im Teatro La Fenice in Venedig statt, der Solist war Isaac Stern. Im Gegensatz zum Violinkonzert der Klassik und der Romantik, in dem das Hauptthema vom Orchester vorgestellt wird, bevor der Solist ins Spiel kommt, lässt Bernstein die Solovioline in seiner Serenade in den ersten vier Sätzen die Rolle des «führenden Sprechers» übernehmen. Nur der fünfte Satz beginnt mit einer orchestralen Einleitung. Bernstein verfasste selbst eine Einführung zu dem Werk, in der er betont, dass der Serenade «kein literarisches Programm» zugrunde liegt, «obwohl sie entstanden ist, nachdem ich Platons charmanten Dialog wieder einmal gelesen hatte. Die Musik stellt wie der Dialog eine Reihe miteinander verwandter Aussagen zum Preise der Liebe dar und folgt der von Platon gewählten Form des Auftretens nacheinander sprechender Figuren der griechischen Intelligenz.» Über die musikalische Form meint der Komponist, dass «die Verwandtschaft der Sätze untereinander nicht auf thematisches Material im gewöhnlichen Sinn gegründet ist, sondern auf ein System, in dem jeder Satz aus Elementen des vorigen entwickelt wird.»

Bernstein bietet dem interessierten Zuhörer «Wegweiser», die durch Hinweise auf Personen und Handlung ergänzt werden. In Platons Werk werden sieben Reden über den Eros gehalten, eine davon von Sokrates, der seine Begegnung mit der Priesterin Diotima schildert und ihre Liebeslehre rekapituliert. Es ist die Lehre von der Erinnerung an das Schöne, dem der Liebende mystisch verfällt.

1. Satz: Phaidros (oder Phaedrus) und Pausanias. Phaidros, in Platons Gastmahl ein «hypochondrischer Literat», beginnt die Gespräche im Hause des Agathon, von Platon als «tragischer Poet» bezeichnet, der mit seinen Kollegen und Freunden seinen Sieg in einem Tragödienwettbewerb feiern will. Phaidros eröffnet das Fest mit einer Hymne an Eros, den Gott der Liebe. In der Musik wird dies durch ein Fugato der Solovioline wiedergegeben. Darauf preist Pausanias die Liebe zwischen Männern als die ideale Liebe: Bernstein meint dazu, die «Dualität von Liebhaber und Geliebtem ist im Rahmen eines klassischen Allegro-Sonatensatzes ausgedrückt, der aus Material des eröffneten Fugatos entwickelt wird.» 2. Satz: Aristophanes. Der Komödiendichter spricht als nächster: Er spielt in diesem Stück «nicht die Rolle des Spaßmachers, sondern die eines Geschichtenerzählers vor dem Schlafengehen, der von einer legendären mythologischen Entstehung der Liebe spricht.» Eine musikalische Floskel des ersten Satzes wird zur Zelle des neuen Hauptthemas, das als spritziges Allegretto den heiteren Charakter des Aristophanes darstellt. 3. Satz: Eryximachos. Bernstein meint über den Arzt Eryximachos: «Der Doktor spricht von körperlicher Harmonie als wissenschaftlichem Modell für die Formen der Liebe. Dies ist ein äußerst kurzes Fugato-Scherzo, aus einer Vermischung von Mysterium und Humor heraus geboren.» Dieser Presto-Satz ist von Gegensätzen geprägt: Fortissimo und Pianissimo, Virtuosität und Spielerei.

4. Satz: Agathon. Im Beitrag des Gastgebers Agathon sieht Bernstein «den vielleicht bewegendsten Vortrag im Dialog. Agathons Lobpreisung bezieht alle Aspekte der Macht, der Reize und der Funktionen der Liebe ein. Der Satz ist in einfacher dreiteiliger Liedform geschrieben». Motivisches und thematisches Material der vorangegangen Sätze kehrt wieder.

5. Satz: Sokrates und Alkibiades. Letzterer ist Staatsmann und Schüler von Sokrates. Zu diesem Finalsatz schreibt Bernstein: «Sokrates beschreibt seinen Besuch bei der Seherin Diotima und zitiert ihre Rede zur Lehre von der dämonischen Liebe. Dies nimmt die Form einer langsamen Einleitung an, die von größerem Gewicht ist als irgend einer der vorangegangenen Sätze. Sie dient als weiterentwickelte Reprise des Mittelteils des Agathon-Satzes und erinnert dabei an eine Art von Sonatenform. Die berühmte Unterbrechung des Gastmahles durch Alkibiades und seine betrunkenen Zechgenossen leitet den abschließenden Rondo-Satz ein, in dessen Geist die Musik von Aufruhr über Gigue-artige Tanzrhythmen zu fröhlicher Feststimmung führt. Wenn in diesem Fest eine Andeutung von Jazz enthalten ist, so wird das hoffentlich nicht als anachronistische griechische Party-Music verstanden werden, sondern als die natürliche Ausdrucksweise eines zeitgenössischen amerikanischen Komponisten, der vom Geist jener zeitlosen Abendgesellschaft erfüllt ist.»

© Marie-Theres Arnbom | NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H.

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