George Gershwin

Symphonic Picture aus der Oper «Porgy and Bess» (Bearbeitung: Robert Russell Bennett)

Dauer

24 Min.

Entstehung

1933-35/1942

George Gershwin hatte eigentlich den Namen Jakob und war ein Sohn eines russischen Einwandererehepaares. Der Vater trug noch den Familiennamen Gershovitz, als er Ende des 19. Jahrhunderts, aus St. Petersburg kommend, in New York amerikanischen Boden betrat. Einer der Vorfahren Gershwins war Rabbiner. Jakob, der von allen George gerufen wurde, flitzte als Kind mit Rollschuhen durch die Straßen von New York. Es waren die fahrbaren Untersätze, die ihn zur Musik trugen. Bei einem Ausflug in die 125th Street in Harlem entdeckte der sechsjährige Bub einen Musikautomaten, der nach Einwurf einer Münze beliebte Musikstücke wiedergab. Das erste, was George Gershwin zu hören bekam, war die populäre «Melodie in F» des russischen Komponisten und Pianisten Anton Rubinstein. Die russische Kantilene weckte die musikalische Empfindung des New Yorker Knaben mit russischen Vorfahren. Er begann wie selbstverständlich auf dem von der Mutter angeschafften Klavier zu spielen, erhielt eine klassische Ausbildung am Klavier durch einen Musiker namens Charles Hambitzer, hörte berühmten Pianisten wie Leopold Godowsky in Konzerten zu, entwickelte aber gleichzeitig eine Leidenschaft für kurze, eingängige Melodien wie jene von Rubinstein und begann als 15-Jähriger, Songs nach dem Vorbild von Irving Berlin und Jerome Kern zu schreiben.

In die musikalische Lehre ging George Gershwin an keinem Konservatorium, sondern in der legendären Tin Pan Alley zwischen Broad-way und 5th Avenue in Manhattan. Er heuerte bei einem der vielen dort ansässigen Musikverlage als so genannter Song Plugger an. Ein harter Job – der Song Plugger musste die neuesten Schlager auf dem Klavier Interessenten (Sängern, Instrumentalisten, Kapellmeistern) vortragen, damit diese die Noten kauften und die Rechte zum Vortrag erwarben. George Gershwin war gewissermaßen eine lebendige Music Box, der Melodien von Berlin, Kern, Sousa und Hammerstein aus dem Handgelenk schüttelte und dabei das Gespür für den wirkungsvollen Aufbau und Verlauf einer Melodie bekam. Der junge Mann knüpfte Kontakte mit Komponisten und mit aufstrebenden darstellenden Künstlern wie dem Geschwisterpaar Fred und Adele Astaire.

Ein Song machte den jungen Gershwin über Nacht in ganz Amerika und auch in Großbritannien berühmt: «Swanee», verbreitet vom bekanntesten Broadway-Showman, Al Jolson. Gershwin war damals 21 und bereits mit dem Musical «La La Lucille» auf dem Broadway gelandet. Rund 25 weitere Musicals ließ er in den nächsten 15 Jahren folgen, darunter «Lady, Be Good», «Show Girl», «Girl Crazy» oder «Strike Up The Band». In den Orchesterensembles wirkten herausragende Musiker wie der Klarinettist Benny Goodman, der Posaunist Glenn Miller und der Schlagzeuger Gene Krupa mit. Die Musicals gerieten in Vergessenheit, Songs daraus überlebten und wurden zum Teil zu Jazz-Standards.

Die Musikgeschichte aber wirbelte Gershwin gehörig auf, indem er seine kompositorische Begabung bald auch dem klassischen musikalischen Formenkanon angedeihen ließ. Im Februar 1924 kündigte der «King of Jazz», wie der Bandleader Paul Whiteman genannt wurde, für einen Abend unter dem Titel «Was ist amerikanische Musik?» in der Aeolian Hall in New York eine Komposition des 26-jährigen Gershwin für Jazzband und Piano an. Gershwin, ein begnadeter Rag-Pianist, der leidenschaftlich gerne bei Partys am Klavier improvisierte, spielte nun seine «Rhapsody in Blue» vor einem überaus prominenten Publikum, darunter die Komponisten Sergej Rachmaninow und Ernest Bloch, der Geiger Fritz Kreisler und die Dirigenten Willem Mengelberg, Leopold Stokowski und Walter Damrosch. Die Uraufführung der Rhapsodie, die der Arrangeur der Whiteman-Band, Ferde Grofé, für ein 23 Personen starkes Orchester instrumentierte, geriet zur Sensation. Amerika, dessen Konzertleben hauptsächlich von europäischen Interpreten und Werken geprägt war, feierte in Gershwin ein junges «amerikanisches Originalgenie».

Intuitiv bewegte sich Gershwin fürderhin mit sicherer Hand durch die Genres der Konzertmusik. Der «Rhapsody in Blue» ließ er innerhalb weniger Jahre Orchesterstücke wie «An American in Paris» und die «Cuban Overture» sowie weitere Werke für Klavier und Orchester, das Concerto in F, die «Second Rhapsody» und die «I got rhythm»-Variationen folgen. Sein Ruhm als Komponist verbreitete sich rasant. Auch in der alten Welt brachte man dem jungen Amerikaner Anerkennung entgegen, wie er bei Reisen durch Europa in Paris, London, aber auch in Berlin und Wien feststellen konnte. Es kam zu Begegnungen mit Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Kurt Weill, Alban Berg, Maurice Ravel, Igor Strawinski, Francis Poulenc, Darius Milhaud, Arthur Honegger und Sergej Prokofjew.

Gershwin sog begierig musikalische Eindrücke aus Europa auf. Er hörte Streichquartettmusik von Schönberg und Berg, erlebte in Wien Kreneks Oper «Jonny spielt auf» – und wollte Unterricht bei Ravel, Strawinski und Nadja Boulanger nehmen, da er das Gefühl hatte, noch keine «seriöse» musikalische Ausbildung erfahren zu haben. Ravels Reaktion, dass es ein «erstklassiger Gershwin» doch nicht nötig habe, ein «zweitklassiger Ravel» werden zu wollen, ist symptomatisch für den Respekt, mit dem man dem unverwechselbaren musikalischen Stil Gershwins begegnete.

Seine unerschöpfliche melodische Fantasie lebte Gershwin so wie in den Songs auch in den Orchester- und Konzertwerken aus. Elemente aus der amerikanischen Unterhaltungsmusik vermochte er mit Einflüssen spezifischer ethnischer Musikrichtungen zu verbinden. Immer adelte Gershwin das, was er in seine Musiksprache aufnahm, durch seine kompositorische Inspiration. So schrieb er mitreißende Jazz-Songs, hatte einen innigen Blues und verfasste hochwertige und gleichzeitig berührende Gospels und Spirituals. «Musik war das, was sein Gefühl erweckte, und Musik war das Gefühl, das er ausdrückte», schrieb niemand Anderer als Arnold Schönberg nach dem frühen Tod Gershwins im Jahre 1937 – es könne kein Zweifel darüber bestehen, dass Gershwin ein großer Komponist gewesen sei: «Was er vollbrachte, kam nicht nur der amerikanischen Musik zugute, sondern es war auch ein Beitrag zur Musik der ganzen Welt.»

Bereits in den Zwanzigerjahren hatte sich Gershwin für den Roman «Porgy» von Edwin DuBose Heyward interessiert, in dem das Leben der Schwarzen am Rande der Gesellschaft geschildert wird. Heyward siedelte in der herunter gekommenen Catfish Row der Stadt Charleston in South Carolina den Konflikt zwischen einer fleißigen Gruppe an, die versucht, vom Fischfang oder vom Straßenhandel zu leben, und diversen vom Weg Abgekommenen, die mit Gaunereien oder auch mit Brutalität ihr Überleben sichern. Die Dreiecksgeschichte zwischen der schönen Bess, dem skrupellosen Crown und dem behinderten Porgy, als Sinnbild von verzweifelter Suche nach dem Glück und einem noch verzweifelteren Kampf auf Leben und Tod, wurde von Heyward zwei Jahre nach Erscheinen des Romans bereits in einem Theaterstück weiter verarbeitet, weshalb Gershwin mit seinem schon damals entflammten Interesse an dem Romanstoff zur Vertonung einer Oper zurückstand. Zehn Jahre später aber war der Zeitpunkt gekommen, das Projekt der Oper in Angriff zu nehmen, wobei Heyward selbst die Erstellung des Librettos zu «Porgy and Bess» übernahm und Gershwins Bruder Ira, sein verlässlicher Dichterpartner in den Musicals, einige Songtexte beisteuerte.

Zur Komposition übersiedelte Gershwin von seiner mondänen Wohnung in New York in eine bescheidene Unterkunft auf einer kleinen Insel nahe Charleston, wo der Komponist mit der schwarzen Bevölkerungsgruppe der Gullahs in Berührung kam, deren Lebens-umstände und Lebensgewohnheiten Heyward zu seinem Roman angeregt hatten. Gershwin erlebte unter anderem Gebetszeremonien der Schwarzen in einem zum Kirchenraum umgewandelten Schuppen mit und ließ sich nicht nur vom Erlebnis der sozialen Verhältnisse der Gullahs, sondern auch von ihren musikalischen Gebräuchen inspirieren – etwa von der Gepflogenheit, das Gebet mit mehreren verschiedenen Melodien anzustimmen …

Gershwin fing die sozial angespannte Atmosphäre, wie sie von Heyward geschildert wird, auf nahe gehende musikalische Weise ein: Episoden, in denen Angst und Traurigkeit der Menschen der Catfish Row zum Ausdruck kommen, gehen über in brillante Stücke, aus denen die Kunst des Überlebens herausklingt, und werden kontras-tiert von Passagen, in denen die stürmische Gewalt der Natur und die seelische und körperliche Gewalttätigkeit der Menschen losbricht.

Die maßgebliche New Yorker Erstaufführung von «Porgy and Bess» im Oktober 1935 hinterließ bei den Kritikern den Eindruck, es handle sich bei dem Werk um eine halbherzige Mischung aus Musical und Oper. Als eine Art Werbung für die Oper, die mehr schlecht als recht am Broadway lief, ist eine fünfteilige Orchestersuite zu ver- stehen, die Gershwin anfertigte und die 1936 vom Philadelphia Orchestra aufgeführt wurde. Sie konnte nicht verhindern, dass «Porgy and Bess» am Broadway abgesetzt wurde.

1942, fünf Jahre nach Gershwins frühem Tod, schuf Robert Russell Bennett (1894 – 1981), der sich als Arrangeur und Orchestrator von vielen Broadway- und Hollywood-Komponisten einen Namen gemacht und auch mit seinem Freund Gershwin zusammengearbeitet hatte, eine durchgängige Suite unter dem Titel «Porgy and Bess: A Symphonic Picture». In ihr finden sich die Hits der Oper wie «It Ain’t Necessarily So», «I Loves You, Porgy», «I Got Plenty of Nuttin’» und natürlich «Summertime» zu einer spannenden Tondichtung verbunden. Bennett hielt sich in der Reihenfolge der bearbeiteten Songs und Chöre nicht an die Chronologie der Opernereignisse, sondern folgte eher musikalischen Kriterien, wie etwa passenden Tonartenfolgen und dynamischen Kontrasten. Gershwins Musik er-hält in Bennetts Fassung, in der die Orchesterbesetzung gegenüber der Oper deutlich vergrößert ist, eine enorme epische Intensität. Wirkungsvoll setzte Bennett Banjo, Trompete, Hörner, Saxophon oder Klarinetten als Soloinstrumente ein. «Summertime» wird zunächst chorisch von den Violinen und dann von der Oboe «gesungen». Bennetts Symphonic Picture entstand für das Pittsburgh Symphony Orchestra und dessen Dirigenten Fritz Reiner. Die bestellte Länge der Suite betrug exakt 24 bzw. 6 x 4 Minuten, damit die Musik auf drei der damals handelsüblichen Schellackplatten Platz hatte.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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