Joseph Haydn

Symphonie B-Dur Hob. I:102

Sätze

  • Largo - Vivace

  • Adagio

  • Menuet. Allegro - Trio

  • Finale. Presto

Dauer

26 Min.

Joseph Haydns zwei Aufenthalte in England in den Jahren 1791-92 und 1794-95 sind ein ewiges Zeugnis des Triumphs des Geistes über die Materie. Als ob er während seiner jahrelangen «Einöde in Esterháza», über die er sich wiederholt beklagte, Energie angesammelt hätte, die sich nach dem Tod des Fürsten im Herbst 1790 Bahn brach und Haydn über alle Probleme einer Englandreise hinweghelfen sollte. Haydn war fast 60 Jahre alt, hatte keinerlei Auslandserfahrung und Englischkenntnisse und tat trotzdem das, was einem Genie geboten ist: eine historische Gelegenheit mit Entschlossenheit zu ergreifen und seiner künstlerischen Sendung Genüge zu tun. Der Erfolg von Haydns erstem Aufenthalt in London war so groß gewesen, dass bald versucht wurde, ihn noch einmal nach England zu holen.

Johann Peter Salomon rechnete fest mit Haydns Rückkehr zum Beginn der Saison im Februar 1793, musste allerdings bald eingestehen, dass Haydn «durch eine erfolglose Operation eines Nasenpolypen verhindert sei, zum erhofften Zeitpunkt nach England zu reisen». Die Gründe dieser Verzögerung waren nicht nur gesundheitlicher Natur. Einerseits verschlechterte sich infolge der Französischen Revolution zusehends die politische Lage in Europa, andererseits hatte Haydn noch nicht genug neue Musik komponiert, die den finanziellen Erfolg einer erneuten Reise garantiert hätte. Erst ein Jahr später, im Jänner 1794, kehrte Haydn nach London zurück. In seinen «Londoner Symphonien » nutzt er jedes Mittel, die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu fesseln, von brillanten Orchesterfarben über faszinierende Kombinationen von Timbres bis zu extremen Klangkontrasten. Haydn passte seinen Stil bewusst dem Geschmack der Londoner an. Er betonte nun den Charme naiv anmutender Andante-Sätze und den Ländler-Charakter der Trios, bevorzugte melodisch abgerundete Seitenthemen mit schlichter Begleitung oder Pizzicato-Bässen und bediente sich ländlicher Stimmungen und Tanzrhythmen in den Menuetten und Finalsätzen. Die Symphonie Hob. I:102, die im Herbst 1794 entstanden war, wurde am 2. Februar 1795 unter der Leitung des Geigers Giovanni Battista Viotti im King’s Theatre uraufgeführt, wobei der vierte Satz wiederholt werden musste.

In diesem Werk werden Wege beschritten, die erst Beethoven wieder betreten sollte. Die Beschränkung des thematischen Materials wird durch dessen fulminantes Entwicklungspotential kompensiert, sodass man immer wieder erstaunt ist, wie Haydn aus geradezu banalen Elementen – wie z. B. dem Vivace-Thema des ersten Satzes – seine symphonischen Gebilde errichten konnte. Ein Großteil von Haydns Raffinesse basiert auf Verwandtschaften thematischer Bausteine. Die Musikwissenschaft ist bis heute damit beschäftigt, diese monothematischen Strategien, sozusagen Haydns «musikalische Urpflanzen», aufzuspüren. Die Durchführung des ersten Satzes ist ein Meilenstein in der Geschichte der Sonatenform: Die beiden stark kontrastierenden Themen werden in einen regelrechten Konflikt verwickelt, der in einer kanonischen Passage kulminiert. Der zweite Satz, Adagio, hat die Form einer freien Variation in jenem Stil, den Haydn oft als «Capriccio» bezeichnete. Die Dämpfung der Trompeten und Pauken, die dem Stück eine unheimliche Wirkung verleiht, wurde von Haydn wahrscheinlich erst später hinzugefügt. Das Menuett, das schon ein Scherzo ist, weist durch seine Instrumentation weit in das 19. Jahrhundert. Der Bläsersatz des Trios diente sicher auch Franz Schubert als Modell. Über den Witz des Finalsatzes, Presto, kann man nicht viel Worte machen. Viele Analogien wurden hier schon bemüht, von der Opera buffa bis zum Humor Shakespeares. Unwiderstehlich in ihrer Wirkung sind die Synkopen, die chromatisch flirrenden Sechzehntelketten und natürlich der raffiniert verzögerte Schluss mit einer «Was Nun?»-Generalpause. Haydns «Londoner Symphonien» wurden zum Vorbild einer Generation von Komponisten. Nur er selbst hätte den von ihm geschaffenen kreativen Leistungen noch eine neue Richtung geben können.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Michael Lorenz

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