Wolfgang Amadeus Mozart

Symphonie g-Moll KV 550

Sätze

  • Allegro molto

  • Andante

  • Menuetto. Allegretto - Trio

  • Allegro assai

Dauer

28 Min.

Entstehung

1788

Wolfgang Amadeus Mozart schrieb von Juni bis August 1788, also drei Jahre vor seinem Tod, in rascher Folge eine Trias von Symphonien (Es-Dur KV 543; g-moll KV 550; C-Dur KV 551), die seine letzten und fraglos auch gewichtigsten Beiträge zu dieser Gattung bleiben sollten. Für welchen Anlass diese Werke entstanden, ja ob sie überhaupt zu Mozarts Lebzeiten noch erklungen sind, wissen wir bis dato nicht. Eine äußere Anregung dürften aber die sogenannten «Pariser Symphonien» Nr. 82–84 in den gleichen Tonarten (C-Dur,   g-moll und Es-Dur) aus der Feder seines Freundes Joseph Haydn geboten haben, die im Jahr davor in Wien als Dreiergruppe im Druck erschienen waren: Schon mit seinen sechs Haydn gewidmeten Streichquartetten (1782–85) hatte Mozart musikalisch auf dessen Quartette op. 33 reagiert und also eine direkte künstlerische Kommunikation mit dem Komponistenkollegen aufgenommen. Betrachtet man Mozarts letzte drei Symphonien zusammen, wirken sie wie ein Kompendium klassischen Komponierens, da sie durch ihre jeweils einzigartige Konzeption bei Wahrung der formalen Einheit die mögliche Bandbreite von Inhalt und Aussage der Gattung ihrer Zeit auf faszinierende Weise ausloten.

Aufführungen zu Mozarts Lebzeiten lassen sich nicht belegen; dass er die Symphonie g-moll KV 550 aber umgearbeitet und zwei Klarinettenstimmen hinzugefügt hat, lässt die vage Vermutung zu, das Werk sei im April 1791 in Wien bei zwei Benefizkonzerten der «Tonkünstler-Societät» erklungen, an denen die befreundeten Musiker Johann und Anton Stadler mitgewirkt haben. Die enorme Popularität der Symphonie, die sich über Schlagerversionen bis zur Klingeltonverwendung des Hauptthemas des ersten Satzes hin erstreckt, steht in verblüffendem Gegensatz zu ihrem Gehalt – handelt es sich doch um eines der düstersten, disparatesten Werke der symphonischen Literatur überhaupt. Nur zwei Symphonien Mozarts stehen in einer Molltonart, in beiden Fällen ist es die «Todestonart» g-moll, in der auch Pamina in der «Zauberflöte» ihr herzzerreißendes «Ach, ich fühl’s» singt – und «deren Vorläufer g-Dorisch schon bei Claudio Monteverdi die Götter der Unterwelt begleitete» (Hartmut Krones). Die Symphonie KV 183 (173d B) des 17-Jährigen, am 5. Oktober 1773 in Salzburg vollendet und mit hastiger, flüchtiger Handschrift offenbar in einem Zug niedergeschrieben, gehört einer experimentellen musikalischen Strömung nach der Mitte des 18. Jahrhunderts an, die gerne mit dem aus der Literaturgeschichte übernommenen Begriff «Sturm und Drang» benannt wird – der freilich, wie renommierte Forscher zu betonen nicht müde werden, mehr in die Irre führe als er hilfreich wäre. Es gehe, so etwa Ludwig Finscher, viel mehr um die allgemeiner zu verstehende «Tendenz, durch Moll-Tonarten und die Übernahme von Elementen der Opernsprache wie Orchester-Tremolo, Synkopenketten, große Intervalle, schroffe Kontraste, Rezitativ-Formeln die Sprache der Symphonie anzureichern, zu vertiefen, ja überhaupt erst zum Reden zu bringen.»

Das «weiche» g-moll sei übrigens «schon schwermuethiger» als     d-moll, schrieb der Geistliche, Komponist und Theoretiker Georg Joseph Vogler 1798, und in den berühmten «Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst» des viel begabten Literaten und Komponisten Chris­-tian Friedrich Daniel Schubart wird g-moll mit folgenden Worten charakterisiert: «Mißvergnügen, Unbehaglichkeit, Zerren an einem verunglückten Plane; mißmuthiges Nagen am Gebiß; mit einem Worte, Groll und Unlust». Mozarts zweite symphonische Auseinandersetzung mit der Tonart und den in ihr repräsentierten Affekten fällt jedenfalls anders aus als seine erste – und unterscheidet sich damit auch klar von Haydns «Pariser» g-moll-Symphonie, in der im Stirnsatz leidenschaftlich-forsche Klänge mit lieblich-neckischen in Kontrast treten und sich die Stimmung schon ab dem zweiten Satz nachhaltig aufklärt. Mozart hingegen nimmt vor allem die Gestik eines verzweifelten Pathos wieder auf, bringt sie aber mit einer neuartigen, schmerzlichen Melancholie zusammen, die in seinem Jugendwerk eindeutig noch gefehlt hatte.

Aus alldem Rückschlüsse auf Mozarts emotionale und psychische Situation zur Zeit der Komposition zu ziehen, ist freilich absolut unzulässig: Schon die gemeinsam mit diesem entstandenen und völlig anders gearteten Schwesterwerke in Es-Dur und C-Dur belegen dies klar.

Geht der einen eine langsame Einleitung voran und setzt die andere mit vollem Orchester im Forte ein, beginnt die Symphonie g-moll KV 550 mit einer leisen Begleitfigur: Die geteilten Bratschen schaffen einen Hintergrund voll Unrast und gedämpfter Erregung, vor den sogleich das Hauptthema in den Violinen tritt. Eine mehrfach wiederholte Seufzerfigur schwingt sich da zu einem sehnsüchtigen Sextenanstieg auf, um gleich darauf kraftlos niederzusinken, die folgende Sequenzierung folgt einen Ton tiefer: ein Thema voll schwermütiger Symbolik – mit dramatischen Bezügen, auf die etwa Dietmar Holland hinweist: Dieser erste Satz benutze «den Typus der aria agitata», wie er etwa in «Le nozze di Figaro» durch Cherubinos «Non so più» vertreten sei. – Schroffe Bläserakkorde und energisch insistierende Streicher bilden das erste Forte, nach dem in der Wiederholung des Hauptthemas die Sequenz nun einen Ton höher erklingt und nach B-Dur führt. Polternde Bässe und düstere Chromatik entlassen uns jedoch nicht aus der allgemeinen Schwermut: Das Seitenthema, das im Dialog zwischen Streichern und Bläsern entsteht, wird von chromatischem Absinken geprägt. Eintrübungen, scharf rhythmisierte Akkorde und Skalenfiguren bilden den Schluss der Themenaufstellung. Die Durchführung dreht das Hauptthema durch die harmonische Mangel, jagt es durch den Quintenzirkel, lässt es mit erregten Achtelfiguren zwischen Bass und Diskant wechseln, bevor sich das Geschehen etwas beruhigt. Da spielen einander Violinen und Holzbläser nochmals sanft den Beginn des Hauptthemas zu – bis plötzlich ein schreiender letzter Ausbruch des ganzen Orchesters erfolgt, nach dem das Holz in ermattender Chromatik zurücksinkt und in die Reprise überleitet. Konsequenterweise erscheint darin auch das zuvor etwas tröstliche Seitenthema in g-moll: Am leidenschaftlich-düsteren Ausgang lässt die energische Coda keine Zweifel.

Das umfangreiche Andante, mit seinem 6/8-Takt im Charakter zwischen wiegendem Siciliano und ruhigem Schreiten, das durch die Tonrepetitionen des Beginns repräsentiert wird, beleuchtet einige zentrale Ausdrucksgesten des ersten Satzes in freundlicherem, kantablerem Licht. «Der Satz ist in jedem Takt von Bewegung erfüllt, aber frei von jeder Hektik – alles atmet in großer Ruhe. Die Besetzung wird nicht reduziert, bleibt aber immer durchsichtig und lässt die Instrumentengruppen bald chorisch, bald in solistischem Linienspiel erklingen», schreibt Volker Scherliess – doch wenn sich hier tatsächlich, wie er meint eine «arkadische Welt» auftut, dann kennt diese nicht nur dunkle Wolken, sondern auch Gewitter und Blitze, die in der Durchführung hörbar werden. Das folgende Menuett ist das schroffste, widerborstigste, untänzerischste aus Mozarts Feder und vereint eigensinnige kontrapunktische Kunststücke mit expressiven Dissonanzen und erneut herber Chromatik, während das Trio mit seinen reizvollen Bläserklängen, darunter ein idyllisches Hornduett, eine Gegenwelt in lichtem G-Dur entwirft.

Ein gewisser tänzerischer Charakter lässt sich dagegen am Finale wahrnehmen – auch wenn es Furien sind, die ihn ausführen. Wieder ist es eines der für Mozart so typischen bipolaren Themen, in zwei und zwei Takten jeweils bestehend aus einer aufsteigenden Dreiklangszerlegung in Viertelnoten  im Piano der Streicher und einer erregten Forte-Antwort in Achteln und energischen Akkorden des ganzen Orchesters. In einer langen Überleitung werden diese beiden Elemente erstmals gegeneinander ausgespielt, bevor das sehnsüchtig anmutende Seitenthema zunächst in den Violinen, dann in den Holzbläsern erklingt. Am Beginn der Durchführung aber geschieht Unerhörtes: Das im Unisono wiederholte Hauptthema zerfleddert, wird durch Generalpausen und verminderte Intervalle so verzerrt und zerrissen, dass sich in diesem Stocken beinahe eine Zwölftonreihe ergibt, jedenfalls die Tonalität auf verstörende Weise in Frage gestellt erscheint – ein expressiver Abgrund, in dem auch die folgenden komplexen kontrapunktischen Entwicklungen rund um den Quintenzirkel nur mehr schlecht als recht Halt geben können. In der Reprise hat längst auch das Seitenthema alle Hoffnung verloren: Das Werk endet in unerbittlicher Herbheit.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

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