«VOM UNVERWECHSELBAREN KLANG»

Was bewegt Sie, wenn Sie an Ihre bisherige gemeinsame Zeit mit dem Tonkünstler-Orchester zurückdenken?

Nun, wir haben sehr intensive Jahre hinter uns – viele Konzerte, erfolgreiche Tourneen, spannende Erfahrungen. Dabei konnten wir uns gegenseitig kennenlernen, unsere guten Seiten ebenso wie die weniger guten. Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit unserer Zusammenarbeit!

 

Wissen Sie beim Einstudieren genau, wie ein Werk am Ende klingen muss? Oder entwickelt sich Ihr Klangideal während der Proben mit dem Orchester und den Solisten?

Um diese Frage professionell zu beantworten, müsste ich eigentlich Ja sagen. Aber das ist natürlich immer auch eine Sache zwischen dem Orchester und dem Dirigenten. Einen Dirigenten kann man mit einem Aufseher auf einer Baustelle vergleichen: Es gibt einen Bauplan, aber das Produkt entwickelt sich während des Entstehungsprozesses. Sie haben einen Spezialisten für Zement, einen für Glas, einen für Eisen. Unglaublich viele Menschen sind daran beteiligt, etwas Neues zu erschaffen. Und als Dirigent muss man Freude daran haben, etwas Unerwartetes zuzulassen. Auch das Orchester, das schon mit vielen anderen Dirigenten gearbeitet hat, sollte bereit sein, etwas Neues, Anderes zu entwickeln.

 

Was schätzen Sie am Tonkünstler-Orchester besonders?

Ich mag seinen Wiener Klang. Viele andere Orchester orientieren sich mehr und mehr an einem internationalen Klang. Während man früher ein amerikanisches und ein europäisches Ensemble am Klang gut unterscheiden konnte, hat sich der Sound inzwischen sehr vereinheitlicht. Bei den Tonkünstlern aber ist der Wiener Klang noch zu spüren, und damit meine ich auch: mental zu spüren. Beispielweise die Horngruppe: Hier ist der Klang besonders ausgeprägt, reich und ausladend. Doch was ich meine, betrifft nicht nur die Hornisten. Den Tonkünstlern als Ganzes ist das gute Verhältnis anzumerken, das die Musikerinnen und Musiker untereinander haben. Da ist eine große Identifizierung mit dem eigenen Orchester zu erleben, da sind Stolz auf- und Respekt füreinander. Dazu ein wenig beigetragen zu haben und weiter beitragen zu können, würde mich sehr freuen. Unsere bisherige Zusammenarbeit hat auch meine Überzeugung bestärkt, dass Proben nicht streng oder autoritär ablaufen dürfen, sondern helfen sollen, unseren eigenen Klang zu finden und zu formen. Das macht unsere Zusammenarbeit für mich so speziell – und so reizvoll.

 

Ist es im Wiener Musikverein eher schwer oder eher leicht, einen guten Klang zu erzeugen?

In der Tat, das ist nicht irgendein Saal! Hier mehrmals im Jahr am Pult stehen zu dürfen, empfinde ich nach wie vor als etwas Besonderes, im Konzert oder auch nur in einer Probe. Der Klang ist sehr reichhaltig, aber auch wirklich sauber. Eine solche Akustik gibt es kein zweites Mal auf der Welt. Ich vergleiche das immer mit einer Wiener Melange, wo immer auch ein bisschen Schlagobers drauf kommt – egal, ob man Haydn oder Bruckner spielt oder «Turangalîla» in der riesigen Besetzung.

 

Von einigen Ihrer Kollegen heißt es, sie dirigierten nicht nur das Orchester, sondern auch den Saal. Spüren Sie beim Dirigieren das Publikum im Rücken?

Das ist in jedem Konzert anders. Ich kann gut spüren, wenn die Erwartungshaltung und die Konzentration sehr hoch sind. Natürlich gilt die Intensität der Empfindung auch in Situationen, in denen das Publikum unkonzentriert ist. Das kommt immer auch auf das jeweilige Stück an und auf das Orchester. Ich habe ja zunächst Flöte studiert und wollte professioneller Flötist werden. Und ich war sicher kein schlechter Flötist, aber immer sehr nervös. Deswegen ist das Dirigieren für mich wie eine von Gott gegebene Profession, wie ein Geschenk des Himmels: Mein Gesicht zeigt ins Orchester, und ich erzeuge keinen Klang, zumindest nicht direkt. Gleichwohl kann ich dank meiner eigenen Erfahrungen als Instrumentalist die Nervosität etwa eines Hornisten sehr gut verstehen. Den Musikerinnen und Musikern diese Nervosität zu nehmen, sehe ich als meine Aufgabe an. Ich könnte sie auch steigern, aber das Ergebnis wird dadurch nicht besser.

 

Das ist ein sicher wichtiger Grund für das gute Verhältnis zwischen Ihnen und dem Orchester.

Aber auch das Ergebnis unserer jahrelangen Zusammenarbeit. Ich gebe bei der Probe das Tempo vor und versuche nicht negativ zu formulieren. Manchmal muss ich schon deutlich sagen, das ist zu schnell, das ist zu groß, aber das tue ich nur am Anfang einer Arbeitsphase. Danach überlasse ich es dem Orchester, seinen eigenen Klang zu finden. Denn mein Ziel ist, mit den Tonkünstlern einen einzigarten, eigenständigen, unverwechselbaren Klang zu kreieren. Phrasierung, Atmosphäre, Klangfarben und die gemeinsam erzeugte Atmosphäre sind ohnehin einzigartig, immer, in jedem Moment. Und das kann man sich nicht vorher im Kopf vorstellen, das kann nur im Miteinander, direkt beim Spielen, geschehen. Darauf warte ich. Als Dirigent übe ich eine gewisse Kontrolle aus, aber ich erwarte auch vom Orchester, dass es selbstständig und eigenverantwortlich agiert.

 

Wie kommunizieren Sie denn am besten mit dem Orchester?

Das Entscheidende ist die zwischenmenschliche Ebene. Da geht es nicht um Worte und Entscheidungen und darum, ob und wie man sie versteht. Zu hundert Prozent zu folgen, ist unmenschlich. Das Verhältnis zwischen einem Orchester und seinem Dirigenten, ihr gegenseitiges Verständnis, geht weit über Worte hinaus. Je öfter wir miteinander arbeiten und je länger, desto intensiver wird dieses Verhältnis.

 

Welche Werke möchten Sie mit den Tonkünstlern in den nächsten Jahren unbedingt aufführen?

Vor allem die Musik jener Komponisten, die in Wien gewirkt haben – Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms und Bruckner. Ihre Werke sind für mich das Basisrepertoire der Tonkünstler. Und das sage ich ganz bewusst, auch wenn es sehr traditionell klingt. Jetzt gehen wir mit Mahlers Symphonien den nächsten Schritt.

 

Interview: Ute van der Sanden

Das vollständige Interview steht hier.

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden