Archiv: Familientag | Zaubertöne aufgewacht!

Grafenegg Auditorium Auditorium

Interpreten

  • Garrett Keast, Dirigent

Programm

John Coolidge Adams
«Short Ride in a Fast Machine» Fanfare für Orchester
Igor Strawinski
«Mystischer Reigen der jungen Mädchen» aus «Le Sacre du Printemps»
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 «Pastorale», 1. Satz (Allegro ma non troppo), Ausschnitt
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 «Pastorale», 4. Satz (Allegro)
Joseph Haydn
Symphonie D-Dur Hob. I:101 «Die Uhr», 2. Satz (Andante), Ausschnitt
Georg Friedrich Händel
Water Music, Suite Nr. 2 D-Dur HWV 349, Nr. 12 (Alla Hornpipe), Ausschnitt

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Bedrich Smetana

«Die Moldau» Symphonische Dichtung Nr. 2 aus dem Zyklus «Mein Vaterland»

Sätze

  • Allegro commodo non agitato

Dauer

12 Min.

Entstehung

1874-79

Bedrich Smetana schuf mit dem Zyklus «Mein Vaterland» eine Apotheose seines tschechischen Heimatlandes und setzte dessen Mythen, Landschaften und Geschichte in Tondichtungen um. Die Komposition der sechs symphonischen Poems, die sich über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckte, wurde für Smetana aber auch zu einer Reise in das Innerste seines eigenen Ich. Als er 1874 an den Partituren der Tondichtungen «Vysehrad» und «Die Moldau» arbeitete, brach jene Krankheit (Paralyse) aus, deren unmittelbare Folge eine völlige Taubheit des Komponisten war. Innerhalb weniger Wochen verlor Smetana sein Gehör und als Folge dessen auch seinen Beruf als Kapellmeister am Prager Interimstheater und Künstlerischer Leiter der Tschechischen Oper. Der 50-jährige Komponist musste sich aus existentiellen Gründen aus der Metropole Prag in die ländliche Einsamkeit des unweit der Elbe gelegenen Dorfes Jabkenice zurückziehen, wo er im Forsthaus seines Schwiegersohnes einziehen konnte. In  diesem Mikrokosmos des Lebens entstand ein wesentlicher Teil des Makrokosmos von Smetanas Schaffen: einige der «Vaterland»-Tondichtungen, die beiden letzten vollendeten Opern «Der Kuss» und «Das Geheimnis», die beiden Streichquartette und die Duos «Aus der Heimat» für Violine und Klavier.

In der Abgeschiedenheit von der akustischen und urbanen Welt weitete sich die schöpferische Phantasie des Komponisten auf seinen regelmäßigen Wanderungen durch den großen Wildpark und während seiner Arbeitsstunden in den zwei Zimmern im ersten Stock des Forsthauses. Dabei befand sich Smetana aber in beständigem Kampf mit seiner Krankheit:

«Die größte Qual bereitet mir (...) das fast ununterbrochene Getöse im Innern, das mir im Kopfe braust und sich bisweilen zu einem stürmischen Rasseln steigert. Dieses Dröhnen durchdringt ein Gekreische von Stimmen, das mit einem falschen Pfeifen beginnt und bis zu einem furchtbaren Geschrei ansteigt, als ob Furien und alle bösen Geister ... auf mich losfahren würden. In diesen höllischen Lärm mischt sich dann das Geschmetter falsch gestimmter Trompeten und anderer Instrumente, und das alles übertönt und stört meine eigene Musik, die in mir gerade aufklingt.»

Die materielle Situation Smetanas wurde durch den Verdienstentgang seiner abgegebenen Prager Ämter knapp, die familiäre Situation durch die zunehmend sich abkühlende Beziehung seiner Ehegattin zu ihm angespannt. Lichtblicke waren Aufführungen seiner neu entstandenen Werke in Prag. So wurden die einzelnen Tondichtungen des später zum Zyklus zusammengefassten «Vaterlandes» vom Prager Publikum frenetisch willkommen geheißen, die erste Gesamtaufführung 1882 war der letzte große öffentliche Triumph des Komponisten, nachdem kurz zuvor das Tschechische Nationaltheater mit seiner Oper «Libussa» feierlich eingeweiht worden war.

Aus Friedrich wurde BedrichMit «Libussa», der Geschichte von der «Urmutter» des ersten tschechischen Herrschergeschlechts der Premysliden, ist auch der Zyklus «Mein Vaterland» eng verknüpft. Die ersten beiden Tondichtungen «Vysehrad» und «Die Moldau» entstanden – motivisch und inhaltlich eng miteinander verknüpft – direkt nach der Fertigstellung von «Libussa» und haben wie die Oper die einstige Prager Burg Vysehrad, die auf einem Felsen über der Moldau lag, zu einem mythischen «Schauplatz». Ja im Vorwort zur Partiturausgabe von «Mein Vaterland» hielt der Herausgeber Frantisek Bartos sogar in Hinblick auf den Gesamtzyklus der Tondichtungen und auf die Oper «Libussa» fest: «Beide Werke stimmen gedanklich in der Glorifikation der Heimat und der Nation miteinander überein, so wie es das Gebot der Zeit war ..., in der der nahezu hundertjährige Kampf des politisch unterdrückten tschechischen Volkes um seine Eigenart und um volles kulturelles und politisches Ausleben seinen Höhepunkt erreicht hatte. ‹Libussa› und ‹Mein Vaterland› sind geradezu Symbole dieser sich vollendenden nationalen Wiedergeburt.» Dem ist hinzuzufügen, dass den Tschechen beide Werke bis heute als nationale Heiligtümer der Kunst und Smetana als der Schöpfer der tschechischen Nationalmusik gelten.

Jener sich lange Zeit Friedrich nennende und seine Briefe in perfektem Deutsch schreibende Künstler, der sich in seiner musikalischen Ausdrucksweise an den so genannten Neudeutschen und insbesondere an dem lebenslang verehrten und bewunderten Franz Liszt orientierte, wurde faktisch über Nacht mit der Uraufführung seiner Oper «Die verkaufte Braut» 1866 zum Begründer einer eigenständigen tschechischen Kunstmusik, die zuvor jahrhundertelang am europäischen und vor allem deutschen Musikleben ausgerichtet war, dem aus Böhmen mit Meistern wie Georg Benda, Anton Reicha, Johann Stamitz und Franz Xaver Richter im 18. und frühen 19. Jahrhundert bedeutende Komponisten zugewachsen waren, nicht zu vergessen der Beethoven-Zeitgenosse Karl Czerny in Wien.

Auch Smetana verbrachte als junger aufstrebender Musiker mehrere Jahre außerhalb der Heimat und wirkte erfolgreich als Direktor der Philharmonischen Gesellschaft in Göteborg. Nach Konzertreisen durch Holland und Deutschland kehrte der auch als Pianist renommierte Musiker 1861 nach Prag zurück, wo er sich sowohl durch die Gründung und Leitung einer Musiklehreranstalt und einer Opernschule um die musikalische Ausbildung der Tschechen verdient machte, als auch mit seinen Opernkompositionen und seiner Kapellmeistertätigkeit am Interimstheater dem Musiktheater in Prag zu einem enormen Aufschwung verhalf. Dabei spürte der Künstler natürlich das aufkeimende nationale Bewusstsein der Tschechen, die sich von der kulturellen Vorherrschaft der Habsburger Monarchie und der viele Jahrzehnte lang gut funktionierenden Koexistenz mit der deutschen Kultur Böhmens emanzipieren wollten. Sie erkannten in der «Verkauften Braut», das Smetana auf ein Libretto des tschechischen Vormärz-Literaten Karel Sabina, eines Vorkämpfers der nationalen Bewegung, komponiert hatte, ein Kunstwerk, das ihrer Gesinnung und ihren Bestrebungen entsprach.

Mythen, Natur und Historie vom VaterlandSmetana, der nach wie vor zu Aufführungen von Richard Wagner-Opern nach Deutschland reiste, wurde mitgezogen von dieser tschechischen Bewegung, er erkannte in einer Zeit, in der gerade das erste tschechischsprachige Gymnasium eröffnet worden war (und die Eröffnung der ersten tschechischen Universität noch drei Jahrzehnte auf sich warten lassen musste), die Notwendigkeit von nationalen Symbolen und setzte sich daher auch unermüdlich für die Schaffung eines Tschechischen Nationaltheaters ein. Während die fertig gestellte Oper «Libussa» auf die Eröffnung dieses Theaters wartete, entstanden in den Jahren 1874 bis 1879, neben den beiden komischen Opern «Der Kuss» und «Das Geheimnis» auf Libretti der als Verfasserin realistischer Romane aus dem tschechischen Landleben populär gewordenen Dichterin Eliska Krásnohorská und neben dem 1. Streichquartett «Aus meinem Leben», die sechs Tondichtungen des «Vaterlandes». Smetana dachte, als er «Vysehrad» und «Die Moldau» konzipierte, noch keineswegs an einen größeren Zyklus. Auch wollte er die Werke allein aus ihren Titeln heraus inhaltlich sprechen lassen. Erst im Zu­sammenwirken mit dem mit ihm be­freundeten Schriftsteller Václav Vladimír Zeleny entstand eine Art dichterisches Programm für die einzelnen Werke. Dabei wurden in «Vysehrad» und «Sárka» nationale Mythen aufgegriffen, in den Werken «Die Moldau» und «Aus Böhmens Hain und Flur» die Natur und das Leben des Volkes geschildert, in «Tábor» ein Kapitel der tschechischen Geschichte aufgeschlagen und in «Blaník» auf der Basis eines mythologischen Stoffes eine Vision von der Zukunft der tschechischen Nation entworfen.

Die Entstehung der sechs Werke verlief paarweise. Nach «Vysehrad» und «Die Moldau» im Jahre 1874 folgten 1875 «Sárka» und «Aus Böhmens Hain und Flur». Diese vier Werke bezeichnete Smetana dann als «Tetralogie» und fasste sie unter dem Gesamttitel «Das Vaterland» zusammen. 1878/79 folgten die beiden Werke «Tábor» und «Blaník», für alle sechs Werke änderte Smetana nun den zyklischen Gesamttitel in «Mein Vaterland». Auch musikalisch und zum Teil inhaltlich sind das erste, zweite und dritte Paar jeweils enger miteinander verknüpft. Über der ersten und zweiten Tondichtung schwebt majestätisch das «Vysehrad»-Thema, das das eröffnende, monothematische Werk bestimmt und in der rondohaft verlaufenden «Moldau», wenn der Fluss die Stadt Prag erreicht und unter der Burg vorbeifließt, als strahlende Hymne wiederkehrt. In «Sárka» und «Aus Böhmens Hain und Flur» fällt trotz einer unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtung ein gemeinsamer musikalischer Zug hin zu einem sehr dichten, ja pastosen orchestralen Satz, zu einer symphonischen Ausgestaltung volksnaher musikalischer Formen (Polka und Marsch) und zu einer wehmütig angehauchten Sanglichkeit in Binnenteilen auf. Beide Werke sind zudem in einem frei gehandhabten Variationsprinzip gestaltet. «Tábor» und «Blaník», so wie das erste Paar wiederum als monothematischer Sonatensatz beziehungsweise in der Art eines Rondos (mit Sonatensatzelementen) angelegt, fußen schließlich auf dem Hussiten-Choral «Die ihr Gotteskämpfer seid»: In beiden im 3/2-Takt weit ausschwingenden Werken wird der religiösen wie nationalen tschechischen Revolutionäre protestantischen Glaubens aus dem 15. Jahrhundert gedacht. Am Ende schließt Smetana den Kreis und lässt das «Vysehrad»-Thema als krönende Apotheose in der Koda von «Blaník» erklingen.

Bei aller nationalen Bekenntnishaftigkeit und zwischenzeitlich volkstümlichen Ausgelassenheit spricht besonders die empfindsame tschechische Seele aus diesem monumentalen symphonischen Zyklus. Oft weht durch die harmonischen Färbungen ein Hauch von Schwermut. Selbst das stolze Thema der «Moldau» strömt lange Zeit in e-moll und die Landschaftsmalerei «Aus Böhmens Hain und Flur» hebt in g-moll an. Im beharrlichen  d-moll «Tábors» schwingt auch Tragik mit. Erst in der Koda von «Blaník» strahlt die Vision von der glücklichen Nation in ungetrübtem D-Dur.

Die Moldau«Die Harfen der Barden bilden die Einleitung. Der Bardengesang weckt die Erinnerungen an die Vorzeit der Königsburg Vysehrad, an ihre einstige Größe und ihren Glanz, an Turniere und Kämpfe, die sich in ihr und um sie abspielten und schließlich an ihren Verfall und Untergang. Die Komposition endet in elegischem Tone (Nachgesang der Barden).»(Programm von Smetana und Zeleny)

In den sprudelnden Sechzehntelnoten-Figuren der Flöten, mit denen die Tondichtung beginnt, ist bereits das Hauptthema der Moldau enthalten, das dann zunächst in den Oboen und Geigen zu fließen beginnt und in der Folge zu breiten Strömen des ganzen Orchesters anwächst. Die Auf- und Abwärtsbewegung der Melodie gewann Smetana aus einer volkstümlichen, in ganz Europa verbreiteten Weise, die «alle Völker besitzen und allen verständlich ist», wie sich der Komponist   einmal über dieses Thema geäußert hat. Die Verwendung dieses melodischen Allgemeinguts, auf dem zum Beispiel  auch das deutsche Kinderlied «Alle meine Entchen schwimmen auf dem See» beruht, hat zweifellos zur großen Popularität, die die «Moldau» in der gesamten Musikwelt erlangte, beigetragen. Die Sechzehntel-Wellen der Flöten setzen sich das ganze Stück hindurch als Begleitfiguren des Hauptthemas und als verbindende Figurationen zwischen den weiteren thematisch-inhaltlichen Episoden fort.

An den Ufern der Moldau ertönen Fanfaren zu einer Jagd in den Wäldern und eine Polka zum ausgelassenen Tanz einer Landhochzeit. Im wiegenden Rhythmus von zarten Ausläufern der Flöten-Quellenfiguren tanzen Nymphen einen nächtlichen Reigen, auf mystische Weise taucht im zarten Streicherhymnus dieses Nocturne ein schimmerndes thematisches Abbild von Vysˇehrad auf. Die Sankt Johann-Stromschnellen, durch die plötzlich das ganze Orchester gewirbelt wird, geben Smetana Gelegenheit zu dramatischer  thematischer Durchführungsarbeit. Schließlich führt der breite Strom der Moldau an der Burg Vysehrad vorbei, deren Thema sich majestätisch über den Flusswindungen erhebt.

Eine Inspirationsquelle zur inhaltlichen Gestaltung seiner poesievollen Wassermusik bildete für Smetana zweifellos die Oper «Die Moldaunixe» von Josef Richard Rozkosˇny΄, deren Uraufführung im Jahre 1871 in Prag Smetana dirigierte: Auch in der Oper gibt es Szenen von einer Jagd, von einer ländlichen Hochzeit, von tanzenden Nixen im Mondlicht, bei den Stromschnellen und bei einem Schloss.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz