Archiv: Beethoven

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Evgeni Bozhanov, Klavier
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Benjamin P. Wenzelberg
«Heroic Dreamscape Fantasy»
- Pause -
Ludwig van Beethoven

Kein anderer Komponist habe so direkt zu so vielen Menschen gesprochen wie Beethoven, stellte Leonard Bernstein einmal fest – ob sie nun jung oder alt seien, gebildet oder unwissend, kultiviert oder naiv. Mit seinem in Wien aufgenommenen Zyklus der Beethoven-Symphonien hat er Plattengeschichte geschrieben, auch mit den Klavierkonzerten hat er sich als Solist wie als Dirigent mehrfach auseinandergesetzt. Mit Yutaka Sado werden die Tonkünstler in diesem Programm das reife Prunkstück unter den Konzerten, nämlich das fünfte in Es-Dur, sowie die festlich-straffe zweite Symphonie in D-Dur interpretieren, die in ihrer Einleitung freilich bereits das titanische Hauptthema aus dem Kopfsatz der Neunten vorwegzunehmen scheint. Am Flügel ist der bulgarische Pianist Evgeni Bozhanov zu erleben, dem trotz seiner jungen Jahre der Ruf eines phänomenal begabten Exzentrikers vorauseilt. Jung ist auch der Komponist Benjamin Wenzelberg, der sich eingangs mit dem Siegerstück des Wettbewerbs zum Komponier-Workshop «Ink Still Wet» 2016 des Grafenegg Campus vorstellt.

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Ludwig van Beethoven

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73

Sätze

  • Allegro

  • Adagio un poco moto -

  • Rondo. Allegro

Dauer

36 Min.

Entstehung

1809

Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 ist der beste Beweis dafür, dass die Kunst vollkommen eigenständig ist. Sie bewahrt sich eine Unabhängigkeit von den Geschicken der Welt. Und ein Kunstwerk lässt sich oft nicht in Einklang bringen mit der Situation des Künstlers, in der er es erschafft. So entstand das fünfte Klavierkonzert, dieses optimistische und beglückende Werk, in einer bedrohlichen und deprimierenden Situation. Napoleons Truppen belagerten 1809 Wien und besetzten die Stadt. «Welch zerstörendes, wüstes Leben um mich her! Nichts als Trommeln, Kanonen, Menschenelend in aller Art», stieß Beethoven in einem Brief verzweifelt aus.

Doch seine schöpferische Kraft war stärker, Beethoven baute als Schutzschild ein monumentales Solokonzert auf. Die festliche Tonart Es-Dur wählte der Komponist sicherlich nicht zufällig. In dieser Tonart steht auch die fünf Jahre zuvor entstandene «Eroica», die Beethoven bekanntlich ursprünglich dem als revolutionären Befreier eingeschätzten französischen Feldherrn Napoleon widmete, dann nach dessen Selbstkrönung zum Kaiser die Widmung jedoch durchstrich. Und jetzt ließ er in derselben Tonart kein heroisches, sondern ein strahlendes Werk folgen, das prunkvolle Klangsäulen, festliche Akkordgebilde und brillante Figuren gegen die Bedrohung aufbaute.

Gleichzeitig stieß Beethoven mit diesem Werk die Tür auf zum großen romantischen Klavierkonzert. Die Situation hat sich gegenüber Mozarts Konzerten entscheidend verändert: nicht mehr angeregter und gefühlvoller Dialog von zwei Partnern – Solist und Orchester – wie bei Mozart, sondern Symphonie im Konzertformat, von Solist und Orchester gemeinsam angegangene Weltverbesserung.

Das Orchester gibt im ersten Satz (Allegro) zu Beginn die grundlegenden Akkorde vor, die der Solist sofort virtuos in rauschenden figuralen Läufen auseinanderzieht. Anders als bei Mozart, der dem Klavier oft auch andere Thematik als dem Orchester zuteilt, ziehen nun in diesem Beethoven-Konzert Solist und Orchester an einem Strang. Sie unterstützen einander, widmen sich hingebungsvoll denselben Themen und betrachten diese von allen Seiten. So kommt es, dass das zunächst mitreißende und erhebende Hauptthema später in berührend schöner, lyrischer Gestaltung auftritt, das zunächst heitere, verspielte Seitenthema jedoch plötzlich als festlicher Marsch daherkommt, wie ein Triumphzug. Man denkt an die Befreiung der Gefangenen im «Fidelio». Gemeinsam bauen Klavier und Orchester dann mit wuchtigen Akkorden und Skalen eine neue Welt aus Vertrauen, Zuversicht und Freiheit auf.

Apropos Freiheit: In keinem Solokonzert davor sind dem Solisten solch improvisatorisch wirkende, frei präludierende Passagen anvertraut – von den ersten Tonskalen an, die an kein Thema gebunden sind, sondern zunächst einmal den Tonraum ausleuchten, in dem die Musik stattfindet. Das Klavier fühlt sich als selbständiges Wesen respektiert und aus dieser Position heraus stark genug, mit dem Orchester gemeinsam zu agieren. Aber all diese Freiheiten sind von Beethoven auskomponiert, er will diesen Zustand des ständigen Improvisierens und Kadenzierens festhalten für alle Zeiten. Eine eigene Kadenz für dieses Werk zu schreiben, erschien ihm hingegen überflüssig.

Im langsamen Mittelsatz (Adagio un poco mosso) hebt Beethoven aus dem Es-Dur-Strahlen in ein entrücktes, zart glänzendes H-Dur ab. Der Ton Es als letzter Klang des ersten Satzes ist im zweiten derselbe Anfangston, nunmehr aber als enharmonisch verwandelter Ton Dis und unter vollkommen veränderten harmonischen Umständen. Es ist, als ob man in eine Traumwelt versetzt wird. Die Streicher verströmen einen milden Gesang, von zarten Tupfern der Bläser begleitet. Das Klavier versenkt sich in meditative Bereiche voller Harmonie und entfaltet über wiegenden Triolen eine ruhevolle und innige Kantilene. Dann ein leiser Schritt vom Ton H um einen Halbton tiefer zum Ton B und von dort zurück in die Grundtonart Es-Dur, in der das Klavier leise das folgende Rondothema vorbereitet, das dann mit enormer Energie losstürmt.

Die Musik reitet im Finale (Rondo. Allegro) dem Glück entgegen. Die Euphorie entsteht aus kräftigen musikalischen Motiven und einem unwiderstehlichen Rhythmus. Dann hält das Klavier über leise pochenden Paukenschlägen noch einmal inne – eine Besinnung auf die Zartheit des Glücks, ehe die Fahnen im Schlussjubel geschwenkt werden.Im englischsprachigen Raum nennt man dieses Werk gerne «Emperor Concerto», in Anspielung auf den damals auf dem Höhepunkt seiner Macht stehenden Kaiser Napoleon, dem Beethoven das Werk aber nun ganz und gar nicht zugedacht hat. Gewidmet hat er es Erzherzog Rudolph Johann Joseph Rainer von Österreich (1788 – 1831), der ein Mann der Kunst war. Mehrere Jahre nahm er Klavier- und Kompositionsunterricht bei Beethoven und brachte es zu einem beachtlichen Können als Pianist. Rudolph förderte nicht allein Beethoven entscheidend mit materiellen Zuwendungen, er unterstützte darüber hinaus auch musikalische Institutionen wie die k. k. Philharmonische Gesellschaft in Wien (aus der später die heute noch bestehende Gesellschaft der Musikfreunde hervorging). Beethoven fühlte sich mit dem Erzherzog in echter Freundschaft verbunden und widmete ihm nicht nur dieses Klavierkonzert, sondern eine Reihe weiterer bedeutender Kompositionen: für Rudolphs Einführung in das Amt des Erzbischofs von Olmütz die «Missa solemnis», weiters die Oper «Fidelio», das Klavierkonzert Nr. 4, die jeweils letzte Violin- und Klaviersonate und das Klaviertrio op. 97, das deshalb den Beinamen «Erzherzogs-Trio» trägt. Auch dem 5. Klavierkonzert stünde der Beiname «Erzherzogs-Konzert» besser an als der irreführende englische Titel.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Ludwig van Beethoven

Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36

Sätze

  • Adagio - Allegro con brio

  • Larghetto

  • Scherzo. Allegro

  • Allegro molto

Dauer

34 Min.

Entstehung

1801/02

Ludwig van Beethoven musste auf Lob und Tadel gleichermaßen gefaßt sein, als am 19. Februar 1812 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung folgende Kritik seiner Symphonie Nr. 2 erschien: «Eine grosse Symphonie aus D von Beethoven eröffnete das erste, am 9ten Dezember gegebene Concert. Noch sind die Werke dieses, in seiner Art einzigen Künstlers hier nicht genug bekannt. Man ist an Haydns und Mozarts Werke gewöhnt, und darf sich nicht wundern, wenn diese seltnen Producte Beethovens, die sich so sehr von dem Gewöhnlichen entfernen, im Allgemeinen nicht immer ihre Wirkung auf den Zuhörer hervorbringen. Es ist hier der Ort nicht, diese Compositionsweise zu würdigen: dass aber eine glühende Phantasie, dass ein hoher Schwung kraftvoller und sinnreicher Harmonien, durchaus in denselben herrsche, gestehen auch jene, welche das Klare und Singbare für das Höchste der Kunst halten. Uebrigens lässt jedoch das Andante dieser Symphonie auch von dieser Seite nichts zu wünschen übrig. Der Menuet, so wie dem letzten Allegro hängt zwar etwas sehr Bizarres an: doch wenn uns das Humoristische in so manchem unserer Schriftsteller anziehet, warum wollen wir denn von dem Componisten, der das ganze, so wenig noch erforschte Gebiet der Tonkunst in Anspruch nimmt, erwarten, dass er nur an hergebrachten Formen hange; nur immer dem Ohre schmeichle; nie uns erschüttere, und über das Gewohnte, wenn auch etwas gewaltsam, erhebe?» Auch zehn Jahre nach der Entstehung war dieses Werk also noch geeignet, bei konservativeren Hörern einiges Kopfschütteln hervorzurufen – durch den bewussten Abschied vom bloß «Klaren und Singbaren», durch den Mut zum Extrem, zum Bizarren gar. Und wenn man die letzten Zeilen, in denen der Rezensent die zeitgenössische Literatur zu Hilfe ruft, um Verständnis für Beethovens Musik zu erwirken, ins Positive wendet, dann löst sich diese Symphonie offenbar von hergebrachten Formen, schmeichelt nicht immer dem Ohr, sondern wirkt sogar erschütternd und lässt das Gewohnte hinter sich – selbst wenn dieses Ziel auf etwas forcierte Weise erreicht werden mag. Denn für die auf «Natürlichkeit» ausgerichtete Musikauffassung des 19. Jahrhunderts war das so schwierig zu erreichende Gleichgewicht von elaborierter Kunst und allgemeiner Verständlichkeit das Um und Auf, die Vermeidung von Künstlichkeit zugunsten des Fasslichen, exemplarisch verwirklicht in den Werken Joseph Haydns.

Spätere Generationen wollten dann gerade das kühne Fortschreiten auf dem Entwicklungsweg der Musik in der Zweiten erblicken, den Beethoven eingeschlagen habe, wobei freilich die folgenden Symphonien wie zumal die Dritte (die «Eroica») und die Fünfte noch avancierter wirkten und der Zweiten an Beliebtheit schnell den Rang ablaufen konnten – zu unrecht. Denn gerade diese Symphonie stellt einen wichtigen Punkt in Beethovens Schaffen dar. Dazu sei etwas weiter ausgeholt.

Betrachtet man Haydns Symphonien in diesem Sinne als gleichsam bestmöglich abgefasste öffentliche Reden an eine Versammlung von Vertretern der (wenn auch unterschiedlich) gebildeten Stände, die imstande sind, sich rational und verstandesmäßig mit ebenso rational und verstandesmäßig organisierten Werken auseinanderzusetzen, sich von diesen intelligent unterhalten und gleichzeitig erziehen, also weiterbilden zu lassen, wird rasch deutlich, dass Beethoven sich gezwungen sah, andere Maximen zu formulieren, wollte er seine Individualität wahren und entwickeln. Ein für Lehrer und Schüler gleichermaßen schmerzlicher, jedenfalls stark emotional bestimmter Ablösungsprozess setzte ein. Zunächst war es das Prinzip der Übertreibung, mit dem Beethoven die Haydnsche Ausgewogenheit bewusst durchbrach – und dafür prompt gescholten wurde: Es sei «ein Suchen nach seltener Modulation, ein Ekelthun gegen gewöhnliche Verbindung, ein Anhäufen von Schwierigkeit auf Schwierigkeit, daß man alle Geduld und Freude dabei verliert», hieß es in einer Rezension der Allgemeinen musikalischen Zeitung schon 1799 über Beethovens Violinsonate op. 12. Und niemals konnte er seinem Lehrer verzeihen, dass er ausgerechnet das von Beethoven für das beste gehaltene Klaviertrio op. 1/3 so streng kritisiert hatte. Doch Haydns Begründung dafür lautete auf Befragen seines Biographen Ries, er habe «nicht geglaubt, dass dieses Trio so schnell verstanden und vom Publikum so günstig aufgenommen werden würde». Beethoven nahm in seiner Flucht nach vorne also ganz bewusst die Abkoppelung vom Geschmack seiner Zeit in Kauf: In seiner Person manifestiert sich der Paradigmenwechsel hin zur Epoche der Romantik, in der fürderhin nicht mehr objektive, allgemeingültige Sachverhalte einem großen Publikum verkündet werden, sondern der Komponist vielmehr ganz subjektive, nur individuell bedeutsame und verständliche Aussagen trifft, die zunächst nur eo ipso gelten und ihr Publikum erst in zweiter Linie finden mögen: von der Ratio zur Emotio. Diese Schärfung und Zuspitzung geht Hand in Hand mit der Entwicklung des Genie-Begriffs der Romantik und findet ihren ersten radikalen, bis ins Pathologische gesteigerten Höhepunkt in der Person und im Schaffen von Hector Berlioz. Doch so weit sind wir hier noch nicht: Die Symphonie Nr. 2 ist Beethovens Erfüllung des von Haydn in den «Londoner» Symphonien formulierten, freilich durch höchste Varietät gekennzeichneten Modells – wobei der Jüngere gleichsam die Schrauben noch eine halbe Drehung fester anzieht. Die breite Einleitung (Adagio molto) des Stirnsatzes der Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36 etwa greift im Charakter weit aus und nimmt dadurch die kontrastreiche Gestalt des ganzen Werks vorweg: Fortissimo-Akkorde, sanfte Kantilenen, empfindsame Wendungen, dann eine von Sechzehntel über Sechzehnteltriolen drängender werdende Pulsation, die zu einem dramatischen, den d-moll-Dreiklang herabstürzenden Unisono führt – womit beinah das Hauptthema der Neunten Symphonie vorweggenommen wäre.

Das folgende wirbelige Allegro con brio lässt ein dreiklangsbetontes Hauptthema aus den Bässen aufsteigen und entfacht mit einem marschartigen Seitenthema zündende Wirkung, wobei jähe, schmerz­liche Ausweichungen in Molltonarten auf Schritt und Tritt möglich sind. In der breiten Coda wird dann über einem packenden, chromatisch ansteigenden Bass der Sieg der D-Dur-Tonart nochmals groß inszeniert und das dramatische d-moll-Motiv der Einleitung in sein helles Gegenteil verkehrt. Lyrik und Galanterie beherrschen den langsamen Satz (Larghetto), wobei auch hier immer wieder plötzliche Schattenseiten zur Geltung kommen, welche die beschauliche Ruhe stören – Franz Schubert wird bei solch statisch erscheinenden und doch in sich bewegten Satztypen anknüpfen. An Haydnschen Überraschungseffekten orientiert sich das folgende Scherzo (Allegro) mit seinen plötzlichen dynamischen (und dissonanzgeschärften) Unterschieden, rhythmischen Widerborstigkeiten und dem Ping-Pong-Spiel, das die Instrumente mit den Motiven treiben, wobei das seltsamerweise ebenfalls in D-Dur stehende Trio sich nur anfangs idyllisch gibt und dann gleichfalls ins Horn der Bizarrerie stößt. Noch weiter, ja bis zur Überdrehtheit zugespitzt wird die Ausgelassenheit schließlich im kapriolenreichen Finale (Allegro molto), einem Sonatensatz-Rondo, dessen schrulliges Hauptthema mit polterndem Triller (der Musikwissenschaftler Armin Raab erblickt darin sogar eine «trotzige Eröffnungsgeste») in der Durchführung in seine Bestandteile zerlegt wird und durch alle Stimmen wandert. Zum Höhepunkt wird ähnlich wie im Stirnsatz die Coda, die hier noch breiteren Raum einnimmt und nicht nur das Finale, sondern gleichsam die ganze Symphonie zusammenfasst – mit geheimnisvollen Neuansätzen nach stockenden Fermaten, humoristischem Augenzwinkern, Überrumpelungseffekten von plötzlichem Tutti-Fortissimo nach zartestem Streicher-Pianissimo und einer geradezu manisch hämmernden Erregung: Hier wandelt sich die Musik zu einem brodelnden Hexenkessel nahe an der Explosion.

Die erste belegte Aufführung fand am 5. April 1803 im Theater an der Wien statt, in einem Konzert, das neben der älteren Symphonie Nr. 1 auch das Klavierkonzert Nr. 3 mit Beethoven als Solisten und das komplette Oratorium «Christus am Ölberge» umfasste. Es darf aber angenommen werden, dass der Widmungsträger Carl Fürst von Lichnowsky die Symphonie Nr. 2 zuvor schon in privatem Rahmen hat aufführen lassen.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer