Archiv: Lieben Sie Bernstein

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Albert Hosp, Moderation
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Nach dem grandiosen Erfolg in der Vorsaison wenden sich die Tonkünstler und ihr Chefdirigent erneut mit einem Nachmittagskonzert im Musikverein an ihr Publikum und fragen: «Lieben Sie Bernstein?» Im Rahmen des moderierten Konzertformats – schon zum vierten Mal mit dem ORF-Publizisten Albert Hosp – präsentieren sie Bernsteins symphonische Suite «On the Waterfront», seine selten gespielte einzige Filmmusik.

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Leonard Bernstein

«On the Waterfront» Symphonische Suite für Orchester

Dauer

22 Min.

Entstehung

1955

1954 komponierte Leonard Bernstein die Filmmusik zu «On the Waterfront», zu Deutsch «Die Faust im Nacken». Isaac Stern spielte die Uraufführung von «Serenade» in Venedig, und der einzigartige Musikvermittler Bernstein gestaltete die erste Fernsehsendung in der Reihe «Omnibus». Bernstein lehnte das Angebot des Produzenten Sam Spiegel, eine Filmmusik zu komponieren, zuerst ab. Mit Regisseur Elia Kazan, der im Kongressausschuss zu den «antiamerikanischen Umtrieben» Kollegen denunziert hatte, wollte er eigentlich nicht arbeiten. Doch die Vorführung eines Rohschnittes und insbesondere die Darstellung Marlon Brandos beeindruckten Bernstein.

Die Komposition beschäftigte ihn vier Monate lang, wobei ihn die ursprünglich mit Skepsis übernommene Aufgabe sofort überwältigte: «Ich konnte die Musik schon förmlich hören: Das gab den Ausschlag. Und die Atmosphäre der Professionalität, die dieser Film ausstrahlte, war genau die Atmosphäre, in der ich am liebsten arbeite [...] Tag für Tag saß ich an einem Schneidetisch, spulte die Filmrolle vor und zurück, maß die Länge der Sequenz, die ich für die Musik ausgesucht hatte, in Metern, rechnete die Meter mit mathematischen Gleichungen in Sekunden um und fertigte provisorische Mischpläne an.» Die Aufnahme des Soundtracks dirigierte aus vertraglichen Gründen André Previn, jedoch war Bernstein bei den Aufnahmen dabei und steuerte den Jazzpianopart im Hintergrund der Barszene bei. Es gefiel dem «New Yorker» in Hollywood aus genau jenem Grund, aus dem viele flüchteten, «nämlich weil es hier nichts zu sehen gibt, außer Menschen». Bei der Oscar-Verleihung 1954 hatte Bernstein das Nachsehen gegenüber Dimitri Tiomkin für «The High and the Mighty»; und es sollte auch seine letzte Arbeit für den Film werden. Für jede Szene, die zwischen 30 Sekunden und zweieinhalb Minuten variierte, kreierte Bernstein mit nur wenigen Takten eine eigene Atmosphäre. Besonders eindringlich und gewissermaßen zitierend verfestigt sich ein Violinmotiv, das an Benjamin Brittens «Peter Grimes» erinnert - eingebettet in die trostlose Einöde einer riesigen Reifendeponie.

Die symphonische Anlage der gesamten Filmmusik kommt in der 1955 entstandenen Orchester-Suite besonders zum Tragen. Der einstige Bernstein-Assistent und Dirigent des heutigen Konzertabends, Yutaka Sado, hält das musikalische Material der Filmmusik für ein Schlüsselwerk Bernsteins, daran erkennbar, dass scheinbar Einfaches unglaublich raffiniert gemacht ist - ähnlich seinem Schluss aus den Harvard-Vorlesungen «Musik - die offene Frage»: «Und schließlich und weil all dies wahr ist, glaube ich, dass es auf Ives' eine Antwort gibt. Ich weiß zwar nicht mehr genau, welche Frage er stellt, aber ich weiß: Die Antwort ist .»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Ursula Magnes