Archiv: Mahler 5

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Alice Sara Ott, Klavier
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Gustav Mahlers fünfte Symphonie, mit einem düsteren Trompetensolo beginnend, gehört heute zu seinen bekanntesten Orchesterwerken und, seit das Adagietto in den Kinoklassiker «Tod in Venedig» einging, auch zu den meistgespielten. Das war nicht immer so: «Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk», notierte Mahler nach der Uraufführung. Eine lange Entstehungsgeschichte hat auch Ludwig van Beethovens drittes Klavierkonzert – komponiert in c-Moll, seiner Tonart für «Sturm und Drang». Mit dem zutiefst emotionalen, reifen Meisterwerk ist die junge Pianistin Alice Sara Ott erstmals in einem Tonkünstler-Abonnementprogramm zu erleben.

Das Finale aus der Orchestersuite von Tōru Takemitsu zum Film «Nami no Bon» erklingt eingangs als österreichische Erstaufführung.

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Toru Takemitsu

«Nami no Bon» Bearbeitung für Orchester nach der Musik zum Film «Nami no Bon», 6. Satz (Finale)

Mit 16 ging Kosaku als Plantagenarbeiter nach Maui, um seine Familie daheim in Japan unterstützen zu können. Mit 89 lebt er immer noch auf Hawaii – da bringt ihm seine Enkelin einen Brief seines von ihm enterbten Sohnes, der kürzlich verstorben ist. Und Kosaku erinnert sich: an seine Frau, seine Familie, die Zeit nach dem Angriff auf Pearl Harbor – und an seinen Sohn, der für die Amerikaner in den Krieg zieht ... Der Film «Nami no bon» (Japan 1983 – Regie: Akio Jissôji; mit Chishû Ryû in der Rolle des alten Kosaku), dessen Soundtrack T¯oru Takemitsu geschaffen hat, spiegelt entfernt auch die Biografie des Komponisten und seine Verwurzelung in zwei Kulturen wider. Denn als Takemitsu erstmals westliche Musik hörte, war das verboten. Eine behelfsmäßige Nadel aus Bambus kratzte über eine Schellackplatte – und er musste mit 14 Jahren als Soldat im Zweiten Weltkrieg kämpfen.

Diesem ersten musikalischen Schlüsselerlebnis folgte fünfzehn Jahre später ein zweites: beim Besuch eines Bunraku, einem traditionellen japanischen Puppentheater, begleitet vom charakteristisch schnarrenden, unreinen Klang (sawari) des Shamisen, einer dreisaitigen Laute. Die Musik des Westens und ihre Avantgarde auf der einen Seite, auf der anderen die japanische Überlieferung und ihre enge Beziehung zum Buddhismus: Reich, komplex und widersprüchlich sind die Einflüsse, die den vorwiegend autodidakten Komponisten Takemitsu zur prägenden musikalischen Stimme Japans machten. In «Fülle und Heterogenität» spiegeln sie «das enorme Assimilierungsvermögen, aber auch das Konfliktpotential einer Gesellschaft wider, die innerhalb weniger Generationen den Weg vom ganz auf sich selbst zurückgeworfenen Feudalstaat zur globalen Perspektive zurückgelegt hatte» (Ilja Stephan). Wenn Takemitsu feststellt, er wolle «einen Klang zustande bringen, der so intensiv ist wie die Stille», dann wird auch der spirituelle Aspekt seines Schaffens offenkundig. Trotzdem blieb er zeitlebens ein Dialektiker. «Ich würde mich gerne in zwei Richtungen auf einmal entwickeln, als Japaner, was die Tradition, als Westler, was die Neuerungen betrifft. Tief in mir würde ich gerne zwei musikalische Genres bewahren, jedes in seiner eigenen, ihm legitimen Form. [...] Ich will diesen fruchtbaren Widerspruch nicht aufheben, im Gegenteil, ich möchte, dass diese beiden Blöcke miteinander streiten. So vermeide ich meine Isolierung von der Tradition und kann doch mit jedem neuen Werk in die Zukunft vordringen.»

Wenn im Rahmen dieses Konzertprogramms das melodisch innige, versöhnliche Finale von Takemitsus Filmmusik zu «Nami no bon» als österreichische Erstaufführung erklingt, dann feiern diese alles andere als triumphalen, sondern in sich gekehrten, gefühlvollen Klänge auch ein denkwürdiges Jubiläum: 1869 haben Japan und Österreich, damals beides noch Kaiserreiche, diplomatische Beziehungen aufgenommen und können deshalb heuer auf 150 Jahre bilateraler Beziehungen zurückblicken.

 

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

Ludwig van Beethoven

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll op. 37

Sätze

  • Allegro con brio

  • Largo

  • Rondo. Allegro

Dauer

35 Min.

Entstehung

1800-1802

Wie seinerzeit schon Wolfgang Amadeus Mozart wollte auch Ludwig van Beethoven sich als Virtuose und Komponist präsentieren, als er 1792 im Alter von 22 Jahren auf Einladung Joseph Haydns nach Wien kam. Er wusste längst aus eigenem Erleben, wie das Publikum zu beeindrucken war: Bereits 1784 hatte er als junger komponierender Pianist mit seinem unveröffentlichten Klavierkonzert Es-Dur, von dem nur die Klavierstimme erhalten blieb, für Aufsehen gesorgt. Gleichwohl war für ihn das Klavierkonzert Mozart’scher Prägung der Maßstab für die Artikulation eigener kompositorischer und interpretatorischer Ansprüche. Insbesondere das c-moll-Konzert KV 491 war ihm teuer. Für Beethovens Suche nach der eigenen musikalischen Sprache ist seine harte Selbstkritik exemplarisch, der er beispielsweise seine beiden frühen Konzerte, das in C-Dur (1795) und das B-Dur-Konzert (1788) ob ihrer Unvollständigkeit unterzog – noch acht Jahre nach ihrer Veröffentlichung schrieb er für beide Konzerte, jeweils für den 1. Satz neue Kadenzen.

Von seinen fünf Klavierkonzerten kommt dem dritten eine zentrale Stellung zu. Dessen Entstehungsprozess allerdings zog sich über etliche Jahre hin. Erste Skizzen gehen bereits auf Mai/Juni 1796 zurück. Ursprünglich hatte Beethoven es für seine erste eigene Akademie vorgesehen, die am 2. April 1800 stattfinden sollte. Aus welchen Gründen auch immer brach er die Arbeit daran jedoch frühzeitig ab und spielte stattdessen das C-Dur-Konzert. Zwei Jahre später sollte, wiederum im April, eine Akademie der Tonkünstler-Societät im Hofburgtheater stattfinden. Sie war Beethoven Anlass, sich des Konzerts erneut anzunehmen, eine Aufführung jedoch kam nicht zustande. Erst als Beethoven am 5. April 1803 den Saal des Theaters an der Wien für eine eigene Akademie erhalten sollte, machte er sich nochmals an die Arbeit. Das Programm war geballt. Zwei Uraufführungen: die Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36 und das Klavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 37. Dazu noch die Symphonie Nr. 1 C-Dur op. 21 und das Oratorium «Christus am Ölberge» op. 85 – Beethoven hatte also nur wenig Zeit für die Niederschrift des neuen Konzerts. Die Orchesterstimmen waren fertig, nicht aber der Solopart, den er bei der Uraufführung selbst spielte. Ignaz von Seyfried, der mit Beethoven befreundete Dirigent und Komponist, der das Umblättern übernommen hatte, staunte nicht schlecht, als er statt der fertigen Stimme nur skizzierte Angaben zu deren Verlauf vorfand.

Das dreisätzige Werk steht wohl nicht zufällig in der Tonart c-moll, der gleichen, wie auch das von Beethoven so geschätzte Mozart’sche Konzert KV 491. Der erste Satz (Allegro con brio) eröffnet mit der Orchesterexposition, die zugleich sein Fundament ist. Piano beginnen die Streicher mit dem ersten Thema: einem gebrochenen c-moll-Akkord mit anschließender, abwärts geführter Melodie in rhythmisch prägnanter Figur, die in den nächsten vier Takten erhalten bleibt, wenn das Thema leicht variiert von den Holzbläsern wiederholt wird. Unmittelbar darauf folgt eine fast lyrische Ausschmückung dieser ersten acht Takte mit ihrem zusammenhängenden musikalischen Gedanken. Ab Takt 50, wir sind noch in der Orchesterexposition, wird das zweite Thema, fast Mozart’scher Prägung, vorgestellt, ehe nach weiteren 25 Takten das vor allem durch seinen Rhythmus charakteristische erste Thema wiederkehrt und über den ganzen Satz hin präsent bleibt. So auch beim nun einsetzenden Soloinstrument, das mit einer rasanten c-moll-Skala über drei Oktaven zu eben diesem Thema findet. Es ist der Charakter des Klavierparts, seine Entschlossenheit im Auftritt, die sich dem Zuhörer einprägt – ohne dass das Klavier mit einem neuen Thema den Satz bereichern müsste. Es zehrt vom Material der Orchesterexposition, selbst noch in der Kadenz zum Ende des ersten Satzes. Hier sorgt ein merkwürdiger Kontrast, wenngleich von kurzer Dauer, für Verwunderung: ein fast zärtlicher, im pianissimo geführter Dialog zwischen Klavier und Pauke.

Beim Largo nun, dem ungemein bewegenden und anrührenden zweiten Satz, übernimmt es das Klavier solistisch, getragen und einfühlsam das Thema vorzugeben. Es wird anschließend vom Orchester aufgenommen, dem diesmal die weitere thematische Arbeit zukommt. In dem in einfacher A-B-A-Form aufgebauten Satz beschränkt sich das Klavier, nachdem es die thematische Vorarbeit geleistet hat, auf den Part des Umspielens, etwa des Dialogs zwischen Fagott und Flöte. Dies freilich geschieht mit virtuosem Anspruch für die spielerische Bewältigung der perlenden Skalen.

Ganz ungewöhnlich und deshalb bemerkenswert ist die Tonart des Largos: E-Dur. Sie hat im Tonartenverhältnis so gar nichts mit der Ausgangstonart c-moll zu tun, in der sowohl der erste als auch der dritte Satz, das Rondo, stehen. Dieses wird wiederum vom Klavier, diesmal aber frisch und spielerisch eröffnet, das mit dem Thema sogleich die Linie vorgibt. Weniger dramatisch als der erste Satz präsentiert sich das Rondo gleichwohl mit einigen Auffälligkeiten. Zu ihnen gehören der kontrastreiche Ausdrucksverlauf, die Durchführung des Hauptthemas, die fugenartig durch die Streicher, beginnend mit den Celli, eingeleitet wird und die Coda. Sie fasst noch einmal die thematische Vorlage zusammen und schließt im Presto und 6/8-Takt dieses Konzert ab.

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Thomas Otto

Gustav Mahler

Symphonie Nr. 5 cis-Moll

Sätze

  • I. Abteilung. Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt. Stürmisch bewegt, mit größter Vehemenz

  • II. Abteilung. Scherzo. Kräftig, nicht zu schnell

  • III. Abteilung. Adagietto. Sehr langsam. Rondo-Finale. Allegro

Dauer

72 Min.

Entstehung

1902-11

Gustav Mahler hat an keiner anderen Symphonie so lange gefeilt und Revisionen vorgenommen wie an der Fünften, mit der er das neue Jahrhundert eröffnete. Bis in sein letztes Lebensjahr 1911 beschäftigte Mahler diese Symphonie. Ab der Uraufführung des Werkes am 18. Oktober 1904 in Köln arbeitete der Komponist die Erfahrungen und Eindrücke, die er aus Umsetzungen der Symphonie gewann, in regelmäßigen Abständen in die Partitur ein. Noch im Winter 1910/11 nahm Mahler das Orchestermaterial zu seiner Dirigiersaison nach New York mit und bearbeitete seine Fünfte ein weiteres Mal grundlegend. Ein knappes Jahrhundert, nachdem die Symphonie bei C. F. Peters erschienen war, brachte der deutsche Musikverlag zusammen mit der internationalen Gustav Mahler Gesellschaft Wien eine vorbildliche kritische Neuausgabe von Reinhold Kubik heraus, in der erstmals alle nachvollziehbaren Bearbeitungsphasen bedacht wurden und das Werk auf den letzten eruierbaren Stand gebracht wurde. Das Material, das Mahler nach New York mitgenommen hatte, bildete dabei die Hauptquelle.

Was veranlasste den Komponisten, speziell an dieser Symphonie ständig weiter zu arbeiten, ja geradezu besessen eine permanente Verbesserung zu wollen? Schon nach der Uraufführung schien Mahler erkannt zu haben, dass er das vollkommen Neuartige der Symphonie, ihren polyphonen Reichtum, nicht in die passende Instrumentierung umgesetzt hatte. Auch sein Komponistenkollege Richard Strauss, der bei der Uraufführung anwesend war, bestätigte Mahler, dass die Symphonie «überinstrumentiert» sei. «Es ist unfassbar, wie ich damals wieder so völlig anfängerhaft irren konnte. (Offenbar hatte mich die in den ersten 4 Symphonien erworbene Routine hier völlig im Stich gelassen - da ein ganz neuer Stil eine neue Technik verlangte.)» Dies schrieb Mahler in einem Brief vom 8. Februar 1911 an den Dirigenten Georg Göhler, der an einer Aufführung der Symphonie in ihrer überarbeiteten Form interessiert war.

Der Komponiersommer des Jahres 1901 - da er während des Jahres dem Brotberuf des Dirigenten nachging, verblieb Mahler zum Komponieren größtenteils nur die Ferienzeit - war äußerst fruchtbar. Im Sommerdomizil in Maiernigg am Wörthersee entstanden nicht nur die ersten beiden Sätze und Teile des dritten Satzes der fünften Symphonie, sondern auch mehrere Lieder: beispielsweise der «Tambourg'sell» zum Zyklus «Aus des Knaben Wunderhorn» und ein halbes Dutzend Lieder nach Texten von Friedrich Rückert, so neben mehreren «Kindertotenliedern » die Vertonungen von «Blicke mir nicht in die Lieder», «Ich atmet' einen Lindenduft» und «Ich bin der Welt abhanden gekommen». Es lässt sicherlich Rückschlüsse zu, dass der erste Satz der fünften Symphonie, ein ausgewiesener Trauermarsch, parallel zu dem trauermarschartigen Lied vom «Tambourg'sell» entstand. Das später als Filmmusik zum Streifen «Tod in Venedig » von Luchino Visconti weltberühmt gewordene Adagietto der Fünften, der vierte Satz, ist sowohl in der kompositorischen Anlage und in der Stimmung als auch in mehreren melodischen Wendungen eng dem Lied «Ich bin der Welt abhanden gekommen » verwandt. Der dem Adagietto vorangehende, zentrale dritte Satz der Symphonie, ein monumentales symphonisches Scherzo, stellt den «Menschen im vollen Tagesglanz, auf dem höchsten Punkte des Lebens» dar, wie es Mahler laut den Aufzeichnungen seiner langjährigen Vertrauten Natalie Bauer- Lechner beschrieb. Im Finale schließlich zitiert Mahler gleich am Satzanfang im Fagott das erste Motiv des frühen Wunderhorn- Liedes «Lob des hohen Verstands», darin der Esel als Richter im Wettgesang von Nachtigall und Kuckuck zweiterem den Sieg zuspricht, weil dieser nicht zuletzt so «gut Choral singt». Das zu ausgelassenem Jubel gesteigerte und in einer Choral-Apotheose mündende Final-Rondo der Fünften lässt sich nach diesem Zitat mit Augenzwinkern hören.

Das «Neue» an der fünften Symphonie äußert sich in ihren dichten polyphonen Geflechten, vielen Abschnitten mit Fugatos und Imitationen und mehrfachen Choralanklängen. Mahler begann, man hört es, den Aufbruch in eine erneuerte musikalische Sprache mit der Musik eines großen vergangenen Meisters im Gepäck. In die sommerliche Komponier-Enklave am Wörthersee nahm er Noten von Johann Sebastian Bach mit. In Bach fühlte Mahler zu jener Zeit alle Musik verwurzelt, in der Harmonik und dem polyphonen Satz bei dem Barockkomponisten spürte er viel Modernität. Freilich: Mahler begab sich nicht auf neobarocke Wege, griff nicht einfach auf barocke Muster zurück, sondern beschäftigte seine Musik mit historischen Satzweisen, um sie auf der Höhe seiner Zeit in das symphonische Gefüge einzubinden.

Mahler hat die fünfsätzige fünfte Symphonie in drei Abteilungen gegliedert. Zwischen dem ersten und dem zweiten Satz, die die erste Abteilung bilden, bestehen ebenso enge motivische und thematische Beziehungen wie zwischen dem vierten und dem fünften Satz, die zur dritten Abteilung zusammengefasst sind. Das zentrale Scherzo in der Werkmitte bildet die zweite Abteilung. Als das umfangreichste Scherzo, das in der Musik je geschrieben wurde, braucht es seinen Platz für sich allein.

Erste Abteilung
Gustav Mahler ist in der Nähe einer Militärkaserne aufgewachsen. Appelle und Fanfaren gehörten in der Kindheit und Jugend zu seinem klanglichen Alltag. Immer wieder bricht in seinen Symphonien die Erinnerung daran durch. Doch wie fängt man nach Beethoven eine fünfte Symphonie an? Auch Mahler entschied sich für drei kurze Notenwerte, gefolgt von einem längeren. Aber bei ihm «pocht» nicht «das Schicksal an die Pforten», sondern es ertönt ein Signal.

Zu diesem einleitenden Appell der Solotrompete merkte Mahler in der Partitur an: «Die Auftakt-Triolen dieses Themas müssen stets etwas flüchtig, nach Art der Militärfanfaren vorgetragen werden.» Das Trompetensolo führt bei Gustav Mahler einen Trauermarsch an. «In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt» schreitet das Orchester voran, mit tragisch umflorter Melodik und «in gehaltener» Trauer. Der Trauermarsch, in dessen Trioteilen die Musik «plötzlich schneller» wird und «leidenschaftlich, wild» auffährt, ja aufschreit, ist bei Mahler in jedem Fall Teil der symphonischen und rein musikalischen Dramaturgie, die ein ständiges Thema des Daseins, den Weg aus dem Dunkel ins Licht, aus der Verzweiflung in das Glück, «per aspera ad astra» vorführt. Mahler verknüpft den ersten mit dem zweiten Satz:

«Stürmisch bewegt, mit größter Vehemenz». Der Dirigent und Mahler-Spezialist Michael Gielen spricht sogar davon, dass der zweite Satz das «Revers de la medaille», der «Doppelgänger des ersten Satzes ist, wie Eusebius und Florestan bei Schumann, nur dass es hier zwei Negativfiguren sind». Gielen streicht die Originalität heraus, eine erste symphonische Abteilung mit «zwei Gestalten ein und desselben Inhalts zu machen. Das Gelungene ist, dass die Zerrissenheit verschieden und erfolgreich dargestellt wird». Mahler betont diese Doppelform noch dadurch, dass er die Trio-Thematik des ersten Satzes zur Seitensatz-Thematik des zweiten Satzes macht. Er komponierte die Trios des Trauermarsches noch einmal neu, nun aus der Sicht eines persönlich vom Leid Betroffenen, eines Leidtragenden. Die Musik im zweiten Satz schmerzt, die Anklänge aus dem Trauermarsch treffen nun direkt ins Herz.

«So vehement als möglich», «Schalltrichter auf», «stürmisch bewegt» - Mahler setzt dem persönlichen Schicksal, so stark es geht, zu. Dem Orchester verlangt er enorme Eruptionen, Steigerungen und Zusammenbrüche ab. Was so wild und unkontrolliert verzweifelt klingt, ist aber in ein exakt durchgestaltetes Formschema des Sonatenhauptsatzes gebracht. Und dann taucht gegen Ende dieses Satzes erstmals der Choral auf, wie ein Hoffnungsstrahl, mitten in einer extrem kritischen Phase.

Doch der Durchbruch zum Besseren gelingt zu diesem Zeitpunkt der Symphonie noch nicht, in das Abklingen des Chorals hinein folgt der Absturz ins Bodenlose, der Vision vom Paradies folgt der Wiederausbruch des Infernos. Die Gegenüberstellung von Inferno und Paradies, dieses Bild, das schon die Finalsätze der ersten und zweiten Symphonie bestimmte, kommt auch in diesem zweiten Satz zum Tragen, Erlösung findet Mahler hier allerdings - noch - nicht.

Zweite Abteilung
«Das Publikum - o Himmel - was soll es zu diesem Chaos, das ewig auf's Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zu Grunde geht, zu diesen Urweltsklängen, zu diesem sausenden, brüllenden, tosenden Meer, zu diesen tanzenden Sternen, zu diesen veratmenden, schillernden, blitzenden Wellen für ein Gesicht machen?», schrieb Gustav Mahler nach der Uraufführung der fünften Symphonie aus Köln an seine Frau Alma, die wegen Krankheit in Wien bleiben musste. Tatsächlich ist auch das «Chaos» dieses Satzes in Wahrheit genauestens durchkalkuliert. Mahler baute ein Scherzo - «Kräftig, nicht zu schnell» - von riesigen Ausmaßen: Einem Hauptsatz mit sieben Perioden thematischer Entwicklung folgt ein erstes Trio mit zwei Perioden, danach eine verkürzte Reprise des Hauptsatzes mit einem Fugato als polyphonem Höhepunkt. Dann läuft das raffiniert gebaute und von innerer Energetik erfüllte zweite Trio mit insgesamt sechs Perioden ab, ehe in der folgenden Durchführung die Scherzo-Thematik und das Material des ersten Trios kontrastiert und vermengt werden und schließlich eine zweite Reprise verschiedene Perioden aus allen drei Satz-Bestandteilen aufgreift und in eine Stretta münden lässt.

Was sich kompliziert liest, hört sich mitreißend und packend an: In immer neuen Steigerungswellen und Verzögerungen wogt die Musik ihrem Ziel im Rhythmus eines Walzers entgegen, einmal aus österreichischer Ländlertradition kommend, dann wieder in der Eleganz einer Valse tanzend. Faszinierend dabei, wie Mahler sein Prinzip, «daß sich nicht einmal etwas wiederholen darf, sondern alles aus sich heraus sich weiter entwickeln muß», treu bleibt. Aus einer relativ schlichten Grundthematik macht Gustav Mahler einen aufregenden, «verschiedenstimmigen» Satz, «durchgeknetet, daß auch nicht ein Körnchen ungemischt und unverwandelt bleibt. Jede Note ist von der vollsten Lebendigkeit und alles dreht sich im Wirbeltanz», wie der Komponist den Satz beschrieb. Dieses Scherzo ist der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Symphonie, es liegt auf halber Strecke zwischen Trauer und Freude.

Dritte Abteilung
Nicht nur die Musik, schon die Entstehung des berühmt gewordenen vierten Satzes der Symphonie, Adagietto, ist von einem Hauch Sentimentalität überzogen. Statt eines bekennenden Liebesbriefs hat Mahler das Manuskript dieses Satzes an Alma Mahler gesandt, die er wenige Wochen zuvor kennengelernt hatte und in ihr seine Lebensfrau gefunden zu haben glaubte. Alma hat den Satz offenbar verstanden und nahm die Liebeserklärung an. Die traumhaft schöne, unwirklich schwebende Musik, die ausschließlich von den Streichern und Harfen ausgeführt wird, mündet im Mittelteil des Satzes in einem Zitat des «Blickmotivs» aus Richard Wagners «Tristan und Isolde», ja die Mahler'sche Thematik läuft wie magisch angezogen auf dieses Motiv zu.

Liebe auf den ersten Blick, eine symphonische Romanze zu den Klängen eines Liedes ohne Worte, das direkt in den fünften Satz übergeht, mit dem es auch eng verbunden ist. Das Adagietto ist wie die entrückte Ahnung von den diesseitigen Freuden des Lebens. Mahler verknüpft auch diese beiden Sätze durch eine thematische Übernahme: Im Seitensatz des Rondo-Finales, das Mahler mit «Allegro giocoso. Frisch» überschrieb, wird die sehnsüchtige Melodie aus dem expressiven Mittelabschnitt des Adagiettos zu einem graziös durchs Leben schreitenden Motiv. Aber Mahler stellt auch noch eine andere inner-symphonische Verbindung her: Ein Leggiero-Thema des Rondos ist die geraffte Umformung des Choral-Themas aus dem zweiten Satz. So hüpfen die Tonfolgen und die Sequenzen dieses Chorals also in fröhlicher Ausgelassenheit durch den ganzen Finalsatz, ehe auch in dessen Schlussteil das Choralthema in seiner Originalgestalt aufleuchtet.

Diesseits und Jenseits, Entrückung und Verrücktheit, Erfrischung und Erlösung gehen in diesem Rondo ineinander über. In mehreren auf einem Orgelpunkt verharrenden Stellen begibt sich Mahler auf Beobachtungsposten dieses Treibens. Den Kehraus zögert Mahler durch viele Trugschlüsse hinaus, immer noch eine Variante polyphoner Ausarbeitung der thematischen Motive fällt ihm ein. Dieses Doppelwesen wohnt jeder affirmativen Musik Mahlers inne: Ganz kann er dem Glück nie trauen.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz