Archiv: Arabella Steinbacher und Fabio Luisi

Grafenegg Wolkenturm Wolkenturm

Interpreten

  • Arabella Steinbacher, Violine
  • Fabio Luisi, Dirigentin

Programm

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Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Violine und Orchester A-Dur KV 219

Sätze

  • Allegro aperto - Adagio - Allegro aperto

  • Adagio

  • Rondeau. Tempo di Menuetto - Allegro - Tempo di Menuetto

Dauer

29 Min.

Entstehung

1775

Wolfgang amadeus Mozarts Violinkonzert A-Dur KV 219  ist das letzte von insgesamt fünf Violinkonzerten des Salzburger Komponisten. Mozart war das Geigenspiel gewissermaßen in die Wiege gelegt. Sein Vater Leopold, ein weithin angesehener Geigenpädagoge und Herausgeber eines Standardlehrbuchs mit dem Titel «Versuch einer gründlichen Violinschule», widmete sich der musikalischen Ausbildung des Knaben auch auf der Violine mit allergrößter Fürsorge. Wolfgang Amadeus brillierte als «Wunderkind» an europäischen Höfen sowohl am Klavier als auch auf dem Streichinstrument und konzertierte später als Geiger in Salzburg und auf Reisen unter anderem in München und Augsburg. Als junger Konzertmeister der erzbischöflichen Salzburger Hofmusik versorgte Mozart sich und weitere Geiger in der Hofkapelle und in anderen Musizierkreisen der Stadt mit herrlichster konzertanter Violinmusik. In seine Serenaden und Divertimenti, die er für Festlichkeiten von Salzburger Bürgern und Studenten komponierte, baute Mozart ausgedehnte Violinsoli ein. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne zwischen 1773 und 1775 schuf er aber auch fünf «wirkliche» Violinkonzerte.

Den konzertierenden Geigenstil lernte Mozart besonders auf seinen Italien-Reisen aus der Schule des Violinvirtuosen Tartini kennen, aber auch französische und böhmische Einflüsse (letztere durch den in Italien erfolgreichen Geiger Josef Myslivecek) lassen sich feststellen. Mozart orientierte sich am dreisätzigen Concerto-Vorbild, wie es von Vivaldi hundertfach vorgeprägt war. In der musikalischen Tiefenwirkung und der individuellen Ausgestaltung des Melodischen und des Formalen gelangte Mozart freilich von seinem ersten Violinkonzert an weit über die Vorbilder hinaus. Er reicherte die Elemente des Virtuosen und Unterhaltsamen mit höchster kompositorischer Kunst an. Die barocke Form, wie sie noch in den italienischen Vorbildern durchschimmerte, wurde in den Eröffnungssätzen von der Anlage des Sonatensatzes verdrängt, wie sie der junge Mozart in der Symphonik und Konzertmusik des viel  be­wun­­derten «Londoner Bach» (Johann Christian) kennengelernt hat. Ebenso entwickelte er die Beziehung zwischen dem Soloinstrument und dem Orchester weiter, die nicht bloß in einem Wechselspiel von Solo und Tutti standen, sondern stark verflochten wurden. Ein wunderbares Bei­spiel dafür ist der langsame Mittelsatz des A-Dur-Violinkonzertes KV 219, ein Adagio mit einem fast feierlich getragenen Haupt­-thema, aus dem Solovioline und Orchester schöne weiterführende Melodien gewinnen. Ein Mirakel die klangliche Gestaltung, die Mozart aus Oboen-Harmonien, kleingliedrigen Violinfiguren, Synkopen in den zweiten Geigen und Bratschen und schreitenden Achtelnoten der Celli und Bässe webt.

Im Eröffnungssatz (Allegro aperto) des A-Dur-Konzertes löst das Orchester mit einem energischen, nach oben steigenden Thema eine prickelnde Allegro-Stimmung und große Erwartungshaltung aus – die Vorbereitungen für einen festlichen Auftritt des Soloinstruments scheinen getroffen. Doch was macht die Violine? Sie tritt mit langsamen Bewegungen ein, mit einer getragenen A-Dur-Drei­klangs­zerlegung und Seufzerwendungen: fünf Adagiotakte voller Innigkeit und Poesie. Erst dann steigt auch die Solovioline in das Allegro ein und verwickelt das Orchester sogleich in Dialoge, fordert Antworten auf seine figurativ ausgeschmückten Fragen, die zwi­schendurch auch in ernsten Molltönen vorgetragen werden.

Im Finale gibt die Solovioline das Rondothema im Menuett-Takt vor, das Orchester wiederholt es und wird mit der nächsten Solopassage vollkommen überraschend in eine Situation gebracht, die schon das Ende des Konzertes bedeuten könnte. Doch nach der mit Vorschlägen versehenen, wie eine Schlussfloskel klingenden A-Dur-Tonleiter – dieselbe Passage stellt dann tatsächlich gut 300 Takte später den ruhigen Ausklang des Werkes dar – bringt die Violine den Satz doch wieder in Bewegung. Vor weiteren Überraschungen ist man nicht gefeit. Plötzlich verlassen Orchester und Solist den Dreiertakt des Menuetts und schlagen ein heftig erregtes Allegro im 2/4-Takt an, das den Alla-turca-Mittelteil einleitet. Den Effekt der Janitscharenmusik und deren Schlagwerk erzeugt Mozart dadurch, dass er die Celli und Bässe  «coll’arco al roverscio» spielen lässt – die Saiten werden mit der Rückseite des Bogens berührt. Ironie der Geschichte: Ursprung dieser damals in Mode befindlichen «Türkenklänge» ist in diesem Fall eine ungarische Volksweise. Mozart hat diese «Alla-turca»-Melodie schon drei Jahre davor in Skizzen zu einem Ballett mit dem Titel «La gelosie del serraglio» verwendet. «Die Entführung aus dem Serail» ist schon nahe, Osmin stapft bereits durch dieses Violinkonzert.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Johannes Brahms

Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Sätze

  • Allegro non troppo

  • Adagio non troppo

  • Allegretto grazioso (Quasi Andantino)

  • Allegro con spirito

Dauer

42 Min.

Entstehung

1877

Johannes Brahms hatte sich über einen Zeitraum von nicht weniger als fünfzehn Jahren mit seiner Symphonie Nr. 1 c-moll beschäftigt und wohl auch buchstäblich mit ihr gequält. Das hing nicht zuletzt mit der enthusiastischen Fürsprache zusammen, die dem jungen Komponisten von Robert Schumann zuteil geworden war. «Ich dachte», schrieb Schumann in seinem berühmten Aufsatz «Neue Bahnen» in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 28. Oktober 1853, «es würde und müsse […] einmal plötzlich einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern, wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazie und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms». Dadurch stand der erst zwanzigjährige Jüngling gleichsam über Nacht im Rampenlicht, fühlte enormen Druck auf sich lasten, wurde von Versagensängsten geplagt, vernichtete etliche Werke und blieb zeit seines Lebens extrem selbstkritisch – die Schattenseiten dieses frühen Ruhmes.

Gerade die Symphonie nach Beethoven empfand Brahms als eine der denkbar größten Herausforderungen, wie die langwierige Entstehungsgeschichte der eingangs erwähnten Ersten belegt, die seine kompositorischen Kräfte (mit Unterbrechungen) von 1862 bis 1876 in Anspruch nehmen sollte, also bis hinein in sein 44. Lebensjahr. Deshalb mag es erstaunen, dass die Symphonie Nr. 2 bereits 1877 und innerhalb weniger Monate zu Papier gebracht werden konnte. Doch hatte Brahms den Sommer in Pörtschach am Wörth­ersee verbracht, wodurch seine musikalische Phantasie offenbar in besonderem Maße angeregt worden war. «Hier – ja hier ist es allerliebst, See, Wald, drüber blauer Berge Bogen, schimmernd weiß in reinem Schnee’», schrieb er seinem Freund Theodor Billroth, ein Gedicht von Karl Simrock zitierend, das er vier Jahre zuvor im Rahmen der Acht Lieder und Gesänge op. 59 vertont hatte. Und nachdem die gedankliche Arbeit an dem neuen Werk rasche Fortschritte gemacht hatte, verriet Brahms dem befreundeten Kritiker Eduard Hanslick: «Ich bin Dir von Herzen verbunden, und zum Dank soll’s auch, wenn ich Dir etwa den Winter einer Symphonie vorspielen lasse, so heiter und lieblich klingen, daß Du glaubst, ich habe sie extra für Dich oder gar Deine junge Frau geschrieben! Das ist kein Kunststück, wirst Du sagen, Brahms ist pfiffig, der Wörther See ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, daß man [sich] hüten muß, keine zu treten.» Der aus Westpreußen stammende junge Komponist Iwan Knorr, der Brahms damals in der Sommerfrische besuchte, liefert einen anschaulichen Bericht von der heiteren Stimmung des verehrten Kollegen, dem er sich, da er ihm ein Werk zur Ansicht geschickt hatte, mit bangem Respekt näherte: «Ich kam Ende August 1877 gegen sieben Uhr morgens an einem prachtvollen Tage in Pörtschach an. Brahms hatte mir geschrieben, er habe für mich ein Zimmer im Gasthaus Werzer bestellt, er selber wohne im ‚Schloß’, ein Dienstmädchen fragte mich, ob ich der ‚Herr von Knorr’ sei, den der ‚Herr von Brahms’ schon seit einigen Tagen erwarte, und hieß mich dann bei ihm eintreten. Als ich meinte, daß ein Viertel vor acht Uhr morgens doch keine Visitenzeit wäre, erwiderte sie, das mache nichts, ‚Er’ habe längst im See gebadet und Kaffee getrunken, jetzt schreibe er was und pfeife immer dabei. Mir war es zumute, wie bei einem Besuch beim Zahnarzt. Auf einmal stand ich in einem Zimmer einem untersetzten, bartlosen Manne gegenüber, dessen volles Haar an den Schläfen leicht ergraut war. Er gab mir nicht nur die Hand, sondern schlang einen Arm um mich und steckte mir eine Zigarre mit einem kategorischen ‚Rauchen!’ in den Mund. [...] Am andern Tage machten wir uns selbdritt [gemeinsam mit Brahms’ Freund, dem Komponisten und Dirigenten Franz Wüllner, Anm.] auf, um den Dobratsch zu besteigen. Brahms war froh wie ein Kind, trieb die ausgelassensten Späße und neckte mich, den er immer seinen Benjamin nannte, wo er nur konnte, in liebenswürdigster Weise.»

Die Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73 ist gewiss die lyrischste unter den Brahms-Symphonien. Der Brahms-Biograph Siegfried Kross konstatiert für alle in den drei Pörtschacher Sommern entstandenen Kompositionen, darunter auch das Violinkonzert D-Dur, «ein eigenartiges Flair des Hellen, Lichten, Melodiösen, das man anderswo in seinem Werk sonst nicht wiederfindet» und bekräftigt die oft geäußerte Ansicht, bei der D-Dur-Symphonie handle es sich gleichsam um Brahmsens «Pastorale». Diese Ansicht scheint auch bestens zu den von Knorr geschilderten heiteren Szenen zu passen. Und die Kritiken der höchst erfolgreichen Uraufführung am 30. Dezember 1877 mit den Wiener Philharmonikern unter Hans Richter schlugen in die selbe Kerbe, rühmten die «sonnige Klarheit», den «lieblichen, heiteren Pastoralton» und die «freundliche, liebenswürdige Idylle» des Werks, zu dem der Meister nun gefunden habe und sich, wie Hanslick schrieb, nach dem «Pathos faustischer Seelenkämpfe» in der vorangegangenen Symphonie nun der «frühlingsblühenden Erde wieder zuwandte». Dennoch kennt die hier ausgebreitete Idylle auch dunkle Schatten, die jedoch anders als in Beethovens «Pastorale» nicht in einem einzelnen Gewitter-Satz kulminieren, sondern sich über das ganze Werk ausbreiten, die sonnige Heiterkeit immer wieder relativieren und umdüstern. Freilich war es stets Brahmsens Gewohnheit, in selbstironischer Manier von seinen gerade entstehenden Werken zu sprechen und die Erwartungen der Freunde in die Irre zu führen. Aber mit welcher Beharrlichkeit er die an der Oberfläche doch so unbeschwert-heitere Zweite in Briefen als Zeugnis trüber Bekümmernis ankündigt, ist doch auffällig. «Die neue Sinfonie ist so melancholisch, daß Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so etwas Trauriges, Molliges geschrieben: die Partitur muß mit Trauerrand erscheinen», schrieb er an seinen Verleger Simrock und gab gegenüber Clara Schumann vor, die Musik sei «ganz elegischen Charakters». Vor diesem Hintergrund wirkt die Symphonie eher wie ein «In-Frage-Stellen der pastoralen Welt» (Reinhold Brinkmann), die da so entzückend ausgebreitet scheint.

Das dreiklangsselige Hauptthema der Hörner im Stirnsatz wird bei näherem Hinhören durch den unregelmäßig darin verzahnten Bass zu einer Komplexität geführt, die alle ländliche Einfachheit weit hinter sich lässt. Der Skeptizismus des Komponisten wird auch im gleichsam dumpfen Grollen von Posaunen und Pauken spürbar, und immer wieder verdeutlichen Eintrübungen und harsche Rhythmen, dass hinter der lieblichen Fassade sich Kämpfe zutragen. Elegisch tönt da jedenfalls auch das fis-moll-Seitenthema, welches an Brahms’ Lied «Guten Abend, gut’ Nacht» erinnert. Nominell ist die Zweite die einzige Brahms-Symphonie, in der alle Sätze in Dur stehen – doch auf Schritt und Tritt biegt Brahms das Geschehen in Moll-Gefilde ab, sodass Constantin Floros von einem «nahezu exzessiven Gebrauch des Durmoll» spricht. Das gilt zumal auch für den komplexesten Satz, das Adagio non troppo in Sonatenhauptsatzform mit verknappter Reprise, mit seinen nicht weniger als vier zum Teil kontrapunktisch ineinandergreifenden Themen: Den Tonfall tiefer Wehmut unterbrechen immer wieder dramatische Konflikte, nicht zuletzt in Gestalt erregter Tremoli, scharfer Akzente und fugierter Episoden. Ein Gegengewicht dazu bildet der schon bei der Uraufführung da capo verlangte dritte Satz, Allegretto grazioso (Quasi Andantino), ein gleichsam inverses, fünfteiliges Scherzo mit lieblichen Rahmenteilen im gemächlichen 3/4-Takt und zwei rhythmisch akzentuierten Presto-«Trios» (2/4- und 3/8-Takt) – eine «Art Suite aus verschiedenen Tanzcharakteren» (Siegfried Kross). Das Finale schließlich überhöht mit seinem aus dem ersten Satz abgeleiteten, zunächst leise raunenden Hauptthema klassische Satztypen von Mozart und Haydn mit romantischen Mitteln, die bei Brahms stets auch barocke kontrapunktische Finessen mit einschließen – und steigert sich in der brillanten Coda zu einem der mitreißendsten Höhepunkte der Symphonik seit Beethoven.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer