Archiv: Aus der neuen Welt

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Tobias Feldmann, Violine
  • Mei-Ann Chen, Dirigentin

Programm

«Aus der Neuen Welt» klingt es herüber, wenn die taiwanesisch-amerikanische Dirigentin Mei-Ann Chen am Pult steht. Mit seiner neunten Symphonie gelang Antonín Dvořák, was man einen großen Wurf nennt: ein Orchesterwerk von höchster Vollendung, vom Publikum seit seiner Uraufführung 1893 heiß geliebt. Das Largo mit dem klagenden Englischhorn-Solo gehört zu den ergreifendsten langsamen Symphoniesätzen des romantischen Repertoires. Auch Samuel Barber war ein Meister der schwelgenden Melodik. Tobias Feldmann gastiert mit dem zauberhaften Violinkonzert, das der Tonsprache der Spätromantik verbunden ist, erstmals bei den Tonkünstlern.

Aufgrund der geltenden Verordnungen zur Covid-19-Prävention sind auch unsere Konzertprogramme Änderungen unterworfen. Die für diesen Abend ursprünglich als Eröffnungsstücke vorgesehenen Auszüge aus den «Symphonic Sketches» von George Whitefield Chadwick müssen leider entfallen.

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Samuel Barber

Konzert für Violine und Orchester op. 14

Sätze

  • Allegro

  • Andante

  • Presto in moto perpetuo

Dauer

22 Min.

Entstehung

1939/40

Samuel Barber war neun Jahre alt, als er folgende Zeilen verfasste: «Liebe Mutter! Ich schreibe das, um dir mein beunruhigendes Geheimnis anzuvertauen. Bitte weine nicht, wenn du das liest, denn es ist weder deine noch meine Schuld. Also, ich muss es dir jetzt wohl ohne allen Unsinn mitteilen. Ich war nie dazu bestimmt, ein Athlet zu sein. Ich bin dazu bestimmt, Komponist zu sein – und ich bin sicher, dass ich einer werde. Eines bitte ich dich noch: Verlange nicht von mir, diese unerfreuliche Sache zu vergessen und Football spielen zu gehen. – Bitte! – Manchmal mache ich mir darüber so viele Sorgen, dass es mich verrückt macht (nicht sehr).» Der Knirps sollte Recht behalten. Am Curtis Institute of Music in Philadelphia studierte Samuel Barber Klavier, Komposition und Gesang, nicht zuletzt unterstützt von seiner Tante Louise Homer, die Altistin an der Metropolitan Opera in New York war und ihn mit einigen der damals bedeutendsten Musikern zusammenbrachte. Mit 18 schließlich gewann er seine ersten Kompositionspreise und lernte den italienischen Komponisten Gian Carlo Menotti kennen, der später sein Lebenspartner wurde.

Auf Basis seiner profunden Ausbildung verstand es Barber, zwischen Einflüssen von Neoromantik, Dodekaphonie und Jazz immer er selbst zu bleiben – mit unmittelbar verständlicher, emotional eingängiger Musik, die ihm große Erfolge einbrachte: 1958 etwa mit der Oper «Vanessa», zu welcher Menotti das Libretto beisteuerte. Dabei hatte Barber gerade bei diesem Werk etliche Hindernisse zu überwinden gehabt: Maria Callas, die für die Titelpartie der Uraufführung engagiert werden sollte, winkte schon frühzeitig ab, weil sie erkannte, dass nicht die eher passive Vanessa (Sopran), sondern deren junge Nichte Erika (Mezzosopran) die tragende Rolle darstellt. Doch auch die daraufhin engagierte Sena Jurinac musste ersetzt werden: Erst mit der Einspringerin Eleanor Steber an der Seite von Stars wie Nicolai Gedda, Regina Resnik und Giorgio Tozzi geriet die Oper bei ihrer Uraufführung 1958 an der Metropolitan Opera New York unter der Leitung von Dmitri Mitropoulos zum Triumph und wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Wird diese Oper gerade in den letzten Jahren auch in Europa wieder häufiger aufgeführt, war und ist ein schon 1936 entstandenes Werk Samuel Barbers stets präsent: sein bewegendes «Adagio for Strings», urspünglich der langsame Satz des Streichquartetts op. 11. In der Fassung für Streichorchester ist dieses Adagio in Film und Fernsehen allgegenwärtig, mehr noch als auf den Konzertpodien der Welt, wo sich bereits Arturo Toscanini für das Werk stark gemacht hat. Durch die Verwendung in packenden Streifen wie «Platoon» oder «Der Elefantenmensch» bis hin zu Sitcoms wie «How I met your mother» konnte das Werk ins musikalische Bewusstsein einer enorm breiten Öffentlichkeit vordringen. Als freilich bei einem Gastspiel im Rahmen der Salzburger Festspiele «Vanessa» von der europäischen Kritik als Misserfolg abgekanzelt wurde, bedeutete dies den Anfang vom Ende des Opernkomponisten Barber: «Anthony and Cleopatra», geschrieben für die Eröffnung der neuen Met 1966 und selbst in den USA als Debakel angesehen, bedeutete einen tragischen Karriereknick, von dem sich Barber nicht mehr erholen konnte. Alkoholkrankheit und Depressionen waren die Folgen; doch Barber fand dennoch wieder zum Komponieren zurück. 1981 starb er 70-jährig in New York an Krebs.

Das Violinkonzert op. 14 wurde 1939 in Auftrag gegeben, und zwar vom Industriellen Samuel Simeon Fels aus Philadelphia, der mit der Haushaltsseife «Fels Naptha» ein Vermögen erwirtschaften konnte, das den Philantropen befähigte, 1935 einen bis heute tätigen Fonds zu gründen, der bedürftige Künstler sowie gesellschaftspolitische und Bildungsprojekte unterstützt. Das Werk war für Iso (eigentlich: Isaak) Briselli (1912 – 2005) gedacht, einen jungen Geiger aus Odessa, der in Russland als Wunderkind begonnen hatte und über Deutschland in die USA gekommen war. Der Auftrag sollte beiden Absolventen des Curtis Institute of Music, dem Solisten wie dem zwei Jahre älteren Komponisten, Chance zur Profilierung bieten. Barber bekam die Hälfte des Honorars von 1000 Dollar als Vorschuss, schrieb die ersten beiden Sätze in der Schweiz und legte sie Briselli nach seiner Rückkehr vor, nachdem die USA in den Krieg eingetreten waren und alle Amerikaner aus Europa in die Heimat zurückgerufen hatten. Briselli war begeistert und freute sich aufs Finale, doch sein Lehrer Albert Meiff kritisierte Barbers Partitur als zu wenig virtuos und argwöhnte, Briselli könnte damit seiner Karriere schaden. Hinzu kam, dass dem Geiger dann der abschließende dritte Satz in Gestalt eines anspruchsvollen Perpetuum mobile musikalisch nicht zusagte, Barber aber nichts ändern wollte. Er verzichtete auf die fehlenden 500 Dollar und bezeichnete das Werk als sein «concerto del sapone» (Seifenkonzert), das am 7. Februar 1941 mit dem Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy und dem Solisten Albert Spalding seine offizielle Uraufführung erlebte und sich, Brisellis und Meiffs Einwänden zum Trotz, rasch zu einem der beliebtesten Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts entwickelte. Große Geiger wie Isaac Stern, Itzhak Perlman oder in jüngerer Zeit Gil Shaham, Joshua Bell und Hilary Hahn haben es für LP und CD aufgenommen.

Den ersten Satz (Allegro molto moderato) eröffnet die Solovioline über zarter Begleitung mit einem prächtig ausschwingenden, lyrischen Thema, das von einem charakteristischen synkopierten Motiv der Klarinette kontrastiert wird. Daraus entwickelt sich der ganze Satz, der immer wieder in hymnisch gesteigerten Gesängen aufblüht und sanft ausklingt. Das folgende Andante sostenuto stellt ein ausdrucksvolles Oboensolo vor, auf welches die Solovioline reagiert, bevor das rastlose Finale (Presto in moto perpetuo) wie ein Wirbelwind vorüberzieht.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

Antonín Dvorák

Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95 «Aus der Neuen Welt»

Sätze

  • Adagio - Allegro molto

  • Largo

  • Scherzo. Molto vivace

  • Allegro con fuoco

Dauer

40 Min.

Entstehung

1893

Antonín Dvorák hatte das Angebot rundweg abgelehnt, als ihm im Juni 1891 die Leitung des Nationalen Konservatoriums inNew York angetragen worden war: Mit den erst jüngst übernommenen Aufgaben eines Professors am Prager Konservatorium, wo er Formenlehre, Komposition und Instrumentation unterrichtete, fühlte sich der fünfzigjährige Komponist, Dirigent, Ehemann und Vater von sechs Kindern zwischen dreizehn und drei Jahren voll ausgelastet - und verspürte nicht zuletzt auch eine patriotische Verpflichtung dem tschechischen Volk gegenüber. Doch Jeannette Thurber ließ nicht locker: Die Tochter dänischer Einwanderer hatte Europa bereist, in Paris studiert und schließlich in den amerikanischen Geldadel eingeheiratet. Ihr acht Jahre älterer Ehemann Francis Thurber war in New York vom Botenjungen zum Direktor einer der bedeutendsten Handelsketten des Landes aufgestiegen. Mit seinem millionenschweren Rückhalt konnte sich Jeannette fortan ganz ihrem Hobby verschreiben: der Musik. Als Präsidentin des Conservatory of Music in New York war die Gründung einer eigenständigen amerikanischen Musikkultur ihr erklärtes Ziel. Zum 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas sollte ein europäischer Experte als Direktor ihres Instituts entscheidenden Anteil daran haben, «dem Kontinent, den Kolumbus entdeckte, eine Neue Welt der Musik hinzuzufügen». Die logische Wahl fiel auf Antonín Dvorák - schließlich, so Mrs. Thurbers Argumentation, hatte der berühmte Tscheche auch der Musik seiner Heimat ein unverwechselbares Gesicht im Rahmen westlicher Kunstmusik verleihen können. Und weil sie nicht nur über großen Charme, sondern auch über ein gerüttelt Maß an Beharrlichkeit und Überzeugungskraft verfügte, kam Dvoráks früheres Nein ins Wanken: «Ich soll für zwei Jahre nach Amerika fahren. Die Direktion des Konservatoriums übernehmen und zehn Konzerte leiten (eigene Kompositionen), für acht Monate und vier Monate (follow) werden mir dafür jährlich 15.000 Dollar, das heißt über 30.000 Gulden angeboten. Soll ich es annehmen?», schrieb er grübelnd an einen Freund. Freilich war die Sache finanziell höchst lukrativ: In Prag verdiente er bloß 1.200 Gulden jährlich. Doch hatte er sich erst nach langem Hin und Her bereit erklärt, die dortige Stelle anzunehmen, fühlte sich dem Konservatorium und den dort studierenden jungen Talenten (darunter sein späterer Schwiegersohn Josef Suk, Oskar Nedbal und Julius Fu?ík) verpflichtet und nahm seine Aufgaben mit größtem Idealismus wahr.

Heimweh nach Böhmen. Durfte er sich schon nach einem halben Jahr wieder aus dem Staub machen? Mehrfach begehrte Dvorák Änderungen an dem in kompliziertem Juristenenglisch abgefassten Vertrag - bis er ihn, nach einem persönlichen Treffen mit Jeannette Thurber in London, schließlich doch unterschrieb. Nicht zuletzt beeindruckte ihn, der sich finanziell mehr schlecht als recht durch sein Studium hatte schlagen müssen, dass die Ausbildung am National Conservatory of Music für bedürftige Talente kostenlos sein sollte. Ende September 1892 kam Dvorák mit seiner Frau Anna, der ältesten Tochter Otilie und dem ältesten, neunjährigen Sohn Antonín in New York an und blieb, abgesehen von einem Ferienaufenthalt in Böhmen, bis 1895. «Was mir ungemein gefällt, das ist, daß man in Amerika keinen Unterschied zwischen einem Herrn und einem gnädigen Herrn macht. Man gebraucht nicht den Titel gnädiger Herr. Der Millionär kommt zum Bedienten und sagt: Herr! - und der Bediente, obwohl er weiß, daß er mit einem Millionär spricht, sagt zu ihm ebenfalls Herr! Sie sind also beide Herren - bis auf die Millionen!» - Auch wenn Dvorák mit dem ganz alltäglich-selbstverständlichen Rassismus, der die schwarze Bevölkerung diskriminierte, durchaus seine Probleme hatte, war er doch fasziniert von der demokratischen Haltung zumindest unter den Nachkommen der europäischen Einwanderer, die die ihm bekannten Standesunterschiede der Alten Welt außer Kraft setzte. Der Aufenthalt in den USA sollte trotz (oder auch wegen) Heimwehs eine für sein Schaffen zentrale Periode werden, in der so großartige Werke entstanden, dass der New York Herald schließlich die Frage stellte: «Warum kam dieser Dvorák nicht schon früher in unser Land, wenn er hier in Amerika eine solche Musik schreiben kann?» Das F-Dur- Streichquartett, das Es-Dur-Streichquintett und das Cellokonzert sprechen für sich - sowie selbstverständlich auch seine neunte Symphonie, auf deren vollendete Partitur Dvorák spontan die Worte «Z nového sv?ta» (Aus der neuen Welt) geschrieben hatte.

Die Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95 spiegelt die vielfältigen Erfahrungen des Komponisten in den Vereinigten Staaten wider. «Es hat mir den Anschein, daß der amerikanische Boden auf mich segensreich wirken wird, und fast möchte ich sagen, daß schon in dieser neuen Symphonie etwas Derartiges zu hören ist», schrieb er im Jänner 1893 während der Arbeit. Und einige Monate später: «Sie macht mir große Freude und wird sich von meinen früheren grundlegend unterscheiden. Nun, wer eine 'Spürnase' hat, muß den Einfluß Amerikas erkennen.»

Über nichts freilich ist in Zusammenhang mit dieser Symphonie mehr spekuliert worden, als über den konkreten Einfluss Amerikas. Mit seinen Aussagen in einem Interview mit dem New York Herald im darauffolgenden Mai sollte sich Dvorák nicht nur Freunde machen: «Ich bin jetzt überzeugt, daß die zukünftige Musik dieses Landes auf dem basieren muß, was man 'Negerlieder' nennt. Das muß die wirkliche Grundlage einer jeden ernsthaften und originellen Kompositionsschule sein, welche in den Vereinigten Staaten zu entwickeln ist. Diese schönen und vielfältigen Themen sind das Produkt des Landes. Sie sind amerikanisch. In den Negerliedern finde ich alles, was für eine bedeutende und vornehme Schule der Musik nötig ist. Sie sind pathetisch, zart, leidenschaftlich, melancholisch, feierlich, religiös, verwegen, lustig, fröhlich...» Dvoráks Rat blieb, wie man sich denken kann, nicht unwidersprochen: Ein ganz an der Alten Welt orientierter Kollege wie Eduard MacDowell meinte, dass eine amerikanische Musik vielmehr nur eine solche sein könne, «die von der jugendlichen, optimistischen Vitalität und der unbezähmbaren Kühnheit des Geistes erfüllt ist, die den amerikanischen Menschen erfüllt» - womit klar wird, dass der «amerikanische Mensch» in MacDowells Augen ausschließlich Nachkomme der europäischen Einwanderer sein kann. Dvorák wurde Mangel an gutem Geschmack vorgeworfen, ja im unverhohlenen Rassismus jener Zeit hieß es sogar, dass «solche fremde Künstlichkeit keinen Platz in unserer Kunst haben sollte, wenn es unseres freien Landes würdig sein soll». Die unvermutet losgetretene Debatte tat dem triumphalen Erfolg jedoch keinen Abbruch, den die neunte Symphonie im Dezember 1893 in der New Yorker Carnegie Hall unter der Leitung von Dvoráks Freund Anton Seidl errang; Publikum und ein Teil der Presse feierten das Werk gleich als Prototyp einer genuin amerikanischen Kunstmusik.

Hiawatha, Spiritual und «Neue Welt». Der Komponist selbst verheimlichte seine Inspirationsquellen dennoch nicht, etwa in einem neuerlichen Interview mit dem New York Herald unmittelbar vor der Uraufführung: «Der zweite Satz ist eine Art Adagio, das sich jedoch von der klassischen Form dieses Gebildes unterscheidet. Es ist in Wirklichkeit eine Studie oder eine Skizze zu einer längeren Komposition, entweder zu einer Kantate oder Oper, die ich nach Longfellows 'Hiawatha' schreiben möchte.» Hiawatha (wörtlich «der Sucher des Wampumgürtels») ist eine Figur aus der Überlieferung der Onondaga, ein Häuptling, der wahrscheinlich im 15. Jahrhundert, also vor Ankunft der europäischen Eindringlinge, die verfeindeten Stämme der Irokesen unter dem «Gayanashagowa», dem «Großen Gesetz des Friedens» geeint hat. Der Schriftsteller und Dichter Henry Wadsworth Longfellow, Nachfahre einer neuenglischen Puritanerfamilie, hatte «The Song of Hiawatha» 1855 nach dem Vorbild der finnischen «Kalevala» als eine Art von amerikanischem Nationalepos geschaffen. «Schon lange denke ich daran», verriet Dvorák damals, «dieses Gedicht zu vertonen. Zum erstenmal bin ich mit ihm in tschechischer Übersetzung vor dreißig Jahren bekannt geworden. Damals beeindruckte es sehr stark meine Phantasie, und mein Aufenthalt hier hat diese Empfindungen noch verstärkt. Das Scherzo meiner Sinfonie wurde von der Szene des indianischen Festes in 'Hiawatha' inspiriert, in der die Indianer singen und tanzen. Ich wollte damit den indianischen nationalen Charakter mit musikalischen Mitteln zum Ausdruck bringen.»

Dennoch ist die Symphonie mindestens so «böhmisch», wie sie «amerikanisch» ist: Lassen sich in ihr auch Elemente ausmachen, die aus Spirituals oder indianischer Musik stammen könnten (Synkopen, plagale Wendungen, Pentatonik, Vermeidung des Leittons), ist die stilistische Nähe zu Volkstänzen böhmischer Provenienz gleichfalls unüberhörbar. Exponiert das einleitende, kontrastreiche Adagio des Kopfsatzes mit pentatonischen Floskeln, fehlendem Leitton und plagalen Harmoniefolgen bereits den exotischen Schauplatz, erinnern Teile des folgenden Allegro molto, besonders in den parallelen Terzen von Klarinetten und Fagotten, die auf die initiale Dreiklangszerlegung im Horn folgen, cum grano salis auch an zünftige Polka- Klänge. Das zweite Thema präsentiert sich leittonlos über Bordunquinten, während das dritte in der Soloflöte das Spiritual «Swing low, sweet chariot» anzudeuten scheint. Gänzlich europäisch sind allerdings die satztechnischen Finessen, die Dvorák hier und später auch im Finale anwendet: Abspaltungen, Überlagerungen und Neukombinationen der Themen zeigen den Komponisten als souveränen Meister motivisch-thematischer Arbeit. Das Dreiklangs-Hornthema erscheint gar als Leitmotiv in allen vier Sätzen: Im Largo, das durch seine entrückte Englischhornmelodie unglaubliche Popularität erreicht hat, erklingt es am blechglänzenden Höhepunkt des Satzes mit dieser (und dem dritten Thema des Kopfsatzes!) kombiniert; im zwischen Indianertanz und Walzerseligkeit angesiedelten Scherzo taucht es in der Coda auf. Und der Schlusssatz (Allegro con fuoco) verarbeitet überhaupt all das vorangegangene Material, um in der grandiosen, expressiv-dissonanzreichen Vereinigung des Leitmotivs mit dem energischen Marschthema des Finales in hymnischer Ballung zu kulminieren.

Amerikanisch oder böhmisch? - «Es scheint, ich habe ihnen ein wenig den Kopf verdreht. Bei uns zu Hause versteht jeder gleich, was ich gemeint habe», soll Dvorák am Tag nach der Uraufführung zu einem Landsmann gesagt haben. Ein Randgebiet des Prager Stadtteils Hradschin, in dessen Wirtshäusern viele Tanzkapellen aufspielten, hieß unter den Einheimischen nämlich «Nový sv?t» - «Neue Welt».

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Walter Weidringer