Archiv: Beethoven & Ravel

Wiener Neustadt Kasematten Kasematten

Interpreten

  • Marie-Ange Nguci, Klavier
  • Pierre Bleuse, Dirigent

Programm

Eine bezaubernde Märchensammlung für Orchester, ein prickelndes Klavierkonzert, das mit Jazzelementen und klassizistischer Schlichtheit jongliert – und die Feier des Sieges über den Tyrannen Napoleon als Symphonie, die zuletzt schier außer Rand und Band gerät: Der französische Dirigent und Geiger Pierre Bleuse, aktuell Chef beim Odense Symphony Orchestra, hat sich für seine Rückkehr zu den Tonkünstlern ein spannungs- und farbenreiches Programm mit Musik von Maurice Ravel und Ludwig van Beethoven ausgesucht – und weiß dabei die famose junge Pianistin Marie-Ange Nguci als Solistin an seiner Seite.

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden
Maurice Ravel

«Ma mère l'Oye. Cinq pièces enfantines» Suite für Orchester

Sätze

  • Pavane de la Belle au bois dormant

  • Petit Poucet

  • Laideronnette, Impératrice des Pagodes

  • Les entretiens de la Belle et de la Bête

  • Le jardin féerique

Dauer

17 Min.

Entstehung

1908-10, 1911 (Orchestrierung)
Maurice Ravel

Konzert für Klavier und Orchester G-Dur

Sätze

  • Allegramente

  • Adagio assai

  • Presto

Dauer

20 Min.

Entstehung

1929-32

Maurice Ravel  entschied erst spät in seinem Leben, für sich ein eigenes Klavierkonzert zu komponieren. Nach viel Klaviermusik, Kammermusik, Liedern, Balletten und sogar Opern fehlte im Werkkatalog dieses nicht zuletzt auch fabelhaften Pianisten bloß ein Werk für Klavier und Orchester. 1929 nahm er es in Angriff; es war auch als Referenz an Mozart gedacht und zählt heute zu den beliebtesten Klavierkonzerten überhaupt. Nun wollte es der Zufall, oder eigentlich: der Wiener Pianist Paul Wittgenstein, dass Ravel, kurz nachdem er mit der Arbeit an seinem G-Dur-Klavierkonzert begonnen hatte, ein weiteres, spezielles Werk für die Besetzung Klavier und Orchester schreiben sollte – allerdings eines für die linke Hand allein. So ergab es sich, dass Ravel gleichzeitig an zwei Konzerten arbeitete: Auf seinem Flügel lag links ein Packen Noten für das G-Dur-Konzert, rechts bewahrte er das linkshändige Werk auf. Und obwohl kein Zweifel besteht, dass beide Werke ureigenster Ravel sind, könnten sie doch unterschiedlicher nicht sein – sowohl stilistisch als auch, klarerweise, spieltechnisch. Ravel selbst äußerte sich dazu im Juli 1931 in einem Interview für den Daily Telegraph: «Gleichzeitig zwei Konzerte zu konzipieren war eine interessante Erfahrung. Dasjenige, das ich selbst spielen werde [dazu sollte es nicht mehr kommen], ist ein Konzert im wahrsten Sinne des Wortes.

Darunter verstehe ich, dass es im Geiste der Konzerte Mozarts und Saint-Saëns’ geschrieben ist. Meiner Meinung nach muss die Musik eines Konzerts leicht und brillant und nicht auf Tiefsinn und dramatische Wirkung bedacht sein […] Zuerst hatte ich gedacht, mein Konzert als ‹divertissement› zu bezeichnen. Dann erschien mir dies aber als unnötig, weil der Begriff ‹concerto› selbst klar genug den Charakter des Werks erfasst. In mancher Hinsicht ist dieses Konzert nicht ohne Beziehungen zu meiner Violinsonate. Es enthält einige Anspielungen auf den Jazz, aber nicht viele.»

Maurice Ravel schrieb also das G-Dur-Konzert eigentlich für sich selbst – er war schließlich auch ein fabelhafter Pianist, der sich auf der Höhe seines Ruhmes befand. Allerdings erlaubte ihm seine sich langsam, aber stetig verschlechternde Gesundheit nicht mehr, die Uraufführung am 14. Jänner 1932 auch selbst zu spielen. Die mit Ravel lange Jahre befreundete Pianistin Marguerite Long saß bei der Premiere am Flügel, Ravel stand am Pult des Orchestre Lamoureux.

Der erste Satz (Allegramente) beginnt mit einem Peitschenschlag, auf den sofort über wirbelnden Klaviergirlanden die Piccoloflöte mit einem an ein baskisches Volkslied erinnernden Thema einsetzt. Schlag auf Schlag tauchen, enorm kunstvoll und doch mit scheinbar leichter Hand aneinandergefügt, gleich vier weitere Themen auf, die zunehmend von der Sphäre des Jazz beeinflusst sind. Formal wiederum bleibt Ravel im Kopfsatz der klassischen Form verpflichtet, wenn auch durch die abwechslungsreiche Instrumentierung so verschleiert, dass weder die ausgelassene Durchführung, noch die raffiniert sich einschleichende Reprise leicht auszumachen sind. Lauscht man jedoch genau, verrät eine zarte Passage mit glitzernden Harfenglissandi und die bald darauf folgende Klavier-Kadenz mit langen Trillerketten den Eintritt der Coda, die den Satz schließlich launig-lärmend beschließt.

Der zweite Satz (Adagio assai) bildet dazu den denkbar größten Kontrast: Das Klavier alleine singt eine beinahe unendliche Melodie, «die an Mozart erinnert, den Mozart des Klarinettenquintetts …, das schönste Stück, das er geschrieben hat,» meint Ravel, und fügt noch hinzu: «diese fließende Melodie! Wie habe ich um sie Takt für Takt gerungen! Fast hätte es mich umgebracht.» Das Klavier behält dabei in der linken Hand durch den ganzen Satz eine gleichbleibende Figur bei, über der sich in der Folge nicht nur die rechte Hand mit immer neuen Figurationen erhebt, sondern auch die Holzbläser einige der schönsten Orchestersoli der Musikgeschichte beisteuern.

Die ausgelassene Atmosphäre des ersten Satzes kehrt im Finale (Presto) zurück, allerdings noch deutlich knalliger und schneller. Der Gedanke an Strawinskis «Petruschka» oder Saties «Parade» liegt hier nahe, an eine Zirkus- oder Jahrmarktsszene also. Doch ist es letztlich die Welt des klassischen Rondosatzes, «im Geiste Mozarts und Saint-Saëns’», dem das unglaublich rasch seinem Ende zurasende Presto, in verknappter, ausgelassener, jazziger Weise, folgt: Effektvollere, und dabei so leicht fließende Musik für Klavier und Orchester ist nie geschrieben worden.

Nun, Ravel selbst sollte sich an seinen beiden Klavierkonzerten nicht mehr allzu lange erfreuen dürfen. Das eigentlich für ihn selbst komponierte in G-Dur konnte er aufgrund seiner fortschreitenden Erkrankung nicht mehr aufführen – aber immerhin dirigierte er es selbst. Das Konzert für die linke Hand hörte er erst 1937, selbst längst arbeitsunfähig und gezeichnet vom unaufhaltbaren Verfall: «Ich habe noch so viel Musik im Kopf, ich habe noch nichts gesagt, ich habe noch alles zu sagen», klagte er, doch an Arbeit war nicht mehr zu denken. Seine letzten vollendeten Werke nach den beiden Konzerten waren 1932 die drei Lieder «Don Quichotte à Dulcinée». Nach Jahren des Leidens und einer zuletzt noch unternommenen, jedoch zwecklosen Gehirnoperation starb Ravel am 28. Dezember 1937. Sein heute gespieltes Konzert in G-Dur gilt nicht nur in seiner einzigartigen Verbindung aus Witz, Spielfreude und melancholischen Momenten, tatsächlich im Geiste der großen Vorbilder Mozart und Saint-Saëns, als eine der gelungensten Schöpfungen auf dem Gebiet des Klavierkonzerts, sondern es steht auch am Höhe- und gleichzeitig Schlusspunkt des einmaligen Schaffens von Maurice Ravel.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

Ludwig van Beethoven

Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92

Sätze

  • Poco sostenuto - Vivace

  • Allegretto

  • Presto - Assai meno presto

  • Allegro con brio

Dauer

38 Min.

Entstehung

1811-12

Ludwig van Beethoven war noch lange nicht fertig mit Napoleon, als er sich 1804 mit Vehemenz dagegen entschied, seine dritte Symphonie, die «Eroica», dem Korsen zu widmen, der sich soeben zum Kaiser gekrönt hatte. «Ist der auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werden!», habe er dabei wütend ausgerufen. Ob diese Worte  freilich tatsächlich so oder so ähnlich gefallen sind, wie sich Beethovens Biograph Ferdinand Ries 1838 glaubte erinnern zu können, oder ob sie nicht vielmehr auf einer 1836 publizierten, romanhaften Ausschmückung von Beethovens Leben aus der Feder von Ernst Ortlepp fußen, sei einmal dahingestellt. Sicher ist, dass neben dem Komponisten auch ganz Europa noch nicht fertig war mit dem neuen Kaiser der Franzosen.

Beethoven betrachtete Napoleon von nun an «als seinen persönlichen Feind und bekämpfte ihn mit ‘seinen’ Waffen», ist etwa Attila Csampai überzeugt und zählt jene Werke auf, mit denen der Komponist in der Folge klare politische Stellung gegen jede Tyrannei bezogen hat: die «Coriolan»-Ouvertüre, die fünfte Symphonie, die Schauspielmusik zu Goethes «Egmont», die Ouvertüre zu «König Stephan» und besonders natürlich die zu ihrer Zeit unglaublich populäre Programmsymphonie «Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria» op. 91 (1813). Der erfolgreiche Kampf des britischen Generals gegen die napoleonischen Truppen in Nordspanien am 21. Juni 1813 wird in diesem heute als Kuriosität angesehenen Orchesterwerk im musikalischen Widerstreit des Liedes «Rule, Britannia» und eines französischen Marsches dargestellt, wobei die Schläge zweier großer Trommeln die fallenden Kanonenschüsse repräsentieren, bevor die folgende Siegessymphonie die Hymne «God save the King» in mehreren Variationen erklingen lässt. Das Werk ist fast völlig aus dem Konzertsaal verschwunden, überlebt aber, gemeinsam mit anderen musikalischen Schlachtengemälden wie Tschaikowskis Ouvertüre «1812», in etlichen Aufnahmen, bei denen zum Teil echte Kanonen verwendet wurden.

«Wellingtons Sieg» gehört jedenfalls in der Aufführungshistorie untrennbar zusammen mit der Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92, welche nach Harry Goldschmidt nichts anderes darstellt als eine weitere «Symphonie gegen Napoleon»: Die Uraufführung fand am 8. De­zember 1813 in der Aula der Alten Universität in Wien statt, acht Wochen nach der blutigen Völkerschlacht bei Leipzig, bei der die österreichischen, preußischen, russischen und schwedischen Truppen Napoleon eine entscheidende Niederlage zufügen konnten. Und vor diesem historischen Hintergrund verstand das zeitgenössische Publikum die beiden damals gekoppelten Werke «von Anfang an als zusammengehöriges Paar, als Einheit von Kampf (op. 91) und Sieg (op. 92) über Napoleon.» (Csampai). – Nun, das Werk erschließt sich freilich auch abseits außermusikalischer Zusammenhänge als faszinierendes Kunstwerk, das Beethoven «als eins der glücklichsten Produkte meiner schwachen Kräfte» ansehen durfte.

Das den ersten Satz eröffnende, ganz autonom wirkende Poco sostenuto in A-Dur sprengt in Umfang und Inhalt den Sinn einer langsamen Einleitung völlig, nimmt dabei aber doch wesentliche Elemente der ganzen Symphonie vorweg: Wir werden hier Zeuge, wie sich die Musik aus den elementaren Größen Dreiklang (als Akkord sowie melodisch als Zerlegung) und Tonleiter entwickelt, wobei diese stets nach oben strebt. Zweimal tritt eine lyrische Holzbläsermelodie als Kontrast zum energischen Treiben auf (zuerst in C-Dur, dann F-Dur), bevor Tonrepetitionen den Rhythmus in den Vordergrund zu rücken beginnen. Als sich das Geschehen auf dem Ton E festbeißt, der zwischen Violinen und Holzbläsern im Oktavabstand hin und her wandert, scheint ein Endpunkt erreicht, der gleichzeitig zur Initialzündung des Vivace wird: Der punktierte 6/8-Rhythmus beherrscht von nun an praktisch jeden Takt dieses vor tänzerischer Energie nur so strotzenden Satzes. Rasante Anläufe die Tonleiter empor, dramatische Halte, extreme dynamische Kontraste und grandios sich aufbauende Crescendi prägen die Musik, welche an einen niemals längere Zeit ermattenden Freudentanz gemahnt. Schon der «raketenhaft auffahrende Auftakt» zum ersten strahlenden Tutti-Einsatz des Hauptthemas, welches auch die Hörner mit schmetterndem Glanz mächtig herausstellen, wirkt für den Dirigenten und Musikwissenschaftler Peter Gülke wie die «Verkörperung des auf die Massen überspringenden Funkens, und zugleich als herrische Gebärde». Gerade diese musikalische Abschussrampe nützt Beethoven nach einer zuletzt dramatisch gesteigerten Durchführung am Beginn der Reprise für ein amüsantes Spiel mit der Hörerwartung: indem er nämlich zu den bereits im Hauptrhythmus crescendierenden Holzbläsern den Tonleiteranlauf der Streicher zunächst einmal ins Leere jagen und erst nach dem markanten Hinzutreten von Trompeten und Pauken erfolgreich in die Wiederkehr des Hauptthemas münden lässt.

Der zweite Satz (Allegretto), der bei den frühen Aufführungen stets so gut ankam, dass er wiederholt werden musste, steht dazu ausdrucksmäßig in deutlichem Kontrast, behält aber die elementare Bedeutung des Rhythmus bei: Regelwidrig bildet ein fahl schwebender Quart-Sext-Akkord der Bläser Anfang und Ende. Dazwischen erklingt eine Art Trauermarsch in a-moll mit ausdrucksvoll klagendem Thema über einem zunächst gleichsam nackt vorgestellten, ostinaten Rhythmus, der auf die Gebetsformel «Sancta Maria, ora pro nobis» zurückgehen könnte, wie Wolfgang Osthoff vermutet; er steckt freilich auch schon in der lyrischen Melodie der Einleitung zur Symphonie. Dass die tröstliche A-Dur-Melodie von Klarinette und Fagott an das Terzett «Euch werde Lohn in bessern Welten» aus dem zweiten Akt des «Fidelio» erinnert, wie Karl Nef aufgezeigt hat, fügt sich nahtlos in den Bedeutungszusammenhang ein.

Polternd bricht darauf das Scherzo (Presto) in F-Dur los, das der Vorliebe Beethovens in seiner mittleren Schaffensperiode folgt und demnach fünfteilig gebaut ist, also mit zweimalig erscheinendem Trio. Im erst derb aufstampfenden, dann leise trippelnden Hauptthema begegnen uns die musikalischen Elemente aus der Einleitung zum Stirnsatz wieder: Dreiklangszerlegung und Tonleiter, während die nach all dem ausgelassenen Trubel erschöpft wirkende Triomelodie mit ihrem langen Bordunton A einem niederösterreichischen Wallfahrerlied nachempfunden sein soll. Dass Beethoven die fünf Formteile nicht mit Wiederholungszeichen angibt, sondern ausschreibt, gibt ihm zudem Gelegenheit zu allerlei plötzlichen dynamischen Überraschungen.

Das Finale (Allegro con brio) schließlich reißt sich mit seinem dithyrambischen Taumel von allen nur denkbaren Ketten los: Das auf und ab wirbelnde Hauptthema wird in jedem Takt von zweierlei Synkopenbildungen angetrieben, welche im 2/4-Takt jeweils das zweite Viertel und das vierte Achtel mit Sforzati ruppig hervorheben. Das in Moll stehende, am wilden ungarischen Verbunkos orientierte Seitenthema betont widerspenstig jeden schlechten Taktteil. Und doch funktioniert das ständige Löcken wider das gewöhnliche metrische Schema nur dadurch, dass die rhythmischen Ostinati «mit der Präzision eines Uhrwerks ablaufen und entgegen allen Erwartungen bis zum Schlußtakt keine Beschleunigung dulden – ausgerechnet dieses orgiastische Finale besitzt keine Stretta!» (Arnold Werner-Jensen). Die enormen rhythmischen Energien entladen sich stattdessen in der über brodelnden Bässen grandios aufgetürmten Coda zwei Mal in dreifachem Forte – eine Seltenheit in Beethovens Schaffen, welche den Ausnahmerang dieser in vielerlei Hinsicht extremen Symphonie noch unterstreicht.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer