Archiv: Rachmaninow & Ravel

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Alexander Ullman, Klavier
  • Robert Trevino, Dirigentin

Programm

«Seine Geschwindigkeit, Transparenz und Präzision sind atemberaubend», urteilte die «Sunday Times» über Alexander Ullmans erste Solo-CD. All dies wird der junge Brite auch für sein Debüt beim Tonkünstler-Orchester brauchen, denn Sergej Rachmaninows drittes Klavierkonzert stellt höchste Anforderungen an den Pianisten und wurde vom Komponisten mit dem Beinamen «Konzert für Elefanten» ausgestattet. Aufgefangen wird die dramatische Emotionalität des letzten romantischen Klavierkonzerts der Musikgeschichte von einem der «schönsten Produkte der gesamten französischen Musik»: So bezeichnete Igor Strawinsky das Ballett «Daphnis et Chloé». Maurice Ravel malte in der zweiten, 1913 veröffentlichten Suite eine prächtige Morgenlandschaft, bevor die «Danse générale» einen orgiastischen Schlusstaumel entfacht.

Aufgrund der geltenden Verordnungen zur Covid-19-Prävention sind auch unsere Konzertprogramme Änderungen unterworfen. Die ursprünglich vorgesehene zweite Symphonie von Johannes Brahms wird durch die zweite Suite zum Ballett «Daphnis et Chloé» von Maurice Ravel ersetzt. Robert Trevino dirigiert anstelle von Yutaka Sado.

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Sergej Rachmaninow

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30

Sätze

  • Allegro ma non tanto

  • Intermezzo. Adagio –

  • Finale

Dauer

40 Min.

Entstehung

1909

Sergej Rachmaninow ist mit einer so verdächtigen Fülle an Klischees behaftet wie kaum ein Komponist. Das Image des aus Russland stammenden Hollywood-Lieblings und virtuosen Salonromantikers, der dem amerikanischen Publikum nach dem seichten Gusto schreibt, wurde durch viele Faktoren herangezüchtet, die Rachmaninow selbst kaum beeinflussen konnte. Man denke beispielsweise an den Marilyn Monroe-Film «Das verflixte siebente Jahr», in dem der Komponist als leidender Schwerenöter und unwiderstehlicher Verführer persifliert wird. Seine Auftritte in den USA als Klaviervirtuose und Interpret eigener Kompositionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Vorarbeit geleistet. Es war die in den USA damals selbstverständliche Weltoffenheit und gleichzeitig die Lust am Exotischen, die es reizvoll machten, die Nähe zu einem Künstler wie Sergej Rachmaninow zu suchen. Seine Emigration 1917 in die USA – ein Jahr, in dem viele Russen dort eine neue Heimat gefunden hatten – machte den hochsensiblen Künstler zum Fremden in einem fremden Land. Amerika hatte er schon zuvor auf seinen Tourneen kennen gelernt, aber auch nach der begeisterten Aufnahme im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde er nie wirklich einer der «ihrigen».

Und so blieb Rachmaninow ein Entwurzelter: das neue Russland verzieh ihm den Abgang nicht und strafte ihn lange mit Verachtung. Für die Amerikaner blieb er – wenn auch hoch geschätzt – ein Immigrant. So gern das Publikum jenseits des Atlantiks auch Glanz und Gloria, charmante Exsaltiertheit und heißblütiges Pathos in Rachmaninow gesehen und gehört hätte, er war in Wirklichkeit doch ein anderer. Zeitzeugen beschreiben ihn als wortkarg und distanziert, sein abgehobenes und asketisches Auftreten wirkte auf viele zurückweisend. Das übergroße Kostüm für die Rolle des russischen Tastenmagiers, das man ihm ungefragt übergezogen hatte, lenkte die Aufmerksamkeit weg von seinen übrigen Werken, den meisterhaften Symphonien, den symphonischen Dichtungen, den Opern und Kantaten – sie alle blieben weitgehend unbeachtet und erhalten bis heute – auch in Rachmaninows Stiefmütterchen Russland – nur wenig Aufmerksamkeit. Und wenn er auch als der «amerikanischste» aller emigrierten Russen gilt, war Sergej Rachmaninow in der Reihe von Igor Strawinski, Sergej Koussewitzky und Vladimir Horowitz der einzige, der nie die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragte. Es gibt genügend Hinweise darauf, dass der Schlüssel zu Sergej Rachmaninow nicht unter dem Walk of Fame in Hollywood liegt, sondern in russischer Erde vergraben ist. Von 45 Werken mit Opuszahl entstanden 39 in der Zeit vor 1917, also noch vor der Emigration. Noch 1941 sagte er in einem Interview: «Ich bin ein russischer Komponist, und meine Heimat hat mein Temperament und meine Anschauungen geprägt. Meine Musik ist Ausdruck meines Temperaments, und also ist sie russische Musik.»

Das Klavierkonzert Nr. 3 gilt als eines der technisch schwierigsten Werke dieser Gattung. Rachmaninow überzeugt darin nicht durch effekthascherische Virtuosität, er lässt den Klavierpart als kontemplativen Botschafter der Zurückgezogenheit auftreten. In ein undefinierbares Pulsieren des Orchesters fügt sich zu Beginn der Solopart ganz träumerisch ein. Fast wie improvisiert klingt das Thema des ersten Satzes (Allegro ma non tanto), das sich auf wenige Töne beschränkt und vorerst noch seinen eigenen Raum und Kontur sucht. Langsam ertastet das Klavier – nicht ohne dramatische Einsprengsel und den für Rachmaninow typischen drängenden Fluss – die Spielfläche und tritt in einen Dialog mit dem Orchester. Dazwischen führt der Solopart immer wieder versonnene Selbstgespräche, die wortlos durch die durchlittene Vergangenheit führen. Das träumerische Hauptthema des Satzes dient als Keimzelle, zu der alles immer wieder zurückführt. Das Klavier wirkt, bei aller Brillanz, verhalten und fast verklärt. Rachmaninow erreicht diesen Eindruck durch eine Engführung der Klavierstimme, die sich praktisch nur in Sekundschritten bewegt; große Sprünge fehlen völlig.

Der zweite Satz (Intermezzo. Adagio) vertauscht die Rollen zwischen Orchester und Klavier. Der Solopart übernimmt hier zu Beginn die Rolle eines Begleiters und betritt erst nach einem ausladenden Orchestervorspiel die Bühne. In großen Flächen überschüttet das Klavier die Zuhörer mit chromatischen Kaskaden, bevor es sich mit scharfen, kantigen Zerlegungen letztlich doch zum Protagonisten macht. Die Melodien bleiben schwer greifbar, chromatisch verwischte Figuren sowohl im Orchester als auch im Klavierpart erlauben keinen Halt. Ein plötzlicher Ausbruch leitet in eine weitere Phase der verträumten Zerlegungen über, die vom Klavier mit einer Reihe von Attacca-Schlägen nahtlos zum Finale übergeführt werden.

Im Finale, das Rachmaninow in einer Kombination aus Sonaten- und Rondoform anlegt, gewinnt die Klavierstimme das Selbstvertrauen, das zuvor fehlte. Als wäre das bisher Erklungene ein Ringen um Mut und Zuversicht gewesen, schwingt sich der Solopart in kecken Figuren zu virtuosen Höhen auf. Gepeitschte Synkopen und wirbelnde Passagen verfehlen ihre Wirkung nicht. Thematisch greift Rachmaninow Gedanken aus dem ersten Satz des Konzerts wieder auf, die am Beginn des Werks noch etwas Einfältiges an sich hatten. Nun hebt die mondäne Stimmung des Finalsatzes diese Ideen auf ein neues Niveau, wo sie ihre Strahlkraft voll entfalten können. Der Schluss wird durch eine Entschleunigung des Soloparts eingeleitet, der trügerisch zum Verweilen einlädt. Das Orchester spannt die Triebfeder für einen instrumentalen Höhenflug durch alle Gefilde der romantischen Seele, der das Publikum von erbostem Grollen in der Tiefe bis zu einem feierlichen Fortissimo-Feuerwerk führt.

Der Erfolg bei Publikum und Kritik war nach der Uraufführung in New York sensationell. Auch am 4. April 1910, als das Werk erstmals in Moskau erklang, zeigte man sich begeistert. Der Kritiker Grigori Prokofiew schrieb: «Das neue Konzert zeigt die besten Seiten seiner schöpferischen Kraft – Aufrichtigkeit, Schlichtheit und Klar­heit der musikalischen Gedanken […] Es hat alle Frische der Inspiration, ohne nach der Erschließung neuer Wege zu streben, eine klar umrissene und lakonische Form und eine brillante Instrumen-tation – Qualitäten, die dem Werk den Erfolg und die dauerhafte Liebe der Musiker und des Publikums sichern werden.» Mit seiner Prophezeiung sollte der Kritiker recht behalten.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Alexander Moore

Maurice Ravel

«Daphnis et Chloé» Suite Nr. 2

Sätze

  • Lever du jour - Pantomime. Lent - Danse générale. Lent

Dauer

18 Min.

Entstehung

1907/1912

Maurice Ravel schrieb kurz nach der nicht allzu erfolgreichen Uraufführung des Balletts «Daphnis et Chloé» im Jahre 1912 an den Direktor der Pariser Opéra: «Es war für mich eine so ununterbrochene Tortur, dass mir vorerst jede Lust auf ein ähnliches Unternehmen vergällt ist.» Was war geschehen? Am selben Abend war auch Claude Debussys «Prélude à  l’après-midi d’un faune» erstmals tänzerisch interpretiert worden, wobei die betont erotische Verkörperung des Fauns durch Vaclav Nijinsky einen mittleren Skandal verursachte, der das öffentliche Interesse an «Daphnis» zu Unrecht in den Hintergrund drängte.

1909 hatte Sergej Diaghilew Ravel um eine Ballettmusik für seine «Ballets russes» gebeten und als Sujet den (unter anderen von Goethe bewunderten) spätantiken Liebesroman «Hirtengeschichten von Daphnis und Chloé» des Longos von Lesbos (2./3. Jahrhundert) vorgeschlagen, der von zwei bei Hirten heranwachsenden Findelkindern handelt, die Schritt für Schritt gemeinsam die Liebe entdecken. Michail Fokine fokussierte dessen Handlung geschickt auf Chloés Entführung durch Piraten, die kein Geringerer als der Gott Pan in die Flucht schlägt und so die Liebenden wieder vereint.

Allerdings machte Fokines komplexe Choreografie zu Ravels ohnehin schon vertrackter Komposition (die abschließende «Danse générale» etwa steht im für damalige Ballett-Gepflogenheiten ganz ungewöhnlichen 5/4-Takt) den Tänzern der Uraufführung arg zu schaffen. So scheint es kaum verwunderlich, dass Ravels außerordentliche Partitur ihren Siegeszug zunächst in Form zweier Suiten auf den Konzertpodien antrat, wo deren ganz individuelle Meisterschaft umso deutlicher hörbar wurde, bevor das Werk auch auf der Bühne volle Rehabilitierung erfuhr.

Die zweite Suite, 1913 veröffentlicht, umfasst den letzten Teil der Komposition: «Lever du jour» malt im Licht der aufgehenden Sonne eine prächtige Morgenlandschaft. Das Lied von der Nymphe Syrinx (mit Flötensolo) bildet die Überleitung zur «Pantomime», in der Daphnis mit Chloé vereint wird, bevor die «Danse générale» einen orgiastischen Schlusstaumel entfacht.

Ein «großes musikalisches Freskogemälde» hatte Ravel laut eigener Aussage mit «Daphnis et Chloé» im Sinn, «weniger auf Archaik bedacht als auf Treue zu dem Griechenland meiner Träume» – keine Konstruktion eines vorgeblichen Naturalismus also, sondern die ästhetisch idealisierte Überhöhung der Wirklichkeit. Das schließt ein Element ein, auf das der Untertitel des Balletts («Symphonie chorégraphique») verweist: «Das Werk ist symphonisch gebaut, nach einem sehr strengen Plan und mittels einer kleinen Anzahl von Motiven, deren Durchführung die symphonische Einheit sichern.» Dadurch bändigt Ravel die enorme Farbenpracht seines fast ins Monumentale gewendeten Schäferspiels, in der auch die menschliche Stimme textlos in die Palette des großen Orchesters integriert wird. Dennoch bleiben die Valeurs stets «rein», sollen sich nicht in pauschaler Mischung ineinander verlieren, sondern durch klare, scharfe Konturen voneinander abgesetzt sein: Erst das bringt die Partitur zum schönsten Irisieren.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer