Archiv: Carmina Burana

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Olga Peretyatko, Sopran
  • Sung Min Song, Tenor
  • Rafael Fingerlos, Bariton
  • Wiener Sängerknaben, Chor
  • Wiener Singverein, Chor
  • Johannes Prinz, Choreinstudierung
  • Gerald Wirth, Choreinstudierung
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

«O Fortuna velut Luna, statu variabilis!» Kaum ein Werk des 20. Jahrhunderts ist so berühmt geworden und hat so weite Kreise gezogen wie Carl Orffs «Carmina Burana», zu Deutsch etwa «Beurer Gesänge» oder «Lieder aus Benediktbeuern». Mit seiner urwüchsigen, mitreißenden Neuerfindung einer mittelalterlich wirkenden Musik auf lateinische, mittelhochdeutsche und altfranzösische Vagantenlyrik des 13. Jahrhunderts hat der bayerische Komponist 1937 eine zwischen Archaik und Moderne oszillierende Tonsprache entwickelt, die bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat. Einen kreativen Rückblick leistete sich auch Igor Strawinski mit «Pulcinella»: Yutaka Sado dirigiert dieses fesselnde Programm, das Puppenbühne und großes Welttheater vereint.

Tipp: Chefdirigent Yutaka Sado signiert im Anschluss an die Konzerte im Shop des Musikvereins die unter seiner Leitung eingespielten Tonkünstler-CDs.

István Horváth musste seine Mitwirkung an diesem Konzert leider absagen. Dankenswerterweise erklärte sich Sung Min Song bereit, die Tenorpartie in den «Carmina Burana» kurzfristig zu übernehmen.

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Igor Strawinski

Suite aus dem Ballett «Pulcinella»

Sätze

  • Sinfonia (Ouverture)

  • Serenata

  • Scherzino - Allegro - Andantino

  • Tarantella

  • Toccata

  • Gavotta con due variazioni

  • Vivo

  • Minuetto - Finale

Dauer

22 Min.

Entstehung

1922/1949

Igor Strawinski schuf mit der Ballettmusik zu «Pulcinella» das Schlüsselwerk für die Ausprägung des Neoklassizismus in der Musik. Beabsichtigt hat er dies nicht, vielmehr setzte er einen Auftrag des russischen Ballett-Impresarios Sergei Diaghilew auf eine besondere Weise um.

Mit Diaghilew und dessen Compagnie der «Ballets Russes» hatte Strawinski bereits mehrfach erfolgreich zusammengearbeitet. Das Ballett «Le sacre du printemps» führte bei der Uraufführung 1913 in Paris zwar zu einem der größten Skandale, den die Ballett- und Musikgeschichte erlebte, dennoch wurde bald die enorme Bedeutung dieses Werkes für die Entwicklung nicht nur des Tanztheaters, sondern vor allem der Musik erkannt. Mit «Petruschka» und «Feuervogel» hatte Strawinski für Diaghilews Compagnie weitere Ballettpartituren geschaffen, als ihn einige Jahre danach in seinem Exil in der Schweiz der Auftrag erreichte, eine Ballettmusik für ein Commedia dell’Arte-Projekt der «Ballets Russes» zu schreiben.

Diaghilew hatte in der Nationalbibliothek von Neapel ein unveröffentlichtes Manuskript des 18. Jahrhunderts mit dem Titel «I quattro Pulcinella» – «Die vier Pulcinellas» – entdeckt. Die turbulente Verwechslungskomödie, in der es natürlich um die Liebe geht, erschien Diaghilew als idealer Stoff, eine Produktion im Stile der Commedia dell’Arte auf die Bühne zu bringen. Er beauftragte Léonide Massine mit der Choreografie, Pablo Picasso mit der Ausstattung und Strawinski mit der Musik. Nach dem Anbruch der Moderne mit «Le sacre» wollte Diaghilew mit «Pulcinella» das künstlerische Rad der Zeit wieder zurückdrehen, wie er es auch schon mit der Rossini-Hommage «Der Zauberladen» nach der Musik Ottorino Respighis getan hatte.

Aber Diaghilew hatte die Rechnung ohne die von ihm beauftragten Wirte gemacht. Keiner der drei war bereit, eine historisierende, die Vergangenheit verklärende oder gar epigonale Umsetzung des Stoffes zu realisieren. Jeder von ihnen entwickelte – zunächst unabhängig voneinander – einen gegenwärtigen Zugang zur Vergangenheit. Strawinski, dem man Manuskripte aus der Sammlung des italienischen Komponisten Giovanni Battista Pergolesi (1710 – 1736) zur Vorlage gegeben hatte, wollte nicht einfach die diversen Arien, Triosonaten und Suitenteile des frühen 18. Jahrhunderts für ein Ballettorchester bearbeiten. «Ich begann, indem ich auf Pergolesis Originalmanuskripten komponierte, als würde ich ein eigenes, älteres Werk bearbeiten. ... Ich wusste, dass mir ein Pergolesi nicht gelingen würde, denn meine Motorik ist grundverschieden; bestenfalls konnte ich seine Aussagen mit meinem eigenen Akzent wiederholen. Dass das Ergebnis bis zu einem gewissen Grad witzig-ironischen, satirischen Charakter haben würde, war vielleicht unumgänglich, denn wer hätte im Jahre 1919 ein solches Material ohne satirische Distanz behandeln können?» (Nebenbei sei erwähnt, dass viele Jahre nach Strawinskis Tod ein Musikwissenschaftler herausfand, dass nur ein Teil der von Strawinski als Vorlage benutzten Stücke tatsächlich von Pergolesi stammt, ein anderer Teil aber auf Stücke von insgesamt vier weiteren Komponisten – Domenico Gallo, Carlo I. Monza, U. Wilhelm von Wassenaer und Alessandro Parisotti – zurückgeht).

Strawinski machte aus den Vorlagen eine Komposition von Strawinski. Sie ist unverwechselbar vom ersten Ton an, zeitgemäß – und dennoch zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit vermittelnd. Die Musik ermöglicht jederzeit Assoziationen zu einer vergangenen Zeit, ja der spritzige, witzige, sanft sentimentale und temperamentvoll tänzerische Charakter der einzelnen Kompositionsteile lenkt die Aufmerksamkeit auf eine ganz bestimmte Atmosphäre der Vergangenheit: Die Wochen, die Strawinski zusammen mit Picasso in Neapel – das pulsierende Leben aufsaugend und kleine Volkstheater besuchend – verbrachte, hinterließen deutlich ihre Spuren in dem Komponisten und auf seinen Notenblättern. Er fand eine musikalische Gestik, wie man sie sich nicht besser für die Commedia dell’Arte vorstellen könnte.

Denn Strawinski begegnete dem musikalischen Stil der Vergangenheit nicht mit Respekt und Ehrfurcht, was auch eine gewisse emotionale Distanz hergestellt hätte: «Respekt allein ist immer steril, er kann niemals als schöpferisches Element wirken.» Strawinski hingegen widmete sich der musikalischen Vergangenheit mit liebevoller Zuneigung, da das Vergangene offenbar auch sehr viel mit ihm selbst und seinen eigenen musikalischen Empfindungen zu tun hatte: «Es war ein Blick zurück – die erste von vielen Liebesbeziehungen, die in diese Richtung gingen –, aber es war auch ein Blick in den Spiegel.»

Das, was Strawinski im Spiegel entdeckte, fand zunächst allerdings so gar nicht den Gefallen des Auftraggebers Diaghilew, ebenso wenig die Herangehensweise der anderen beauftragten Künstler. Ein Treffen, bei dem Massine, Picasso und Strawinski ihre Entwürfe und Pläne vorlegten, endete mit einem heftigen Streit. Diaghilew trampelte auf den Skizzenblättern Picassos herum, welche Commedia dell’Arte-Figuren auf einer kubistisch gewürfelten neapolitanischen Straße zeigten, und verließ, die Türe hinter sich zuknallend, den Raum. «Er ging lange Zeit mit einem Gesicht umher, das auszudrücken schien», erinnerte sich Igor Strawinski später an die pikante Situation. Doch schließlich konnten sich die Künstler unter leichten Zugeständnissen mit Diaghilew auf ein gemeinsames Konzept einigen. Die Produktion ging im April 1920 über die Bühne der Opéra de Paris – mit einem eindeutigen, durchschlagenden Erfolg. Picassos originelle Bilder, Masken und Kostüme ließen die neapolitanische Komödie wie im Zirkus erscheinen, Massines Choreografie verband die Bewegungsabläufe der Commedia dell’Arte fließend und rasant mit der Danse d’école und folkloristischen Elementen, Strawinskis Musik nützte die Energie, die Alter Musik für eine zeitgemäße lebendige Musiksprache innewohnt. All dies verband sich zu einer offensichtlich eindrucksvollen Gesamtkomposition. Massine tanzte übrigens die Figur des Pulcinella selbst.

Strawinski imitierte den Klang der Alten Musik nicht, er rief ihn mit einer konzertierenden Instrumentalbesetzung wach, die das klassische Modell in die Moderne übertrug: Je zwei Flöten, Oboen, Fagotte und Hörner, eine Trompete und Posaune und zwei Streicher-Gruppen, wie einst in ein solistisches Concertino-Quintett und in ein mehrfach besetztes Ripieno-Quintett aufgeteilt. Dazu tritt die vokale Klangfarbe von drei Gesangssolisten, die keinen Rollenfiguren auf der Bühne entsprechen, sondern jeweils Stimmungen für die Handlung schaffen und in ihrem Tonfall und Tempo die Ballett-Aktionen (und bei konzertanten Aufführungen bestimmte Assoziationen der Hörer) wachrufen: Sopran, Tenor und Bass also als Instrumente, die sprechen, ganze Sätze sagen. Und die Instrumente, vor allem die Bläser, wiederum sehr oft mit melodischen Wendungen, als würden sie singen. Die Streicher haben aber auch oft regelrecht perkussive Aufgaben: Sie sind der Pulsschlag der Alten und gleichzeitig Neuen Musik.

Einmal nur lässt Strawinski allein durch die Instrumentierung das musikalische Geschehen deutlich als Karikatur erscheinen, wenn er in dem «Vivo»-Satz Posaune und Solokontrabass mit Glissandi und groben Intervallsprüngen durch die Musikgeschichte(n) schwanken und torkeln lässt.

Strawinski gelang in «Pulcinella» eine vollkommene Verschmelzung von neuen Kompositionsmethoden mit Modellen der spätbarocken Musik. So hält er sich in den meisten Fällen an die Führung der Bassstimme wie der Oberstimme aus den Stücken aus dem 18. Jahrhundert, verändert aber gleichzeitig den Originalnotentext durch eine geschickt aufgelockerte Harmonik, aus der einerseits in jedem Akkord der fortschrittliche Komponist Strawinski spricht und mit der andererseits der Charakter von barocker Musik gewahrt bleibt. Der Komponist befand sich auf dem Schwebebalken zwischen den Stilen und Zeiten – und erwies sich als perfekter und virtuoser Turner. Strawinski nahm es musikalisch mit der Beweglichkeit des neapolitanischen Komödianten Pulcinella in jedem Moment auf.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Rainer Lepuschitz

Carl Orff

«Carmina Burana» Szenische Kantate für Soli, gemischten Chor, einstimmigen Knabenchor und Orchester

Sätze

  • Fortuna imperatrix mundi

  • Primo vere

  • Uf dem Anger

  • In taberna

  • Cour d'amours

  • Blanziflor et Helena

Dauer

65 Min.

Entstehung

1935

Die «Carmina Burana» haben sich als bekanntestes Werk Carl Orffs und gleichzeitig als eines der beliebtesten Stücke des 20. Jahrhunderts einen prominenten Platz im Konzertleben weltweit erobert. Der Erfolg beruht auf vielen Faktoren, an vorderster Stelle sind sicher die leichte Fasslichkeit der Musik und die phantasievollen Texte zu nennen, die dem Mittelalter in eleganter Zeitlosigkeit neues Leben einhauchen – ein Guckkasten in einer lang verblichenen Epoche.

Orff wusste dank seiner jahrelangen Erfahrung im schulmusikalischen Bereich um die Wirksamkeit von einfachen Strukturen, klaren Rhythmen und welche musikalischen Hilfestellungen es brauchte, um die Hörer zu etwas «hinzuführen». Die Partitur ist ein rhythmusbetontes Musikbett und beschränkt sich auf einfache melodische und harmonische Strukturen. Interpretieren – im Sinne von «etwas daraus machen» – muss man die «Carmina Burana» sicher nicht. Die Musik verlangt dafür Präzision, Spielfreude, Authentizität und große Vorstellungskraft. Orff selbst erklärte: «Ein besonderes Stilmerkmal der Carmina Burana-Musik ist eine statische Architektonik. In ihrem strophischen Aufbau kennt sie keine Entwicklung. Eine einmal gefundene musikalische Formulierung – die Instrumentation war von Anfang an immer mit eingeschlossen – bleibt in allen ihren Wiederholungen gleich. Auf der Knappheit der Aussage beruht ihre Wiederholbarkeit und Wirkung.»

Wir haben es mit drei Themengruppen oder Bildfolgen (1. Frühling und Natur, 2. In der Schenke, 3. Liebe) zu tun, die von einem Hymnus an die Schicksalsgöttin umrahmt werden. Eine Handlung gibt es nicht – einer der zahlreichen Kniffe, mit dem sich Orff zeitlose Aufmerksamkeit sicherte.

Alles beginnt mit dem berühmten Chor «O Fortuna», in dem die Glücks- und Schicksalsgöttin als Lenkerin der Welt angerufen wird. Das grandiose Eröffnungsstück offenbart trotz allen Kummers über das wechselnde Glück ungeheure Lebenslust. Das Bild des sich ewig drehenden Schicksalsrades wird im folgenden «Fortune plange vulnera» («Die Wunden, die Fortuna schlug») weiter ausgesponnen.

Es folgt «Primo vere», das mit «Ûf dem anger» gepaart, den herannahenden Frühling und seine Schönheit besingt. In «Veris leta facies» («Frühlings heiteres Gesicht») wird hymnisch das Aufblühen der Welt besungen. Der Gedanke wird solistisch in «Omnia sol temperat» («Alles macht die Sonne mild») entwickelt, die Sonne weckt Frühlingsgefühle im wörtlichen und übertragenen Sinn. Der Chor «Ecce gratum» («Sieh, der Holde») schließt mit einer Zwischenbilanz diese erste Abteilung («Primo vere») und unterstreicht abermals die Wichtigkeit des Frühlings.

«Ûf dem anger» hebt mit einem heiteren Tanz an, der weiter in die frühlingshafte Szenerie führt. «Floret silva nobilis» («Es grünt der edle Wald») ist das Lied einer Frau, die sich beim Anblick des grünenden Waldes schmerzlich des Verlusts ihres Liebhabers und ihrer Sehnsucht nach Liebe bewusst wird. Mit «Chramer, gip die varwe mir» («Kramer gib die Farbe mir») hören wir nun den ersten mittelhochdeutschen Text, der unmittelbar auf das vorangegangene Stück reagiert. Die Frau ergreift die Initiative und bereitet sich darauf vor, wieder einen Mann für sich zu gewinnen – nach allen Regeln der Minne, versteht sich. Auf die Vorbereitungen folgt sogleich das neckische Spiel zwischen Frauen und Männern: einem Reigen («Reie») folgt ein Spottlied der Burschen über die tanzenden Mädchen («Swaz hie gat umbe», «Was hier im Reigen geht»), denen es nicht schnell genug geht. Dieses Missverständnis klärt sich bei «Chume, chume geselle min» («Komm, Geselle mein») schnell auf, worauf wieder das Spottlied folgt. Mit «Were diu werlt alle min» («Wäre auch die Welt ganz mein») wird schließlich versichert, dass die Dame des Herzens schon den Verzicht auf Krone und Land wert wäre. Es ist nach wie vor umstritten, ob mit den Worten «daz diu chünegin von Engellant lege an minen armen» eine konkrete Person gemeint ist – womöglich ist von Eleonore von Poitou die Rede, die sich 1152 von ihrem Mann, dem französischen König, trennte, um den englischen König zu heiraten.

Um kulinarische Genüsse und unbekümmerte Lebenslust geht es im folgenden Teil «In taberna» («In der Schenke»). Die Botschaft des ersten Stücks ist unmissverständlich: «Estuans interius» («Glühend in mir») tritt als erste offen zur Schau getragene Ich-Botschaft im gesamten Stück hervor. Es ist eine rotzfreche Parodie auf die christliche Beichte in Strophenform. Sprachgewaltig und satirisch geht es in «Olim lacus colueram» («Einst schwamm ich auf dem See umher») weiter, wenn der über dem Feuer bratende Schwan sein trauriges Los bejammert. Nahtlos daran schließt «Ego sum abbas» («Ich bin der Abt») an, in dem sich ein namenloser Zecher zum Abt des Schlaraffenlandes erklärt und jeden warnt, der sich mit ihm auf das Würfelspiel einlässt. «In taberna quando sumus» («Wenn wir sitzen in der Schenke») enthält liturgische Anspielungen, verunglimpft die Fürbitten zum Karfreitag und schließt den zünftigen Fress- und Saufteil der «Carmina Burana» ab.

Der dritte und letzte Teil, «Cours d’amour» («Hof der Liebe»), eröffnet mit «Amor volat undique» («Amor fliegt überall»). Hier stellt sich der kleine Liebesbote vor und beklagt alle Frauen, die ohne Liebe sind. Aber auch den Männern kann es schlecht gehen, wie in «Dies, nox et omnia» («Tag, Nacht und alles») zu hören ist: das Werbelied eines Liebenden, der bis jetzt noch nicht erhört wurde. Das folgende Stück erzählt über das erfolgreiche Zustandekommen einer Beziehung zwischen Mann und Frau: «Stetit puella» («Stand ein Mädchen») changiert zwischen gespielter Unschuld und Raffinesse. In «Circa mea pectora» («In meinem Herzen») geht es um die Gefühle beim Sex, aber auch die praktischen Probleme, die sich dabei ergeben können. Eine hypothetische Erörterung unter unerfahrenen Burschen ist dann «Si puer cum puellula» («Wenn Knabe und Mädchen»). Handfest und gar nicht hypothetisch geht es dann aber mit «Veni, veni, venias» («Komm, komm, komm zu mir»), wenn ein Mann eine Frau anfleht, mit ihm ins Bett zu gehen. Dieser lüsterne Ausruf wird von einem Blick in das Innere der Angebeteten gefolgt, «In trutina» («Auf der Waage»). Sie überlegt nun bei sich, ob sie sich dem Mann hingeben soll oder nicht, entscheidet sich letztlich aber für die Lust. «Tempus est iocundum» («Lieblich ist die Zeit») heißt der lyrische Hymnus auf die Freuden der Liebe, in dem Männer und Frauen danach drängen, Frühlingsgefühle miteinander auszuleben. Mit dem innigen «Dulcissime» («Süßester») gibt sich nicht nur die Frau ihrem Mann endgültig hin, der amouröse Teil der «Carmina Burana» gipfelt hier in einem Höhepunkt, einer musikalisch-orgasmischen Eruption. Der Epilog mit dem Titel «Blanziflor et Helena» setzt stellvertretend für alle Liebenden den Ritter Blanziflor (eine beliebte Sagenfigur) und Helena, die schönste Frau der Antike, als Überbringer der Dankbarkeit für leibliche Freuden ein. «Ave formosissima» («Heil dir, Schönste») bejubelt in ekstatischer Verzückung die göttliche Jungfrau.

Nahtlos an die letzten Akkorde des Hymnus auf die Liebe schließt sich der Kreis wieder zu «O Fortuna». Mit der Beschwörungsformel des Eingangschors wird der Kreis geschlossen, die Rundumbewegung um das Schicksalsrad ist vollendet.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Alexander Moore