Archiv: Eine Alpensinfonie

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Mit einer grandiosen Alpenwanderung verabschieden sich die Tonkünstler gemeinsam mit ihrem Chefdirigenten Yutaka Sado als «Bergführer» aus dieser viel zu stillen Konzertsaison. Richard Strauss´ letzte große Orchesterkomposition gilt als seine bekannteste symphonische Dichtung. Eine Bergtour inspirierte den 15-jährigen Richard Strauss zu ersten Skizzen; erst Jahrzehnte später vollendete er seine «Alpensinfonie». Berühmt wurde sie nicht zuletzt wegen ihrer opulenten Orchesterbesetzung. Ihr Programm bietet den Zuhörenden jede Menge Spielraum für Assoziationen – und birgt zugleich die Verführung zur übertriebenen naturalistischen Betrachtung. Imposant ist das Werk, das weit mehr als 100 Musikerinnen und Musiker und Instrumente wie Windmaschine, Donnerblech und Kuhglocken einbezieht, allemal. Auf zum Gipfel!

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Richard Strauss

«Eine Alpensinfonie» op. 64

Sätze

  • Nacht. Lento

  • Sonnenaufgang

  • Der Anstieg. Sehr lebhaft und energisch

  • Eintritt in den Wald

  • Wanderung neben dem Bach

  • Am Wasserfall. Sehr lebhaft

  • Auf blumigen Wiesen. Sehr lebhaft

  • Auf der Alm. Mäßig schnell

  • Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen

  • Auf dem Gletscher. Festes, sehr lebhaftes Zeitmaß

  • Gefahrvolle Augenblicke. Lebhafter als vorher

  • Auf dem Gipfel

  • Vision. Fest und gehalten

  • Nebel steigen auf. Etwas weniger breit

  • Die Sonne verdüstert sich allmählich

  • Elegie. Moderato espressivo

  • Stille vor dem Sturm

  • Gewitter und Sturm, Abstieg. Schnell und heftig

  • Sonnenuntergang

  • Ausklang. Etwas breit und getragen

  • Nacht

Dauer

50 Min.

Richard Strauss komponierte die «Alpensinfonie», sein letztes großes Orchesterwerk, zwischen 1911 und 1913, um die Jahreswende 1914/15 instrumentierte er sie und am 28. Oktober 1915 dirigierte er die Uraufführung in der Berliner Philharmonie. Erste Skizzen, die teilweise musikalisch recht detailliert ausgearbeitet sind, schrieb er aber schon 1902. Eigentlich hätte die Uraufführung in Dresden stattfinden sollen, dort stand aber kein Konzertsaal mit einer tauglichen großen Orgel zur Verfügung. Trotzdem spielte die Dresdner Hofkapelle, verstärkt um einige Berliner Musiker. Dem Opernhaus und dem Orches­ter in Dresden fühlte sich Strauss sehr verbunden, seitdem dort seine Opern in vorbildlichen Produktionen gespielt wurden, beginnend 1905 mit «Salome». Der Hofkapelle und dem Intendanten Graf Seebach hat er die «Alpensinfonie» gewidmet.

Als Strauss 1902 den ersten Entwurf des Werks notierte, aus dem in 13jähriger Arbeit die «Alpensinfonie» hervorgehen sollte, plante er als Titel «Der Antichrist. Eine Alpensinfonie». Ihm schwebte also ein Werk vor, in dem er Nietzsches Idee von der Überwindung des Chris­tentums durch den künftigen, selbstbewussten Menschen in Musik setzen wollte. Es sollte eine Symphonie in vier Sätzen werden. Dazu hatte er Stichworte notiert, zum ersten einige detaillierte, die schließlich in die Zwischenüberschriften der «Alpensinfonie» eingingen, zum letzten nur: «Befreiung durch die Arbeit: das künstlerische Schaffen». In der fertigen, aus einem großen Satz bestehenden «Alpensinfonie» sind keine offenen  Nietzsche-Anspielungen mehr enthalten, die Grundidee aber scheint Strauss nicht über Bord geworfen zu haben. So notierte er 1911 in seinem Schreibtisch-Kalender: «Ich will meine Alpensinfonie: den Antichrist nennen, als da ist: sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch Arbeit, Anbetung der ewigen herrlichen Natur.» Und während der Arbeit an der Instrumentierung schrieb er am 16. Jänner 1915 an Hugo von Hofmannsthal: «Ich habe trotz allem die Hoffnung an eine bessere Menschheit noch nicht aufgegeben, vielleicht wenn einmal das Christentum von der Erde verschwunden ist!» Man kann also vermuten, dass Strauss weniger aus Überzeugung als aus politischer Vorsicht auf den «Antichrist» im Titel verzichtet hat.

Die Bedeutung der «Alpensinfonie» von Richard Strauss er­schließt sich auf drei Ebenen, die einander auf komplizierte Weise durchdringen. Die erste, offensichtliche, betrifft die Tonmalerei, die zweite die symphonische Entwicklung. Nicht umsonst ist im Titel das Wort «Sinfonie» enthalten. Strauss verarbeitet, variiert und kontrastiert mehrere Themen und Motive im Sinne der symphonischen Tradition. Wie dabei durch Abwandlungen und Neukombinationen der Themen äußere und innere Vorgänge dargestellt werden können, hat Strauss aus der Leitmotivtechnik Richard Wagners gelernt. Das Hauptthema der «Alpensinfonie», das im Abschnitt «Der Anstieg» eingeführt wird, repräsentiert den «Helden», den Wanderer, sicherlich einen Einzelnen. Als Zuhörer kann man sich mit ihm identifizieren, ähnlich wie mit der Figur in Caspar David Friedrichs «Der Wanderer über dem Nebelmeer». Die dritte, schwer greifbare Ebene, betrifft Nietzsche und den «Antichrist». Hierbei spielt auch eine Rolle, dass Strauss kein «Programm» ausgearbeitet, sondern nur Stichworte in die Partitur eingetragen hat, mit denen er bestimmte Stellen bezeichnet. Nicht alle Gliederungspunkte, an denen die Musik erkennbar eine neue Wendung nimmt, tragen eine solche Überschrift; im Umkehrschluss heißt das, dass mit ihnen nicht der gesamte Gehalt der «Alpensinfonie» erfasst wird.

Die Abschnitte «Nacht» und «Sonnenaufgang» bilden gewissermaßen die langsame Einleitung der Symphonie. Den Beginn des schnellen Hauptsatzes markiert das Stichwort «Der Anstieg». Außer dem Thema des Wanderers führt Strauss hier ein zweites, schroff gezacktes ein, das man dem Selbstgefühl des Helden angesichts der erhabenen Bergwelt zuordnen könnte. Es blitzt hier nur kurz auf, später gewinnt es an Bedeutung. Eine Episode mit Jagdhörnern hinter der Bühne gehört noch in diesen Abschnitt. Mit dem «Eintritt in den Wald» folgen mehrere Abschnitte, in denen das Thema des Wanderers variiert und mit neuen Gedanken kombiniert wird. Bedeutsam ist das pathetische Thema, das bei «Eintritt in den Wald» in Hörnern und Posaunen ertönt; in den weiteren, teilweise sehr kurzen Abschnitten gesellen sich zu den Hauptthemen illustrative Klangeffekte: «Wanderung neben dem Bache», «Am Wasserfall», «Erscheinung», «Auf blumigen Wiesen» und «Auf der Alm». Wenn es «Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen» geht, verschränkt Strauss mehrere Themen miteinander in einer vertrackten Fuge. In den Abschnitten «Auf dem Gletscher» und «Gefahrvolle Augenblicke» tritt neben anderen Themen das gezackte zweite Thema hervor. Das Erreichen des Gipfels («Auf dem Gipfel») wird mit einem kurzen quasi-Bruckner’schen Posaunen-Thema gefeiert, dem sich ein längeres Oboensolo an­schließt, das «Gipfel-Thema», das eigentümlich zaghaft ist.

Der anschließende längere Abschnitt «Vision» enthält gewissermaßen die Durchführung der pathetischen Themen, die im Laufe der ersten Hälfte eingeführt wurden. Hier am ehesten ist die Antichrist-Thematik zu verorten. Beeindruckende Beispiele von Strauss‘ Meisterschaft der Instrumentierung sind die klangmalerischen «Nebel steigen auf» und «Die Sonne verdüstert sich allmählich»; ein neues Thema erscheint in der «Elegie», die neben «Vision» und «Ausklang» als einzige Zwischenüberschrift kein Naturphänomen bezeichnet. Es folgen die «Stille vor dem Sturm» und «Gewitter und Sturm, Abstieg». Dieser Abschnitt ist dreiteilig: Umrahmt von illustrativem Tumult im Orchester kehren, dicht gedrängt, die Themen des ersten Teils der Wanderung wieder, teils gespiegelt und in umgekehrter Reihenfolge, wie man eben (in Eile) die Vegetationszonen wieder durchläuft. «Sonnenuntergang» und «Nacht» greifen auf die entsprechenden Teile des Anfangs zurück. Dazwischen befindet sich mit «Ausklang» einer der längsten Abschnitte der «Alpensinfonie»; hier breitet Strauss noch einmal mehrere wichtige Themen aus und stellt sie in ein feierliches, gedämpftes Licht. Trotz der herausgehobenen Rolle der Orgel weckt dieses Finale kaum Assoziationen an Kirchenmusik. Strauss wird seinem atheistischen Thema gerecht.

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Peter Sarkar