Archiv: Festival-Eröffnung

Grafenegg Wolkenturm Wolkenturm

Interpreten

  • Pretty Yende, Sopran
  • Kate Lindsey, Mezzosopran
  • Klaus Florian Vogt, Tenor
  • Jongmin Park, Bass
  • Arnold Schoenberg Chor
  • Yutaka Sado, Dirigentin

Programm

Konstantia Gourzi
«Messages from the Universe» Eröffnungsmusik. Auftragswerk des Grafenegg Festival

«Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen»: Ludwig van Beethovens später wieder verworfenen Widmungsworte zur «Missa solemnis» hätten zwar seinem Förderer Erzherzog Rudolph von Österreich gelten sollen, sie können aber ganz grundsätzlich als Bekenntnis dafür verstanden werden, dass Musik allemal eine Herzensangelegenheit ist. Mit dem vielschichtigen Meisterwerk in einer Prachtbesetzung wird das Grafenegg Festival im Beethoven-Jahr eröffnet. Konstantía Gourzí, Composer in Residence, steuert mit «Messages from the Universe» ein Auftragswerk bei.

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Ludwig van Beethoven

Missa solemnis für Soli, Chor und Orchester D-Dur op. 123

Sätze

  • Kyrie. Andante sostenuto.Mit Andacht

  • Gloria. Allegro vivace

  • Credo. Allegro ma non troppo

  • Sanctus. Adagio.Mit Andacht.Allegro pesante

  • Agnus Dei. Adagio

Dauer

90 Min.

Die Komposition der Missa solemnis geht auf Ludwig van Beethovens Freundschaft zu Erzherzog Rudolph Johann Joseph Rainer von Österreich (1788 – 1831) zurück. Mit dem kunstsinnigen Habsburger stand Beethoven viele Jahre lang in Kontakt: Der Erzherzog war sein äußerst gelehriger Klavier- und Kompositionsschüler und unterstützte darüber hinaus den Komponisten in materieller Hinsicht. Beethoven widmete dem hohen Freund mehrere seiner bedeutendsten Kompositionen: die Oper «Fidelio», die Klavierkonzerte Nr. 4 und 5, die letzte Klaviersonate op. 111, das Klaviertrio B-Dur op. 97 und die Sonate für Klavier und Violine G-Dur op. 96, bei deren Uraufführung der Erzherzog selbst den Klavierpart spielte.Als Beethoven die Nachricht erreichte, dass Rudolph in das Amt des Kardinal-Erzbischofs von Olmütz inthronisiert werde, schrieb er an den Freund: «Der Tag, wo ein Hochamt von mir zu den Feierlichkeiten für I.K.H. [Ihre Kaiserliche Hoheit] soll aufgeführt werden, wird für mich der schönste meines Lebens sein, und Gott wird mich erleuchten, dass meine schwachen Kräfte zur Verherrlichung dieses feierlichen Tages beitragen.»Das Hochamt am 20. März 1820 fand ohne die Aufführung von Beethovens Messe statt. Die «Erleuchtung» war so stark, dass die geplante Messe in ihren Dimensionen weit über den üblichen Rahmen hinauswuchs und zu einer mehr als vierjährigen Suche Beethovens nach seinem Gottverständnis wurde. Der Musiker betrieb intensive Forschungen auf den Gebieten der Theologie, Liturgik und der kirchenmusikalischen Vergangenheit, beginnend bei der Gregorianik über Palestrinas Schaffen bis hin zu Händels Oratorien. Die Erkenntnisse daraus verband Beethoven mit seinem eigenen, aktuellen Stil symphonischen Zuschnitts und sprengte mit der Messe auf ähnliche Weise die Ausmaße der Gattung, wie er es in der phasenweise zeitgleich entstehenden Symphonie Nr. 9 im weltlichen vokal-orchestralen Bereich tat. Man kann die Missa durchaus als Chorsymphonie mit liturgischem Inhalt bezeichnen, doch darf man dabei nicht übersehen, dass Beethoven bei der Komposition vorrangig Motive des Glaubens und eine affirmative Umsetzung des Messtextes lenkten und erst in zweiter Linie absolute musikalische Gestaltungskriterien. Die Missa ist aus spiritueller Inspiration zu dem geworden, was sie in formaler und kompositionstechnischer Hinsicht darstellt.Sie trägt zum einen wesentliche kirchenmusikalische Elemente der vorangegangenen Jahrhunderte in sich, mit denen die Inhalte der heiligen Messe in Klang verwandelt wurden. In der Gestaltung und Entwicklung der musikalischen Themen folgt Beethoven dem Palestrina-Prinzip der motettenhaften Imitation: Jeder Stimmeneinsatz erfolgt mit dem gleichen oder höchstens minimal modifizierten, nur in der Tonhöhe verschieden abgestuften Kopfmotiv. Keines der Themen oder Motive ist dabei für sich allein betrachtet besonders signifikant, vielfach  bleiben sie auf die für Beethoven typischen Dreiklangsbildungen und Tonleiterteile beschränkt. Erst in der Vermehrung der Stimmen entfalten sie ihre ganzheitliche Wirkung. In der Auffächerung der Stimmen wiederum praktiziert Beethoven häufig die barocke Form der Fuge oder des Fugatos. Im «Et incarnatus est», dem Geheimnis der Menschwerdung Christi, reicht Beethoven das damals übliche Spektrum der Dur-Moll-Tonarten nicht mehr aus und er greift auf eine der historischen Kirchentonarten, das Dorische, zurück – gebetsartig folgt der Chorsatz der alten liturgischen Praxis des Psalmodierens. Zwischen «Sanctus» und «Benedictus» fügt Beethoven ein «Praeludium» im Sinne des instrumentalen Präludierens in der Messfeier während der Wandlung ein.Zum anderen bewegt sich Beethoven in der Klangsprache und in der Besetzung auf der Höhe seiner Epoche. Die vokalen Stimmen sind auf vier Solisten und den meist vierstimmigen Chor nicht nur aufgeteilt, sondern oft ineinander verzahnt. Homophone Abschnitte und Unisono-Blöcke wechseln mit polyphonen Passagen ab, die in eine Harmonik eingebettet sind, wie sie der klassischen Periode entspricht. Arienhafte Abschnitte und von einstimmiger Melodik getragene Soli, wie sie noch in Haydns und Mozarts Messen vorkommen, sind ausgespart. Solistische vokale Linien treten nur gelegentlich aus dem mehrstimmigen Ganzen hervor und gehen bald wieder darin auf. Die klassische Orchesterbesetzung mit jeweils doppelten Bläsern, den Pauken und dem Streicher-Chor ist um ein Kontrafagott, zwei weitere Hörner, drei Posaunen und die für die Kirchenmusik obligate Orgel ergänzt. Das Orchester stützt nicht nur das vokale Geschehen, sondern mengt individuelle und besondere Klangfarben bei und ist in der Dynamik vielfach und kontrastreich abgestuft. Es reagiert nicht nur auf die gesangliche Umsetzung der Messe, sondern agiert symphonisch, gestaltet aktiv die thematischen Verläufe und bindet den formalen Aufbau. Ein einziges Mal bezieht Beethoven auch das konzertante Element ein, wenn im «Benedictus» die Solo-Violine aus den höchsten Höhen wie vom Himmel herabsteigt und denjenigen, «der da kommt im Namen des Herrn», begleitet.In der Beanspruchung der vokalen und instrumentalen Möglichkeiten geht Beethoven nicht selten an die äußersten Grenzen und öffnet damit in musikalischer Sicht weit die Tore in die zum Extrem neigende Epoche der Romantik. Die Missa solemnis stellt eine physische und psychische Grenzerfahrung für die Sänger und Instrumentalisten, nicht zuletzt auch für die Hörer dar. Das Werk versetzt in Sphären, die rational unfassbar sind. Zur Verdeutlichung des Ausdrucks greift Beethoven zu kräftigen Tonsymbolen und dramatischen musikalischen Mitteln, aber nie vordergründig bildhaft, sondern immer in inniger Beziehung zum Text. Sein vorrangiges Anliegen war, «bei den Singenden als bei den Zuhörenden religiöse Gefühle zu erwecken und dauernd zu machen». In diesem Zusammenhang ist auch das berühmt gewordene Motto, das Beethoven an den Anfang der Komposition stellte, zu verstehen: «Von Hertzen – Möge es wieder – zu Hertzen gehen.» Zur Bekräftigung seiner Intentionen fügte der Komponist drei Mal Zusatzangaben hinzu: «Mit Andacht» schrieb er sowohl über das «Kyrie» als auch über das «Sanctus», «Bitte für den innern und äußern Frieden» über das «Dona nobis pacem». Welche Priorität Beethoven setzte, geht auch aus einer sehr persönlichen Anmerkung, die er neben den Anfang des «Credos» setzte, hervor: «Gott über alles – Gott hat mich nie verlassen.» Die gesamte Missa ist ein Bekenntnis.Dieses Bekenntnis abzulegen, war Beethoven offenbar in dieser Lebensphase und von Anfang der Komposition an das Wichtigste. Noch im ersten Jahr, in dem er an der Missa solemnis arbeitete, ließ er sich bezeichnenderweise in dem Porträt, das J. C. Stieler von ihm anfertigte, am «Credo» arbeitend abbilden. Und nach dem Abschluss der Komposition schrieb er in einem Brief an den Verleger Schott in Mainz über seine «neue große solemne Messe»: «So schwer es mir wird, über mich selbst zu reden, so halte ich sie doch für mein größtes Werk.»

Einzug der ZelebrantenDas Orchester eröffnet die Messe mit drei feierlichen D-Dur-Akkorden, deren Rhythmus bereits den «Kyrie»-Ruf vorwegnimmt. Der Chor setzt dann aber nicht auf dem Schwerpunkt des Taktbeginns ein, sondern schon einen halben Takt davor, vor der irdisch begreifbaren Zeit also. Aus den Rufen der Gemeinschaft treten dann erstmals die Gesangssolisten hervor, als individuelle Menschen, die die Botschaft des Glaubens reflektieren und aufnehmen. Dem erhabenen, fast statischen «Kyrie» folgt deutlich kontrastierend ein melodisch bewegtes «Christe eleison» – Jesus ist zu den Menschen gekommen, um ihnen in ihrer Sprache die Existenz Gottes zu verkünden. In der Wiederkehr des «Kyrie» betont Beethoven die Dreieinigkeit, indem er die Rufe nun nicht mehr in der Grundtonart, sondern auf der vierten Stufe ertönen lässt. Diese harmonische Veränderung zeigt den Heiligen Geist an.

Das große himmlische HeerDas «Gloria» wird zu einem vielfachen Ruf. Überschäumend setzt das Motiv in immer neuen Imitationen ein – ein Hervorquellen musikalischer Pracht, wie man es vergleichsweise nur aus dem Eröffnungschor von Bachs «Weihnachtsoratorium» kennt. Dieses «Gloria» lässt das «große himmlische Heer» in Erscheinung treten, das der Evangelist Lukas bei der Verkündigung von der Ankunft des Messias an der Seite der Engel sieht. Immer wieder klingen diese Engelsrufe in den Verlauf der folgenden «Gloria»-Teile hinein. Demgegenüber werden das «Gratias agimus» und das «Qui tollis» zu lyrischen Dank- und Bittgesängen, in denen Holzbläser und vokales Soloquartett verschmelzen. Dem «Miserere» geben Oboenseufzer Lamentocharakter. Beim Wort «omnipotens» setzen mit aller gebotenen Macht erstmals die drei Posaunen ein (die Posaunen sind eine Besetzungs-Tradition aus der Salzburger Kirchenmusikpraxis, wie sie von der Zeit Heinrich Ignaz Franz Bibers an bis in die klassische Epoche von Michael Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart gepflegt wurde). Vom «Quoniam» an baut Beethoven eine monumentale Steigerung auf, die zu immer neuen Höhepunkten führt. Der Lobgesang in der Fuge «In Gloria Dei Patris» kennt kein Ende mehr, der letzte «Gloria»-Ruf des Chores geht noch über den Schlussakkord des Orchesters hinaus – ein Effekt von unendlicher Wirkung.

Gott ist eine feste BurgDas Glaubensbekenntnis legt Beethoven mit einem Thema von besonderer Überzeugungskraft ab. Wie ein unantastbarer Monolith steht das «Credo»-Grundmotiv inmitten des musikalischen Geschehens. Die Bedeutung dieses Themas brachte Beethoven ein Jahr nach Beendigung der «Missa solemnis» noch einmal zum Ausdruck, als er es in dem Kanon «Gott ist eine feste Burg» erneut einsetzte. Das Geheimnis des «Et incarnatus est» vollzieht sich im schwebenden harmonischen Raum. Im «Crucifixus» greift Beethoven auf musikalische Symbole der Passionsmusik zurück: zuckende punktierte Noten und wie Hammerschläge wirkende Tonwiederholungen. Nachdem die Posaunen stilgerecht zum Jüngsten Gericht geblasen haben, folgt zunächst geradezu scheu der Eintritt in das Ewige Leben: Die Fuge «Et vitam venturi» beginnt, als ob sich die Ohren erst an dieses neue Reich gewöhnen müssen und nach Orientierung suchen. Allmählich fasst die Fuge Tritt und wächst zu enormen Ausmaßen an. Aber das Tempo bleibt immer gemessen, wie dem schnellen irdischen Treiben enthoben. Und die Dynamik lässt die freudige Musik immer wieder wie aus der Ferne wirken, in der das «Credo» dann auch verklingt.

Heilige AndachtDas «Sanctus» zelebriert Beethoven nicht strahlend-glanzvoll, vielmehr lässt er es mit Ehrfurcht und andächtig aussprechen und behält es dem Solistenquartett vor. Auch in den dynamisch ansteigenden Teilen des «Pleni sunt coeli» und «Osanna» bleibt der Charakter der gemessenen Feierlichkeit bestehen. Im «Praeludium» zur Wandlung lässt Beethoven die vokalen Stimmen überhaupt schweigen. Eine klein und eher dunkel besetzte Orchestergruppe (Flöten in tiefer Lage, Fagotte, Bratschen, Celli und Kontrabässe) spielt einen meditativen polyphonen Passus, der an den Renaissance-Stil etwa eines Gesualdo erinnert. Wie ein gregorianischer Choral aus dem Kirchenschiff klingt in das «Praeludium» die Bassstimme mit dem «Benedictus» hinein. Und wie eine Prozession folgen die singenden und spielenden Gläubigen dann dem, der da gekommen ist. Als treuer Begleiter, wie der gute Hirte, ist die Solovioline den ganzen «Benedictus»-Zug hindurch dabei.

Krieg und FriedenIm düster und schwer anhebenden «Agnus Dei» verdeutlicht Beethoven mit drastischen Mitteln, dass die Welt, auf die Christus als Erlöser kam, dennoch den Frieden noch nicht gefunden hat. Geradezu brutal marschieren mit Trompeten und Pauken die kriegerischen Truppen auf und (zer)stören den Bittgesang um Erbarmung. Doch dann macht Beethoven deutlich, wer Macht sogar über kriegerische Gewalt hat: «Und er regiert auf immer und ewig» singt der Chor in Händels «Halleluja» im «Messias» – exakt dieses Thema zitiert Beethoven zu den Worten «Dona nobis pacem». Auch der nochmalige kriegerische Störversuch kommt gegen diese Friedensbotschaft nicht mehr an: Die rein instrumentale Kriegsmusik gerät im wahrsten Sinne des Wortes aus allen Fugen. Mit einer zuversichtlichen melodischen Wendung klingt die Messe aus.

1823, drei Jahre später als geplant, überreichte Beethoven seinem Freund Erzherzog Rudolph das Widmungsexemplar der «Missa solemnis». Die erste Aufführung der Musik kam nicht im kirchlichen Rahmen, sondern auf einen anderen, weltlichen Text bei der Philharmonischen Gesellschaft in St. Petersburg am 7. April 1824 zustande. Exakt ein Monat danach, am 7. Mai, gelangten im k.u.k. Hoftheater in Wien in einem Mammutkonzert neben der Uraufführung der neunten Symphonie und einer Aufführung der Ouvertüre «Die Weihe des Hauses» drei Teile aus der Missa – «Kyrie», «Credo», «Agnus Dei» – unter dem Titel «Drei Hymnen» zur Aufführung. Die erste Gesamtaufführung in liturgischem Rahmen fand erst drei Jahre nach Beethovens Tod 1830 im nordböhmischen Warnsdorf statt. Mit einer Aufführung beim Rheinischen Musikfest in Düsseldorf 1844 begann die Gepflogenheit, die Missa solemnis als Sakralmusikwerk im Konzertrahmen darzubieten. Hier erreicht sie, wie auch in der heutigen Aufführung, die Hörergemeinde viel häufiger als in der Kirche, wo Aufführungen wegen der gigantischen Ausmaße des Werkes seltener stattfinden. Die Missa stellt für sich selbst eine Messfeier dar.© Rainer Lepuschitz | Tonkünstler-Orchester