Archiv: Haydn: Die Jahreszeiten

St. Pölten Festspielhaus Großer Saal Festspielhaus | Großer Saal

Interpreten

  • Golda Schultz, Sopran
  • Werner Güra, Tenor
  • Tareq Nazmi, Bass
  • Konzertchor Interpunkt
  • Ivor Bolton, Dirigent

Programm

«Singet alle! Laßt uns fröhlich sein! Juchhe, Juchhe, Juch! Es lebe der Wein!», schmettert der Chor in Joseph Haydns «Die Jahreszeiten». Dass der Komponist sich schwer tat mit seinem einzigen weltlichen Oratorium, merkt man dem ebenso großartigen wie volkstümlichen Werk nicht an. Es feiert nicht nur den Rebensaft, wobei Haydn im Orchester Drehleier, Fiedel und Dudelsack imitiert, sondern auch allerlei weitere Ereignisse im Jahreskreis, gegossen in vielfach lautmalerische, unmittelbar verständliche Klänge im Sinne der Rousseau’schen Parole «Zurück zur Natur!» Zusammen mit Ivor Bolton am Pult und ausgesuchten Solisten verspricht das ein unvergessliches Musikerlebnis zu werden.

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Joseph Haydn

«Die Jahreszeiten» Oratorium für Soli, gemischten Chor und Orchester Hob. XXI:3

Sätze

  • Der Frühling

  • Der Sommer

  • Der Herbst

  • Der Winter

Dauer

125 Min.

Haydns Oratorium «Die Jahreszeiten» ist der Antipode im Doppelgestirn seiner beiden späten Oratorien, wo Metaphysik und Physik ein harmonisches Gleichgewicht forderten: Während «Die Schöpfung» von biblischen Ereignissen handelt, führen uns «Die Jahreszeiten» zurück auf die Erde, wo das Leben der Menschen im Lauf der Jahreszeiten dargestellt wird.

Die Anregung zur Komposition dieses Oratoriums kam von Gottfried van Swieten, der als Verfasser der «Schöpfung» so viele Lorbeeren geerntet hatte, dass er diese so erfolgreiche Zusammenarbeit fortsetzen wollte. Der Text der «Jahreszeiten» basierte wieder auf einer englischen Vorlage, aber die Art der Ausarbeitung war eine vollkommen andere. James Thomsons episches, in großspurigem Blankvers geschriebenes und erstmals 1730 publiziertes Gedicht «The Seasons» konnte nicht auf diese Weise adaptiert werden. Auch dort, wo Thomsons poetische Bilder beibehalten wurden, mussten sie derart gekürzt und angepasst werden, dass in van Swietens Text nur mehr ein schwaches Echo des Originals vorhanden ist und das Libretto jede Verbindung mit dem Gedicht verliert, das sein Ausgangspunkt war.

Die Neuübersetzung des englischen Gedichts führte nicht selten zu grotesken Ergebnissen: Gottfried van Swieten war ein verdienter Diplomat, aber er war kein Dichter. Haydns Zeitgenossen und die Rezensenten der folgenden Generation sparten nicht mit Kritik an den Mängeln des Librettos. Sigismund von Neukomm, ein Schüler Haydns, schrieb in seinen «Bemerkungen zu den biographischen Nachrichten von [Albert Christoph] Dies»: «Der Herr Ambassadeur [van Swieten] hatte keinen Begriff von Volkspoesie, von Volkssprache – er war noch aus einer Zeit, in welcher die Worte Volk und Canaille synonime Ausdrücke waren – daher die prosaischen ‹Hanna, Lukas und Simon› als personae dramatis: daher die albernen Toaste ‹es lebe der Krug – es lebe das Fass›.» In seiner Haydn-Biografie schreibt August von Griesinger: «Haydn beklagte sich oft bitterlich über den unpoetischen Text der Jahreszeiten. Als er an die Stelle kam: ‹O Fleiß, o edler Fleiß, von dir kommt alles Heil!› bemerkte er, daß er sein ganzes Leben hindurch ein fleißiger Mann gewesen, aber daß es ihm nie eingefallen sey, den Fleiß in Noten zu bringen. Haydn wurde kurz nach der Beendigung der Arbeit von einem Kopffieber befallen, und damals schilderte er es als seine größte Marter, daß seine Phantasie unaufhörlich mit Noten und Musik beschäftigt sey.»

Als Haydn einmal von Kaiser Franz gefragt wurde, welchem seiner beiden Oratorien er den Vorzug gäbe, soll er geantwortet haben, dass er die «Schöpfung» den «Jahreszeiten» vorziehe, denn «in der Schöpfung reden die Engel und erzählen von Gott, aber in den Jahreszeiten spricht nur der Simon». Die drei Solostimmen der Jahreszeiten, Simon (ein Pächter), Hanne (dessen Tochter) und Lukas (ein junger Bauer), haben keine wirkliche Identität, außer im Duett von Hanne und Lukas («Ihr Schönen aus der Stadt»), in dem zwei Personen tatsächlich miteinander sprechen. Innerhalb der einzelnen Jahreszeiten gibt es nur wenig dramatischen Zusammenhang. Auch wenn dieses Werk mehr eine Folge von Kantaten als ein zusammenhängendes Oratorium ist, bot es Haydn doch eine Folge von Tableaus, denen er mit der ihm eigenen Kreativität Leben einhauchte. Die jugendliche Frische, die ein fast 70-Jähriger zu produzieren imstande war, ist erstaunlich.

Bald nach dem spektakulären Erfolg der am 30. April 1798 uraufgeführten «Schöpfung» begannen Haydn und Gottfried van Swieten mit der Arbeit an einem ähnlichen Werk, das ebenfalls von der Gesellschaft der «Associierten Cavaliers» finanziert wurde. Während die frühen Aufführungen der «Schöpfung» organisiert wurden, arbeitete Haydn schon an dem neuen Oratorium. In einem Bericht der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung wurden «Die Jahreszeiten» zum ersten Mal erwähnt: «Nun bearbeitet Haydn ein neues grosses Werk, welches der würdige Herr Geheimerat Freyherr van Swieten nach Thomsons Jahreszeiten metrisch bearbeitet, und wovon er bereits die erste Abtheilung, den Frühling, fertig hat.»

Dieser erste Teil wurde damals bereits in privatem Kreis aufgeführt, was in einem Brief der Herzogin Hedwig von Schleswig-Holstein-Gottorf, der späteren schwedischen Königin, an ihre Freundin Sophie von Fersen überliefert ist. Sie habe, so schreibt sie am 17. März 1799, beim Fürsten Schwarzenberg ein neues Oratorium von Haydn namens «Frühling» gehört, das sich aber nicht mit der «Schöpfung» messen könne. August von Griesinger, Mittelsmann des Verlags Breitkopf & Härtel, berichtete seinen Auftraggebern in Leipzig regelmäßig über den Fortgang der Arbeit. Am 12. Juni 1799 schrieb er: «Haydn wird ein Gegenstück zu seiner Schöpfung, die vier Jahreszeiten componieren, van Swieten macht den Text dazu.»

Bald verzögerte sich allerdings die Arbeit, da Haydn gesundheitliche Probleme hatte. Während sich Haydn im Sommer des Jahres 1800 plagte, war auch der Text noch nicht fertig. Griesinger schrieb nach Leipzig: «Swieten feilt, so viel ich höre, noch immer an seinem Texte zu den Jahreszeiten, während Haydn componirt.» Im folgenden November arbeitete Haydn am dritten Teil des Werks: «Mit diesem Monat hofft er den ‹Herbst› zu beendigen, und dann bleiben ihm noch drei Monathe, um den ‹Winter› zu componiren, denn vor dem März soll es nicht gegeben werden.» Im selben Brief erwähnte Griesinger auch Haydns Pläne, im Jahr 1801 nach Dresden, Berlin und Hamburg zu reisen und «vielleicht die 4 Jahreszeiten mit sich nehmen» zu wollen, um sie dort aufführen zu lassen.

Die «Jahreszeiten» wurden schließlich am 24. April 1801 unter Haydns Leitung im Stadtpalais des Fürsten Schwarzenberg am Neuen Markt aufgeführt. Die Solopartien sangen Therese Saal, ihr Vater Ignaz Saal und der Tenor Matthias Rathmayr, ein Professor der juridischen Fakultät. Bei den ersten vier Aufführungen waren nur geladene Gäste zugelassen. Die erste öffentliche Aufführung fand am 29. Mai 1801 zu Haydns Vorteil in einem Redoutensaal der Hofburg statt.

Haydn gelang hier ein Triumph des Geistes über die Materie. Manche Arien waren für Haydns Stil perfekt geeignet und die Beschreibung der Tiere, des Gewitters und anderer Details sehr gut darauf berechnet, die Erfindungskraft des fast 70-jährigen Komponisten zu befeuern. Was die Hörerin und den Hörer der «Jahreszeiten» heute beeindruckt, ist das Gefühl einer tiefen Menschlichkeit. Der Komponist mag so manches an van Swietens Libretto abgelehnt haben, aber es gibt darin auch vieles, das Haydn erlaubte, seine Lebenseinstellung zum Ausdruck zu bringen: seine Liebe zur Natur, sein Vergnügen an der Jagd und sein festes Vertrauen auf die Anwesenheit Gottes («des Schöpfers Hauch») in allen Dingen.

Dieses Oratorium ist ein wahres Panorama von Haydns gesamtem Lebenswerk. Hören wir die Hörner der herbstlichen Jagd, denken wir an die frühen Jahre der «Symphonie mit dem Hornsignal» Hob. I:31 aus dem Jahr 1765. In die Zukunft blickend, hören wir im Vorspiel zum «Winter» fast schon Richard Wagners «Tristan», wenn chromatische Linien nicht nur das Sterben der Natur, sondern auch das des Menschen malen. Dass Haydn den «Winter» mit sich selbst gleichsetzte, wissen wir von seinem Schüler und späteren Mitarbeiter Sigismund Ritter von Neukomm, zu dem er sagte: «Mit dieser Arie bin ich gemeint.»

Sein ganzes Leben lang war Haydn musikalischen Prinzipien wie dem alles umfassenden Konzept der motivischen Entwicklung treu geblieben. Und doch war sein Stil großen Veränderungen unterworfen, die alle in den «Jahreszeiten» kulminieren. Das zweite Thema der Einleitung zum «Frühling» ist purer Haydn, aber der Beginn dieser Einleitung könnte schon vom jungen Carl Maria von Weber stammen oder von einem anderen Komponisten der Romantik. Wenn wir in den «Jahreszeiten» auf Haydns gesamte Karriere zurückblicken, erkennen wir auch stilistische Elemente, die genauso neu sind wie alle früheren Neuerungen Haydns.

Wurzelt dieses Oratorium auch in der Tradition des Humanismus, so ist es doch eine letzte und sehr erfolgreiche Würdigung des populären Wiener Stils, an dessen Entwicklung Haydn maßgeb-lich beteiligt war. Der volkstümliche Stil der «Jahreszeiten» gleicht dem in Mozarts «Zauberflöte». Es gibt eine Papagenohafte Einfachheit in Hannes «Ein Mädchen, das auf Ehre hielt», mit dem die Welt der komischen Oper ins Oratorium Einzug hält. Eine weitere Facette des volkstümlichen Stils erkennt man im Chor «Komm, holder Lenz», dessen Melodie wie das Andante der Paukenschlagsymphonie oder das Allegretto der Militärsymphonie schon als Ohrwurm geboren wurde. Der trällernde Sechsachtel-Takt mit seiner ruhigen Harmonik und den Orgelpunkten ver-leihen diesem Chor seine populäre Gestalt. Die im Vergleich zur «Schöpfung» viel einfachere formale Struktur und die «erdigere» Thematik der «Jahreszeiten» gaben Haydn die Gelegenheit, das Oratorium mit populären Melodien zu garnieren, die oft den beliebten Melodien in den langsamen Sätzen seiner Quartette und Symphonien ähneln.

Zuletzt sei noch einer Tatsache gedacht, die im Zusammenhang mit Haydns zwei großen Oratorien zu wenig beachtet wird: Die Aufführungen der «Schöpfung» und der «Jahreszeiten» im Rahmen von Benefizkonzerten im 19. Jahrhundert waren eine regelrechte Maschine der Wohltätigkeit. Die Not von hunderttausenden Armen, von Opfern der Napoleonischen Kriege und bedürftigen Witwen und Waisen wurde durch Haydns Werke gelindert. Die Aufführungen dieser Oratorien durch die 1771 gegründete Wiener Tonkünstler-Sozietät waren so erfolgreich, dass sich dieser Verein 1862 in «Haydn-Verein» umbenannte. Haydns große Oratorien waren ein Werk der Liebe zur Menschheit.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Michael Lorenz