Archiv: Haydn & Weill

St. Pölten Festspielhaus Großer Saal Festspielhaus | Großer Saal

Interpreten

  • Harriet Krijgh, Violoncello
  • Michael Zlabinger, Dirigent

Programm

Der Sieg beim Young Conductors Award der Salzburger Festspiele 2017 war für Kerem Hasan das Sprungbrett zur internationalen Karriere, die der 1992 geborene Londoner mit der Chefdirigentenstelle des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck ausbalanciert. Für sein Debüt bei den Tonkünstlern hat er konzertante Cellofreuden von Joseph Haydn und Richard Strauss ebenso ausgesucht wie Ludwig van Beethovens dramatische dritte «Leonoren»-Ouvertüre. Und er plädiert für den Meister der «Dreigroschenoper» als Symphoniker: In Kurt Weills Zweiter von 1934 mit ihrer tänzerisch-ironischen, rastlosen Musik blinken die «Lichter der Großstadt».

Kerem Hasan musste seine Teilnahme an diesem Konzert absagen. Dankenswerterweise erklärte sich Michael Zlabinger bereit, als Dirigent einzuspringen.

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Ludwig van Beethoven

«Leonore» Ouvertüre Nr. 3 op. 72b

Sätze

  • Adagio - Allegro

Dauer

14 Min.

Entstehung

1806

Ludwig van Beethovens einzige Oper, «Fidelio», hat eine komplizierte Entstehungsgeschichte. Sie erlebte Uraufführungen von drei verschiedenen Versionen. Nach der Premiere im Jahre 1805 im Theater an der Wien wurde «Fidelio» in der ersten Fassung nur noch zwei Mal gespielt. Aber auch der ein Jahr später im selben Theater herausgekommenen Version, nunmehr unter dem Titel «Leonore» und von drei auf zwei Akte gerafft, war kein Erfolg beschieden. Nach nur zwei Vorstellungen verschwand sie wieder vom Spielplan. Das Publikum konnte offenbar mit der Mischung von einem heroischen Stoff aus der französischen Revolutionszeit mit Elementen der Opéra comique nicht allzu viel anfangen. Die Musik Beethovens hatte sich aber bei Kennern wohl doch als überaus qualitätsvoll und dramatisch wirkungsvoll im Gedächtnis festgesetzt, jedenfalls trat 1814 die Direktion der Hofoper wegen einer Wiederaufführung an den Komponisten heran, der daraufhin das Werk nochmals einer gründlichen Überarbeitung auf einen ebenfalls revidierten Text unterzog. Mit der Uraufführung dieser dritten Fassung unter dem ursprünglichen Titel «Fidelio» im Mai 1814 im Wiener Kärntnertortheater begann die bis heute unvermindert anhaltende Erfolgsgeschichte dieser Oper.

Hinter dem heldenhaften Kampf eines einzelnen Menschen um Gerechtigkeit stand für Beethoven ganz allgemein der Freiheitskampf jedes Volkes gegen unterdrückende Herrscher. Dieses Thema beschäftigte Beethoven sein Leben lang und löste auch noch mehrere andere, visionäre Werke aus, man denke nur an die Symphonie Nr. 9 mit dem Finale über einen Text von Friedrich von Schiller. In der Oper widmete sich Ludwig van Beethoven einerseits mit ergreifender musikalischer Intensität dem mutigen Einsatz Leonores, die, als Mann verkleidet, in einem Gefängnis des Diktators einen Hilfsdienst annimmt, um ihren dort aus politischen Gründen gefangen gehaltenen Gatten Florestan befreien zu können. Der Moment, in der aus der Ferne das Trompetensignal das Eintreffen des gerechten Ministers ankündigt, womit Leonore und Florestan vor der Ermordung durch den Unterdrücker Pizarro gerettet werden, ging in die Operngeschichte ein.

Er ist auch der Gänsehaut auslösende Mittelpunkt der zweiten und der dritten «Leonoren»-Ouvertüre, die Beethoven für die Aufführungen der ersten beiden Fassungen der Oper komponierte. Die mit Nr. 1 und anderer Opuszahl versehene «Leonoren»-Ouvertüre entstand vermutlich erst wenige Jahre später für eine Aufführung der Oper in Prag. Für die an der Hofoper angesetzte Neu- und Letztfassung des «Fidelio» schrieb Beethoven dann überhaupt eine vollkommen neue, musikalisch nicht mehr auf kommende Opernpassagen Bezug nehmende Ouvertüre, die ausschließlich die Funktion einer dramatischen Aufheizung hat. Von den drei «Leonoren»-Ouvertüren setzte sich die als Nummer drei gereihte im Laufe der Jahrzehnte als eigenständige Konzertouvertüre durch, wird aber gelegentlich auch noch vor dem Finale der Oper, direkt aus dem Befreiungsduett von Florestan und Leonore hervorgehend, als rein instrumentale Zusammenfassung des eben auf der Bühne Geschehenen eingeschoben. Die Ouvertüre führt in ihrem langsamen Einleitungsteil direkt in die finstere Gruft des Gefängnisses und ruft mit Arienzitaten noch einmal die verzweifelte Lage Florestans in Erinnerung. Im Allegro führt Beethoven ein neues Thema ein, das von einer unbändigen Energie erfüllt ist: vorwärts in die Freiheit. Dann ertönt zwei Mal das Signal der Trompete aus der Ferne. Tastend und zögerlich nur ist zunächst die Reaktion auf das Befreiungszeichen, ehe die Flöte in einem berührenden Aufbruch das Freiheitsthema anstimmt und schließlich das ganze Orchester mitreißt. Noch einmal halten alle inne ? ehe ein furioser Einsatz der Geigen, dem alle anderen Streichergruppen folgen, einen grenzenlosen Presto-Jubel einleitet.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Joseph Haydn

Konzert für Violoncello und Orchester D-Dur Hob. VIIb:2

Sätze

  • Allegro moderato

  • Adagio

  • Rondo. Allegro

Dauer

24 Min.

Entstehung

1783

Joseph Haydns Cellokonzert Hob. VIIb:2 ist das technisch wohl anspruchsvollste Cellokonzert der klassischen Epoche. In seiner sehr wechselhaften Geschichte wurde sowohl die Authentizität als auch die kompositorische Qualität des Konzerts angezweifelt. Selbst als es im späten 19. Jahrhundert unter Cellisten endlich an Popularität gewann, geschah dies in Ausgaben, die sowohl den Stil als auch die Substanz der Komposition erheblich veränderten.

Im Jahr 1837 stellte Gustav Schilling sogar die Behauptung auf, das Konzert sei eigentlich eine Komposition des Cellisten Anton Kraft gewesen, die dieser Haydn übergeben und nie zurückerhalten habe. Diese Information beruhte auf irrigen Angaben von Krafts Sohn Nikolaus, der das kompositorische Können seines Vaters überschätzte. Die vorerst zweifelhafte Natur dieses Konzerts, die mögliche Zuschreibung an Anton Kraft und eine allgemeine Geringschätzung von Haydns Instrumentalkonzerten verbannten das Stück für fast ein Jahrhundert nach seiner Entstehung in die relative Anonymität. Noch 1932 vertrat der Musikwissenschaftler Hans Volkmann die Überzeugung, das D-Dur-Cellokonzert stamme von Kraft.

Als 1951 im Keller der Österreichischen Nationalbibliothek Haydns Autograf gefunden wurde, dessen Titelblatt die Aufschrift: «Concerto per il Violoncello di me Giuseppe Haydn 1783.» trägt, verstummten endlich die Zweifel an der Autorschaft. Doch die Verbindung des Konzerts zu Anton Kraft wurde nicht aufgegeben. Einerseits erschien es klar, dass dieses Cellokonzert für Kraft komponiert worden sein musste, andererseits wurde es für unmöglich gehalten, dass Haydn dieses technisch so anspruchsvolle Konzert ohne Hilfe eines Cellisten komponiert habe. Man sah Anton Kraft als technischen Berater Haydns, ähnlich der Rolle Joseph Joachims bei der Entstehung von Brahms’ Violinkonzert. In der Literatur wurde immer die Meinung vertreten, dass Haydn das Konzert für Kraft geschrieben und dieser es in Eisenstadt uraufgeführt habe.

Im Jahr 2019 erfuhr dieses Narrativ eine entscheidende Wendung, als der englische Kunsthistoriker Thomas Tolley in der Londoner Zeitung «Gazetteer and New Daily Advertiser» vom 24. März 1784 eine interessante Programmankündigung für eines der «Hanover-Square Grand Concerts» fand: «A new Concerto Violoncello, Mr Cervetto, composed by Haydn». Dieses Konzert wurde eine Woche später wiederholt. James Cervetto – er lebte von 1748 bis 1837 – war einer der führenden Instrumentalisten Englands der 1780er Jahre. Als Schüler seines Vaters Jacob Cervetto übertraf er diesen bald. Es ist ganz offensichtlich, dass Haydns D-Dur-Konzert als Auftragswerk für Cervetto entstand, und das Autograf beweist, dass Haydn bei der Erfindung der großen technischen Herausforderungen auf die Hilfe Anton Krafts nicht angewiesen war.

Die Solostimme des Konzerts zeigt jene musikalischen und technischen Charakteristika, für die James Cervetto berühmt war: höchst kantables Spiel in der Daumenlage, in der er manchmal auch den vierten Finger verwendete, und süße Tongebung in hohen Registern, der Haydn kurz vor der Kadenz im ersten Satz mit der Bezeichnung «Flautino» Tribut zollt. Manche Passagen versetzt Haydn mit den Angaben «sul corda g» und «sul D» in höhere Lagen, und die vielen, manchmal geradezu rhapsodisch-ausufernden Solo-Passagen sind sicher den expliziten Wünschen des Auftraggebers geschuldet. Im Rondo, dessen Thema sicher nicht zufällig an das englische Volkslied «Here we go gathering nuts in May» angelehnt ist, befindet sich ein Moll-Abschnitt, in dem der Solist mit unter Cellisten berüchtigten Oktav-Doppelgriff-Passagen brillieren darf.

Die Erkenntnis, dass Haydns D-Dur-Cellokonzert ein Londoner Auftragswerk war, erklärt den ungewöhnlichen Charakter des Stücks, das dem Temperament seines ursprünglichen Solisten auf den Leib geschrieben wurde. Haydn gelang es auf geniale Weise, den spezifischen Anforderungen eines Auftrags zu genügen.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Michael Lorenz

Richard Strauss

Romanze für Violoncello und Orchester in F-Dur

Dauer

12 Min.

Entstehung

1883

«Wir haben bereits auf die bedeutende Begabung des noch in so jugendlichem Alter stehenden Componisten aufmerksam gemacht», stand am 3. April 1881 in den Münchner Neuesten Nachrichten zu lesen, «auch die Symphonie zeigt eine sehr bedeutende Gewandtheit in der Handhabung der Form und dabei entschiedenes Geschick in der Orchestration … Nach dem Schluß ertönte der lebhafteste Beifall und wurde dem Componisten die Ehre dreimaligen Hervorrufes zu Theil.» Und am nächsten Tag? Da drückte der noch nicht 17-jährige Gymnasiast Richard Strauss wieder brav die Schulbank, als wäre keineswegs soeben unter Hermann Levi eine d-Moll-Symphonie von ihm uraufgeführt worden. Seine Mitschüler, so merkt Strauss-Biograf Max Steinitzer an, «wunderten sich, daß man ihm hernach in der Klasse so gar nichts Besonderes anmerkte; Strauß war eben schon damals der absolut sachliche Charakter, der er geblieben ist. Man denke sich den Gegensatz: gestern vor 1800 Personen herausgejubelt und von dem dirigierenden Generalmusikdirektor selbst mit Beifallklatschen öffentlich ausgezeichnet, – und heute in der Schulbank stehend, vielleicht in dem zu Atomen vernichtenden Ton der meisten damaligen Münchner Gymnasialherrscher etwa auf die ungeheure Wichtigkeit des versus pseudoepikataprozeleusmaticus gestoßen.»

Ja, Richard Strauss begann die Komponistenlaufbahn zwar nicht explizit als Wunderkind, aber doch mit einer Hochbegabung, die durchaus taugte für den sprichwörtlichen Hausgebrauch, der sich von Kammermusik bald selbstbewusst zu Chor und Orchester vortastete. Seine eigene, unverkennbare Stimme hatte er damals freilich noch nicht gefunden, auch die wohlwollende Kritik wies noch auf den Mangel an Originalität hin: Von «Treibhausmusik» sprach Richard Specht, die «gesittet und gepflegt» töne, aber «deren geistige Wohlerzogenheit sich so gar keine eigene Meinung erlaubt».

Und doch: Cellistinnen und Cellisten sind heute ebenso dankbar wie das Publikum über ein so traumverloren-melodienseliges, anmutiges Werk wie die Romanze F-Dur, die lange vergessen war, sich in den vergangenen Jahren aber als Wiederentdeckung wachsender Beliebtheit erfreut. Der 19-Jährige komponierte sie für den tschechischen Cellisten Hanuš Wihan, damals als Solist Mitglied der Münchner Hofkapelle und somit ein Kollege von Strauss’ Vater Franz, dem Solohornisten des Orchesters. Später sollte Wihan zumindest die private Erstaufführung von Antonín Dvor¡áks Cellokonzert h-Moll übernehmen und im international gefeierten Tschechischen Streichquartett unter anderem mit Josef Suk und Oskar Nedbal spielen. Was seinerzeit charmant, aber unauffällig oder als Hommage an den verehrten Richard Wagner angemutet haben mag, lässt heute zumindest auch Verheißungen späterer Großtaten anklingen: «Schon die einleitende Kombination der Akkordflächen in den jeweils doppelt besetzten Holzbläsern und Hörnern mit dem Solocello lassen den Gedanken an eine entfernte Bezugnahme auf das ‹Lohengrin›-Timbre aufkommen», stellt Arnfried Edler fest, «und aus den durch ein zum Tranquillo reduziertes Tempo akzentuierten künstlichen Leittönen der hohen Flöten im Zentrum des Mittelteils, die am Schluss wieder aufgenommen werden, lässt sich bereits eine ferne Ankündigung des ‹Silbernen Rosen›-Themas des ‹Rosenkavaliers› heraushören.»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Walter Weidringer

Kurt Weill

Symphonie Nr. 2

Sätze

  • Sostenuto - Allegro molto

  • Largo

  • Allegro vivace - Alla marcia

Dauer

28 Min.

Entstehung

1934

«Ich bin überzeugt, daß die große Kunst aller Zeiten in diesem Sinne aktuell war: sie war nicht für die Ewigkeit bestimmt, sondern für die Zeit, in der sie entstand, oder mindestens für die nahe Zukunft, an deren Aufbau sie mitzuarbeiten bestimmt war. Das gilt auch für uns. In einer Zeit gewaltiger sozialer Umwälzungen haben wir genug zu tun, um die Existenzberechtigung, die ‹Nützlichkeit› unserer Arbeit nachzuweisen. Das können wir nur tun, wenn wir den Ideen unserer Zeit, zu denen wir uns bekennen, eine unanfechtbare künstlerische Form geben. Soll die Kunst ebenso nützlich sein wie die Wissenschaft, die Presse, die Politik, so muß sie ihre eigenen Mittel einwandfrei beherrschen. Sie muß aber in ihren Ausdrucksmitteln ebenso ‹aktuell› sein wie in ihren Inhalten. Wir können die Ideen dieser Zeit nicht mit derselben Sprache, derselben Musik, derselben Bühnenform ausdrücken wie etwa die Ideen der imperialistischen Zeit vor fünfzig Jahren, nicht nur, weil wir zu einem anderen Publikum sprechen, sondern auch weil wir eine andere Wirkung auf unser Publikum erwarten.»

So schrieb Kurt Weill 1929 in seinem Aufsatz «Aktuelles Theater». Eine Kunst auf der Höhe der Zeit, inhaltlich ebenso aktuell wie in ihren Mitteln, eine Kunst, die deshalb auf «nützliche» Weise direkt zum Publikum spricht: Weills gemeinsam mit Bertolt Brecht errungenen Bühnenerfolge wie die «Dreigroschenoper» von 1928 oder «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» aus dem Jahr 1930 gaben ihm mit diesem Konzept Recht und tun es bis heute. Und später, als er vor den Nazis in die USA geflüchtet war und sich der Emigrant am Broadway eine zweite Existenz erschaffen konnte, hat er nur seine Strategien adaptiert, um letztlich dieselben Ziele zu verfolgen. Doch auch abseits der Bühne ist es Weill gelungen, seine Zeit in expressiver Weise einzufangen und damit dauerhaft relevante, wertvolle Kunst zu schaffen – zum Beispiel in seiner zweiten Symphonie.

Weill, 1900 in Dessau in Sachsen-Anhalt geboren, war der Sohn eines jüdischen Kantors und durchlief eine streng religiöse, von klein auf musikalisch fundierte Erziehung. In Berlin studierte er zunächst beim Wagner-Schüler Engelbert Humperdinck, dem Schöpfer der Märchenoper «Hänsel und Gretel», doch arbeitete Weill parallel immer wieder an verschiedenen Theatern, als Korrepetitor und später Kapellmeister, auch um seine Familie zu unterstützen. 1920 ging er erneut nach Berlin, um dort Meisterschüler von Ferruccio Busoni zu werden. Busoni war neben Arnold Schönberg und Igor Strawinski eine der zentralen Figuren in der Musik jener Zeit und wurde ein wichtiger Mentor für ihn: «Es war ein Gedankenaustausch im höchsten Sinne, ohne Meinungszwang, ohne Selbstherrlichkeit, ohne die Spur von Neid oder Böswilligkeit, und die Anerkennung jedes Schaffens, das Begabung und Können verriet, war rückhaltlos und enthusiastisch», schrieb Weill im Rückblick. Wohl nicht ganz zufällig hat er sich während des Unterrichts bei Busoni – und nach einem vernichteten Erstversuch – neuerlich der Symphonie zugewendet: nach Schönbergs Vorbild kammermusikalisch, mit Motivzellen, die transformiert werden und in einer großen Einsätzigkeit symphonische Satztypen durchlaufen.

Busonis wohlmeinend-strenge Kritik an dieser ersten Symphonie veranlasste Weill jedoch, sie in der Schublade zu belassen. Aber schon dieses Werk zeigt ein Sensorium für die politischen Strömungen nach dem Ersten Weltkrieg: Direkt oder indirekt war sie beeinflusst von einem im Untertitel «revolutionäres Kampfdrama» genannten Theaterstück namens «Arbeiter, Bauern, Soldaten. Der Aufbruch eines Volkes zu Gott» aus der Feder von Johannes R. Becher, dem späteren Textdichter der DDR-Hymne. Das setzt sich unweigerlich auch in jener zweiten Symphonie fort, die heute auf dem Programm steht und die schon allein durch Zeit und Ort ihrer Entstehung schicksalshaft mit Weills persönlicher Geschichte und den Zeitläuften im Allgemeinen verknüpft ist: Sie entstand in den Jahren 1933–34, wurde noch in Berlin begonnen, aber in Frankreich vollendet. Von den Nazis als «jüdischer Kulturbolschewist» verunglimpft und mit Aufführungsverbot belegt, hatte Weill gottlob rechtzeitig die Konsequenzen gezogen und war ins Exil gegangen. «Man muss gelegentlich von seinem gewohnten Weg abweichen, in solchen Momenten schreibe ich symphonische Musik», hat er einmal fest gehalten – ein reichlich ironisch wirkendes Statement vor dem polithistorischen Hintergrund.

Die Symphonie ist ein Nachtstück, oder besser gesagt: Sie besteht aus drei Nachtstücken, aus düster umtriebigen Notturni, in denen die Lichter der Großstadt blinken; tänzerisch-ironische, rastlose Musik, in der das Spöttische und das Laszive zusammenfallen. Die dreisätzige Anlage mit langsamer Einleitung – Sostenuto – plus raschem Hauptsatz, Allegro molto, mit langsamem Satz – Largo – und Rondo-Finale – Allegro vivace – entspricht frühklassischen Vorbildern, die Weill freilich mit seinem eigenen Tonfall neu legitimiert – und das in einer erweiterten Tonalität, die mit der Zwölftontechnik der Wiener Schule nichts gemein hat.

Die Uraufführung dirigierte kein Geringerer als Bruno Walter 1934 in Amsterdam – und hatte sich offenbar einen griffigeren, bildhafteren Titel gewünscht. Weill kam ihm, durchaus widerwillig, mit «Symphonische Fantasie» bzw. «Fantaisie symphonique» entgegen (so lautet der Titel auf der Partitur beim Verlag Schott): Offenbar wollte er, der Mann des Musiktheaters, hier bewusst auf die Autonomie des Werks pochen. Die ausgeklügelte, nach allen Regeln der Satzkunst angewendete motivische Arbeit, die Farbigkeit und Flexibilität der Erfindung: Es scheint fast, als wollte sich Weill der klassischen Kompositionsmethoden versichern, sie gleichsam mit in seinen Koffer packen, als er gezwungen war, die fremd und feindselig gewordene Heimat zu verlassen. Die wahren Schrecken, die da kommen sollten, konnte er wohl noch nicht ahnen – aber der Trauermarsch des langsamen Satzes und die «gellenden Trompeten- und Paukengewitter im Finale» (Markus Schwering) zeigen deutlich, dass Weill die Nacht einfallen spürte über Deutschland.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Walter Weidringer