Archiv: Larcher & Bartók

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Benjamin Beilman, Violine
  • Hannu Lintu, Dirigent

Programm

Thomas Larchers Musik bringt eine Schönheit zum Klingen, die sich nicht vor Leid und Schmerz verschließt: In seinen packenden Werken wirken Realität und Utopie zusammen. Das Tonkünstler-Publikum weiß das etwa von Larchers Vokalsymphonie «Alle Tage» – jenes Werk übrigens, das das Orchester zusammen mit dem diesmal aufgeführten Violinkonzert und dem Solisten Benjamin Beilman auf CD gebannt hat. Der Finne Hannu Lintu ist hier wie dort der fabelhafte und schon erprobte Partner der Tonkünstler am Dirigentenpult: Franz Schuberts Festklänge und Béla Bartóks brillante Inszenierung orchestraler Farben und Stimmungen bilden den prächtigen Rahmen.

 

Tipp: Nach dem Konzert gibt es die Möglichkeit, an der Signierstunde mit den Gästen Thomas Larcher, Benjamin Beilman und Hannu Lintu im Shop des Musikverein-Foyers teilzunehmen.

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Franz Schubert

Ouvertüre zur Schauspielmusik «Rosamunde» D 797

Sätze

  • Andante - Allegro vivace

Dauer

9 Min.

Die sogenannte Ouvertüre zur Schauspielmusik «Rosamunde» D 797 – ein Stück, das zu Schuberts Lebzeiten unter diesem Namen nicht existierte – hat eine kuriose Entstehungsgeschichte. Helmina von Chézys Drama «Rosamunde, Fürstin von Cypern» entstand im Sommer 1823. Die deutsche Schriftstellerin, die das Libretto zu Carl Maria von Webers «Euryanthe» verfasst hatte, befand sich in Wien, um die Erstaufführung dieser Oper zu begleiten und sich durch die Zusammenarbeit mit Weber als Librettistin zu empfehlen. Den Memoiren Chézys zufolge wurde die Entstehung der «Rosamunde» durch Josef Kupelwieser angeregt, der damals Sekretär des Kärntnertortheaters war.

Chézy schreibt: «Ein junger Freund namens Kuppelwieser bat mich um ein Drama, zu welchem Franz Schubert die Musik schreiben wollte, ein Mädchen, das er liebte, M. Neumann, Schauspielerin im Theater an der Wien, sollte dieses Drama zum Benefiz haben.» Diese Dame war Kupelwiesers Geliebte Emilie Neumann, die einer der Gründe für Kupelwiesers Scheidung werden sollte. Das Schauspiel «Rosamunde», dessen Handlung erst seit der Wiederauffindung des Librettos im Jahr 1996 bekannt ist, wurde am 20. Dezember 1823 im Theater an der Wien uraufgeführt. Schubert hatte keine Zeit mehr, für «Rosamunde» eine Ouvertüre zu schreiben, und verwendete jene der Oper «Alfonso und Estrella» D 732 aus dem Jahr 1822.

Das Drama «Rosamunde» wurde vom Publikum sehr lau aufgenommen. Die zweite Vorstellung am folgenden Tag ging «bei leerem Hause und gänzlicher Theilnamslosigkeit zu Ende, und das Schauspiel erschien seitdem nicht wieder auf der Bühne.» Das war die Situation im Jahr 1823. Eine eigene Ouvertüre für «Rosamunde» wurde nie komponiert. Das Eröffnungsstück, das noch heute als «Rosamunde»-Ouvertüre im Konzertleben präsent ist, ist jenes, das Schubert 1820 für das Schauspiel «Die Zauberharfe» komponiert hatte. Der genaue Ursprung dieser Fehlbenennung lässt sich nicht mehr klären. 1839 erschien ein Klavierauszug der «Zauberharfe»-Ouvertüre unter dem Titel «Ouverture zu Rosamunde». Als Anton Spina 1867 die Partitur der «Zauberharfe»-Ouvertüre mit dem Titel «Ouverture zur Oper Rosamunde» publizierte, verfestigte sich die Fehlzuschreibung endgültig und hat sich bis heute gehalten.

Die «Rosamunde»-Ouvertüre ist eine geniale Synthese mehrerer musikalischer Stile. Schubert griff auf die Ouvertüre «im italienischen Stil» in D-Dur D 590 von 1817 zurück und verarbeitete Motive aus dem Melodram für die langsame Einleitung und für das Allegro. In diesem stilistischen Potpourri zeigt sich die Keimzelle eines neuen Universums des romantischen symphonischen Genres. Auf ein Andante in c-Moll folgt ein Allegro vivace mit italienischen Motiven. Wie in der Ouvertüre «im italienischen Stil» folgt ein Schlussteil im Sechs-Achtel-Takt, wo die Triolen-Gruppen den ersten Satz der großen C-Dur-Symphonie ankündigen. Diese Ouvertüre ist eine brillante Synthese verschiedener Stile, die zur Grundlage eines neuen Universums des symphonischen Genres werden sollten.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Michael Lorenz

Thomas Larcher

Konzert für Violine und Orchester

Sätze

  • Slow. Very fast

  • Flowing. Slow, static. Double Tempo

Dauer

24 Min.

Entstehung

2008

Komponiert hat Thomas Larcher schon als Kind. Doch erst mit Anfang vierzig begann er, seine musikalischen Formate zu vergrößern und sich eingehender mit Orchesterwerken zu beschäftigen. Inzwischen ist das Genre des Solokonzerts mit fünf originellen Beiträgen vertreten. Offensichtlich ist die Konfrontation des Einen mit den Vielen ein starkes Stimulans für die Kreativität des Komponisten: Nicht nur die psychologischen Implikationen des konzertanten Mit- und Gegeneinanders interessieren Larcher, Momente von Isolation und Ausgrenzung etwa oder das Ringen um Dominanz - oder aber, andersherum, die Überwältigung des Einzelnen durch das Kollektiv. Nicht minder reizvoll ist es, das Orchester so aufzufächern, dass die große Besetzung selbst als eine Versammlung von mehr oder minder zur Einheit verschmelzenden Individuen erscheint. Unterschiedlichste Instrumente können sich solistisch hervortun, verbinden sich in variablen Gruppierungen und bringen pointierte und vor allem hoch differenzierte Äußerungen hervor.

Die Aufgliederung der orchestralen Kräfte hat natürlich auch mit der Sorge um das alte Balanceproblem des Solokonzerts zu tun. Gewiss, wenn sie das Soloinstrument förmlich «unter Druck setzen» soll, kann die schiere Lautstärke des Klangkörpers eine spezifische Ausdrucksqualität transportieren. Andererseits besteht aber immer die Gefahr, dass die Entfaltung des eigentlich im Mittelpunkt stehenden Parts vom Orchester allzu sehr eingeschränkt wird. Im meisterlichen Klavierkonzert «Böse Zellen» von 2007 und auch im rasch danach entstandenen Violinkonzert für Isabelle Faust setzt Larcher neben den doppelten Bläsern eine reduzierte Streicherbesetzung mit nicht mehr als sechs respektive acht ersten Geigen ein - vergleichsweise kleine Register also, die über weite Strecken auch nicht als geschlossene Gruppe verwendet, sondern vielfach geteilt werden. Dies ermöglicht eine kammermusikalische Transparenz, die lediglich an dramaturgisch herausgehobenen Stellen massiveren Klangwirkungen Platz macht. Die außergewöhnliche Farbigkeit des Orchestersatzes rührt überdies von Instrumenten her, die im klassischen Solokonzert selten bis nie vorkamen: Die Palette umfasst Harfe, Klavier, Celesta und Akkordeon, dazu fünf Kalimbas - afrikanische Daumenklaviere - Kuhglocken, Flexaton, Wassergong, Vibraphon, Marimba, Crotales, Peitsche, Ratsche und Bratpfanne.

Die Geige, das höchste Instrument der Streicherfamilie, entspricht Larchers Vorliebe für blendend helle, bewusst angeschärfte, ja schrille Timbres in idealer Weise. Dennoch klingt die immense Repertoiretradition des 19. und frühen 20. Jahrhunderts stets mit - sei es die lyrische Intensität der Kantilene, die auftrumpfende Virtuosität athletischer Doppelgriffpassagen oder auch das folkloristisch-tänzerische Idiom des Balkans, in dem die Geige seit jeher eine zentrale Rolle spielt. Die mit «Slow» bezeichnete Eröffnung des Violinkonzerts bildet eine jener weiträumigen Idyllen, die bei Larcher an dieser Stelle häufiger begegnen. Sie scheinen so etwas wie einen angst- und sorgenfreien Urzustand zu schildern, vielleicht auch den Frieden vor den unweigerlich sich einstellenden Albträumen. Die ersten Takte der Violine zeichnen einen e-Moll-Dreiklang nach - gerade so, als ertasteten sie zufällig das Grundthema des ersten Contrapunctus aus Bachs «Kunst der Fuge». Sanft mischen sich weitere Instrumente mit Umspielungen des Dreiklangs ins Geschehen, während erst die Celesta, dann auch die Violine Ausschnitte aus der absteigenden e-Moll-Tonleiter ins Spiel bringen. Diese überaus suggestive Einleitung baut auf dem in den 1970er Jahren von dem Esten Arvo Pärt entwickelten «Tintinnabuli»-Stil auf. Tintinnabuli - abgeleitet vom lateinischen Wort «tintinnabulum» für «Klingel», «Schelle» - meint jene Satzweise, bei der eine Stimme sich in Dreiklängen bewegt, während die andere gleichmäßig den Schritten der diatonischen Skala folgt. Der Komponist legt mehrere solcher Bewegungen in unterschiedlichen rhythmischen Einheiten übereinander. Mittels subtiler Wechsel der Instrumentation versetzt er das vermeintlich grenzenlose Klangband in schwebende Rotation.

Typisch für Larchers Dramaturgie eines extremen emotionalen Tidenhubs: Der direkt anschließende schnelle Teil mit der Überschrift «Very fast» bringt einen polaren Kontrast in Bezug auf Tempo und Artikulation, Dynamik und Ausdruck. Schien die Musik gerade noch in der meditativen Ruhe mystischer Einkehr zu verharren, so kündigen die launigen Portamenti der Geige, die scharfen Akzente und energischen Rhythmen nun eine beinahe derbe Musiziersituation an. «Angeregt durch rumänische Volksmusik und deren Fortführung durch Béla Bartók, György Ligeti und andere, wollte ich versuchen, diese archaische Energie (wieder einmal) zu bündeln, zu fokussieren, auf den Boden zu bringen», schreibt Thomas Larcher in seinem Werkkommentar. Die manisch vorwärtsdrängende, in ihrer entfesselten Energie wie leerlaufende Bewegung des Soloparts kommt auf dem stratosphärisch hohen, viergestrichenen «c» vorübergehend zum Stillstand. Dazu lassen die mit Trommelschlägeln angeschlagenen Kuhglocken leise ein stoisches Pochen ertönen: Die Zeit steht, aber die Uhr tickt. Sogleich bereitet sich im Orchester eine weitere Steigerungswelle vor.

Auch der zweite Satz, «Flowing» überschrieben, setzt bei einem Gestus aus ferner Vergangenheit an. Larcher schreibt eine Passacaglia im Dreivierteltakt, eine Folge von Variationen über ein Bassmodell also. Passacaglien waren im Barockzeitalter sehr verbreitet; bekanntlich gestaltete Brahms das archaisierende Finale seiner vierten Symphonie nach diesem Konzept, und Dmitri Schostakowitsch nahm es unter anderem in seiner achten Symphonie und im ersten Violinkonzert wieder auf. Schostakowitschs Passacaglien erklingen in Situationen, in denen das Erlebnis schicksalhaft-tragischer Unausweichlichkeit zu vermitteln ist. Larchers Satz erzielt eine ganz ähnliche Wirkung. Sein «Bass» - in Wahrheit wird das harmonische Gerüst in unterschiedlichen Lagen und in wechselnder Instrumentation präsentiert - durchschreitet in zwölf Takten den Quintenzirkel. Auf jeden Takt fällt anfangs ein anderer Dur- oder Mollakkord. Dabei steigt die Tonfolge von C aus in Quinten auf und dann in Quarten wieder ab, sodass alle Töne der chromatischen Skala durchschritten werden. Indem die Variationen sukzessive höher ansetzen, schraubt sich die Musik in Halbtönen eine Oktave nach oben.

Über bizarre, mitunter stark geräuschhafte Scherzando-Passagen, in denen Zitatsplitter aus Beethovens neunter Symphonie und dem erwähnten ersten Violinkonzert Schostakowitschs aufblitzen, erreicht die Entwicklung beim Grundton «fis» - auf halber Strecke zwischen dem unteren und dem oberen «c» - eine katastrophische Klimax, leicht zu erkennen an einem gewaltigen Schlag des Tamtams. Larcher beschreibt diesen Moment als eine Art «Mitternacht», «bei deren Eintritt alle Uhren zwölf schlagen». In Klavier und Schlagwerk sind diese «Uhren» tatsächlich zu vernehmen - eine feine Huldigung an die Symmetrieachse im «Adagio» von Alban Bergs Kammerkonzert, wo das Klavier auf ganz ähnliche Weise die tiefste Nacht markiert. An diesem Punkt habe er die Entwicklung stoppen müssen, so Larchers Aussage im Werkkommentar: «Es ist, als hätte der Eintritt der Mitternacht ein Loch in die Erdkruste gerissen, ein Loch der Verwirrung, in das alle und vor allem das Soloinstrument hineingezogen werden.»

Die letzten Minuten lösen die eben noch so kompakten motorischen Impulse in Klangflächen aus zart verwischten Lasuren auf. Zwischen auf und nieder schweifenden Glissandi der Sologeige bringen sich auch die gebrochenen Molldreiklänge des ersten Anfangs wieder in Erinnerung. Bricht da ein neuer Morgen an? Das Spiel könnte jedenfalls von Neuem beginnen.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Anselm Cybinski

Béla Bartók

Konzert für Orchester

Sätze

  • Introduzione. Andante non troppo - Allegro vivace

  • Giuoco delle coppie (Spiel der Paare). Allegretto scherzando

  • Elegia. Andante, non troppo

  • Intermezzo interrotto. Allegretto

  • Finale. Presto

Dauer

38 Min.

Entstehung

1943

Béla Bartóks Leben war in der Zeit, als er das Concerto (Konzert für Orchester) schrieb, schon von Tragik überschattet. 1941 hatte der Ungar ins amerikanische Exil gehen müssen, wo er sich, seiner Heimat entwurzelt, stets als Fremder fühlte: einsam, unverstanden, weil man sein Werk, das sich außerhalb der konventionellen Normen bewegte, nicht verstand, und daher ohne Aufträge, ohne Schaffensfreude, ohne finanzielle Rücklagen. Noch dazu verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends, was sich in zunehmender Schwäche äußerte – ohne dass man die Krankheit damals überhaupt benennen konnte, da die modernen Diagnoseverfahren noch nicht existierten. Heute weiß man, dass Bartók an Leukämie litt.

Als sich Bartók, resigniert und gesundheitlich schwer angeschlagen, im Sommer 1943 in das New Yorker Doctor’s Hospital begeben musste, ahnte er wohl kaum, dass es noch einmal eine Wende in seinem Leben geben sollte. Diese kam in der Person des berühmten russischen Dirigenten und Leiter des Boston Symphony Orchestra, Serge Koussevitzky, der überraschend im Spital auftauchte: Im Namen der Koussevitzy-Stiftung bat er den Komponisten um ein Orchesterwerk, subventioniert mit der für damalige Verhältnisse sehr hohen Summe von 1.000 Dollar. Es sollte ein besonderes Werk werden, eine Widmung an Koussevitzkys eben verstorbene Frau Natalie. Obwohl Bartók befürchtete, nicht mehr genügend Kraft zur Vollendung der Komposition zu haben, willigte er, in Anbetracht der hohen Geldsumme, ein. Manchmal vermag seelische Kraft Wunder zu vollbringen – jedenfalls verbesserte sich seine Gesundheit von diesem Augenblick an schlagartig: Bald verließ er das Krankenhaus und begab sich Mitte August an den Lake Saranac, einen abgelegenen ruhigen Ort, wo er in großem Eifer, fast Tag und Nacht, an der neuen Komposition arbeitete und sie tatsächlich in nur zwei Monaten vollendete.

Die Uraufführung ließ dann etwas auf sich warten – sie fand erst am 1. Dezember des folgenden Jahres in Boston statt; die Ausführenden waren das Boston Symphony Orchestra unter Koussevitzkys Leitung. Bartók war nicht nur bei den Proben zugegen, er schrieb auch eine Einführung für das Programmheft. In wenigen Worten fasste er die Konzeption des Konzerts wie folgt zusammen: «Die allgemeine Stimmung der Komposition kann – mit Ausnahme des spaßigen zweiten Satzes – als ein schrittweiser Übergang vom Ernst des ersten Satzes und dem Klagelied des dritten zur Lebensbejahung des Schlusssatzes angesehen werden. Der Titel des symphonieartigen Orchesterwerkes wird durch die konzertierende oder solistische Instrumentengruppe gerechtfertigt. So werden z. B. die Blechbläser in den Fugato-Abschnitten der Durchführung im ersten Satz ‹virtuos› eingesetzt, die Streicher in den ‹perpetuum mobile›-artigen Passagen des Hauptthemas im letzten Satz, insbesondere aber im zweiten, wo die Instrumente jeweils paarweise nacheinander konzertieren und brillante Passagen ausführen.»

Damit ist auch schon das Wichtigste beschrieben: einerseits das kompositorische Konzept, die konzertante Anlage, andererseits die dem Werk zugrunde liegende Stimmung – immerhin handelte es sich ja um eine Art «Requiem» für die verstorbene Natalie Koussevitzky, weshalb Bartók darauf auch Wert legte: im Grunde genommen aber typisierte er damit eher seinen eigenen Weg und den Triumph des Lebens über Trauer und Leid.

Wie schon erwähnt, ist das Konzert für Orchester im Grunde genommen eine Symphonie mit konzertanten Elementen, nachempfunden dem barocken Concerto grosso – dies kennzeichnet Bartóks Spätwerk, in dem er eine formale und stilistische Synthese zwischen modernen und traditionellen Prinzipien anstrebt. Das Konzert besteht aus fünf Sätzen und ist symmetrisch angelegt: um den als Kern des Werkes zu verstehenden langsamen dritten Satz gruppieren sich zwei scherzandoartige Allegretto-Sätze; die Ecksätze wiederum besitzen einen lebhaft-gravitätischen Charakter.

Mit mystisch zu nennenden Klängen – vielleicht auch im Hinblick des «Requiems» – beginnt der erste Satz, der sich in der Folge mit zwei kontrastierenden Teilen charakterisiert: einem fanfarenartigen Hauptthema mit ungarischem Kolorit und einem lyrischen Seitenthema.

«Giuoco delle coppie», der Titel des zweiten Satzes, bedeutet «Spiel der Paare»: und in der Tat «tanzen» jeweils zwei Instrumente gemeinsam einen musikalischen Tanz mit jeweils eigenem Thema, in verschiedenen Intervallabständen.

Mit seinem düster-elegischen Charakter bildet der Mittelsatz, den Bartók «kummervolles Klagelied» genannt hat, nicht nur den Kern des Werkes, sondern er ist zugleich auch eine emotionale Äußerung des Komponisten, der den Verlust seiner Wurzeln beklagt. «Verschwommenes Gewebe gestaltenloser Motive», so benennt er selbst das trostlos anmutende Gerüst, das die drei Themen des Satzes umgibt, und das zweifellos als Abbild seiner eigenen Umgebung angesehen werden kann.

Unterstrichen wird diese Beobachtung durch den vierten Satz, bezeichnet mit «Intermezzo interrotto» (unterbrochenes Zwischenspiel), der ungarisches Kolorit, Tanzszenerie vorspiegelt – doch alles in merkwürdiger Verzerrung. Bartók selbst meinte dazu: «Die Form kann durch Buchstaben folgendermaßen bezeichnet werden: ABA – Unterbrechung – BA.» Doch ist es gerade diese Unterbrechung, die den wahren Hintergrund kennzeichnet: hier geht es nicht um ein lustiges Scherzando, wie es ein Zitat aus Lehárs «Lustiger Witwe» glauben macht, sondern darum, wie Aggressivität, laute Persiflage die heitere Tanzatmosphäre zunichte macht – wieder eine persönliche Stellungnahme des Komponisten, der wegen des Krieges seine Heimat verlor. Dennoch endet der Satz in sanfter, versöhnlicher Atmosphäre. Oft wird übrigens behauptet, dass Bartók ihn als Persiflage auf Schostakowitschs 7. Symphonie schrieb, in der eben dieses Lehár-Thema fast penetrant häufig wiederholt wird – was Bartóks Sohn Peter aber, nach dem Tod des Vaters, dementiert hat.

Der letzte Satz, eingeleitet von einem Hörner-Fanfarenthema, weist nicht nur zurück auf den Beginn des Konzerts – er ist mit seinem Volkstanzcharakter auch ein Symbol für die Rückkehr ins Leben, für das Über-Leben, für die Existenz Ungarns über jeden Krieg hinaus. Ein vor Lebendigkeit sprühender Satz, eine Beschwörung der Heimat, die Bartók nicht mehr wiedersehen sollte: er starb neun Monate nach der Uraufführung des Konzerts für Orchester.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Astrid Schramek