Die insgesamt sieben Werke Franz Liszts für Klavier und Orchester spiegeln seine Entwicklung vom reinen Virtuosentum zur ausgeklügelt strukturierten und erneuernden Symphonik wider. Im Alter von nur 16 Jahren spielte Liszt in London ein fünfteiliges, bizarres Konzertwerk mit dem Titel «Malédiction», dem der Pianistenkollege Ignaz Moscheles «chaotische Schönheit» attestierte und das von einem artistisch schwierigen Klavierpart gekennzeichnet ist. Einige Jahre später (1834) komponierte Liszt eine in Paris uraufgeführte «Grande Fantaisie symphonique» für Klavier und Orchester über Themen aus Berlioz’ «Lélio», in der bereits das Bestreben einer neuen thematischen Verarbeitung in Form von Versetzungen und Transformationen der Motive erkennbar ist. In jene Zeit fallen auch die ersten und bereits ausführlichen Skizzierungen zu regelrechten Konzerten, aus denen Jahre später die Klavierkonzerte Nr. 1 Es-Dur und Nr. 2 A-Dur hervorgingen. Bis zu deren endgültiger Konzeption musste Liszt noch seine Erfahrungen mit der Form der symphonischen Dichtung machen, in der er in Werken wie der «Bergsymphonie», «Les Préludes» und «Tasso» eine Konzentration der Form und beständige Wandlung der Themen erzielte.
In die Zeit zwischen 1848 und 1853, als Liszt als Kapellmeister in Weimar wichtige praktische Erfahrungen nicht zuletzt auf dem Gebiet der Instrumentierung sammelte, fallen die Ausarbeitungen der beiden Klavierkonzerte, weiters die effektvolle und variantenreiche Komposition des «Totentanzes» für Klavier und Orchester (einer Paraphrase über das gregorianische «Dies irae»-Motiv), sodann einer Fantasie über ungarische Volksmelodien und die Umwandlung von Franz Schuberts Soloklavierwerk der «Wanderer-Fantasie» in ein Konzert für Klavier und Orchester. Aus Schuberts Werk übernahm Liszt für seine eigenen Klavierkonzerte die Form von direkt ineinander übergehenden Sätzen und die darin vollzogene, satzübergreifende Verknüpfung der Thematik. Den Uraufführungen der beiden Klavierkonzerte jeweils in Weimar – 1855 vom ersten und 1857 vom zweiten Konzert – folgten dann nochmals Umarbeitungen und Verfeinerungen für die Drucklegung.
Im Klavierpart der beiden Konzerte sind höchste spieltechnische Ansprüche mit poetischem Ausdruck und phantasievoller Durchdringung der Motive verbunden. Kein Ton, keine Skala und keine Akkordfolge ist virtuoser Selbstzweck, sondern alles ist eingebunden in ein beziehungsreiches Spiel mit der Thematik. Mit rezitativartigen Abschnitten und Kadenz-Einschüben verleiht Liszt dem Solopart aber auch das Gefühl der Freiheit. Da klingt dann manches wie aus dem Moment der Aufführung heraus geboren. Die vielfältigen Reflexe auf das thematische Grundmaterial bekräftigen eine solche Wirkung.
Einen klassischen Konzertaufbau sucht man in beiden Werken vergeblich. Im Es-Dur-Konzert gibt es drei Teile oder Sätze, die durch Pausen und Doppelstriche getrennt sind, aber auseinander hervorgehen. Zudem legt Liszt den Mittelsatz dreiteilig an, indem er dem langsamen, lyrisch ausschwingenden Teil einen scherzohaften Abschnitt – eingeläutet von der Triangel – folgen lässt und dann zum Hauptmotiv des ersten Satzes zurückkehrt, als ob hier dessen Reprise nachgeholt werden sollte. Denn der Kopfsatz besteht tatsächlich allein aus der Exposition, der Themenaufstellung. Auf das mächtige Hauptmotiv, das eine prägnante rhythmisch-melodische Figur darstellt und dem eine herkömmliche thematische Entwicklung fehlt, folgen ein von der Klarinette eingeleiteter, kammermusikalischer Seitensatz und eine brillant verdichtete Schlussgruppe.
Da, wo man eine Durchführung im klassischen Sinne erwartet, setzt bereits der zweite Satz – zunächst ein Adagio – mit seinen schwärmerisch auf- und absteigenden Streicherpassagen und dem expressiv erzählenden Klavier ein. Einem dramatischen Rezitativ folgen Gesänge der Flöte, der Klarinette und der Oboe zusammen mit dem Klavier, dann hebt das «Capriccioso scherzando» an, ein finten- und variantenreicher Abschnitt aus Klavierfigurationen und thematischen Andeutungen einzelner Instrumentengruppen. In einer Kadenz stimmt das Klavier unvermutet das Hauptmotiv des Konzertbeginns an, das in der Folge ideenreich transformiert wird.
Direkt daraus geht das Finale hervor. Die Thematik des Adagios ist nun in einen Marsch umgewandelt. Weitere zentrale Gedanken des Werkes erleben erstaunliche Metamorphosen, immer in einen brillanten und vorwärts drängenden Konzertsatz eingebunden. Auch Scherzofiguren marschieren mit. Eine Stretta, die für den Solisten zum Abenteuer aus Oktavgängen, Akkordkaskaden und Tremoloschichtungen wird, führt zur unausweichlichen Apotheose des Hauptmotivs vom Werkbeginn, das eine «Idée fixe» im Sinne von Hector Berlioz’ symphonischer Konzeption darstellt. Berlioz war es auch, der die Uraufführung des Es-Dur-Klavierkonzertes im Februar 1855 in Weimar dirigierte. Den Solopart spielte der Komponist des Werkes, über das der ungarische Komponist Béla Bartók sagte: «Das 1. Klavierkonzert von Liszt ist die erste vollkommene Verwirklichung der zyklischen Sonatenform mit gemeinsamen Themen, die nach dem Variationsprinzip gehandhabt werden.»
© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz