Archiv: Schumann & Dietrich

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Isabelle Faust, Violine
  • Eugene Tzigane, Dirigent

Programm

«FAE – frei, aber einsam» könnte über diesem Programm stehen, denn es charakterisiert einen bedeutenden romantischen Künstlerbund des 19. Jahrhunderts auf das Trefflichste! Mit genau diesem Motto komponierten anlässlich eines Besuchs des jungen Wundergeigers Joseph Joachim drei Musikerfreunde eine gemeinsame Violinsonate: Robert Schumann, Johannes Brahms und Albert Dietrich – ihrerzeit hochgeschätzte Persönlichkeiten, deren Werke viel gespielt wurden. Joseph Joachim trat unermüdlich für die Musik Schumanns ein, bis weit über dessen Tod im Juli 1856 hinaus. Noch wenige Monate zuvor hatte Schumann justament die «Hamlet»-Ouvertüre in Düsseldorf uraufführen können; die musikalische Eröffnung zu Shakespeares Bühnenklassiker war allerdings nicht für das Theater gedacht, sondern von vornherein als symphonische Dichtung konzipiert. Im heutigen Konzertleben ist sie kaum noch präsent, ebenso wie das Werk des Schumann-Schülers Albert Dietrich. Die 1869 uraufgeführte d-Moll-Symphonie des Oldenburgischen Hofkapellmeisters ist von durchaus fesselnder Gestalt und Brahms gewidmet. Das Schicksal von Robert Schumanns Violinkonzert könnte einem Groschenroman entstammen: Erst 1933, als zwei Nichten Joseph Joachims behaupteten, von ihrem Onkel aus dem Jenseits um die Veröffentlichung des Konzerts gebeten worden zu sein, kam die unter Verschluss gehaltene Partitur ans Licht. Isabelle Faust, eine der sensibelsten und meistbeachteten Violinsolistinnen derzeit, setzt sich seit vielen Jahren unermüdlich für das Werk ein.

 

Aufgrund der andauernden restriktiven Quarantäne-Bestimmungen in Japan kann Chefdirigent Yutaka Sado dieses Konzertprogramm leider nicht leiten. Dankenswerterweise erklärte sich Eugene Tzigane bereit, das Dirigat zu übernehmen. Die Aufführungen der ursprünglich vorgesehenen siebten Symphonie von Anton Bruckner mit Yutaka Sado werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt.

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Joseph Joachim

«Hamlet» Ouvertüre op. 4

Sätze

  • Moderato assai - Allegro agitato

Dauer

17 Min.

Entstehung

1853

«Wir haben Herrn Joachim vor Kurzem ein außergewöhnliches Compositionstalent zugesprochen und wir bleiben auch nach der Aufführung seiner Ouverture zu Hamlet bei unserer Meinung. Neuheit und Eigenthümlichkeit der Gedanken hat sie durchaus. Allein was hilft es, wenn wir nach dem Anhören eines Tonstückes sagen können: das war sehr neu, sehr eigenthümlich, und hinzufügen müssen: aber durchaus unbegreiflich? Und durchaus unbegreiflich ist uns seine Ouverture geblieben. Wir haben eine sehr lange Reihe seltsamer Gedanken gehört, worunter welche wie leuchtende Blitze in düsterer Nacht kurz aufzuckten, aber wir vermochten sie weder als eine einheitliche Form zu fassen, noch irgend einen Bezug in ihnen auf Shakspeares Hamlet zu erkennen […]»

Wie ein kostbares Juwel aus einem anderen Zeitalter erscheint diese Besprechung in den «Signalen für die Musikalische Welt» vom März 1854 zu einer Aufführung der «Hamlet»-Ouvertüre op. 4 von Joseph Joachim im Leipziger Gewandhaus. Durchaus ähnlich waren viele Reaktionen schon zehn Monate zuvor bei einer öffentlichen Leseprobe des Werks durch die Widmungsträger – die Weimarer Hofkapelle – unter der Leitung von Franz Liszt. Freunde des Komponisten, darunter Albert Dietrich, äußerten sich durchaus zustimmend zum Werk, sodass hier ein Beispiel eines in seiner Entstehungszeit durchaus umstrittenen und in der Folge über Jahrzehnte nicht oder extrem eingeschränkt wahrgenommenen Stücks vorliegt.

Unter einer anderen Perspektive erscheint Joachims «Hamlet», wenn man in Betracht zieht, dass es sich um das Werk eines 22-Jährigen handelt: Das Komponieren spielte für den 1831 im damals ungarischen, heute burgenländischen Kittsee geborenen und 1907 in Berlin verstorbenen Künstler eine zweitrangige Rolle neben seiner Laufbahn als einer der bedeutendsten Geigenvirtuosen des 19. Jahrhunderts. Bei der Wahl des Stoffes als Grundlage zu einer Konzertouvertüre mag die persönliche Situation bedeutsam gewesen sein: ein junger Mann auf der Suche nach Sinn und Inhalten, das später oft zitierte Lebensmotto «FAE» für «frei, aber einsam» vor sich hertragend, das sogar auf der Partitur der Ouvertüre aufscheint. So mochte er also im Dänen-Prinzen in gewissem Maß durchaus ein Spiegelbild sehen. Franz Liszt nannte die Ouvertüre pointiert ein musikalisches Selbstporträt ihres Komponisten.

William Shakespeares Stoff war damals generell populär. Liszt selbst komponierte nur fünf Jahre später eine eigene symphonische Dichtung «Hamlet», und in den 1860er-Jahren schrieben Ambroise Thomas und Franco Faccio abendfüllende «Hamlet»-Opern. Joachim mochte vor allem ein Zitat aus der Rede des Polonius an seinen Sohn Laertes im ersten Akt im Innersten berühren: «To thine own self be true» – «Dir selbst bleibe treu».

Einblick in Joachims Motivation gibt ein Brief an den befreundeten Komponisten Woldemar Bargiel: «[...] Die Leute halten sich daran, daß Hamlet viel reflektirt. Dies Reflektiren ist ja aber nur die nothwendige Flucht vor der Unruhe, die sein Inneres beständig durchwühlt. Was ihn da hintreibt, der ewige mächtige Thatendrang, die tiefe Trauer darüber, daß diese herrliche Sehnsucht nach Verwirklichung des innersten Lebens an äußeren Verhältnissen, an geistig Nichtigem machtlos verbluten muß, hat wohl jedes Menschen Brust durchzogen, ist allgemein menschliches Gefühl, also auch musikalisch.»

Albert Dietrich schließlich formulierte seine Eindrücke über Joachim und das Werk in einem Schreiben an Bargiel so: «Seiner ganzen Erscheinung ist der Stempel höchster Künstlerschaft aufgeprägt. Meine Verehrung u. Begeisterung für ihn steigerte sich aber noch gewaltig, als ich die Hamletouverture kennen gelernt; das Werk hat mich tief ergriffen; das ganze Trauerspiel klingt auf das Frappanteste daraus hervor. Merkwürdig characteristisch ist das Hauptmotiv des Allegro – so unentschieden, mysteriös – wie Hamlet; von wunderbarer Wirkung das der ganzen Ouverture eigene Intervall der verminderten Terz etc.»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Christian Heindl

Robert Schumann

Konzert für Violine und Orchester d-Moll WoO 1

Sätze

  • In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo

  • Langsam -

  • Lebhaft, doch nicht schnell

Dauer

30 Min.

Entstehung

1853

Robert Schumanns gewiss außergewöhnliche Begabung für das Klavier ist nicht ganz unschuldig daran, dass große Teile seines Schaffens erst mit merklicher Verspätung Eingang in den Kanon finden konnten. Schumann, einer der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts, habe, so musste Egon Voss noch 1987 feststellen, «ein umfangreiches Œuvre für Orchester hinterlassen, ohne doch als Orchesterkomponist entsprechend bekannt und anerkannt zu sein. Er schrieb mehr Symphonien, Ouvertüren und Konzerte als Johannes Brahms, ist im Musikrepertoire jedoch mit weniger Werken präsent als jener.» Zwei hartnäckige Vorurteile machte Voss damals für diesen Mißstand verantwortlich: «Zum einen möchte man in Schumann nichts als den genialen Klavierkomponisten sehen, den versponnenen Träumer, dem die mehr extrovertierte Orchestermusik angeblich wesensfremd ist (die Schumann-Literatur hat diesem Bild lange Zeit das Wort geredet.)» Diese Voreingenommenheit mag auch damit zusammenhängen, dass Schumann ursprünglich Pianist werden wollte, womit sich die Kompositionen jenseits seines gleichsam angestammten Instruments leicht als zu hoch gegriffen abtun ließen. «Zum anderen», so Voss weiter, «– und dieses Vorurteil hängt mit dem ersten unmittelbar zusammen – hat man Schumann von jeher vorgeworfen, schlecht instrumentiert zu haben.» Seither haben sich die Zeiten doch gewandelt: Waren einst unbekümmert Eingriffe in Schumanns Orchestrierung gang und gäbe, durch welche die Probleme auf andere Weise eher verschärft denn gelöst wurden, hat sich mittlerweile, befördert durch Erkenntnisse aus der historischen Aufführungspraxis, herausgestellt, dass für viele einst als zu dick und massiv erachtete Stellen der veränderte Klangcharakter des modernen Instrumentariums verantwortlich ist. Mit schlanker Tongebung und klarer Artikulation kann freilich auch mit Instrumenten der Gegenwart die von Schumann intendierte Transparenz erreicht werden.

Die wechselvolle Geschichte von Schumanns Violinkonzert, einem wertvollen, lange mißverstandenen Beitrag zur romantischen Konzertliteratur, wirkt stellenweise wie ein Groschenroman und gehört zweifellos «zum Bizarrsten, was die Musikhistorie aufzuweisen hat» (Bernhard R. Appel). Die Begegnung mit dem großen Geiger Joseph Joachim, der später auch das Violinkonzert von Brahms anregen sollte, hatte 1853 in Schumann ältere Pläne reifen lassen; nach einer Phantasie für Violine und Orchester op. 131 entstand das Violinkonzert d-moll in der kurzen Zeit zwischen 21. September und 3. Oktober. Das Düsseldorfer Konzertkomitee wünschte sich jedoch zuerst die Phantasie, nicht das Konzert als Uraufführung, wie Joseph Joachim und Schumann eigentlich beabsichtigt hatten. Es kam nur noch zu einer nicht öffentlichen Probeaufführung im Jänner 1854 in Hannover, bevor Schumann im Februar seinen Selbstmordversuch unternahm und in die Anstalt eingeliefert wurde – eine auch für das Violinkonzert fatale Wendung. Denn nun wurden Joachim und Clara Schumann unsicher, ob ihre zunächst hohe Wertschätzung des Werks gerechtfertigt sei und glaubten zunehmend, in ihm Zeichen des geistigen Verfalls entdecken zu können. Das Werk blieb unter Verschluß – bis 1933 zwei Nichten Joachims behaupteten, in spiritistischen Sitzungen von ihrem verstorbenen Onkel und dem toten Schumann selbst um Veröffentlichung des Violinkonzerts gebeten worden zu sein. Die Preußische Staatsbibliothek, nach Joachims Tod im Besitz des Autographs, setzte sich über den Willen der noch lebenden jüngsten Schumann-Tochter hinweg und gab das Werk zum Druck frei. Die nationalsozialistische Kulturpolitik aber wusste eine Uraufführung durch den besonders begeisterten Yehudi Menuhin zu verhindern: 1937 hoben Georg Kulenkampff und die Berliner Philharmoniker unter Karl Böhm das Konzert aus der Taufe. Menuhin zog 1938 in den USA nach – mit dem Unterschied, dass er sich an das Original hielt, während Kulenkampff stillschweigend eine virtuose, Schumanns Partitur verfälschende Bearbeitung spielte, die von Paul Hindemith stammte (weshalb diese wesentliche In-formation in Nazideutschland einfach unterdrückt wurde, da Hindemith kulturpolitisch verfemt war). Erst in jüngerer Zeit findet das Werk in seiner originalen Gestalt breitere Beachtung.

Thematisch-motivische Reminiszenzen und eine Überleitung vom langsamen Satz ins Finale betonen die innere Ge-schlossenheit des Konzerts. Das Hauptthema des Stirnsatzes (In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo) «klingt wie der Beginn einer ungeschriebenen Symphonie Bruckners» (Dietmar Holland), scheint aber auch barockisierende Strenge à la Brahms vorwegzunehmen und wird von einem liedhaft-lyrischen Seitenthema ausbalanciert. Pathos und Reflexion dominieren hier, beides freilich auf kammermusikalischer Basis, die den Solisten hervortreten läßt, ohne bei allen technischen Herausforderungen ihm je äußere Virtuosität abzuverlangen. Vom Ausdruck her überaus intensive, in der Faktur aber zarte Sanglichkeit prägt den zweiten Satz (Langsam), «Soloinstrument, Streichersatz und solistisch eingesetzte Bläser sind kontrapunktisch und durch rhythmische Verschiebungen aufs feinste miteinander verwoben» (Appel). Überraschend leutselig gibt sich daraufhin das nach nur vier Überleitungstakten ausbrechende Finale (Lebhaft, doch nicht schnell), ein Sonatenrondo, das mit seinem rustikal-schmissigen Polonaisen-Thema, reizvollen Couplets und kapriziösen Girlanden der Solovioline den heiteren Kehraus bildet.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

Albert Dietrich

Symphonie d-Moll op. 20

Sätze

  • Allegro

  • Andante con molto di moto, quasi Allegretto

  • Scherzo. Allegro energico - Trio I - Trio II. Un poco tranquillo

  • Finale. Allegro

Dauer

45 Min.

Entstehung

1853-54 (rev. 1868-69)

Die drei Buchstaben «FAE» («frei, aber einsam»), das Lebensmotto des damals gerade einmal 22-jährigen Geigers und Komponisten Joseph Joachim, sorgten dafür, dass Albert Dietrich zumindest ein kleines bisschen bekannt blieb. 1853 komponierten die drei Freunde Dietrich, Robert Schumann und Johannes Brahms in Erwartung des Eintreffens Joachims in Düsseldorf eine Violinsonate – Dietrich den Kopfsatz, Schumann den zweiten und vierten sowie Brahms das Scherzo. Mit den drei Anfangsbuchstaben des Mottos hatten sie eine dankbare, in Töne umsetz- und vielfältig abwandelbare Notenfolge, die sämtliche Sätze durchzieht.

Was ein höchst bemerkenswertes Geschenk unter Kollegen darstellte, bildete für Dietrich, wie sich während der vergangenen 170 Jahre herausstellen sollte, die Festschreibung in der Musikgeschichte. Derart neben zwei der größten Namen der deutschen Romantik eingebettet, war ihm weitaus mehr die Unsterblichkeit garantiert als durch jedes andere seiner Werke.

Am 28. August 1829 in der Nähe des sächsischen Meißen geboren, erhielt Dietrich seine Ausbildung zunächst an der renommierten Kreuzschule in Dresden und anschließend bei Ignaz Moscheles und Julius Rietz in Leipzig. In Düsseldorf hatte er von 1851 bis 1854 einen freundschaftlichen Austausch über seine Arbeiten mit Robert Schumann. Nach längerer Dirigententätigkeit in Bonn wurde schließlich Oldenburg gewissermaßen zu Dietrichs «Schicksalsstadt». Von 1861 bis 1890 war er in der Hauptstadt des gleichnamigen damaligen Großherzogtums Hofkapellmeister, wurde vom Adel und einem musikliebenden Bürgertum geschätzt und ist bis heute ebendort als historische Größe anerkannt; freilich fast nur dort. Zu klein waren Wirkungskreis und Ausstrahlung, als dass es zu einer breiteren Wahrnehmung seiner Arbeit gekommen wäre. Immerhin wurden ihm rund um seine krankheitsbedingt relativ frühe Pensionierung in Oldenburg und Übersiedlung nach Berlin 1890 die Ehren der Ernennung zum Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Künste und zum Königlichen Professor zuteil; neue Aufmerksamkeit für seine Musik brachte dies freilich nicht wirklich. Albert Dietrich starb am 20. November 1908 in Berlin.

Abgesehen vom genannten Sonatensatz blieb Dietrich mit seinen Kompositionen eine regionale Größe. Daran konnte auch nichts ändern, dass er etwa den Engländern mit «Robin Hood» 1876 geradezu eine Nationaloper vorkomponierte, die freilich dort bis heute nicht gespielt worden sein dürfte, immerhin aber in Frankfurt am Main zur Uraufführung gelangte. Mit wenigen Ausnahmen blieben seine größeren Werke außerhalb Deutschlands unbekannt. Erwähnt sei, dass sein virtuoses Violinkonzert nach der Oldenburger Premiere 1874 auf Betreiben von Brahms noch im selben Jahr auch in Wien gespielt wurde. Und auch die heute gespielte Symphonie erklang mehrmals öffentlich, darunter in Breslau und Rotterdam. Mehr Erfolg als das symphonische OEuvre und das Bühnenschaffen hatten die Chorsätze und vor allem eine Reihe von Sololiedern, die auch heute gelegentlich in Rezitalprogrammen zu finden sind.

Bei der Symphonie d-Moll op. 20 handelt es sich um Dietrichs bereits zweites Werk dieser Gattung, obwohl sie in der Regel ohne Nummerierung als einziges genannt wird. Schon rund 15 Jahre vor deren Entstehung hatte er 1854 offenbar beachtlichen Erfolg mit der Uraufführung einer Symphonie im Leipziger Gewandhaus, die dennoch keine Verbreitung fand und als verschollen gilt. Im Vergleich dazu war dem d-Moll-Schwesterwerk mehr Glück beschieden, da sie im zeitlichen Umfeld nach ihrer Oldenburger Uraufführung 1869 doch mehrfach nachgespielt wurde, erst in den folgenden Jahrzehnten in Vergessenheit geriet und heute gelegentlich wieder als interessantes Zeugnis ihrer Entstehungszeit aufgegriffen wird.

Wollte man anhand dieser Symphonie verorten, ob Dietrich stilistisch eher bei Schumann oder bei Brahms anzusiedeln ist, wird man wohl über weite Strecken zu Ersterem tendieren. Ganz im groß ausholenden Schumann-Stil hebt der Kopfsatz, Allegro, an. Typisch ist die Gegenüberstellung des prägnanten, kraftvollen «männlichen» Sturm- und Drang-Themas mit dem sanfteren «weiblichen» Thema, wie sie Schumann als Symbole für sich und seine Frau Clara prägte und vielen seiner Werke zugrunde legte. Mehr noch als die sorgfältige thematische Arbeit überzeugt hier Dietrichs Instrumentationstechnik, die zwar keine allzu überraschenden Momente aufweist, mit der er aber gekonnt Wirkung und Kontraste setzt.

Allen Ansprüchen eines langsamen Satzes der Hochromantik entspricht das Andante con molto di moto. Gesanglichkeit, lyrische Verläufe, spontane Wechsel zwischen Licht und Dunkel – ein in Töne gegossenes Gemälde, das sich jeder individuell vor dem geistigen Auge formen mag. Von Beginn an fällt die exponierte Rolle des Horns auf, die auch in den anderen Sätzen noch zu hören sein wird, was über der Symphonie bei außermusikalischer Deutung die Schattierungen eines Jagdbildes erstehen lassen mag.

Einen nächtlichen Ritt oder eben auch eine Jagdszene scheint das Scherzo, Allegro energico, darzustellen. Gewicht erhält dieser Satz nicht zuletzt durch die Einbettung von gleich zwei Trios, deren erstes von einem kurzen markanten Hornruf eingeleitet wird. Es lädt kaum zum Ausruhen ein, sondern ermöglicht eher eine kurze Sammlung der Energien vor dem Weitereilen. Das Dramatische von Schumann vermengt sich mit dem Geisterhaften von Mendelssohn, was Dietrich sozusagen als Musterschüler dieser beiden Vorgänger ausweist. Nach kurzem Anklingen des Scherzo-Teils setzt das thematisch dem ersten Trio verwandte zweite Trio in all seiner Lieblichkeit ein und führt doch zugleich sanft drängend den Fluss in die abschließende Scherzo-Wiederholung.

Die nächtliche Jagd scheint damit zu Ende: Über sanftem Paukenwirbel setzt das Finale, Allegro, mit den aus der Ferne erklingenden Hörnern ein – sie geben das Signal für den Einsatz des nunmehr nach Dur gewendeten Eröffnungsthemas des ersten Satzes, das fröhlich fugiert Festtagsstimmung verbreitet. Erneut kommt Dietrich vielleicht Schumann besonders nahe und wird ihm sowohl in der Erfindung als auch in der technischen Kunstfertigkeit am ebenbürtigsten. Mit einer fulminant jubelnden Coda schließt das Werk.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Christian Heindl