Archiv: Symphonie fantastique

St. Pölten Festspielhaus Großer Saal Festspielhaus | Großer Saal

Interpreten

  • Simon Trpceski, Klavier
  • Fabien Gabel, Dirigent

Programm

Hier die Ouvertüre zu einer federleichten Liebeskomödie, die Hollywood alle Ehre machen würde, dort das Protokoll einer tragischen «Amour fou» in symphonischer Form, die ihr Ende in einem halluzinierten Hexensabbat findet: Kaum jemand hat in der Musik die Extreme der romantischen Palette so impulsiv und atemberaubend ausgeschöpft wie Hector Berlioz. Fabien Gabel, ein Landsmann des Komponisten und Chef des Orchestre symphonique de Québec, kehrt zu den Tonkünstlern zurück und erarbeitet mit dem Pianisten Simon Trpčeski auch Franz Liszts lyrisch-dramatisches A-Dur-Klavierkonzert: ein Feuerwerk der Klangfarben!

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Hector Berlioz

Ouvertüre zur Oper «Beatrice et Benedict»

Dauer

8 Min.

«Ich will eine leichte italienische Oper nach Shakespeares Komödie ‹Viel Lärm um nichts› schreiben», kündigte Hector Berlioz 1833 an. Aber bis aus dem Vorsatz ein Vorhaben wurde, sollten bald 30 Jahre ins Land gehen, und erst ein Auftrag aus dem mondänen Kurort Baden-Baden brachte dem frühen Traum die späte Erfüllung. Auf Initiative des Spielbankdirektors (der allerdings lieber eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg auf der Bühne gesehen hätte) schuf Berlioz zur Eröffnung des Neuen Theaters seine Opéra-comique «Béatrice et Bénédict», frei nach Shakespeare und in französischer Sprache. «Ich habe nur die Grundidee übernommen, alles Übrige ist meine Erfindung», berichtete Berlioz, der als Librettist und Komponist in einer Person fungierte, in einem Brief an seinen Sohn. «Es handelt sich ganz einfach darum, Béatrice und Bénédict (die sich gegenseitig nicht leiden können) zu überzeugen, dass sie ineinander verliebt sind, und ihnen wirkliche Liebe füreinander einzuflößen. Das macht sich wirklich recht komisch. Du wirst es sehen.»«Ich will eine leichte italienische Oper nach Shakespeares Komödie 'Viel Lärm um nichts' schreiben», kündigte Hector Berlioz 1833 an. Aber bis aus dem Vorsatz ein Vorhaben wurde, sollten bald 30 Jahre ins Land gehen, und erst ein Auftrag aus dem mondänen Kurort Baden-Baden brachte dem frühen Traum die späte Erfüllung. Auf Initiative des Spielbankdirektors (der allerdings lieber eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg auf der Bühne gesehen hätte) schuf Berlioz zur Eröffnung des Neuen Theaters seine Opéra-comique «Béatrice et Bénédict», frei nach Shakespeare und in französischer Sprache. «Ich habe nur die Grundidee übernommen, alles Übrige ist meine Erfindung», berichtete Berlioz, der als Librettist und Komponist in einer Person fungierte, in einem Brief an seinen Sohn. «Es handelt sich ganz einfach darum, Béatrice und Bénédict (die sich gegenseitig nicht leiden können) zu überzeugen, dass sie ineinander verliebt sind, und ihnen wirkliche Liebe füreinander einzuflößen. Das macht sich wirklich recht komisch. Du wirst es sehen.»

Berlioz hatte eine durchaus hohe Meinung von seiner letzten Oper. Er nannte «Béatrice et Bénédict» eines «der sprühendsten und originellsten» Werke, die er je geschaffen habe. «Es handelt sich um ein Capriccio, das mit der Nadelspitze geschrieben ist und eine außergewöhnliche Delikatesse der Aufführung erfordert.» Schon die Ouvertüre bezeugt und bestätigt Berlioz’ Selbsteinschätzung. Der übermütige Humor, der spielerisch angriffslustige Geist der Rededuelle zwischen Béatrice und Bénédict scheinen sich in der Musik widerzuspiegeln. Aber auch die tief empfundene Liebe, die weder Ironie noch Skepsis in Schach halten können, findet ihren reichen Ausdruck.

Hector Berlioz war ein verbitterter, schwerkranker, menschlich vereinsamter und in Paris (und nur Paris zählte für ihn!) künstlerisch isolierter Komponist, als er seine Oper schuf. «Ich bin allein; meine Verachtung für die Dummheit und Unredlichkeit der Menschen, mein Hass gegen ihre scheußlich verhärtete Grausamkeit sind auf ihrem Gipfelpunkt angelangt, und zu jeder Stunde sage ich zum Tod: ‹Wann es dir gefällt!› Worauf wartet er noch?»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Wolfgang Stähr

Franz Liszt

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 A-Dur

Sätze

  • Adagio sostenuto assai –

  • Allegro agitato assai –

  • Allegro moderato –

  • Allegro deciso –

  • Marziale, un poco meno allegro –

  • Allegro animato

Dauer

7 Min.

Entstehung

1857

«In diesem Hause wurde Franz Liszt geboren. Diese Gedenktafel weiht dem deutschen Meister das deutsche Volk», steht in reichlich indezenter Vereinnahmung über dem Eingang eines Häuschens im burgenländischen Marktflecken Raiding (850 Einwohner). Der ungarische Schriftzug gibt sich da bedeutend nüchterner: «Itt született Liszt Ferenc 1811». Doborján heißt Raiding auf Ungarisch, eine Sprache, von der Liszt zeitlebens nur ein paar Brocken beherrschte. Er wurde auf Deutsch erzogen, um später freilich das internationale Französisch zu bevorzugen - und wollte sich doch selbst als echten Magyaren ansehen.

«Wie der Seemann seine Fregatte, wie der Araber sein Pferd», so notwendig brauche der Virtuose sein Klavier, schrieb Liszt einmal. Sein früh ausgeprägtes Virtuosentum, angefeuert noch durch das Erlebnis des «Teufelsgeigers» Niccolo Paganini, dem er es auf dem Klavier gleichtun wollte, machte in ganz Europa Furore – und verschaffte ihm Zugang zu den vornehmsten Salons und Zirkeln. Er verkehrte mit Berlioz, Chopin, Rossini, Bellini und Mendelssohn, mit Hugo, Balzac und Heine, um nur einige zu nennen, war dadurch angespornt, die Lücken seiner mangelhaften Schulbildung (nur wenige Klassen Volksschule in Raiding, bevor das anstrengende Wunderkinddasein begann) durch ausgiebige Lektüre zu stopfen und wurde gleichsam auf dem zweiten Bildungsweg zu einem in Kunst und Literatur außergewöhnlich bewanderten Mann.

«Ein breiter, einfacher Gesang; lange klingende und streng gebundene Töne; sodann ganze, in gewissen Fällen mit äußerster Heftigkeit und doch ohne Härte, und ohne an harmonischem Glanz einzubüßen, nur so hingeworfene Notenbüschel; ferner Melodienreihen in kleinen Terzen, diatonische Läufe in der Tiefe und in den Mittellagen des Instruments mit unglaublicher Schnelligkeit staccato ausgeführt …» Es bedurfte des unbestechlichen Ohres eines Komponisten wie Hector Berlioz, das umwälzende Phänomen der Klaviertechnik Franz Liszts darzustellen, wo doch sonst meist nur das Phänomen Liszt an sich beschrieben wurde: der dämonische Virtuose, ein «Paganini des Klaviers», der mit wallender Mähne in die Tasten donnert oder sie zärtlich streichelt – und die Damen dadurch reihenweise in Ohnmachten schickt. «Ich bin die große Mode», stöhnte er einmal in einem Brief an Gräfin Marie d’Agoult auf, später einige Jahre lang seine Lebensgefährtin – und Mutter seiner drei Kinder, darunter der jüngeren Tochter Cosima, die ihrerseits zunächst den Dirigenten Hans von Bülow und schließlich Richard Wagner heiraten sollte. «Mein Leben ist fabelhaft eintönig; ich werde von aller Welt geschmeichelt und umfeiert.» Aber er war entschlossen, «das Studium und die Entwicklung des Klavierspiels erst aufzugeben, wenn ich alles getan haben werde, was nur irgend möglich ist.»

1848 war es dann so weit, auch durch äußere (und für Liszt unangenehme finanzielle) Umstände des Revolutionsjahres bedingt: Er gab sein Wanderdasein als Virtuose auf, trat von nun an kaum mehr öffentlich als Pianist in Erscheinung, sondern widmete sich ganz der bereits früher angenommenen Kapellmeisterstelle in Weimar. Als Komponist schuf er nun vor allem programmatische Orchesterwerke und gab älteren Stücken den letzten Schliff. Dennoch ist er, abgesehen von seinem Klavierwerk, heute gerade einmal als Schöpfer einer neuen Gattung, nämlich der «Symphonischen Dichtung», präsent – und dies mehr in den Musikgeschichtsbüchern als in den Konzertsälen. Denn so groß der Ruhm ist, den er als der zentrale Pianist der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts anhäufen konnte, so schwer sollte er es im 20. Jahrhundert und bis heute haben, als innovativer Komponist ernst genommen und anerkannt zu werden: Immer noch hält sich das Vorurteil, die (wenn auch effektvoll dargebotene) Überwindung technischer Schwierigkeiten stünde unweigerlich im Widerspruch zum musikalischen Gehalt. Dabei haben etwa große Komponisten der Moderne wie Béla Bartók und Arnold Schönberg Liszts zukunftsweisendes Schaffen gewürdigt, das in seinem Spätwerk ab 1880 gar in der Atonalität ankommen sollte; und jedem äußerlichen Showeffekt gründlich abholde Pianisten wie etwa Claudio Arrau wussten auf imponierende Weise für seine Musik zu plädieren.

Das Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur geht in seinen Entwürfen bis auf das Jahr 1839 zurück, in dem Liszt auch das als Nummer 1 veröffentlichte Es-Dur-Konzert konzipiert hat. In beiden Fällen schloss sich jedoch eine komplexe Entstehungsgeschichte mit mehreren Umarbeitungen an, bis das A-Dur-Konzert in seiner endgültigen und heute zu hörenden Fassung am 7. Jänner 1857 im Hoftheater zu Weimar uraufgeführt werden konnte. Hatte Liszt zwei Jahre zuvor bei der Premiere des Es-Dur-Konzerts den Solopart noch selbst übernommen (die Leitung hatte kein Geringerer als Hector Berlioz inne), trat er beim Konzert in A-Dur nun selbst ans Dirigentenpult – ein deutliches Zeichen für die veränderte Rolle, die Liszt im Musikleben einnehmen wollte. Als Solist fungierte stattdessen sein Schüler Hans von Bronsart, der bei der Drucklegung 1863 auch die Widmung des Werkes empfangen sollte.

«Ich kann mit wenig Bausteinen ein musikalisches Gebäude errichten», erläuterte Liszt einmal seine Kompositionsweise. «Andere benötigen dazu das Tausendfache an Material. Ich sage, daß es in der Zukunft wenig Baustoffe geben wird und daß man ein guter Meister sein muß, um damit zurechtzukommen. Nicht in der Verschwendung liegt das Wesentliche, sondern in der Einschränkung auf das Wesentlichste. Eine Idee muß vorhanden sein, nicht eine Ballung an Pseudo-Ideen.» Das zweite Klavierkonzert basiert auf einer einzigen solchen «Idée fixe» (um einen Ausdruck von Hector Berlioz zu verwenden), die in den sechs, weiter untergliederten Abschnitten des ohne Pause ablaufenden Werkes, die Hauptrolle spielt und sich dabei enorm wandelt. «Keine starre Form ermöglicht dem Hörer Orientierung und Sicherheit. Vielmehr sieht er sich einer komplexen Konstruktion disparater Ausdruckscharaktere ausgesetzt, die er wie eine Wanderung durch das Auf und Ab einer Seelenlandschaft erlebt. […] Der Solist, das poetische Subjekt, durchlebt ein (nicht mitgeteiltes) Programm im Dialog mit seiner musikalischen Umwelt» (Helmut Rohm).

In verträumtem Klanggewand stellen die Holzbläser unter Führung der Klarinette das Thema gleich zu Beginn vor, worauf das Klavier mit ausdrucksvollen Arabesken hinzutritt. Doch das Geschehen wandelt sich bald zu pathetischem Ernst, der in eine Art Scherzo von mephistophelischer Bedrohlichkeit überleitet, bis sich das Klavier an die zarte Variante des Themas erinnert: Ein Mittelteil wie eine Nocturne schließt sich an, in dem das Solocello vom Solisten umspielt wird. Resolut fährt daraufhin das Orchester mit dem pathetischen Marsch dazwischen und steigert das Werk über mehrere Stufen und einen vom Klavier verursachten, innigen retardierenden Abschnitt zu einer glitzernden Coda, in der sich Solist und Orchester brillant vereinen.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Walter Weidringer

Hector Berlioz

«Symphonie fantastique. Épisode de la vie d'un artiste» op. 14

Sätze

  • Rêveries - Passions. Largo - Allegro agitato e appassionato assai

  • Un bal. Valse, Allegro non troppo

  • Scène aux Champs. Adagio

  • Marche au Supplice. Allegretto non troppo

  • Songe d'une Nuit du Sabbat. Larghetto - Allegro

Dauer

52 Min.

Entstehung

1830

Von Jänner bis April 1830, noch bevor Hector Berlioz mit «La mort de Sardanapale» endlich den begehrten Rom-Preis erringen sollte, schrieb er seine epochemachende «Symphonie fantastique»: Mit 27 Jahren, zu einer Zeit, als er noch um Anerkennung und die Möglichkeit rang, seine Studien zu vertiefen und fortzusetzen, schuf er das gewiss populärste Musikstück seiner kompletten Laufbahn. Die Idee zu diesem Werk trug er durchaus schon länger mit sich herum. So schrieb er im Juni 1829: «Noch bin ich unbekannt. Aber wenn ich eine kolossale Instrumentalkomposition fertig geschrieben habe, mit der ich jetzt beschäftigt bin, habe ich vor, nach London zu gehen, um sie dort aufzuführen.» – Warum aber ausgerechnet London? Wäre es nicht in Paris schon Herausforderung genug für einen jungen Komponisten, ein ebenso umfangreiches und forderndes Werk, wie es die «Symphonie fantastique» werden sollte, auf das Konzertpodium zu bringen?

Das damals nicht verwirklichte Vorhaben hatte persönliche Gründe: Hector Berlioz war der britischen Schauspielerin Harriet Smithson verfallen, die als Ophelia und Julia bei ihm ebenso großen Eindruck hinterlassen hatte wie Shakespeares Dramen, die in dieser Zeit Künstler wie Publikum auf dem Kontinent eroberten und auch in der deutschen Musik die wundersamsten Früchte zeitigte. Ohne sie persönlich zu kennen, steigerte sich Berlioz in eine regelrechte Passion infernale hinein, die ihm die Möglichkeit zu geben schien, der in die Heimat zurückgekehrten Künstlerin zu folgen und mit einem musikalischen Coup auf sich und seinen Rang aufmerksam zu machen. Gute acht Monate später, im Februar 1830, schreibt Berlioz: «Ich war dicht daran, meine große Symphonie anzufangen … Ich habe alles im Kopf, aber ich kann nichts niederschreiben … wir müssen abwarten.» Schon im Mai darauf aber machte der mit sich und dem entstehenden Werk ringende Hector Berlioz seinen ambivalenten Empfindungen dem adorierten Bühnenstar gegenüber Luft: «Sie ist nicht fähig, ein so unendlich tiefes und edles Gefühl, wie das, mit dem ich sie beehrte, zu fassen.» Und wenig später nennt er sie dann «elende Dirne».

Da hatte er sich freilich bereits in die junge Pianistin Camilla Moke verliebt, doch sollte die stürmische Beziehung zu ihr auf sehr unsanfte Weise enden. Dann geschah das schier Unglaubliche: Wieder in Paris, lernte er die Smithson tatsächlich kennen – und im folgenden Jahr schon wurde Hochzeit gefeiert! Die Ehe blieb jedoch unglücklich und endete nach elf Jahren in Trennung: Die Realität konnte mit dem imaginierten Ideal nicht konkurrieren. Es handelt sich bei der «Symphonie fantastique» denn auch weniger um das klingende Denkmal einer großen, wenn auch vielleicht fehlgeleiteten Liebe. Vielmehr ist es das mit einem gerüttelt Maß an Egozentrik geschaffene musikalische Abbild einer Episode aus dem Leben eines Künstlers: «Épisode de la vie d’un artiste». Damit einher gingen freilich eine «Revolution in der Instrumentalmusik und eine neue dramatische Entwicklung», wie der französische Musikkritiker Joseph d’Ortigue drei Jahre nach der Pariser Uraufführung
des wahrhaft unerhörten Werkes feststellte.

Denn mit der Kühnheit des Genies hatte Berlioz herkömmliche Gattungsgrenzen geleugnet und opernhafte Effekte wie Instrumente hinter der Bühne integriert. Ein Zusammenhang, der bereichert und gleichzeitig zum Bersten gebracht wird durch innovative Effekte wie das Col-legno-Spiel der Streicher, bei dem das Holz des Bogens über die Saiten streicht, oder sonst nur im Opernorchester beheimatete Instrumente wie exponierte Harfen, Englischhorn und Glocken sowie ein Arsenal an differenziert eingesetztem Schlagzeug, wobei sich die Paukenstimmen zu rhythmisch belebten Clustern verdichten, weiters gespenstisch heulende Glissandi und grell kreischende Einsätze der Bläser.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Dieser experimentelle Zugang zur Instrumentalmusik war ebenso verstörend, wie das beigegebene, allerdings in verschiedenen, im Einzelnen divergierenden Fassungen überlieferte «Programm», also die inhaltliche Erklärung und Rechtfertigung des Geschehens in schriftlicher Form, ungehörig, da es bisher in der symphonischen Musik nichts zu erklären und zu rechtfertigen gegeben hatte. Wies es doch ausdrücklich darauf hin, dass der Autor zumindest die surrealen Eindrücke der beiden letzten Sätze durch den Konsum von Opium, der Modedroge des 19. Jahrhunderts, erlangt habe. Die Halluzinationen des in alkoholischer Lösung euphemistisch «Laudanum» und bereits seit dem Mittelalter für ein Allheilmittel gehaltenen genannten Rauschgifts beschrieb Thomas de Quincey in seinen «Confessions of an English Opium-Eater» wohl nicht von ungefähr mit dem Hinweis auf künstlerische Zusammenhänge: «Hinter meiner Stirn schien plötzlich ein Theater erstanden und beleuchtet, in dem nächtliche Schauspiele von überirdischem Glanze stattfanden […]. Diese und alle anderen Veränderungen meiner Träume waren von abgründiger Angst und düsterer Schwermut begleitet, die sich mit Worten nicht schildern lassen. Nacht für Nacht schien ich – nicht metaphorisch, sondern buchstäblich – in Schlünde und sonnenlose Abgründe zu versinken, in Tiefen unter Tiefen, aus denen emporzusteigen es keine Hoffnung gab.»

Das oben erwähnte, von ihm selbst verfasste Programm, quasi eine Inhaltsangabe der Vorgänge in der Symphonie, erachtete Berlioz bei Aufführungen als unerlässliche Beigabe zum Verständnis des Werkes. Der Text wurde in seiner endgültigen Form in der 1845 von Maurice Schlesinger veröffentlichten Partitur abgedruckt und soll auch hier den Leitfaden durch das Werk bieten: «Vorbemerkung. Ziel des Komponisten war es, verschiedene Situationen aus dem Leben eines Künstlers zu schildern, soweit diese musikalisch darstellbar sind. Da dieses Instrumental-Drama durch keinen Worttext unterstützt wird, bedarf sein Plan einer vorherigen Erklärung. Das folgende Programm ist daher wie der gesprochene Text einer Oper zu betrachten, der in die einzelnen Sätze der Musik einführt und ihren Charakter und ihre Aussage erklärt.

Erster Satz: Rêveries – Passions (Träumereien – Leidenschaften). Der Komponist stellt sich vor, dass ein junger Musiker, der unter dem Einfluss jenes seelischen Leidens steht, das ein berühmter Schriftsteller als ‹le vague des passions› bezeichnet, zum ersten Mal eine Frau sieht, die in sich alle Reize des Idealwesens vereinigt, das er sich in seiner Vorstellung erträumt hat. Er verliebt sich unsterblich in sie. Eigentümlicherweise zeigt sich das geliebte Bild dem geistigen Auge des Künstlers nie, ohne mit einem musikalischen Gedanken verbunden zu sein, in welchem er einen gewissen leidenschaftlichen, aber noblen und schüchternen Charakter erkennt, wie er ihn auch dem geliebten Wesen zuschreibt. Dieses musikalische Bild und dessen Vorbild verfolgen ihn unaufhörlich wie eine doppelte idée fixe. Dies ist der Grund, warum das Anfangsmotiv des ersten Allegro in allen Sätzen der Symphonie wiedererscheint. Der Übergang aus dem Zustand melancholischen Träumens, unterbrochen durch einige Anwandlungen zielloser Freude, zu jenem einer verzückten Leidenschaft mit ihren Regungen von Zorn und Eifersucht, ihren Rückfällen in Zärtlichkeit, ihren Tränen, ihrem Streben nach religiösen Tröstungen – dies ist der Gegenstand des ersten Satzes.

Zweiter Satz: Un bal (Ein Ball). Der Künstler ist in die verschiedensten Lebensumstände versetzt: mitten in den Tumult eines Festes, in friedvolle Betrachtung der Naturschönheiten; aber überall, in der Stadt, auf dem Lande, erscheint das teure Bild vor seinem Auge und versetzt ihn in Unruhe.

Dritter Satz: Scène aux Champs (Szene auf dem Lande). Eines Abends auf dem Lande hört er in der Ferne zwei Hirten, die zusammen einen ‹ranz des vaches› (Kuhreigen) spielen; dieses ländliche Duo, der Ort des Geschehens, das leise Rauschen der sanft vom Wind bewegten Bäume, gelegentliche Anflüge neu aufkeimender Hoffnung – all dies bringt seinem Herzen ungewohnten Frieden und stimmt seine Gedanken freudiger. Er sinnt über seine Einsamkeit nach und hofft, bald nicht mehr allein zu sein … Doch wie, wenn sie ihn täuschte … Diese Mischung aus Hoffnung und Furcht, diese Gedanken von Glück, durch dunkle Vorahnungen gestört, bilden den Gegenstand des Adagios. Am Schluss wiederholt einer der Hirten den ‹ranz des vaches›; der andere antwortet nicht mehr ... fernes Donnergrollen … Einsamkeit … Stille …

Vierter Satz: Marche aux Supplice (Gang zum Richtplatz). In der sicheren Erkenntnis, dass seine Liebe missachtet werde, vergiftet sich der Künstler mit Opium. Die Dosis des Narkotikums ist zwar zu schwach, um ihm den Tod zu geben, versenkt ihn aber in einen von den schrecklichsten Visionen begleiteten Schlaf. Er träumt, er habe die Frau, die er liebte, getötet, er sei zum Tode verurteilt, werde zum Richtplatz geführt und helfe bei seiner eigenen Hinrichtung.

Der Zug nähert sich unter den Klängen eines bald düsteren und wilden, bald prächtigen und feierlichen Marsches, in dem das dumpfe Geräusch schwerer Marsch-Schritte ohne Übergang auf Ausbrüche von größter Lautstärke folgt. Am Ende des Marsches erscheinen die ersten vier Takte der idée fixe wieder wie ein letzter Gedanke an die Liebe, unterbrochen durch den tödlichen Schlag.

Fünfter Satz: Songe d’une Nuit du Sabbat (Traum einer Sabbatnacht). Er sieht sich beim Hexensabbat inmitten einer abscheulichen Schar von Geistern, Hexen und Ungeheuern aller Art, die sich zu seiner Totenfeier versammelt haben. Seltsame Geräusche, Stöhnen, schallendes Gelächter, ferne Schreie, auf die andere Schreie zu antworten scheinen. Das Motiv seiner Liebe erscheint noch einmal, doch es hat seinen noblen und schüchternen Charakter verloren; es ist nichts mehr als ein gemeines Tanzlied, trivial und grotesk; sie ist es, die zum Sabbat gekommen ist ... Freudengebrüll begrüßt ihre Ankunft ... Sie mischt sich unter das teuflische Treiben ... Totenglocken, burleske Parodie des Dies irae (Hymne, die bei den Trauerzeremonien der katholischen Kirche gesungen wird), Sabbat-Tanz. Der Sabbat-Tanz und das Dies irae erklingen zusammen.»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Markus Hennerfeind