Archiv: Weber & Bruckner

St. Pölten Festspielhaus Großer Saal Festspielhaus | Großer Saal

Interpreten

  • Sabine Meyer, Klarinette
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

 

Triumphal ist ihr Schluss in D-Dur – aber von mühevollen Transformationen geprägt war Anton Bruckners Ringen um die optimale Gestalt seiner Dritten. In der Richard Wagner gewidmeten, monumentalen Erstfassung noch mit Zitaten des verehrten Meisters gespickt, ist die Symphonie über 18 Jahre hin immer kompakter geworden: Die diesmal erklingende letzte Version von 1889 ist gewiss die zielstrebigste, stringenteste. Tonkünstler-Chefdirigent Yutaka Sado führt seine Bruckner-Interpretationen mit diesem fesselnden Schlüsselwerk fort und erfreut zuvor gemeinsam mit der großen Sabine Meyer in Carl Maria von Webers gesanglich-virtuosem f-Moll-Klarinettenkonzert.

 

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Carl Maria von Weber

Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 1 f-Moll op. 73

Sätze

  • Allegro

  • Adagio ma non troppo

  • Rondo. Allegretto

Dauer

23 Min.

Entstehung

1811

Carl Maria von Webers Werke für Klarinette sind, wie jene Wolfgang Amadeus Mozarts zuvor oder Johannes Brahms’ danach, der Begeis­terung für die Künste eines bestimmten Musikers zu danken. Während Mozart durch Anton Stadler und später Brahms durch Richard Mühlfeld den Reizen des sanftmütigen Rohrblattinstruments erlegen waren, inspirierte Weber der Münchner Klarinettist Heinrich Joseph Baermann zu einer ganzen Reihe von Kompositionen, darunter ein Quintett für Klarinette und Streichquartett, ein Concertino, einige weitere Kammermusikwerke – und nicht zuletzt zwei Konzerte für Klarinette und Orchester. Hinzu kommt, dass die beiden Freunde Weber und Baermann auch zusammen auf Konzertreisen ihre Künste pflegten.

Diese Tourneen dienten zur damaligen Zeit nicht allein der Vorstellung der eigenen Fähigkeiten oder der Anhäufung von Ruhm und Anerkennung. Ganz im Gegenteil mussten Musiker, ohne nach heutiger Manier ein großes Plattenlabel hinter sich zu wissen oder dank ausgeklügelter Werbemaschinerien quasi über Nacht berühmt werden zu können, in vielen, oft beschwerlichen Reisen durch die Lande selbst für ihr Weiterkommen sorgen und Proben ihres Könnens jeweils vor Ort ablegen. Weber reiste über Jahre durch die deutschen Städte und erwarb sich dabei auch einen Ruf, der sich spätestens mit der Komposition des «Freischütz» (Uraufführung: 1821) über ganz Europa ausbreitete. Zehn Jahre zuvor jedoch, 1811, hatte der aufstrebende Musiker und Komponist bereits einige Kapellmeisterstellen (in Breslau und am Hofe Eugen von Württembergs) hinter sich gelassen und pendelte als Pianist zwischen Leipzig, München, Berlin, Gotha sowie Weimar hin und her.

Das erste Werk für Baermann, das Concertino Es-Dur op. 26 (1811), führten Klarinettist und Komponist 1811 vor König Maximilian von Bayern (im Volke «König Max» genannt) auf. Dieser zeigte sich von Werk und Spiel derart beeindruckt, dass er Weber umgehend beauftragte, zwei Konzerte für die Klarinette zu verfassen. Weber ließ sich, laut Friedrich Wilhelm Jähns, einem Weber-Forscher der ersten Stunde (er erstellte u. a. das erste komplette Weber-Werkverzeichnis, das bis heute Gültigkeit hat), «durch die unvergleichliche Schönheit, Feinheit und Noblesse in der virtuosen Behandlung des Instruments durch seinen Freund Baermann» bei der Komposition der neuen Werke anregen. Knapp hintereinander entstanden so das heute gespielte Konzert f-moll op. 73 und das Konzert Es-Dur op. 74. Beide Werke brachten Baermann und Weber noch im selben Jahr zur Uraufführung. Im Druck erschienen sie jedoch erst später – und zwar im Jahr 1822, als Webers Werke durch den überwältigenden Erfolg seines im Jahr zuvor uraufgeführten «Freischütz» plötzlich stark an Nachfrage gewonnen hatten. Doch war der Erfolg des «Freischütz» gewiss nicht der einzige Grund für die Verzögerung der Drucklegung der beiden Konzerte: Die Klarinette war damals noch ein relativ junges Konzertinstrument – erst im Laufe des späten 18. Jahrhunderts etablierten die Tonschöpfer das edle Instrument im Orchester und teilten ihm erst langsam, sicher auch angeregt durch Werke wie Mozarts Klarinettenkonzert u. a. Stücke, immer mehr Aufgaben auch solistischer Natur zu.

Das Klarinettenkonzert f-moll op. 73 erkundet, genau wie sein Schwesterwerk, den ganzen Tonumfang des Soloinstruments, teilt ihm dabei ausdrucksvolle Kantilenen ebenso zu, wie fulminante Läufe und Verzierungen – die Nähe zur virtuosen Oper ist unüberhörbar, zumal gleich viele Elemente des ersten Satzes (Allegro) an eine Gesangsszene erinnern. Das von Celli und Kontrabässen unter pochenden Achteln der übrigen Streicher vorgestellte Hauptthema, eine Zerlegung des f-moll-Dreiklangs mit charakteristischer Punktierung und schmerzlichem Sekundvorhalt, wirkt schroff und streng. Die knappen Triller, die sich gleich darauf in den zweiten Violinen als vorantreibendes Element anfügen, scheinen gemeinsam mit der allgemein düsteren Stimmung beinahe die Wolfsschluchtszene aus dem «Freischütz» vorwegnehmen zu wollen. Nach der Tutti-Wiederholung des Hauptthemas wird die Bühne frei für die Solostimme: «Con duolo», mit Schmerz also, ergeht sie sich in einer innigen Melodie, die bald darauf mit den Motiven des Hauptthemas in Wechselrede tritt. Das setzt sich in der dramatischen Durchführung fort und erfährt noch eine Steigerung durch den Widerstreit von feuriger Brillanz mit ausdrucksvollem Singen, welchen die Klarinette zum Ausdruck bringt. Nach einer groß angelegten Wiederkehr des Hauptthemas findet der Satz, der übrigens ohne eine Solokadenz auskommt, überraschend früh sein sanft verdämmerndes Ende. Die Idylle des «Freischütz», noch dazu in der selben Tonart C-Dur, scheint auch der zweite Satz (Adagio, ma non troppo) zu atmen, in der über sanft wiegender Streicherbegleitung die Klarinette ein weiträumiges, edles Thema anstimmt. Doch auch hier erweist sich der selbstvergessene Frieden als trügerisch: Ein herber Mittelteil in c-moll mit erregten Figuren des Soloinstruments bricht herein – und wird doch rasch vom romantischen Zauberklang der drei Hörner vertrieben, die nach dem kurzen Sturm nun eine ruhevolle C-Dur-Kantilene strömen lassen, zu welcher die Klarinette als vierte im Bunde tritt. Damit ist der Weg frei in eine knappe Wiederkehr des idyllischen Anfangsthemas, wobei die Klarinette nun auch von den Hörnern begleitet wird. Ausgelassenen Humor verbreitet schließlich das Rondo-Finale (Allegretto) mit seinem kecken Hauptthema, das immer wieder eulenspiegelhaft grinsend um die Ecke lugt in diesem Satz voll zündender Virtuosität.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

Anton Bruckner

Symphonie Nr. 3 d-Moll (Dritte Fassung von 1889)

Sätze

  • Mehr langsam, misterioso

  • Adagio, bewegt, quasi Andante

  • Scherzo. Ziemlich schnell - Trio

  • Finale. Allegro

Dauer

59 Min.

Anton Bruckner spazierte 1891 auf der Wiener Ringstraße, als er beim Sühnhaus am Schottenring vorüberkam. Dort lag der Wiener Ringstraßen-Architekt und Dombaumeister Friedrich von Schmidt aufgebahrt, aus einem Haus in der Nachbarschaft klang Tanzmusik. «Hier großer Ball – daneben liegt der Meister auf der Totenbahre! So ist’s im Leben, und das habe ich im letzten Satz meiner dritten Sinfonie schildern wollen», wird Bruckner zitiert. «Die Polka bedeutet den Humor und Frohsinn der Welt – der Choral das Traurige, Schmerzliche in ihr.»

Zwei Leitmotive des Lebens und der Musik Bruckners sind in dieser Episode zusammengefasst. Schon als Landlehrersohn, der musikalische Aufgaben des Vaters im Dorf Ansfelden nahe Linz übernahm, lagen für Anton Bruckner Choral und Polka eng beieinander. Sonntag Früh saß er als Aushilfsorganist in der Messe an der Orgel, am Nachmittag spielte er am Tanzboden als Geiger auf. Als Lehrer und schließlich als Stiftsorganist in St. Florian blieben auch in den prägenden Jahren des jungen Mannes weltliches und kirchliches Leben verbunden, ebenso in den darauffolgenden Jahren als Linzer Domorganist und Leiter der Liedertafel «Frohsinn». Volksmusikalische Verwurzelung und gläubige Ehrfurcht sprachen fürderhin aus allen seinen großen Kompositionen. Das individuelle Lebensumfeld wuchs in übertragener Form zum universellen symphonischen Kosmos. Intuitiv entwickelte Bruckner aus seinen Lebenserfahrungen seine musikalischen Konzeptionen. In der Musik weiteten sich Horizont und Aussagekraft enorm.

«Wagner Sinfonie No. 3 Dmoll» steht auf dem Titelblatt der autographen Partitur Anton Bruckners von seiner zweiten Fassung dieses Werkes und dann noch einmal über der ersten Seite des ersten Satzes. Für den Komponisten blieb die Symphonie Nr. 3 auch immer untrennbar mit dem von ihm «hochverehrten Meister» aus Bayreuth verbunden. Die Bezeichnung als «Wagner Sinfonie» liegt freilich vor allem in äußeren Umständen begründet. In rein kompositorischer Hinsicht bleiben die Bezüge eher oberflächlich. Denn bei aller Bewunderung für den um elf Jahre älteren Komponisten lag es nie in Bruckners Absicht, Wagner nachzueifern und Wagners Musik nachzuahmen. Wagner löste für Bruckner vieles aus und blieb dann in der zweiten Hälfte seines Lebens ein Idol. Bruckner war 38 Jahre alt, als er mit Wagners Musik in Berührung kam. Ihr Erlebnis wurde für den Linzer Domorganisten zu einer Initiation. Von seinem damaligen Kompositionslehrer Otto Kitzler, dem um zehn Jahre jüngeren Theaterkapellmeister in Linz, war Bruckner, der bis dahin vorrangig Kirchenmusikwerke komponiert hatte, an die Musik Mendelssohns, Schumanns, Berlioz’ und vor allem Wagners herangeführt worden. Die harmonische und klangliche Welt Wagners wirkte einschneidend auf Bruckner. Er fühlte sich dadurch offenbar selbst befreit von kompositorischen Konventionen, was keineswegs gleich bedeutend ist mit Missachtung der musikalischen Harmonie- und Satzlehre. Bruckner hatte eine geradezu profunde, mehrjährige Studienzeit bei dem renommierten Wiener Kompositionslehrer und Musiktheore-tiker Simon Sechter hinter sich. Generalbass, Kontrapunkt, strenger Choralsatz, Kanon und Fuge – das Studierte blieb für Bruckner stets Fundament seines Komponierens.

Aber auf dieser Basis konnte er sich aufmachen zu neuen musikalischen Zielen. Wagners Musik weckte ein ungeahntes kompositorisches Potential in Bruckner. Seinen Mut, es auch auszuleben und umzusetzen, stärkten musikalische Erlebnisse in jenen Jahren des Aufbruchs: «Tannhäuser», den Kitzler in Linz einstudierte, «Tristan und Isolde» bei einer Aufführung in München oder auch Berlioz’ «Le damnation de Faust» unter der Leitung des Komponisten in Wien. Aus dem Unterricht bei Kitzler nahm Bruckner wichtige Erkenntnisse der Instrumentierung und Formenlehre mit. Er komponierte die Messen in d-moll und f-moll, in denen er bereits souverän ein Symphonieorchester einsetzte und schon große formale Abläufe schuf. Nach einer Studiensymphonie in f-moll, die vom Erlebnis Wagner noch nichts verrät, entstanden die ersten durch und durch originellen, in ihrer Gestik, Sprache und ihrem Aufbau unverwechselbaren Symphonien: die erste in c-moll und eine in d-moll, die Bruckner später für «ungiltig» erklärte und annullierte, damit auf das Urteil eines Musikerkollegen reagierend, der im ersten Abschnitt des Werkes «das Thema» vermisste. An solche Urteile musste sich Bruckner gewöhnen. Sein Leben lang reagierte er empfindlich auf Kritik, die oft gut gemeint war. Gleichzeitig ließ er sich, wiederum der obrigkeitshörigen Seite seines Wesens gehorchend, immer wieder zu Überarbeitungen oder «Verbesserungen», wie er selbst es nannte, von einigen seiner Symphonien bewegen. Auf diese Weise entstanden unterschiedliche Fassungen, im Falle der 3. Symphonie nicht weniger als drei.

Gleichzeitig dokumentiert diese komplizierte Genesis das große – und großartig eingelöste – künstlerische Vorhaben Bruckners, die Symphonie in der Nachfolge Beethovens, Schuberts, Mendelssohns und Schumanns mit neuen Impulsen zu versehen und ihr Tore in neue musikalische Welten zu öffnen. 1871/72 komponierte er eine weitere Symphonie in c-moll, die als Nr. 2 gereiht wurde, und 1873 eine neue Symphonie in d-moll, als Nr. 3 bezeichnet (auch wenn es schon die fünfte von Bruckners Symphonien war). Große Erfolge gingen der Dritten voraus: Bei Konzertreisen nach Paris, Nancy und London wurde Bruckner als einer der bedeutendsten Organisten des Jahrhunderts gefeiert, er beeindruckte mit seinen Orgel-Improvisationen Musikergrößen wie César Franck, Camille Saint-Saëns und Charles Gounod und mit seiner in Wien recht erfolgreich uraufgeführten zweiten Symphonie Franz Liszt.

Mit der zweiten und noch nicht ganz fertig instrumentierten dritten Symphonie reiste Bruckner im September 1873 nach Bayreuth, um Richard Wagner persönlich die Widmung einer der beiden Symphonien anzutragen. Acht Jahre davor hatte er den «Meister» beim Besuch einer «Tristan»-Vorstellung in München persönlich kennen gelernt und 1868 von Wagner die Zustimmung zur konzertanten Uraufführung der Schlussszene der Oper «Die Meistersinger von Nürnberg» in einem Konzert der Linzer Liedertafel «Frohsinn» unter seiner Leitung erhalten. Aber nun kam es zu einem Zusammentreffen in privatem Rahmen. An einem Septembertag zur Mittagszeit konnte Bruckner laut späterer Schilderung in einem Brief Wagner dazu bringen, die Symphonien durchzusehen. Nachdem sich Wagner einen Überblick über die zweite Symphonie verschafft hatte, ging er von der Dritten, so Bruckner «die ganze 1. Abteilung durch (die Trompete hat Höchstderselbe besonders erwähnt)». Später am Tag kam es dann zu einem erneuten Zusammentreffen im Salon der sich noch im Baustadium befindlichen Villa Wahnfried. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Bruckner von Wagner, dass es mit der Dedikation der dritten Symphonie «seine Richtigkeit habe». Danach floss offenbar viel Bier (wovon ein ebenfalls anwesender, in der Villa tätiger Bildhauer zu berichten wusste), denn in der Früh des nächsten Tages wusste Bruckner nicht mehr, für welche der beiden Symphonien Wagner nun die Widmung angenommen habe. Er schickte eine Nachricht mit den Worten «Symfonie in Dmoll, wo die Trompete das Thema beginnt» auf einem blauen Blatt Papier zu Wagner und erhielt dessen schriftliche Antwort auf demselben Blatt: «Ja! Ja! Herzlichen Gruß! Richard Wagner». Somit existiert ein Doppel-Autograph von Bruckner und Wagner.

Zurückgekehrt nach Wien, arbeitete Bruckner in den nächsten Monaten an der Fertigstellung des Finales. Am 31. Dezember 1873 «nachts» schloss Bruckner seine bis dahin umfangreichste Symphonie ab, in der sich erstmals durchgängig und konsequent die in den Vorgängerwerken sich abzeichnenden Bruckner’schen Neuerungen und Eigenheiten der symphonischen Gestaltung und Formung manifestierten. Dazu zählen etwa: ein am Anfang über harmonischem Streicherflimmern vorgestelltes Urmotiv für die gesamte Symphonie, aus der sich viele weitere thematische Teilformen ableiten, das in Varianten und veränderten Gestalten an verschiedenen Stellen des Werkes wieder auftaucht und in seiner Ursprungsgestalt am Ende das Werk krönt; die Anlage der Ecksätze gegenüber der klassischen Form auf drei Themen erweitert, wobei dem Hauptthema ein gesangliches Seitenthema gegenübergestellt wird, dem wiederum ein drittes, großformatiges und aus dem Hauptthema abgeleitetes Thema folgt; die voneinander abgesetzte, oft durch Pausen getrennte Anordnung der einzelnen Themenblöcke, innerhalb derer die Themen und Motive permanent in Varianten gestaltet und entwickelt werden; der in Steigerungswellen auf einen Höhepunkt hin angelegte langsame Satz; im Scherzo eine von ländlichen Volkstänzen ausgehende rhythmische und melodische Gestaltung mit motorischen, dynamischen Steigerungsblöcken und einem beschaulichen Trio als zentralem Ruhepol; in den Ecksätzen und im langsamen Satz immer wieder hervorgehobene, choralartige und hymnische Passagen, die Gebets-, Meditations- oder Lobpreis-Charakter haben.

Typisch für den neuen Bruckner’schen symphonischen Stil ist im ersten Satz der Dritten auch die Aufteilung des Hauptthemas in zwei unterschiedliche Gestalten, die dann separat mehrfach behandelt und weiterentwickelt werden. In der 3. Symphonie sind dies das prägnante, signalartige Trompetenmotiv und eine vom ganzen Orchester zweimal gespielte, nach unten rollende Gestalt. Diese Gestalt dient dann etwa in der Durchführung als Steigerungsmotiv hin zur Apotheose der Trompeten-Fanfare. Interessant im ersten Satz der Dritten sind auch die rhythmischen und motivischen Zusammenhänge, die Bruckner zwischen zweitem und drittem Thema herstellt. Im dritten Thema kann man eine Abwandlung des «Miserere»-Motivs aus der d-moll-Messe Bruckners erkennen, der sakralen Tonart-Schwester zur Symphonie.

Ein sakraler Hintergrund des Werkes ist mehrfach zu erkennen: So auch in der choralartigen Schlusspassage des dritten Themenblocks des «Misterioso» überschriebenen ersten Satzes; einer harmonischen Kadenz über eine mehr als zehn Jahre davor komponierte «Ave Maria»-Motette im ersten Themenblock des Adagios; in einem ebenfalls «Misterioso» überschriebenen Adagioteil mit einem The-ma, das an ein pastorales Kirchenlied erinnert; schließlich im erwähnten, zunächst parallel zur Polka erklingenden und später eigenständig profilierten Choral im Finale. Von feierlichem Ernst erfüllt ist auch der von Klagerufen der Holzbläser und Hörner begleitete Streicher-Hymnus im Adagio. Dessen Seitenthema, von den Bratschen gespielt, ist von einer gesangsmelodischen Charakteristik mit sehnsuchtsvoller Stimmung erfüllt, die auf ähnliche Weise und kompositorische Machart schon in der zweiten Symphonie aufscheint und später auch das Hauptthema der siebten Symphonie und das Seitenthema des Adagios der achten Symphonie prägen sollte.

Es befinden sich in dieser dritten Symphonie aber auch einige mehr oder weniger deutliche Zitate von Wagner-Themen, die verwandtschaftliche Züge zu Themenfamilien der dritten Symphonie zeigen und gut dazu passen. So etwa am Höhepunkt des Adagios eine Abwandlung des Pilgerchor-Themas aus «Tannhäuser», das aber in einer von Wagner ganz stark unterschiedenen Harmonik und einer neuen Erhöhung weitergeführt und abgeschlossen wird. Bis zu 15 Wagner-Anspielungen wurden in der Symphonie erkannt und neben «Tannhäuser» den Opern «Die Walküre», «Die Meistersinger von Nürnberg» und «Tristan und Isolde» zugeordnet.

Von diesen Wagner-Anspielungen ist aber keineswegs abzuleiten, Bruckner sei die Symphoniker-Ausgabe des Opernkomponisten Wagner. Zunächst einmal war Bruckner alles andere als ein Musikdramatiker. Seine Symphonien leben vom natürlichen Kontrast der verschiedenen Themen und der «weltlichen» und «geistlichen» Schichten. Dramatische Zuspitzungen, von denen es viele gibt in seinen Symphonien, sind immer die Folge von thematischen Entwicklungen. Bei Wagner sind alle kompositorischen Mittel dem musiktheatralischen Denken untergeordnet, in Bruckners Symphonik erhalten Kontrapunkt, Polyphonie und Form eine absolute Bedeutung als dramaturgische Mittel. Wagner komponierte tönende Psychogramme, Bruckner formte musikalische Architektur. Sie unterscheiden sich aber auch in der Klanggestaltung: Wagner suchte immer den verschmelzenden Mischklang, Bruckner setzte die einzelnen Instrumentengruppen – darin ganz der Organist – wie Register neben- und gegeneinander.

Wie differenziert Bruckner klanglich gestaltete, lässt sich eindrucksvoll schon an einem einfachen Beispiel vom Beginn der dritten Symphonie erkennen: Der erste Ton der Trompetenfanfare wird schon in den Takten davor von Liegetönen der Klarinetten und Oboen mitsamt Obertönen eingeschwungen. Aus einem schon bestehenden Klangreich tritt die Trompete in diese symphonische Welt über. Und wie feinsinnig Bruckner klangliche und motivische Dynamik empfand, mag daraus hervorgehen, wenn über dem Beginn der gewaltig sich steigernden Koda des ersten Satzes angegeben ist: «Alles sehr zart und leise».

In der zweiten und dritten Fassung der dritten Symphonie wurden die meisten Wagner-Zitate von Bruckner herausgenommen. Nachdem die mehrfach den Wiener Philharmonikern vorgelegte erste Fassung für eine Aufführung abgelehnt wurde, entschloss sich Bruckner 1877 zu einer Umarbeitung und teilweise auch Kürzung seiner gigantischen «Wagner Sinfonie». Dabei «entschärfte» er manche besonders kühne harmonische Stellen. Aber auch mit dieser Fassung hatte er kein Glück, ja sie bescherte ihm den größten Misserfolg seiner Komponistenlaufbahn: Bei der von ihm geleiteten Uraufführung mit den Wiener Philharmonikern verließen die Zuhörer im Musikverein scharenweise den Saal, nach dem letzten Akkord auch alle Orchestermusiker. Die Musikkritik überschüttete den Komponisten zum größten Teil mit Spott und Unverständnis.

1887, inzwischen mit erfolgreichen Aufführungsserien seiner vierten und siebten Symphonie im Rücken und auch schon mit den kompositorischen Erfahrungen von insgesamt fünf Symphonien inklusive der ersten Fassung der Achten als Basis, entschloss sich Bruckner auf Anraten von mit ihm befreundeten Dirigenten, eine weitere Fassung der «Wagner Sinfonie» anzufertigen, die er 1889 abschloss und die gegenüber ihrem Ursprungsumfang über 400 Takte weniger umfasst. Bruckner «schliff» die monumentale symphonische Burg förmlich und passte sie auch einem Orchesterklang an, den er im Laufe der Jahre kennen gelernt hat. Diese Fassung sei ihm «ins Herz gewachsen», schrieb Bruckner in einem Brief, und er wolle von der «alten Bearbeitung nichts mehr wissen».

Selbst durch die «Normalisierung» von ungewöhnlichen harmonischen Passagen und Periodizitäten konnte diese geraffte 3. Fassung, in der sie auch heute von den Tonkünstlern aufgeführt wird, der mutigen und erhabenen Erscheinung der Symphonie nichts anhaben. Sie fasziniert bis hin zum mitreißenden Finale, in dem Begleitfiguren in Halbtonfolgen auf ein gigantisches, aus dem Trompetenmotiv abgeleitetes Unisonothema mit großen Intervallsprüngen zurasen, und in dem nach dem Polka-Choral-Doppelereignis im dritten Thema durch synkopische Überschneidung eine dissonante «Verfolgungsjagd» ausgelöst wird. Doch das symphonische Ringen gipfelt schließlich in feierlichen Fanfaren und einer prunkvollen Apotheose des Trompetenthemas.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz