Sergej Rachmaninow

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18

Sätze

  • Moderato

  • Adagio sostenuto

  • Finale. Allegro scherzando

Dauer

33 Min.

Entstehung

1901

Sergej Rachmaninow vertraute ungebrochen der Melodie. Der Zeitgenosse von Debussy, Ravel, Richard Strauss, Sibelius und seinem Studienkollegen Skrjabin entwickelte eine Tonsprache, die die Melodik Tschaikowskis und die Harmonik der Nach-Wagner-Zeit in faszinierende Klangbilder tauchte. Der Komponist blieb dabei auch in den Jahrzehnten seines Exilantenlebens in den USA und im westlichen Europa durch und durch Russe. So gab ihm die byzantinisch-russische Kirchenmusik Halt in harmonischer und motivischer Hinsicht. Darüber hinaus wurde aber auch das gregorianische «Dies irae»-Motiv zu einem regelrechten Leitthema, das sich als Zitat durch einige seiner Werke zieht und um das auch viele andere seiner Themen in ihrer Anlage kreisen.

Für die Gestaltung seiner Kompositionen beschäftigte sich Rachmaninow stark mit so genannten intuitiven Konstruktionen: «Jedes Stück ist um einen Höhepunkt herum aufgebaut: Die ganze Flut von Tönen muss so bemessen sein, Inhalt und Kraft jedes Klanges müssen so deutlich abgestuft werden, dass der Höhepunkt mit dem Anschein der größten Natürlichkeit erreicht wird – dieser Moment muss die letzte Schranke zwischen der Wahrheit und ihrer Formulierung überwinden.»

Die verschiedenen musikalischen Faktoren brachte Rachmaninow in seinen Orchesterwerken und Klavierkonzerten auf den Stand modernster Instrumentationstechnik. Der überaus sensible und zur Melancholie neigende Künstler, den Zeitgenossen und Freunde als nobel und zurückhaltend in seiner Art und seinem Gehabe schilderten, ließ in seinen Kompositionen den Gefühlen freien Lauf. Dunkle Klangfarben und die überwiegende Verwendung von Moll-Tonarten und modifizierten Kirchentonarten geben der Musik in vielen Phasen einen tragisch umflorten Tonfall, aus dem sehnsuchtsvolle Melodien hervorquellen. Dramatische Aufwallungen, durchsetzt von rhythmisch akzentuierten Tutti-Schlägen des ganzen Orchesters, fallen entweder wieder in sich zusammen oder führen in Steigerungen auf wenige triumphale Höhepunkte hin. Die ausdrucksstarke Tonsprache gerät Rachmaninow aber nie außer Kontrolle, vielmehr ist sie in einen konsequenten formalen Ablauf gegossen. Sonatenhauptsatzform, Liedform und Rondoform erfüllt Rachmaninow in einer Epoche, in der andere Komponisten nach neuen kompositionstechnischen Mitteln suchten, noch einmal mit interessanten Inhalten. Seine Neigung zu ständigen thematischen Transformationen und motivischen Metamorphosen ergeben immer neue Varianten formaler Gestaltung. In der raffinierten rhythmischen Gestaltung bilden nicht selten Marsch- und Tanzformen die Grundlage.

Manche Kritiker rückten die Musik Rachmaninows in die Nähe von Filmmusik, was ein Missverständnis darstellt. Denn es waren umgekehrt die Filmmusikkomponisten Hollywoods ab den Dreißigerjahren, die auf Rachmaninows Musik als Vorbild zurückgriffen und sich einer ähnlichen, wenn auch nicht so tiefgründigen Klangsprache befleißigten. Aber das Etikett des schwelgerischen Hollywood-Komponisten blieb lange an Rachmaninow, der keinen einzigen Takt Filmmusik komponiert hat, haften. In den Fünfzigerjahren wurde dann in dem Film «Das verflixte siebte Jahr» für eine herzergreifende Szene Marilyn Monroes sogar Originalmusik Rachmaninows – aus dem Mittelsatz des Zweiten Klavierkonzerts – verwendet, was den zweifelhaften Ruf des inzwischen verstorbenen Komponisten noch nährte.

Rachmaninow, der in einer musikalischen Familie aufwuchs, hatte auf Empfehlung seines Cousins Alexander Siloti, einem Vertrauten Tschaikowskis, im Alter von zwölf Jahren in Moskau mit dem Musikstudium begonnen und absolvierte die Ausbildung zum Konzertpianisten und in der Kompositionsklasse bei Sergej Tanejew und Anton Arenskij mit bestechenden Leistungen. Das Klavier stand zwar im Zentrum des musikalischen Denkens und Handelns Rachmaninows, der einer der bedeutendsten Pianisten der Musikgeschichte war, in einer Linie mit Chopin und Liszt genannt werden darf und sein Leben lang erfolgreich als Klaviersolist konzertierte. So wie Liszt repräsentierte aber auch Rachmaninow den Typus des Universalmusikers, der nicht nur Instrumentalvirtuose, sondern zudem Dirigent und Komponist war. Neben einer Fülle  von Klavier-solowerken, den vier Klavierkonzerten und den konzertanten «Paganini-Variationen» komponierte Rachmaninow drei Symphonien, mehrere Tondichtungen, Chor-Orchesterwerke und Sakralmusik. Rachmaninows kompositorisches Schaffen ist nicht besonders groß, denn die Karriere als ausübender Musiker, die ihn jahrzehntelang durch die gesamte Musikwelt führte, ließ nicht allzu viel Zeit übrig.

Das zweite Klavierkonzert brachte dem jungen Komponisten internationale Berühmtheit ein. Neben dem ebenfalls früh komponierten cis-moll-Prelude op. 3 erlangte dieses Konzert die größte Popularität von Rachmaninows Werken. Es entstand in einer sehr schwierigen persönlichen Zeit Rachmaninows, den der Misserfolg seiner ersten Symphonie in eine schwere psychische Krise gestürzt hatte, die auch zu einer schöpferischen Lethargie führte. Erst Dank einer Therapie durch den bekannten Moskauer Neurologen Nikolaus Dahl fand er nach langen Monaten aus der Depression heraus und konzipierte das Klavierkonzert c-moll, welches er anlässlich seines ersten England-Gastspieles für seinen nächsten Besuch auf der britischen Insel versprochen hatte. Nach einer Aufführung der Sätze zwei und drei, die Rachmaninow zunächst komponiert hatte, erlebte das komplette Konzert im Dezember 1901 dennoch in Moskau seine Uraufführung mit dem Komponisten am Klavier und Siloti als Dirigenten. Widmungsträger war der Nervenarzt Dahl.

Die einleitende, markante Akkordfolge im ersten Satz (Moderato) des Konzertes, mit der das Klavier von f-moll ausgehend in acht Takten allmählich zur Grundtonart c-moll vordringt, ließe sich als harmonische und motivische Zelle des gesamten Werkes betrachten, kehrt sie doch in modifizierter Weise mehrmals an Schlüsselstellen wieder: in den aufsteigenden Schlusstakten des ersten Satzes, verschleiert in der Einleitung des langsamen Satzes und in einer motorischen Passage direkt vor dem Eintritt des Hauptthemas im Finale. In Kenntnis des Entstehungsprozesses des ­Werkes, in dem zunächst die Sätze zwei und drei und dann erst der Kopfsatz komponiert wurden, muss man aber feststellen, dass ­Rachmaninow nicht von dieser Einleitung ausging, sondern umgekehrt im Verlauf der Komposition erst zu diesem Motivkeim hinfand. Das Hauptthema des ersten Satzes wird dann vom Orchester ausgebreitet, während sich das Klavier mit umspielenden Arpeggien einfügt. Dafür trägt das Soloinstrument das herrlich lyrische zweite Thema vor. Eine weitere, zunächst etwas rätselhaft anmutende Themensequenz bekommt in der Durchführung eine dominierende Rolle in Form eines mächtigen Marsches. Der gesamte Satz erscheint als ständig das thematische Material verdichtende Energie; Themenreprisen im traditionellen Sinn komponierte Rachmaninow nicht mehr, er formte immer neue dynamische Bewegungen – einzig die Harmonik stellt Bezüge zu den ursprünglichen Themengestalten her. Auffällig ist die permanente Verflechtung von Klavier und Orchester, durch die die herkömmliche Aufteilung in Solo und Begleitung aufgelöst wird. Es gibt kein Wechselspiel von virtuosen Einzelphrasen des Klaviers und statuarischen Tutti-Passagen des Orchesters mehr, vielmehr strebt Rachmaninow einen durchgängigen symphonischen Komplex an.

Der berühmt gewordene Mittelsatz (Adagio sostenuto) hebt mit verträumten Arpeggien des Klaviers an. Die Soloflöte deutet einen konkreteren melodischen Verlauf an, aus dem dann ein sehnsuchtsvolles Thema in der Klarinette hervorgeht. Auch in diesem Satz ­wendet Rachmaninow das Prinzip ständiger Verdichtung an. So ­nehmen Dynamik, Tempo und thematische Intensität kontinuierlich zu und führen zu einem regelrecht bewegten Mittelteil. Erst allmählich glätten sich die Wogen und die träumerische Stimmung des ersten Satzteils kehrt in Erinnerungsschwaden zurück.

Im Finale (Allegro scherzando) vermischt Rachmaninow nicht nur Elemente des Sonatenhauptsatzes und des Rondos, sondern auch verschiedene Stimmungen: Auf eine Scherzando-Episode folgt eine gespenstische Passage, in der nur mehr skeletthafte Klänge zu erkennen sind, dann tritt ein schwärmerisches Thema hervor, das in weiterer Folge des Satzes apotheotisch wiederkehrt. Dazwischen entstehen bizarre Situationen durch rhapsodische Ausflüge aus dem angestammten thematischen Revier und durch nervöse Themen-Imitationen. Auch die Skelettklänge tauchen noch einmal auf. Hier erweist sich Rachmaninow als hervorragender Dramaturg: Die schemenhafte Passage ohne jeden melodischen Ansatz lässt dann das darauf folgende Hauptthema in seiner greifbaren und breit ausge­sungenen Gestalt umso willkommener erscheinen – so klingt Glück, könnte man sagen.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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