Richard Strauss

Konzert für Oboe und kleines Orchester

Sätze

  • Allegro moderato -

  • Andante -

  • Finale. Vivace - Allegro

Dauer

25 Min.

Entstehung

1945

Richard Strauss wurde 1947 von einem argentinischen Musikwissenschaftler gebeten, eine kriegsbedingt aufgegebene Gepflogenheit wieder aufzunehmen, nämlich die Klavierauszüge seiner jüngsten Kompositionen nach Buenos Aires zu schicken, damit man dort auch auf dem letzten Stand sein könnte. Strauss antwortete, dass er sein Lebenswerk mit den Opern «Die Liebe der Danae» und «Capriccio» als beendet ansehe, aber gern einige jüngere Stücke nach Argentinien schicken würde. In seinem Brief bezeichnete der betagte Komponist ebendiese Stücke als «Werkstattarbeiten, damit das vom Taktstock befreite rechte Handgelenk nicht vorzeitig einschläft.» Eines dieser Stücke war das Konzert für Oboe, das Strauss zwei Jahre zuvor komponiert hatte ... in der Tat, 1945: dieses virtuose Schmuckstück, das nach jugendlicher Frische und kecker Unschuld duftet, entstand in den ersten Wochen nach dem chaotischen Zusammenbruch Deutschlands.

Was war geschehen? Strauss litt in den letzten Kriegsmonaten am meisten unter dem Niedergang der Kultur. So betrauerte er die Zerstörung seiner geliebten Opernhäuser (besonders in Wien und Dresden), die für ihn als Symbole der zivilisierten Kultur galten. Die allgemeine Zerrüttung, die depressive Stimmung und wohl auch ein gewisses Maß an Selbstmitleid goss er in diesen Wochen und Monaten in seine berühmten «Metamorphosen»: ein trauriger Abgesang auf eine versinkende Kultur und – so meinen es einige zu hören – eine beginnende Selbstreflexion über ein Leben, in dem es neben grandiosen Triumphen und kühnen Geniestreichen auch Opportunismus und Bequemlichkeit gegeben hatte.

In einem merkwürdigen Verhältnis zu den «Metamorphosen», in denen Strauss aus eigenem Impuls die «deutsche Tragödie» vertonte, steht das Oboenkonzert, das kurz darauf entstand. Am 30. April verübte Hitler im Bunker unter der Berliner Reichskanzlei Selbstmord; am gleichen Tag rollten amerikanische Panzer im bayerischen Garmisch ein, das kampflos übergeben wurde. Als die Soldaten die Villa von Richard Strauss am Ortsrand erreichen, trat der gefeierte Komponist vor sein Haus und sagte: «Ich bin Richard Strauss, der Komponist von Rosenkavalier und Salome.» Ein Musik liebender Offizier sorgte augenblicklich für Ruhe und Respekt, man machte sich miteinander bekannt und die Amerikaner wurden als Gäste in das Haus gebeten. Bald darauf saß Richard Strauss mit acht Offizieren im Wohnzimmer, im Rest des Hauses verteilten sich die übrigen Mannschaften. Wein wurde geholt, es gab Hirschragout für alle. Am Abend hing am Eingang zum Grundstück das offizielle «Off Limits»-Schild, das allen nachrückenden Soldaten die Beschlagnahme und Plünderung untersagte. Strauss atmete auf und notierte: «Ein totaler Sieg des Geistes über die Materie.» In den folgenden Wochen wurde der Komponist von zahlreichen neugierigen GIs aufgesucht; auch von jenen, die meinten, dem Schöpfer des berühmten «Blue Danube Waltz» gegenüber zu stehen. Strauss verteilte Autogramme, klärte freundlich etwaige Missverständnisse auf und war sichtlich beglückt über den glimpflichen Verlauf der Dinge. An seinen Biografen Willi Schuh schrieb er am 10. Mai: «Seit 8 Tagen ist nun unser armes, geschändetes, zerstörtes Deutschland aus 12 jähriger Sklaverei befreit, nachdem noch vor zwei Monaten das heilige Haus Goethes und die mir besonders teuren Opernhäuser von Dresden und Wien in Schutt und Asche sinken mußten. Ich nehme heute die erste Gelegenheit wahr, Ihnen und ich bitte Sie, allen lieben Freunden […] auch mitzuteilen, dass Garmisch von jedem Bombenangriff verschont und da Gott sei Dank gegen die einmarschierenden Amerikaner nicht verteidigt, heil geblieben und nur einfach besetzt worden ist […] Jedenfalls benehmen sich die Amerikaner äußerst liebenswürdig und wohlwollend …»

Unter den Soldaten, die Strauss aufsuchten, war auch der damals 24-jährige John de Lancie aus Chicago, der im Zivilberuf Oboist war und später als Leiter des berühmten Curtis Institute of Music in Philadelphia bekannt wurde. De Lancie berichtete über sein Gespräch mit Strauss: «Ich erinnere mich, dass ich damals dachte, ich könne nichts zu dem Gespräch beitragen, das den Komponisten auch nur am Rande interessierte. Einmal jedoch nahm ich allen meinen Mut zusammen und begann über die herrlichen Oboenstimmen zu sprechen, denen man in so vielen seiner Werke begegnet. Ich wollte wissen, ob er zu diesem Instrument eine besondere Affinität habe, und da mir sein Hornkonzert bekannt war, fragte ich ihn, ob er jemals an ein Konzert für die Oboe gedacht habe. Seine Antwort war ein klares ‚Nein!’ Das war so ziemlich alles, was ich aus ihm heraus bekommen konnte.» Strauss überlegte es sich in den kommenden Wochen aber scheinbar doch anders, am 6. Juli schrieb er an seinen Biografen Schuh: «Oboenconzert 1945 / angeregt durch einen amerikanischen Soldaten / (Oboer aus Chicago)». War es ein plötzlich erwachtes, ernsthaftes Interesse des Komponisten? Oder hatte Strauss eine gute Gelegenheit erkannt, den amerikanischen Besatzern zu schmeicheln? Was auch immer die richtige Antwort auf diese Fragen sein mag – Strauss arbeitete mit Freude an seinem neuen Stück, das ihn von den Sorgen des Alltags ein wenig ablenken konnte. Um den Entbehrungen der Nachkriegszeit und den beginnenden Entnazifizierungsverfahren zu entfliehen, reiste Richard Strauss im Oktober 1945 mit seiner Frau Pauline in die Schweiz. Die Übersiedlung hatte auch einen materiellen Hintergrund: Strauss’ Tantiemenzahlungen waren in den von Alliierten besetzten Ländern eingefroren worden und er musste sich Sorgen um sein finanzielles Auskommen machen. In der Schweiz erhoffte er sich eine gute Gelegenheit, wieder Boden beim Publikum zu gewinnen. Er bezog sein neues Quartier im Hotel Verenahof in Baden bei Zürich und machte sich an die Fertigstellung der Partitur seines Oboenkonzerts, das er in seinem Gepäck mitgebracht hatte.

Ein Neuanfang? Die Eidgenossen machten es Strauss nicht leicht. Ablehnung und Häme schlug ihm aus der Presse und im öffentlichen Leben entgegen; Strauss musste erkennen, dass er nicht ohne weiteres zu seinem Leben als komponierender und dirigierender Weltbürger zurückkehren würde. Am 24. Jänner 1946 wurde er von Paul Sacher eingeladen, der letzten Probe des Collegium Musicum vor der Uraufführung seiner «Metamorphosen» beizuwohnen. Beim öffentlichen Konzert am folgenden Tag blieb Strauss fern; die Musik wollten die Schweizer zwar, den Mann hinter der Musik mochten sie aber nicht anschauen. In diesem Klima also legte Strauss letzte Hand an sein letztes Instrumentalkonzert an.

Das Konzert für Oboe und kleines Orchester in D-Dur ist bestimmt nicht allein der Anregung des amerikanischen Soldaten John de Lancie zu verdanken. Der Klang der Oboe passte gut zu Richard Strauss’ ästhetischen Vorstellungen in seinen letzten Lebensjahren. Als Soloinstrument hatte die Oboe im Barock ihren Siegeszug angetreten, auch in der Klassik war das Instrument noch sehr hoch im Kurs und begeisterte Publikum und Komponisten gleichermaßen durch seinen eleganten, leichtfüßigen Klang. Mozarts Oboenkonzert (KV 314) und die filigrane Schönheit der Wiener Klassik überhaupt klangen Richard Strauss bestimmt im Ohr, als er sich an die Skizzen zu seinem eigenen Konzert machte. Die Assoziationen mit der Musik des ausgehenden 18. Jahrhunderts verstärkte Strauss noch, indem er die Themen des Konzerts dem Stil der Klassik anpasste. Dabei verleugnet die Musik niemals ihre wahre Herkunft und die Handschrift ihres Schöpfers; ein Kunstgriff, den Richard Strauss beherrschte wie kein Zweiter. Insgesamt weist das Oboenkonzert Merkmale aus beiden «Welten» auf: In einem Moment wähnt man sich in der Wiener Klassik, schon einen Augenblick später verlieren die Melodien ihre klaren Konturen, die Begleitung wird rhythmisch komplexer, während die harmonischen Farben ins Romantische tendieren. Klassisch erscheint weiterhin die relativ bescheidene Besetzung; sie verlangt neben Streichern und Holzbläsern nur zwei Hörner. Auch die Länge des Konzerts entspricht dem üblichen Maß der Klassik. Formal steht das Konzert zwischen der Tradition und einer individuellen Lösung: Ohne Unterbrechungen «läuft» die Musik durch, lässt sich aber in drei Sätze unterteilen. Im Umgang mit den Themen erweist sich Strauss als eigenwillig: Er setzt weniger auf die gewohnte motivische Arbeit, wie etwa die Aufsplitterung oder Kombination von Thementeilen als vielmehr auf immer neue – nicht selten überraschende – Harmonisierungen seiner Ideen.

Die Uraufführung des Konzerts am 26. Februar 1946 mit Volkmar Andreae am Pult des Tonhalle-Orchesters Zürich und Marcel Saillet als Solisten ging unter etwas glücklicheren Umständen vonstatten als die Weltpremiere der «Metamorphosen» einen Monat zuvor. Die Veranstalter hatten Strauss im Abonnementkonzert des Orchesters der Zürcher Tonhalle einen Platz in den letzten Reihen zugewiesen, von dem aus er der Weltpremiere seines jüngsten Werks beiwohnen durfte. Eine Besucherin, die ihren Platz in der ersten Reihe des Saals hatte, erkannte den Komponisten und bot ihm in einer beherzten Geste noch vor Beginn des Konzerts an, mit ihr Plätze zu tauschen. Und so konnte Strauss nicht nur der Uraufführung von einem gebührenden Platz aus beiwohnen, sondern durfte auch auf eine wohlwollendere Aufnahme beim Publikum hoffen.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Alexander Moore

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