Hector Berlioz

«Symphonie fantastique. Épisode de la vie d'un artiste» op. 14

Sätze

  • Rêveries - Passions. Largo - Allegro agitato e appassionato assai

  • Un bal. Valse, Allegro non troppo

  • Scène aux Champs. Adagio

  • Marche au Supplice. Allegretto non troppo

  • Songe d'une Nuit du Sabbat. Larghetto - Allegro

Dauer

52 Min.

Entstehung

1830

Von Jänner bis April 1830, noch bevor Hector Berlioz mit «La mort de Sardanapale» endlich den begehrten Rom-Preis erringen sollte, schrieb er seine epochemachende «Symphonie fantastique»: Mit 27 Jahren, zu einer Zeit, als er noch um Anerkennung und die Möglichkeit rang, seine Studien zu vertiefen und fortzusetzen, schuf er das gewiss populärste Musikstück seiner kompletten Laufbahn. Die Idee zu diesem Werk trug er durchaus schon länger mit sich herum. So schrieb er im Juni 1829: «Noch bin ich unbekannt. Aber wenn ich eine kolossale Instrumentalkomposition fertig geschrieben habe, mit der ich jetzt beschäftigt bin, habe ich vor, nach London zu gehen, um sie dort aufzuführen.» – Warum aber ausgerechnet London? Wäre es nicht in Paris schon Herausforderung genug für einen jungen Komponisten, ein ebenso umfangreiches und forderndes Werk, wie es die «Symphonie fantastique» werden sollte, auf das Konzertpodium zu bringen?

Das damals nicht verwirklichte Vorhaben hatte persönliche Gründe: Hector Berlioz war der britischen Schauspielerin Harriet Smithson verfallen, die als Ophelia und Julia bei ihm ebenso großen Eindruck hinterlassen hatte wie Shakespeares Dramen, die in dieser Zeit Künstler wie Publikum auf dem Kontinent eroberten und auch in der deutschen Musik die wundersamsten Früchte zeitigte. Ohne sie persönlich zu kennen, steigerte sich Berlioz in eine regelrechte Passion infernale hinein, die ihm die Möglichkeit zu geben schien, der in die Heimat zurückgekehrten Künstlerin zu folgen und mit einem musikalischen Coup auf sich und seinen Rang aufmerksam zu machen. Gute acht Monate später, im Februar 1830, schreibt Berlioz: «Ich war dicht daran, meine große Symphonie anzufangen … Ich habe alles im Kopf, aber ich kann nichts niederschreiben … wir müssen abwarten.» Schon im Mai darauf aber machte der mit sich und dem entstehenden Werk ringende Hector Berlioz seinen ambivalenten Empfindungen dem adorierten Bühnenstar gegenüber Luft: «Sie ist nicht fähig, ein so unendlich tiefes und edles Gefühl, wie das, mit dem ich sie beehrte, zu fassen.» Und wenig später nennt er sie dann «elende Dirne».

Da hatte er sich freilich bereits in die junge Pianistin Camilla Moke verliebt, doch sollte die stürmische Beziehung zu ihr auf sehr unsanfte Weise enden. Dann geschah das schier Unglaubliche: Wieder in Paris, lernte er die Smithson tatsächlich kennen – und im folgenden Jahr schon wurde Hochzeit gefeiert! Die Ehe blieb jedoch unglücklich und endete nach elf Jahren in Trennung: Die Realität konnte mit dem imaginierten Ideal nicht konkurrieren. Es handelt sich bei der «Symphonie fantastique» denn auch weniger um das klingende Denkmal einer großen, wenn auch vielleicht fehlgeleiteten Liebe. Vielmehr ist es das mit einem gerüttelt Maß an Egozentrik geschaffene musikalische Abbild einer Episode aus dem Leben eines Künstlers: «Épisode de la vie d’un artiste». Damit einher gingen freilich eine «Revolution in der Instrumentalmusik und eine neue dramatische Entwicklung», wie der französische Musikkritiker Joseph d’Ortigue drei Jahre nach der Pariser Uraufführung
des wahrhaft unerhörten Werkes feststellte.

Denn mit der Kühnheit des Genies hatte Berlioz herkömmliche Gattungsgrenzen geleugnet und opernhafte Effekte wie Instrumente hinter der Bühne integriert. Ein Zusammenhang, der bereichert und gleichzeitig zum Bersten gebracht wird durch innovative Effekte wie das Col-legno-Spiel der Streicher, bei dem das Holz des Bogens über die Saiten streicht, oder sonst nur im Opernorchester beheimatete Instrumente wie exponierte Harfen, Englischhorn und Glocken sowie ein Arsenal an differenziert eingesetztem Schlagzeug, wobei sich die Paukenstimmen zu rhythmisch belebten Clustern verdichten, weiters gespenstisch heulende Glissandi und grell kreischende Einsätze der Bläser.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Dieser experimentelle Zugang zur Instrumentalmusik war ebenso verstörend, wie das beigegebene, allerdings in verschiedenen, im Einzelnen divergierenden Fassungen überlieferte «Programm», also die inhaltliche Erklärung und Rechtfertigung des Geschehens in schriftlicher Form, ungehörig, da es bisher in der symphonischen Musik nichts zu erklären und zu rechtfertigen gegeben hatte. Wies es doch ausdrücklich darauf hin, dass der Autor zumindest die surrealen Eindrücke der beiden letzten Sätze durch den Konsum von Opium, der Modedroge des 19. Jahrhunderts, erlangt habe. Die Halluzinationen des in alkoholischer Lösung euphemistisch «Laudanum» und bereits seit dem Mittelalter für ein Allheilmittel gehaltenen genannten Rauschgifts beschrieb Thomas de Quincey in seinen «Confessions of an English Opium-Eater» wohl nicht von ungefähr mit dem Hinweis auf künstlerische Zusammenhänge: «Hinter meiner Stirn schien plötzlich ein Theater erstanden und beleuchtet, in dem nächtliche Schauspiele von überirdischem Glanze stattfanden […]. Diese und alle anderen Veränderungen meiner Träume waren von abgründiger Angst und düsterer Schwermut begleitet, die sich mit Worten nicht schildern lassen. Nacht für Nacht schien ich – nicht metaphorisch, sondern buchstäblich – in Schlünde und sonnenlose Abgründe zu versinken, in Tiefen unter Tiefen, aus denen emporzusteigen es keine Hoffnung gab.»

Das oben erwähnte, von ihm selbst verfasste Programm, quasi eine Inhaltsangabe der Vorgänge in der Symphonie, erachtete Berlioz bei Aufführungen als unerlässliche Beigabe zum Verständnis des Werkes. Der Text wurde in seiner endgültigen Form in der 1845 von Maurice Schlesinger veröffentlichten Partitur abgedruckt und soll auch hier den Leitfaden durch das Werk bieten: «Vorbemerkung. Ziel des Komponisten war es, verschiedene Situationen aus dem Leben eines Künstlers zu schildern, soweit diese musikalisch darstellbar sind. Da dieses Instrumental-Drama durch keinen Worttext unterstützt wird, bedarf sein Plan einer vorherigen Erklärung. Das folgende Programm ist daher wie der gesprochene Text einer Oper zu betrachten, der in die einzelnen Sätze der Musik einführt und ihren Charakter und ihre Aussage erklärt.

Erster Satz: Rêveries – Passions (Träumereien – Leidenschaften). Der Komponist stellt sich vor, dass ein junger Musiker, der unter dem Einfluss jenes seelischen Leidens steht, das ein berühmter Schriftsteller als ‹le vague des passions› bezeichnet, zum ersten Mal eine Frau sieht, die in sich alle Reize des Idealwesens vereinigt, das er sich in seiner Vorstellung erträumt hat. Er verliebt sich unsterblich in sie. Eigentümlicherweise zeigt sich das geliebte Bild dem geistigen Auge des Künstlers nie, ohne mit einem musikalischen Gedanken verbunden zu sein, in welchem er einen gewissen leidenschaftlichen, aber noblen und schüchternen Charakter erkennt, wie er ihn auch dem geliebten Wesen zuschreibt. Dieses musikalische Bild und dessen Vorbild verfolgen ihn unaufhörlich wie eine doppelte idée fixe. Dies ist der Grund, warum das Anfangsmotiv des ersten Allegro in allen Sätzen der Symphonie wiedererscheint. Der Übergang aus dem Zustand melancholischen Träumens, unterbrochen durch einige Anwandlungen zielloser Freude, zu jenem einer verzückten Leidenschaft mit ihren Regungen von Zorn und Eifersucht, ihren Rückfällen in Zärtlichkeit, ihren Tränen, ihrem Streben nach religiösen Tröstungen – dies ist der Gegenstand des ersten Satzes.

Zweiter Satz: Un bal (Ein Ball). Der Künstler ist in die verschiedensten Lebensumstände versetzt: mitten in den Tumult eines Festes, in friedvolle Betrachtung der Naturschönheiten; aber überall, in der Stadt, auf dem Lande, erscheint das teure Bild vor seinem Auge und versetzt ihn in Unruhe.

Dritter Satz: Scène aux Champs (Szene auf dem Lande). Eines Abends auf dem Lande hört er in der Ferne zwei Hirten, die zusammen einen ‹ranz des vaches› (Kuhreigen) spielen; dieses ländliche Duo, der Ort des Geschehens, das leise Rauschen der sanft vom Wind bewegten Bäume, gelegentliche Anflüge neu aufkeimender Hoffnung – all dies bringt seinem Herzen ungewohnten Frieden und stimmt seine Gedanken freudiger. Er sinnt über seine Einsamkeit nach und hofft, bald nicht mehr allein zu sein … Doch wie, wenn sie ihn täuschte … Diese Mischung aus Hoffnung und Furcht, diese Gedanken von Glück, durch dunkle Vorahnungen gestört, bilden den Gegenstand des Adagios. Am Schluss wiederholt einer der Hirten den ‹ranz des vaches›; der andere antwortet nicht mehr ... fernes Donnergrollen … Einsamkeit … Stille …

Vierter Satz: Marche aux Supplice (Gang zum Richtplatz). In der sicheren Erkenntnis, dass seine Liebe missachtet werde, vergiftet sich der Künstler mit Opium. Die Dosis des Narkotikums ist zwar zu schwach, um ihm den Tod zu geben, versenkt ihn aber in einen von den schrecklichsten Visionen begleiteten Schlaf. Er träumt, er habe die Frau, die er liebte, getötet, er sei zum Tode verurteilt, werde zum Richtplatz geführt und helfe bei seiner eigenen Hinrichtung.

Der Zug nähert sich unter den Klängen eines bald düsteren und wilden, bald prächtigen und feierlichen Marsches, in dem das dumpfe Geräusch schwerer Marsch-Schritte ohne Übergang auf Ausbrüche von größter Lautstärke folgt. Am Ende des Marsches erscheinen die ersten vier Takte der idée fixe wieder wie ein letzter Gedanke an die Liebe, unterbrochen durch den tödlichen Schlag.

Fünfter Satz: Songe d’une Nuit du Sabbat (Traum einer Sabbatnacht). Er sieht sich beim Hexensabbat inmitten einer abscheulichen Schar von Geistern, Hexen und Ungeheuern aller Art, die sich zu seiner Totenfeier versammelt haben. Seltsame Geräusche, Stöhnen, schallendes Gelächter, ferne Schreie, auf die andere Schreie zu antworten scheinen. Das Motiv seiner Liebe erscheint noch einmal, doch es hat seinen noblen und schüchternen Charakter verloren; es ist nichts mehr als ein gemeines Tanzlied, trivial und grotesk; sie ist es, die zum Sabbat gekommen ist ... Freudengebrüll begrüßt ihre Ankunft ... Sie mischt sich unter das teuflische Treiben ... Totenglocken, burleske Parodie des Dies irae (Hymne, die bei den Trauerzeremonien der katholischen Kirche gesungen wird), Sabbat-Tanz. Der Sabbat-Tanz und das Dies irae erklingen zusammen.»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Markus Hennerfeind

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