Edward Elgar

«Sea Pictures» Fünf Lieder für Alt und Orchester op. 37

Sätze

  • Sea Slumber-Song

  • In Haven (Capri)

  • Sabbath Morning at Sea

  • Where Corals Lie

  • The Swimmer

Dauer

23 Min.

Als Edward Elgar 1899 vom Norwich Festival den Auftrag erhielt, eine musikalische «Szene» für die Altistin Clara Butt zu komponieren, setzte er Meeresgedichte von fünf verschiedenen Autoren zu einem Liederzyklus zusammen. Er wählte größtenteils sogenannte «Dramatic monologues» als dichterische Vorlagen aus und behielt damit eine Nähe zur musikdramatischen «Szene» bei. Lieder mit Orchesterbegleitung waren gegenüber dem Klavierlied Ende des 19. Jahrhunderts noch eine rare Gattung. Aber das Orchester war Elgars Element. Er brauchte die Farben des großen romantischen Orchesters, um seine Musik zum Leuchten und Funkeln, Glänzen und Schimmern, Rauschen und Tosen zu bringen. Eben erst hatte er seine «Enigma Variations» vollendet, deren Uraufführung den englischen Komponisten im Juni 1899 über Nacht populär machte. Auch die unmittelbar nach den Orchestervariationen komponierten Orchesterlieder sind ausdrucksstarke Tonbilder.

In den «Sea Pictures» entstehen große Tableaus im ersten, dritten und im abschließenden Lied. Eröffnet wird der Zyklus mit dem «Sea Slumber-Song», in dem die See als eine Art Urmutter der Schöpfung die Welt in den Schlaf wiegt. Mit den für seine Klangsprache so typischen dunklen Orchesterfarben verwandelt Elgar den wiegenden Rhythmus in einen bedrohlichen langsamen Marsch. Die Macht des Schattens fällt auf das lichterfüllte Elfenland. Elgar komponiert hier in zwei Dimensionen: Er orchestriert Bedrohung, während er die Gesangsstimme sanftmütige Melodien und betörende Intervallfolgen verströmen lässt. Dem eröffnenden Nachtgesang stellte Elgar im Zentrum des Zyklus ein Morgenlied gegenüber. «Sabbath Morning at Sea» von Elizabeth Barrett Browning, der bedeutenden Dichterin des Viktorianischen Zeitalters, ist ein ekstatisches Gebet einer einsamen Seele auf hoher See, das Elgar im Übergang von passionierten Rezitativzeilen auf feierliche Arienpassagen vertonte. Wenig später begann er mit der Komposition seines Oratoriums «The Dream of Gerontius», dessen Tonfall er bereits im «Sabbath Morning» mit kirchenliedhaften Gesangssequenzen, harmonisch berückenden Streicherpassagen, rauschenden Harfenklängen und majestätischen Bläserhymnen anstimmte.

Im Schlusslied «The Swimmer» gehen mit gesamtorchestralen Arpeggien die Wogen hoch und kommen durch Klänge der gestopften Hörner, des Tamtams und der mit dem Bogenholz gestrichenen Geigen und Bratschen die unwägbaren Tiefen des Gewässers zum Ausdruck. In der Dichtung des australischen Nationaldichters Adam Lindsay Gordon wird das Meer zum Spiegelbild einer am Liebesunglück leidenden Seele, die hinund hergerissen ist zwischen schönen Erinnerungen an glückliche gemeinsame Zeiten mit dem geliebten Menschen und der einsamen, von Gefühlsstürmen erfüllten Gegenwart. Um sich aus dem Leid zu befreien, strebt die Seele dem Licht des Jenseits entgegen, begleitet von einem triumphalen Hymnus, den Elgar aus dem Dunkel des Seelenmeeres emporsteigen lässt.

Demgegenüber «malte» der Komponist im zweiten und vierten Lied Miniaturen mit feinen Linien und stilvollen Farbmixturen. Das Lied «In Haven (Capri)» nach einem Gedicht von Elgars Ehefrau Caroline Alice bildet offensichtlich die Wurzel des gesamten Zyklus, denn alle anderen Lieder lassen sich motivisch und thematisch davon ableiten. Der sanft wiegende, barocke italienische Siciliano-Rhythmus von «In Haven» ist eine Anspielung auf den Liedtitelzusatz «Capri» (kurz bevor sie Edward Elgar kennenlernte, weilte Caroline Alice auf der Felseninsel im Golf von Neapel). Hand in Hand scheint nun das Ehepaar die Küste entlang zu gehen, vereint in treuer Liebe und gewappnet gegen die Stürme des Lebens. Im Lied «Where Corals lie» nach einem Gedicht von Richard Garnett wird unter der aparten klanglichen und harmonischen Oberfläche die leidenschaftliche Sehnsucht nach dem gefährlichen, verführerischen Unbekannten hörbar. Immer stärker locken die exotischen Farben und Figuren im Korallenriff und entfernen die Seele von der irdischen Wirklichkeit in ein trügerisches Reich der Sinnlichkeit.

Von der Uraufführung der «Sea Pictures» im Oktober 1899 beim Norwich Festival unter der Leitung des Komponisten wurde berichtet, dass die 27-jährige Sängerin Clara Butt im Kostüm einer Meerjungfrau auftrat.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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