«Als hätten wir uns ineinander verliebt»
Yutaka Sado blickt auf zehn Jahre mit dem Tonkünstler-Orchester zurückIm Jahr 2015 wurde ich zum Chefdirigenten ernannt – aber wie doch die Zeit verfliegt: Schon ist es so weit, dass ich, nunmehr im zehnten Jahr, meine letzte Konzertsaison mit dem Orchester bestreite.
1987 kam ich auf Drängen meines Mentors Leonard Bernstein zum ersten Mal nach Wien. Ich besuchte ungezählte Proben, Aufführungen und seine Aufnahme-Sitzungen mit den Wiener Philharmonikern. Außerdem kaufte ich mir Stehplatz-Karten für den Musikverein und die Staatsoper und erlebte dort drei Jahre lang jeden Abend die größten Dirigenten der Welt. Dann vergingen noch 25 Jahre bis zu meiner Ernennung zum Chefdirigenten des Tonkünstler-Orchesters.
Ob Sie sich die Freude vorstellen können, die es für mich bedeutete, am Dirigentenpult eines jener Orchester zu stehen, zu denen ich einst aufblickte? Immer noch laufen mir Schauer über den Rücken angesichts der Ehre, dass mir dieses kostbare Jahrzehnt in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Orchesters anvertraut wurde.
Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass vom Moment der ersten Begegnung mit dem Tonkünstler-Orchester an der Funke übersprang. Als hätten wir uns ineinander verliebt.
Das Tonkünstler-Orchester hat an seinen drei großen Spielstätten – in St. Pölten, Grafenegg und im Wiener Musikverein – ein begeistertes Publikum, das uns bei jedem Abonnementkonzert auf seine Weise willkommen geheißen hat, und ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in den vergangenen zehn Jahren diese Veranstaltungsreihen gemeinsam haben wachsen und gedeihen sehen. Bei den Fest- und Galakonzerten in Grafenegg war in der wunderschönen Naturkulisse das Musikerlebnis im Einklang mit dem Publikum ungeahnt intensiv. Nie werde ich den Besuch des niederösterreichischen Landesrats Dr. Martin Eichtinger und der Freunde der Kultur in St. Pölten bei unserem Gastspiel in Hamburg vergessen. Und die vielen denkwürdigen CD-Aufnahmen mit dem Tonkünstler-Orchester auf der Spitzenbühne des Musikvereins sind ein wertvoller Teil meiner Dirigentenlaufbahn geworden.
Bei den Plugged-In-In-Konzerten hatte ich Gelegenheit, den Stolz Japans, Musik mit dem Jazzpianisten Yōsuke Yamashita, und mit dem Sirba Octet zu Gehör zu bringen, für dessen Kombination aus Klezmer und Gypsy Jazz ich mich schon seit vielen Jahren begeistere. Gleichzeitig habe ich durch diese Reihe neue, mir unbekannte musikalische Welten entdeckt und kennengelernt. Stolz bin ich auch darauf, Ihnen die jungen japanischen Musiker Nobuyuki Tsujii und Kyohei Sorita vorgestellt zu haben, mit denen ich auch befreundet bin.
Meine schönsten Erinnerungen sind mit unseren Japan-Tourneen in den Jahren 2016 und 2018 verbunden. Für mich als Japaner erscheint es wie ein Wunder, dass ich mit meinem Orchester aus Österreich eine triumphale Rückkehr in die Heimat erleben und Tag für Tag Musik von Gustav Mahler, Johannes Brahms, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven in vollen Häusern aufführen konnte. Eine Tournee mit sage und schreibe 14 Auftritten, das hat es so noch nicht gegeben, obwohl jedes Jahr viele renommierte Orchester aus der ganzen Welt Japan besuchen. Das war etwas Einmaliges! Besonders gern erinnere ich mich an die ausgelassene Feier am Ende unserer Japan-Tournee 2018, zusammen mit sämtlichem Personal.
Ich hoffe aufrichtig, dass unsere Freundschaft und der warme Klang noch viele Jahre andauern werden.
In die vergangenen zehn Jahre fiel auch die Corona-Zeit, mit überaus schmerzhaften Erfahrungen für die Menschen auf der ganzen Welt. Auch wir mussten viele Konzerte absagen, so dass ich nicht behaupten kann, nur glückliche Erinnerungen zu haben. Ich bin jedoch stolz darauf, sagen zu können, dass vom Moment der ersten Begegnung mit dem Tonkünstler-Orchester an der Funke übersprang, als hätten wir uns ineinander verliebt. So haben wir uns seither sehr gut kennengelernt und einen eigenen Klang entwickelt, den nur wir hervorbringen können, einen einzigartigen Sinn für Phrasierung und Ausrichtung. Das Orchester hat einen sehr warmen Klang, voll, aber nie aufdringlich. Meiner Meinung nach ist dies das Ergebnis des guten Einverständnisses zwischen allen Orchestermitgliedern. Auf den CDs, die wir aufnahmen, kommt das besonders gut bei Mahlers dritter und Anton Bruckners achter Symphonie zum Ausdruck.
Mein Vertrag als Chefdirigent endet, aber ich hoffe aufrichtig, dass unsere Freundschaft und der warme Klang noch viele Jahre andauern werden.
(Übersetzung aus dem Japanischen: Irmela Hijiya-Kirschnereit)
Yutaka Sado ist einer der wichtigsten und bekanntesten japanischen Dirigenten unserer Zeit. Von 2015 bis 2025 war er Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters. Als Gastdirigent bleibt er dem Orchester auch in Zukunft freundschaftlich verbunden.